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Familie

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Eine deutsche Familie um 1900, die in einem Raum arbeitet, wohnt, kocht und schläft
Datei:Familia Lalli.jpg
Familie heute
Junge Familie erwartet Nachwuchs

Unter einer Familie versteht die Soziologie eine engere Verwandtschaftsgruppe. (Im weiteren Sinn umfasst sie auch Schwiegerfamilien.)

Das Wort entstammt dem lateinischen Begriff familia (von famulus, Haussklave), wo es zunächst nicht das Ehepaar und dessen Kinder bezeichnete, sondern Name für die Gesamtheit der zum Hausstand des Pater familias gehörenden Familienangehörigen, Freigelassenen und Sklaven war.

Die alte Redewendung ein Mann ohne Familie besagte, dass der Gemeinte von Haus aus kleinen Verhältnissen entstamme.

Funktionen der Familie

Die Familie bündelt biologisch und sozial viele Funktionen:

Ob die biologische Reproduktions-Funktion der Spezies "Mensch" der Institution "Familie" bedarf, ist teilweise umstritten. Zur biologischen Basis gehören jedoch die Gebärfähigkeit der Frau und die Zeugungsfähigkeit des Mannes, das Zusammenleben von mindestens zwei Generationen und die extreme Dauerpflegebedürftigkeit der Säuglinge. Die Reproduktionsfunktion dient der Sicherung der Generationsfolge durch Weitergabe des Lebens. Die Familie trägt daher die quantitative Reproduktion der Gesellschaft.

Es lassen sich drei elementare soziale Funktionen hervor heben:

  • Die "Sozialisations"-Funktion (auch: erzieherische Funktion) wird durch ihre Fähigkeit zur sozialen Kontrolle, zur Erleichterung der Sozialisation und der Formierung von Motivationen und Fähigkeiten von Heranwachsenden erleichtert (vgl. hier z.B. Gelehrtenfamilie); sie bildet ein erstes dichtes Soziales Netzwerk bereits für den Säugling und bildet Kinder und Jugendliche auch primär aus.
  • Die wirtschaftliche Funktion ist für viele Familien eine wichtige Funktion. So erbringt sie Schutz und Fürsorge (auch materielle) für Säuglinge, aber auch für kranke und alte Familienangehörige, ernährt, kleidet und behaust sie.
  • Die politische Funktion ist zunächst eine verortende: Für in ihr geborene Kinder erbringt sie eine legitime Platzierung in der jeweiligen Gesellschaft. Sonst ist die politische Funktion in neuzeitlichen staatlich verfassten ("statalen") Gesellschaften fast erloschen, findet sich dort aber oft noch informell in der Oberschicht. In nichtstaatlichen Gesellschaften tritt sie jedoch als einziger politischer Rückhalt durch Verwandtschaft (Sippe, Clan) deutlich hervor.

Aus diesen können weitere Funktionen abgeleitet werden werden:

  • Die religiöse Funktionen lässt sich aus der Sozialisations-Funktion ableiten, etwa in der Gestaltung von Familienfesten. Das ist in modernen Kleinfamilien unauffällig (Beispiele: Vater spricht das Tischgebet; er schmückt den Weihnachtsbaum). Anders in vorstaatlichen Gesellschaften: Da wurde es in vielen Bräuchen verdeutlicht (Beispiele: Der Vater bestimmte, ob ein Neugeborenes lebensfähig sei oder ausgesetzt werde; die Aussaat mit der Hand darf nur der Bauer selber vornehmen).
  • Die rechtliche Funktion ist verfassungs- und privatrechtlich (dort im Familienrecht) auch heute noch lebendig. Nach dem deutschen Grundgesetz steht die Familie unter besonderem staatlichen Schutz. Im privatrechtlichen Bereich hat sie zahlreiche Gestaltungsrechte (so im Vormundschafts-, Adoptions- und Erbrecht).
  • Die "Freizeit- und Erholungs"-Funktion ist eine moderne Variante der Wirtschaftsfunktion. Sie fasst Basisleistungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit der Familienmitglieder und die Bereitstellung von Erholungsmöglichkeiten bzw. Ausgleichsleistungen der Familie gegenüber bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationsformen zusammen.

