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Andreas Kemper

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Andreas Kemper (2013)

Andreas Kemper (* 11. April 1963 in Nordhorn) ist ein deutscher Publizist und Soziologe mit den Themenschwerpunkten Bildungsbenachteiligung, Klassismus und antifeministische Männerrechtsbewegung.

Leben

Kemper wuchs im niedersächsischen Nordhorn auf,[1] seine Eltern arbeiteten nach seinen Angaben beide in der Textilindustrie.[2] Schon als Jugendlicher politisch und gesellschaftlich interessiert, studierte Kemper nach dem 1982 abgelegten Abitur[3] Philosophie, Soziologie und Pädagogik in Münster. Kemper engagierte sich politisch bei der Alternativen Liste in deren Anfangszeit.[4] Mitte der 1980er Jahre wechselte er an die FU Berlin, brach sein Studium aber aus finanziellen Gründen ab und verdiente sich seinen Lebensunterhalt fortan mit verschiedenen Jobs.[2] Später engagierte er sich in der profeministischen Männerbewegung und befasste sich mit sozialen Themen.[5]

2000 schrieb er sich wieder an der Universität Münster ein und initiierte dort 2003 die erste Vollversammlung studierender Arbeiterkinder.[5] Er gründete das bundesweit erste AStA-Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende (kurz: FikuS) an der Universität Münster, das sich mit der Selbstorganisation von Arbeiterkindern im Bildungsbereich beschäftigt.[6][7] 2005 schloss er sein Studium mit einer Magisterarbeit in Soziologie unter dem Titel Möglichkeiten der Bildungspolitik für Arbeiterkinder ab.[8]

Danach begann Kemper eine Promotion über den Zusammenhang von Bildung und Klassenzugehörigkeit.[2] Zu den Themen, über die Kemper publiziert, hält er auch Vorträge im deutschsprachigen Raum.[9] Von April 2013 bis März 2014 war er ordentliches Mitglied der Gleichstellungskommission an der WWU Münster.[10]

Für Veränderungen im Bereich der Bildungsgerechtigkeit vertritt Kemper laut eigener Aussage seinen eigenen anarchistischen Ansatz der politischen Selbstorganisation gemäß Otto Rühle.[11]

Veröffentlichungen und Rezeption

In der 2009 zusammen mit Heike Weinbach herausgegebenen Einführung zum Klassismus[12][13][6] vertritt Kemper die These, dass Diskriminierung sozialer Herkunft im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und damit auch in Forschungsfragen der Antidiskriminierungsstellen nicht mitberücksichtigt werde.[14] Laut Gudrun Perko führe das Buch erstmals im deutschsprachigen Raum in die Thematik Klassismus ein.[15]

In einem Blog-Eintrag von 2010 bei der Freitag ordnete Kemper Guido Westerwelles Äußerungen zum Arbeitslosengeld II – bekannt geworden ist seine Wortwahl „spätrömische Dekadenz“ – in eine zeitgenössische „Enttabuisierung und Wiederherstellung der sozialeugenischen Ideologie“ ein.[16] In einem Leitartikel über die Debatte um die Äußerung Westerwelles zitierte Michael Fleischhacker, Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse, abwertend diesen Blog-Eintrag.[17]

Im Jahr 2011 thematisierte Kemper in der Monografie (R)echte Kerle die deutsche Männerrechtsbewegung und ihre Vorläufer. Er beschreibt darin die Männerrechtsbewegung als Produkt einer schleichenden Entpolitisierung der bürgerlichen Männerbewegung sowie des Verschwindens der autonomen Männerszene. Zudem untersucht Kemper Zitate aus einem Männerrechts-Forum auf eventuelle Überschneidungen mit rechtsextremen Positionen. In seiner Rezension des Buches befindet Robert Claus: Trotz „geringer theoretischer Einbettung“ bleibe das Buch aber „lesenswert“, seine Stärke liege in der „kenntnisreichen und bis dato nur äußerst selten verschriftlichten Geschichte der bundesdeutschen Männerbewegung“.[18]

