Elio Toaff

Elio Toaff (* 30. April 1915 in Livorno; † 19. April 2015 in Rom) war Großrabbiner von Rom und eine der wichtigsten jüdischen Nachkriegspersönlichkeiten Italiens.
Leben
Toaffs Geburtsstadt ist Livorno, wo sein Vater Rabbiner und Lehrer für alte Sprachen war. Toaff studierte Rechtswissenschaften in Pisa, da sein Vater Vorbehalte gegen eine Rabbinerkarriere seines Sohnes hatte. Sein Betreuer war der Jurist Lorenzo Mossa, der ihm 1939 einen Abschluss in Handelsrecht trotz der durch das faschistische Regime eingeführten Rassengesetze in Italien 1938 ermöglichte. Wolfgang Benz zitiert im Handbuch des Antisemitismus Toaffs Einschätzung, vor 1938 hätte es so gut wie keinen spürbaren Antisemitismus in Italien gegeben, die entsprechenden Änderungen hätten umso traumatischer gewirkt.[1] Toaff gelang es, mit einer Magisterarbeit zu den jüdischen Handelsgesellschaften in Palästina sein Studium abzuschließen.[2] Gleichzeitig studierte Toaff aber auch am Rabbinerseminar in Livorno.[3]
1941 wurde er Rabbiner in Ancona, wo er knapp der Gefangennahme durch deutsche Truppen entkam und die jüdische Gemeinde mit lokaler Hilfe nach Bari evakuieren konnte.[2] Er schloss sich 1943 den Partisanen in der Toskana an.[4] Er wurde gefangen genommen und war bereits zum Tode verurteilt worden und gezwungen, sein eigenes Grab zu schaufeln, konnte aber noch entkommen.[4] 1946 bis 1951 war er Rabbiner in Venedig und lehrte Hebräisch an der Universität Venedig.
Großrabbiner in Rom
Von 1951 bis 2002 war er Großrabbiner von Rom und prägte die traditionsreiche, aber nach dem Zweiten Weltkrieg versprengte und verunsicherte Gemeinde der Juden in Rom über Jahrzehnte. Sein Hauptanliegen war der Wiederaufbau jüdischer Schulen und die Festigung des jüdischen Bildungswesens in Rom. Toaff wurde in dieser Zeit zur zentralen Leitfigur des italienischen Judentums.[5] Mit [6] dem Boxer und Streetfighter Pacifico Di Consiglio (genannt Moretto) gründete er eine Selbstverteidigungsorganisiation, blieb dabei selbst als spiritueller Kopf und Verbindungsmann zur religiösen und theologischen Elite Roms im Vordergrund.[6]
Nach dem palästinensischen Anschlag auf die Große Synagoge von Rom 1982 intensivierte Moretto den Druck auf Antisemiten und Sympathisanten der Terroristen.[6] Die jüdische Gemeinde, die sich auch auf der Tiberinsel im Tempio dei Giovani versammelte und ein neues und attraktives jüdisches Viertel schuf, reagierte engagiert.[6] Toaff deckte und unterstützte unter anderem öffentlichkeitswirksame Aktionen römischer Juden gegen neofaschistische Gruppierungen im Rom der 1990er Jahre und ebenso gegen die zeitweise befürchtete Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen Erich Priebke.[7] Die von Moretto und Toaff geprägte Generation übernahm nach 2000 auch die politische Leitung der Gemeinde, unter anderem in der Person Riccardo Pacificis, eines Enkels Riccardo Reuven Pacificis. Sie reagierte mit Demonstrationen und Aktionen in Zusammenarbeit mit der nichtjüdischen Gemeinde auf den Mord an drei israelischen Jugendlichen 2014 und den Anschlag auf das Jüdische Museum von Belgien 2014.[6]
Elio Toaff förderte den christlich-jüdischen Dialog und beteiligte und kommentierte auch Annäherungsversuche und Versöhnungsansätze von katholischer Seite, unter anderem die Erklärung Nostra Aetate von 1965, ein bleibendes Vermächtnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die deutsche, unter anderem von Rolf Hochhuths Der Stellvertreter geprägte Sicht auf das Verhalten Papst Pius XII. während der deutschen Besatzung, wurde in Italien selbst keineswegs übernommen. Toaff bedankte sich ausdrücklich für das kirchliche Engagement gegen die deutsche Judenverfolgung.[8] Am 13. April 1986 empfing er in der Synagoge von Rom Papst Johannes Paul II. Dies war das erste Mal in der Geschichte der katholischen Kirche, dass ein Papst ein jüdisches Gotteshaus betrat.[9]
Am 7. April 1994 fand im päpstlichen Auftrag ein Gedenkkonzert zur Erinnerung an die Shoah in der Sala Nervi im Vatikan statt.[10] Der Vatikan hatte Israel bereits 1984 anerkannt, 1993 einen Grundlagenvertrag mit Israel geschlossen und am 15. Juni 1994 mit Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Die Beziehungen waren aber strikt auf staatlicher Ebene und nicht religiös, was unter anderem bedeutete, daß dabei seitens des Vatikans kein ranghöchster Repräsentant der jüdischen Religion offiziell anerkannt wurde.[11] Elio Toaff nahm bei dem Konzert mit dem italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro wie von Papst Papst Johannes Paul II. als Ehrengast gleichen Ranges teil[12][13] Adin Steinsaltz begrüßte die politische Annäherung, war aber aus theologischer Sicht eher skeptisch: Verblüffenderweise habe das Judentum mit dem Islam weniger theologische Probleme als mit der Christenheit beziehungsweise der katholischen Kirche. Die gegenseitige Anerkennung als legitim sei keineswegs einfach möglich, bei klassischen Jüdisch-Christlichen Konferenzen stünden meist gute Christen schlechten Juden gegenüber, beziehungsweise bestünde wenig Intereresse etwa der Oberrabbiner und führender Gelehrten, einschließlich ihm selbst. [11]