In modernen Gesellschaften werden, politische, religiöse, wirtschaftliche und erzieherische Funktionen der Familie z.T. auf andere gesellschaftliche Institutionen (z.B. Staaten, politische Gemeinden, Versicherungsanstalten, Schulwesen, Sport) übertragen und treten im Familienalltag dann zurück, was sich in Notzeiten durchaus rasch ändern kann.

Einzelterminologie

Unterschieden wird, ob ein junges Ehepaar nach der Hochzeit zur Familie der Frau zieht (Uxorilokalität) oder zu der des Mannes (Virilokalität), oder ob es sich an einem dritten Wohnort niederlässt (Neolokalität). Auch wird unterschieden, ob materielle, kulturelle und spirituelle Ressourcen in einer Familie vom Vater auf den Sohn übergehen (Patrilinearität), oder ob sie über die Mutter laufen (Matrilinearität), was nicht ausschließen muss, dass Männer in der Familie herrschen (dann vererbt ein Mann auf die Männer seiner Töchter oder auf die Söhne seiner Schwester - vgl. dazu auch Stiefmutter) ).

Diese Begriffe sind nicht mit den Bezeichnungen für inner- oder außerfamiliären Formen der Herrschaft von Frauen bzw. Männern zu verwechseln - vgl. dazu Matriarchat und Patriarchat, auch Paternalismus; sowie Heiratsregel.

Familienformen

Im westlichen Kulturkreis wird heute unter "Familie" meist die so genannte Kernfamilie verstanden, d.h. Vater, Mutter und deren Kinder. Die Kernfamilie erscheint in der Tat in den meisten modernen Gesellschaften als überwiegend vorkommendes Modell. Moderne Formen, wie Wohngemeinschaften oder das Zusammenleben zweier Elternteile mit je eigenen Kindern (ob verheiratet oder nicht) bleiben minoritär. Gleichwohl können sie die historische Dynamik bezeichnen und vieles, was diese neuen Familienformen prägt, mag auch in "normalen" Ehen gültig geworden sein. Begrifflich darf die "Kernfamilie" in diesem Sinn nicht mit der "Kleinfamilie" verwechselt werden, die wenig Mitglieder umfasst; eine "Kernfamilie" mit zwölf ehelichen Kindern ist keine "Kleinfamilie".

Historisch betrachtet gibt es in Europa eine ganze Reihe von Familienformen. Gegenstand der Diskussion waren insbesondere das "Ganze Haus" und die "Große Haushaltsfamilie". Beide Formen der Großfamilie gibt es in erheblichen Variationen, sowohl, was die Zahl der Mitglieder, die einbezogenen Generationen oder Seitenlinien, als auch, was den Einbezug Nicht-Blutsverwandter (Mündel, Gesinde, Haussklaven) angeht. Auch die Interpretation von "Abstammung" unterscheidet sich vgl. z.B. die Institutionen der Adoption und Pflegekindern / -eltern).

In matriarchalischen Gesellschaften wurde die Familie von der Mutter geleitet, in patriarchalischen Familien vom Vater.

Als "Ganzes Haus" wird nach Wilhelm Heinrich Riehl die seit dem Mittelalter vor allem in "Westeuropa" entstandene Familienform der Bauern und Stadtbürger bezeichnet, die neben der Kernfamilie primär durch den Einbezug von Gesinde und unverheirateten Verwandten ausgezeichnet ist. Wenn auch von der Zahl der Haushalte her minoritär (grob um ein Drittel), lebten in ihnen doch zum Stichtag um 50% der sesshaften Menschen. Und sehr viel mehr Menschen haben Zeiten ihres Lebens im "Ganzen Haus" gelebt, das mit der Industrialisierung sehr stark zurück trat. Umstritten ist die "ideologische" Bedeutung dieser Lebensform: Einerseits gilt sie als harmonischer Hort unterschiedlicher sozialer Stände, als vorbildhaftes Modell patriarchaler Lebensform, andererseits wird seine soziale Kluft zwischen Herrschaft und Gesinde betont und die Bedeutung des "Ganzen Hauses" gegenüber der Kernfamilie relativiert - die zahlenmäßig immer überwiegt, aber in einer mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Gesellschaft kaum mit der heutigen Kernfamilie gleichgesetzt werden kann. Erst ab dem 18. Jh. liegen Quellen vor, die Haushalte mit allen in ihr lebenden Mitgliedern verzeichnen (Kameralistik; Steuer- und Zensuslisten); zuvor weisen Quellen oft ausschließlich Großfamilien der Oberschichten aus. René König hat darauf verwiesen, dass die Geschichtsschreibung deswegen oft die frühere Bedeutung von Kleinamilien vernachlässigt habe.