In seinem 2012 herausgegebenen Band Die Maskulisten widmet sich Kemper den Aktivitäten von Männern, die sich selbst Maskulisten nennen und sich innerhalb des deutschsprachigen Internets formieren, um Feminismus zu bekämpfen. Kemper präsentiere in dem Buch Arbeiten, die wissenschaftliche Reflexionen und internetpraktische Erfahrungsberichte vereinen, so Ines Weber in ihrer Rezension des Bandes.[19]

In einen Aufsatz im 2012 von Michael Haller herausgegebenen Buch Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz – Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik vertritt Kemper die These, Thilo Sarrazins Thesen und Formulierungen im Buch Deutschland schafft sich ab seien rassenbiologisch und teilweise direkt von dem umstrittenen Genetiker Volkmar Weiss übernommen.[20]

Kemper verfasste über die Partei Alternative für Deutschland eine Monografie. Darin vertrat er die Meinung, die AfD sei nicht nur von einem technokratisch-wirtschaftspolitischen Flügel um Bernd Lucke bestimmt, sondern es gebe eine zweite Fraktion mit homophoben und antidemokratischen Tendenzen.[21][22][23] Im Januar 2014 war Kemper zum Thema Alternative für Deutschland Gesprächspartner von Sabine Brandi in der WDR 5-Sendung Redezeit.[4]

Seit 2005 ist Andreas Kemper unter dem Benutzernamen Schwarze Feder in der Wikipedia aktiv.[24] Weil er die Männerrechtsbewegung erforscht und auf seinem Blog unter anderem Vorfälle beschreibt, aufgrund derer Autorinnen die Wikipedia verlassen haben, sehen einige Wikipedia-Benutzer Kemper als „man on a mission“, der gemäß seiner politischen Agenda in die Wikipedia eingreifen wolle. Kemper selbst bezeichnete solche Vorwürfe als „absurd“: Diese Sichtweise beruhe darauf, dass die Wikipedia-Gemeinschaft sich selbst als „unpolitisch“ und „post-gender“ definiert, was Kemper für einen Fehler hält.[25] Die AfD forderte Björn Höcke dazu auf, er solle rechtliche Schritte gegen Kemper einleiten, weil dieser darüber geschrieben hatte, dass Höcke unter Pseudonym Artikel für Medien verfasse, die der NPD nahestehen. Außerdem verlangte die AfD von Höcke, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, dass dieser nicht für Medien geschrieben habe, die der NPD nahestünden. Über den Vorwurf wurde in Thüringer Zeitungen und auf Spiegel Online berichtet.[26]

Publikationen

Monografien

Herausgeberschaft

  • Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum. Unrast, Münster 2012, ISBN 978-3-89771-523-3. (Darin als Autor: Männerbewegung versus Männerrechtsbewegung. S. 28–45 und Maskulinismus als Virtualität – Breiviks Antifeminismus. S. 101–121.)[24]

Buchbeiträge und Aufsätze (Auswahl)

Expertise

Einzelnachweise

  1. „Was machst Du hier? Du gehörst hier nicht hin!“: Andreas Kemper engagiert sich für Arbeiterkinder. In: wissen|leben. Die Zeitung der Universität Münster. 7. Juli 2010.
  2. a b c Ingrid Strobl: Wer glaubt Ihr, dass Ihr seid? oder von der Bildungsferne an die Uni, SWR2, 12. Dezember 2013.
  3. Andreas Kemper: Anzüge und Krawatten?, Rosa-Luxemburg-Stiftung
  4. a b Redezeit mit Andreas Kemper: Eine Alternative für Deutschland? auf wdr5.de, 24. Januar 2014 Radiobeitrag in der ARD Mediathek
  5. a b Kontakt. Auf: andreaskemper.wordpress.com am 27. August 2013.
  6. a b Yvonne Globert: Diskriminierung. Arbeiterkind muss draußen bleiben. In: Frankfurter Rundschau. 23. Januar 2010.
  7. Bernd Kramer: Uni Münster erkennt keine Arbeiterkinder. Auf: taz.de, 4. Oktober 2012.
  8. Zitiert in: Gisa Margarete Zigan: FRAUEN ANTE PORTAS. Dissertation 2013, S. 10.
  9. Bspw.:
  10. Andreas Kemper, Gremieninformationssystem der WWU Münster, abgerufen am 31. Januar 2015.
  11. „Sarrazin ist kein Intelligenzforscher“. Bernd Drücke, Matthias Schmidt und Volkan im Gespräch mit dem Soziologen Andreas Kemper, in: Graswurzelrevolution 389 vom 9. Mai 2014. Siehe auch linksnet.de
  12. Andreas Kemper, Heike Weinbach: Klassismus. Eine Einführung. Unrast, Münster 2009, ISBN 978-3-89771-467-0.
  13. Torsten Bewernitz: Klassismus oder Klassenkampf? In: Grundrisse, Zeitschrift für linke Theorie & Debatte.
  14. Vom Rassismus und Sexismus zum Klassismus. Der Soziologe Andreas Kemper über Klassismus und die Alltäglichkeit von Diskriminierung und Exklusion. Interview von Jens Wernicke mit Andreas Kemper. In: Telepolis. 11. Oktober 2010.
  15. Gudrun Perko: „Klassismus. Eine Einführung“. Auf: dieStandard.at, 29. Januar 2010.
  16. Andreas Kemper: „Dekadenz“ erweitert die aktuelle Sozialeugenik-Debatte. Zur Dekadenz der Einheitsschule. der Freitag, 15. Februar 2010, abgerufen am 5. Februar 2014.
  17. Michael Fleischhacker: Dekadent sind Westerwelles Gegner. In: Die Presse. 27. Februar 2010, S. 33.
  18. Robert Claus: Männerrechtler 2.0.11. In: Querelles. Rezensionszeitschrift für Frauen- und Geschlechterforschung. Jg. 12, Nr. 3 (2011).
  19. Ines Weber, Rezension zu: Andreas Kemper: Die Maskulisten. In: Portal für Politikwissenschaft, veröffentlicht am 6. Dezember 2012. Ines Weber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften im Bereich Politikwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Mitherausgeberin der politikwissenschaftlichen Zeitschrift diskurs.
  20. Andreas Kemper: Sarrazins deutschsprachige Quellen. In: Michael Haller, Martin Niggeschmidt (Hrsg.): Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-531-18447-0, S. 49–67. doi:10.1007/978-3-531-94341-1_4.
  21. Buchautor Andreas Kemper wirft Vertretern der Alternative für Deutschland Demokratiefeindlichkeit vor. Interview mit Spiegel Online, 21. Juli 2013.
  22. Alternative für Deutschland: Eine Alternative zur Demokratie? Der Soziologe und Autor Andreas Kemper zu den antidemokratischen Zielen der AfD, der ersten „Facebook-Partei“ Deutschlands. In: Telepolis. 9. Juni 2013.
  23. Soziologe Andreas Kemper: „AfD hat demokratiefeindliche und homophobe Tendenzen“. In: Focus. 21. Juli 2013. Abgerufen am 22. August 2013.
  24. a b Ralf Homann: Maskuline Muskelspiele. (PDF; 628 kB) Auf: ard.de. Bayern 2, Sendemanuskript, S. 8.
  25. Wikiwoman Unite: Und in Deutschland? In: Emma, Nr. 1, Januar/Februar 2013, S. 40 (archiviert im Webarchiv).
  26. Mutmaßlicher Kontakt zur NPD: AfD-Spitze setzt Landeschef Höcke unter Druck, Spiegel Online, 25. April 2015