Toaff nahm dessen ungeachtet ebenso als ranghoher jüdischer Vertreter an den Weltgebetstreffen in Assisi teil, die zum ersten Mal am 27. Oktober 1986 auf Einladung Johannes Paul II. veranstaltet wurden und ebenso 1993, 2002 und 2011 stattfanden.[14] 2001 ehrte ihn Bürgermeister Walter Veltroni als Ehrenbürger Roms.[9] Am 4. April 2005 erwies Toaff dem verstorbenen und aufgebahrten Papst die letzte Ehre. Toaff war neben Stanislaw Dziwisz die einzige lebende Person, die im Testament des Papstes erwähnt wurde.[15]
Familie
Einer seiner Söhne ist der israelische Historiker Ariel Toaff, dessen umstrittene Thesen im Buch Passahfest des Blutes auch auf den Widerspruch von Elio Toaff trafen.[16] Elio Toaff starb am 19. April 2015 in Rom, wenige Tage vor seinem 100. Geburtstag,[5] und wurde in seiner Heimatstadt Livorno beerdigt.[17]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 4: Ereignisse, Dekrete, Kontroversen., Walter de Gruyter, Berlin 2011, ISBN 978-3598240768.
- ↑ a b Nicola Caracciolo, Florette Rechnitz Koffler, Richard Koffler: Uncertain Refuge: Italy and the Jews During the Holocaust. University of Illinois Press, Champaign (IL) 1995, ISBN 978-0252064241.
- ↑ Silvano Longhi: Die Juden und der Widerstand gegen den Faschismus in Italien (1943–1945). Litverlag, Münster 2010, ISBN 978-3643108876, S. 166 ff.
- ↑ a b Elio Toaff gestorben. In: tachles, 21. April 2015 (abgerufen am 30. April 2015).
- ↑ a b Bruce Weber: Elio Toaff, Spiritual Leader of Italian Jews, Dies at 99. In: The New York Times, 20. April 2015 (englisch, abgerufen am 29. April 2015).
- ↑ a b c d e The Italian Exception: Defeating the Anti-Semites, von Michael A. Ledeen, Focus Quarterly, 2014
- ↑ Michael Ledeen: Amid Rising Anti-Semitism in Western Europe, Italian Jews Are Staging a Surprising Revival A strong communal response to a terrorist attack in the 1980s seeded a new generation of dynamic leaders. In: Tablet Magazine, 25. April 2014 (englisch, abgerufen am 30. April 2015).
- ↑ Nadine Ritzer: Alles nur Theater?: zur Rezeption von Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" in der Schweiz 1963/1964. Academic Press, Freiburg (Schweiz) 2006, ISBN 978-3-7278-1562-1.
- ↑ a b Elio Toaff - der nette Herr von nebenan. In: Neue Zürcher Zeitung, 17. Oktober 2001 (abgerufen auf der Homepage des Bistums Basel über das Internet Archive in einer Version vom 30. Juli 2007).
- ↑ Gerald O'Collins: The Second Vatican Council on Other Religions. Oxford University Press, 2013, S. 175.
- ↑ a b Eine Pein für die Kirche. In: Der Spiegel. Band 15, 11. April 1994 (spiegel.de [abgerufen am 6. Mai 2015]).
- ↑ Pope John Paul Attends First Vatican Concert That Memorializes Holocaust : Religion: Pontiff looks on as concentration camp survivors light candles. American leads orchestra. In: Los Angeles Times. 8. April 1994, ISSN 0458-3035 (latimes.com [abgerufen am 6. Mai 2015]).
- ↑ http://www.holocaustchronicle.org/StaticPages/HolocaustScans/HiRes/1947/19470008000113. In: www.holocaustchronicle.org. Abgerufen am 6. Mai 2015.
- ↑ André Ritter: Nebeneinander oder miteinander vor dem Einen Gott? Eine Studie zur Frage des gemeinsamen Betens und Feierns von Juden, Christen und Muslimen. Waxmann Verlag, 2010, ISBN 3830972490.
- ↑ Eric J. Greenberg: Roman Rabbi Mentioned in Pope's Will. In: The Jewish Daily Forward. 15. April 2005 (englisch, abgerufen am 29. April 2015).
- ↑ Elio Toaff – Obituary. In: The Daily Telegraph, 29. April 2015 (englisch, abgerufen am 30. April 2015).
- ↑ Laura Montanari: A Livorno i funerali di Elio Toaff. Il figlio Ariel: "Voleva tornare dai suoi avi". In: La Repubblica, 20. April 2015 (italienisch, abgerufen am 30. April 2015).
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Toaff, Elio |
| KURZBESCHREIBUNG | italienischer Großrabbiner |
| GEBURTSDATUM | 30. April 1915 |
| GEBURTSORT | Livorno |
| STERBEDATUM | 19. April 2015 |
| STERBEORT | Rom |