Die "Große Haushaltfamilie" bezeichnet Lebensformen, bei denen mehrere Generationen und u. U. mehrere parallele Ehen (z. B. von Brüdern) inclusive Gesinde unter einem Dach in einem Lebens- und Wirtschaftsverband lebten. Sie kam eher in Süd-Osteuropa vor (von anderen Welt-Regionen abgesehen - vgl. z.B. den nordfriesischen Haubarg).

Wandel der Familienstruktur in jüngerer Zeit

Mit dem Wachstum der Städte und der Entwicklung des Bürgertums und der Verbürgerlichung des Industrieproletariats in Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht auch die Vorstellung der sogenannten 'Normalfamilie'. Diese wandelt sich ihrerseits und bot in den 1950er Jahren noch etwa folgendes Bild: Dies wird auch als wird als moderne Kleinfamilie oder privatisierte Kernfamilie bezeichnet.

Diese sah idealtypisch wiefolgt aus:

  • Verheiratet mit eigenen Kindern (Entscheidung für Ehe und für Kinder aus Liebe, kaum noch aus wirtschaftlichen Überlegungen)
  • Haushaltsgemeinschaft aus einem verheirateten Paar und dessen in der Regel leiblichen, unmündigen Kindern
  • lebenslange Ehe (auch Monogamie und heterosexuelle Ehe),
  • der Mann als Haupternährer und • Traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Geschlechter: Vater war der Haupternährer, besaß höchste Autorität ("Familienvorstand"); Mutter für den Haushalt und den emotionalen Bereich zuständig
  • Wohn- und Arbeitsstätte waren räumlich getrennt

Heute kennt die Familiensoziologie mehrere typische Formen. Zwar hat die Familie nach wie vor eine hohe Wertigkeit und gehört fest in den Lebensplan vieler junger Menschen, doch die Formen der Familie entsprechen immer seltener dem Familienideal der bürgerlichen Familie. Empirisch ist der Wandel der Familienstrukturen an einer Schrumpfung der Haushaltsgröße (zahlreiche kinderlose oder Ein-Kind-Familien), einem Rückgang der Eheschließungen (nicht notwendig aber der Paarbindungen), der Zunahme der Scheidungen, einem Rückgang der durchschnittlichen Geburten pro Frau und einer Zunahme der Frauenerwerbsarbeit feststellbar.

Gründe für den Wandel

Durch die demographische Entwicklung und den Wandel der Lebensformen seit den 60er Jahren hat die moderne Kleinfamilie ihre Stellung eingebüßt und befindet sich in Konkurrenz mit zahlreichen anderen Lebensformen. Indikatoren hierfür sind die sinkende Geburtenzahl, der Rückgang der Eheschließungen und das Ansteigen der Scheidungen. Dieser Wandel der Haushalts- und Familienstrukturen zeigt sich vor allem in der Anzahl der Alleinerziehenden und der kinderlosen Ehepaare sowie der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften. Durch die hohe Scheidungsrate entstehen auch immer mehr so genannte Patchwork-Familien, in denen Kinder Unterschiedlicher Herkunft leben. Als Ursache für diesen Prozess wird der seit den 1960er- Jahren beschleunigte Wertewandel gesehen. Durch den voranschreitenden Individualisierungsprozess eröffnen sich für die einzelnen Personen eine immer größere Vielfalt an Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten für die eigene Lebensgestaltung. Hinzu kommt der soziale Wertewandel, durch den traditionelle Pflicht- und Akzeptanzwerte immer mehr an Bedeutung verlieren, während Selbstentfaltungswerte immer höher eingestuft werden. Aus dem traditionalen Dasein für andere (Familie, Eltern), wurde immer stärker die Gestaltung eines selbst bestimmten Leben. Verantwortlich für diesen Wandel der Familienstrukturen sind u.a.:

  • Angleichung der Bildungschancen
  • Technisierung der Haushalte
  • Die Reform des Familienrechts (insbesondere des Scheidungsrechts 1976)
Neben der Vereinfachung der Scheidung durch das Scheidungsrecht ist noch ein zweiter Effekt des Scheidungsrechts für die 
Familien festzustellen. Der Staat beutet die Institution Ehe aus, indem er ihr ohne Gegenleistung Unterhaltskosten aufbürdet. 
Durch die Reform des Scheidungsrechts im Jahre 1977 konnte der Staat ca. 12 Milliarden Euro jährlich an 
Unterhaltsverpflichtungen einsparen (Berechnung: 200.000 Scheidungen jährlich, davon wären 100.000 Scheidungsbetroffene 
schuldig geschieden worden, davon wären ca. 50.000 mittellos gewesen; bei 1000 Euro Unterhalt und Jahr sowie Aufsummieren der 
Scheidungen für 20 Jahre ergeben sich schon 12 Mrd. Euro jährlich). Keiner anderen Organisation menschlichen Zusammenlebens 
werden solche Kosten aufgebürdet. 
  • Die einfachere Geburtenkontrolle
  • Bedeutungslosigkeit der Anzahl der Kinder für die Altersvorsorge
  • Der Bewusstseinswandel durch die 68er-Generation und den Feminismus (veränderte Rollenbilder)


Familienbezogene Wissenschaften

Wegen ihrer Funktionenvielfalt befassen sich zahlreiche Wissenschaften mit der Familie. Zu nennen wären:

Erinnert sei auch an familienbezogene Berufsspezifikationen, wie z. B. in der Sozialarbeit.

Zitate

Die Vorstellung, dass die Familie die gesellschaftliche Zelle und der Staat eine Art aufgeblähter Familie sei, ist ein Hindernis für den Fortschritt der Geschichtswissenschaft, der Soziologie, der Politik und noch manches anderen. José Ortega y Gasset (Aufbau und Zerfall Spaniens, 1921)

Literatur

Einführend

  • Paul B. Hill/Johannes Kopp: Familiensoziologie. Grundlagen und theoretische Perspektiven, 3. überarbeitete Auflage, Wiesbaden (VS Verlag) 2004
  • Rosemarie Nave-Herz: Ehe- und Familiensoziologie. Eine Einführung in Geschichte, theoretische Ansätze und empirische Befunde, Weinheim / München (Juventa) 2004
  • Rüdiger Peuckert: Familienformen im sozialen Wandel, 5. überarbeitete Auflage, Wiesbaden (VS Verlag) 2004

Darstellungen und Spezialuntersuchungen

  • A. Burguière, C. Klapisch-Zuber, M. Segalen, F. Zonabend (Hrsg.): Geschichte der Familie, 4 Bde., Campus Verlag, Frankfurt a.M. 1997 [Original: Histoire de la famille, Armand Colin, Paris, 1986]
  • Birgit Kohlhase: Familie macht Sinn, Urachhaus Verlag, Stuttgart 2004

Kritische Aspekte

  • Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp-Verlag
  • Max Horkheimer: Studien über Autorität und Familie

Weitere Stichworte

Alleinstehender, Amme, Einelternfamilie, Familie (Recht), Familiärer Lebenszyklus, Familienpflegepotential, Familienstruktur, Familienserie, Geschwister, Klan, Mutterliebe, Patchworkfamilie, Phratrie, Regenbogenfamilie, Schwiegermutter (Soziologie), Single, Vaterliebe


siehe auch

Wikiquote: Familie – Zitate
Wiktionary: Familie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen