Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien ist die größte Institution für rechtswissenschaftliche Forschung und Lehre im deutschsprachigen Raum. Ein großer Teil dieser ist heute in den Räumlichkeiten des sogenannten Juridicums in der Schottenbastei 12 im 1. Wienergemeindebezirk untergebracht. Weiters sind Institute in der Schenkenstraße 4 bzw. 8–10, ebenfalls im 1. Wienergemeindebezirk lokalisiert.
Geschichte der Fakultät
Das Studium der Rechtswissenschaften war schon in den Gründungsurkunden der Universität Wien von 1365 und 1385 vorgesehen, doch wurde die Lehrtätigkeit erst 1402 aufgenommen und beschränkte sich zunächst auf Kanonisches Recht. Nach mehreren gescheiterten Anläufen kam 1494 das Römische Recht hinzu. Erst mit der Theresianischen Studienreform 1753 wurde der Fächerkanon ausgeweitet; der von Franz von Zeiller ausgearbeitete Studienplan von 1810 führte erstmals das Österreichische Privatrecht als eigenes Fach ein. Der dominierende Einfluss des Naturrechts wurde mit der von Unterrichtsminister Leo von Thun-Hohenstein erlassenen Studienreform 1850 gebrochen, das Schwergewicht vielmehr auf die rechtshistorischen Fächer gelegt. Dieser ging in den nachfolgenden Studienreformen immer weiter zurück.
Die Vermehrung des Fächerkanons ab dem 18. Jahrhundert brachte es mit sich, dass in zunehmendem Maße auch nichtjuristische Fächer, wie insbesondere Staatswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, aber auch Statistik, an der Fakultät angesiedelt waren, die daher ab 1850 als „Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät“ bezeichnet wurde. 1975 erfolgte die Teilung in eine Rechtswissenschaftliche und eine Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät; letztere wurde in weiterer Folge noch mehrmals geteilt, heute gehen auf sie insbesondere die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und die Fakultät für Informatik sowie Teile der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien zurück.
Seit dem 7. November 2011 existiert an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien das österreichweit erste Forschungszentrum für Polizei und Justiz. Das ALES (Austrian Center for Law Enforcement Studies) beschäftigt sich mit der Evaluierung und Erforschung polizeilicher, kriminologischer und strafrechtlicher Sachverhalte. Es soll zudem der besseren Vernetzung von Polizei- und Justizarbeit in Österreich dienen.[1]
Am 9. Mai 2012 wurde die Abteilung "KRGÖ an der Universität Wien" errichtet. Diese Abteilung führt die Forschungsprojekte der ehemaligen Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie auch die Betreuung der peer-reviewten Zeitschrift Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs fort.
Institute
- Institut für Arbeits- und Sozialrecht
- Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung
- Institut für Finanzrecht
- Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte
- Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht
- Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte
- Institut für Staats- und Verwaltungsrecht
- Institut für Strafrecht und Kriminologie
- Institut für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht
- Institut für Zivilrecht
- Institut für Zivilverfahrensrecht
Fakultätsgebäude
Untergebracht war die juristische Fakultät zunächst in verschiedenen Gebäuden der Alten Universität im Stubenviertel, ab 1884 im Hauptgebäude am Franzensring (heute Universitätsring). Der starke Anstieg der Studentenzahlen und die damit verbundene Vermehrung von Lehrstühlen in den 1960er Jahren ließen den Ruf nach einem eigenen Gebäude für die Fakultät laut werden; zum Baubeauftragten wurde der Staatsrechtler Günther Winkler bestellt, dem es gelang, einen Baugrund in der Innenstadt (Schottenbastei 10–16) für die Fakultät zu sichern.

1970 wurde der Architekt Ernst Hiesmayr mit der Planung des Juridicums beauftragt. Nach etwa einem Jahr vergeblicher Versuche, auf dem begrenzten Grundstück eine Lösung zu finden, die das Raumbedürfnis der Fakultät befriedigen konnte, entschied er sich schließlich für eine „Brückenkonstruktion“: Es wurden vier, jeweils paarige, Türme errichtet (in denen u. a. auch Lift, Toiletten und Versorgungsanlagen untergebracht sind), über welche eine Fachwerkskonstruktion aus Stahl gebaut wurde. Von dieser Konstruktion wurden alle Geschosse abgehängt. Die einzelnen Stockwerksböden sind also nicht von unten hochgebaut, sondern hängen von oben herab. Damit hat man erreicht, auf gleichem Raum mehr Stockwerke unterzubringen und gleichzeitig ein sehr freies Erdgeschoss (ohne Säulen und Träger) bauen zu können. Die hängenden Säulen werden von warmem Wasser durchlaufen und erwärmen somit das Gebäude.
Als „postmodern“ kann das Gebäude insofern gesehen werden, als die Hängekonstruktion nicht betont, sondern durch die filigrane Gestaltung der Fassade eher verdeckt wurde. „Man ahnt nur, daß die an den Gebäudestirnen weit ausladenden vier oberen Geschosse nicht nur kragen dürften, dafür ist die Ausladung viel zu groß.“[2]
Der Bau wurde 1974 begonnen und 1984 fertiggestellt, sodass die Fakultät nach exakt hundert Jahren im Haus am Ring übersiedeln konnte. Allerdings konnte das Juridicum schon zu Beginn nicht die gesamte Fakultät aufnehmen. Derzeit beherbergt es das Dekanat, den größten Teil der Fachbereichsbibliothek Rechtswissenschaften sowie die Institute für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung, für Rechts- und Verfassungsgeschichte, für Staats- und Verwaltungsrecht, für Unternehmens- und Wirtschaftsrechts sowie für Zivilrecht.
Die Institute für Arbeits- und Sozialrecht, für Finanzrecht, für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht, für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte und für Zivilverfahrensrecht befinden sich seit 2006 in einem aus der Gründerzeit stammenden Gebäude in der Schenkenstraße 8–10 unweit des Juridicums. Das Institut für Strafrecht und Kriminologie übersiedelte 2014 von der Schenkenstraße 8–10 in die Schenkenstraße 4.
Studium der Rechtswissenschaften
Die bislang letzte größere Studienreform trat 2006 in Kraft. Sie gliedert das Studium in drei Abschnitte: Einen Einführungsabschnitt (der neben einführenden Vorlesungen in die wichtigsten rechtsdogmatischen Fächer auch die rechtshistorischen Fächer in stark reduzierter Form sowie Grundzüge der Rechtsphilosophie enthält), einen judiziellen Abschnitt (in dessen Zentrum eine fächerübergreifende Prüfung aus Zivil- und Unternehmensrecht steht) sowie einen staatswissenschaftlichen Abschnitt (mit einer fächerübergreifenden Prüfung aus Verfassungs- und Verwaltungsrecht). Das Studium dauert zumindest vier Jahre und wird (seit 1975) mit dem Grad eines Magisters bzw. (seit 1993[3]) einer Magistra der Rechtswissenschaften abgeschlossen, welcher Voraussetzung für alle „klassischen“ Juristenberufe (Richter, Rechtsanwalt, Notar, Verwaltungsjurist etc.) ist. Daran kann ein Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften (mit Dissertation) und/oder ein postgraduales Studium (LL.M.-Studium) angeschlossen werden.
Absolventen
Dr. iur.
- 1829: Andreas Zelinka (1802-1868)
- 1834: Franz Egger (1810-1877)
- 1842: Josef von Bauer (1817-1886)
- 1864: Karl Heitzler (1839-1923)
- 1867: Alfred Nagl (1841-1921)
- 1868: Emil Steinbach (1846-1907)
- 1870: Karl Lueger (1844-1910)
- 1870: Raimund Grübl (1847-1898)
- 1875: Eugen Böhm von Bawerk (1851-1914)
- 1877: Gustav Hanausek (1855-1927)
- 1881: Hermann Ofner (1849-1917)
- 1883: Heinrich Rietsch (1860-1927)
- 1886: Eugen Ehrlich (1862-1922)
- 1895: Ernst Décsey (1870-1941)
- 1896: Emil Mayer (1871-1938)
- 1897: Emil Goldmann (1872-1942)
- 1897: Heinrich Klang (1875-1954)
- 1898: Karl Renner (1870-1950)
- 1900: Hans von Frisch (1875-1941)
- 1902: Ferdinand Redler (1876-1936)
- 1902: Arnold Eisler (1879-1947)
- 1903: August Gottwald (1877-1957)
- 1905: Emil Lederer (1882-1939)
- 1905: Egbert Mannlicher (1882-1973)
- 1906: Otto Bauer (1881-1938)
- 1906: Ludwig von Mises (1881-1973)
- 1907: Josef Resch (1880-1939)
- 1908: Friedrich von Franz (1886-1945)
- 1910: Hermann L’Estocq (1887-1940)
- 1911: Hermann Josef Ullrich (1888-1982)
- 1913: Arthur Seyß-Inquart (1892-1946)
- 1913: Adolf Schärf (1890-1965)
- 1914: Franz Reinprecht (1886-1929)
- 1916: Heinrich Demelius (1893-1987)
- 1917: Ludwig Adamovich senior (1890-1955)
- 1919: Ferdinand Eypeltauer (1893-1979)
- 1919: Jakob Baxa (1895-1979)
- 1921: Josef Gerö (1896-1954)
- 1922: Engelbert Dollfuß (1892-1934)
- 1923: Heinrich Reif-Gintl (1900-1974)
- 1924: Erich Hula (1900-1987)
- 1926: Johannes Schwarzenberg (1903-1978)
- 1928: Roland Graßberger (1905-1921)
- 1928: Leopold Weismann (1905-1923)
- 1929: Slavomir Condanari-Michler (1902-1974)
- 1929: Eduard Heilingsetzer (1905-1997)
- 1929: Johann Rotter (1905-1973)
- 1929: Wilhelm Malaniuk (1906-1965)
- 1930: Robert A. Kann (1906-1981)
- 1931: Franz Korinek (1907-1985)
- 1931: Willibald Plöchl (1907-1984)
- 1933: Wolfgang Speiser (1909-1994)
- 1935: Fritz Bock (1911-1993)
- 1935: Hermann Withalm (1912-2003)
- 1936: Kurt Farbowsky (* 1911)
- 1936: Erwin Melichar (1913-2000)
- 1938: Bruno Kreisky (1911-1990)
- 1939: Otto Eiselsberg (1917-2001)
- 1940: Rudolf Kirchschläger (1915-2000)
- 1944: Kurt Waldheim (1918-2007)
- 1946: Georg Prader (1917-1985)
- 1949: Karl Fischer (* 1922)
- 1950: Helmut Liedermann (* 1926)
- 1951: Magda Strebl (* 1929)
- 1952: Josef Staribacher (1921-2014)
- 1952: Inge Gampl (* 1929)
- 1953: Robert Walter (1931-2010)
- 1954: Ludwig Adamovich junior (1932)
- 1957: Franz Sauerzopf (* 1932)
- 1958: Harald Ofner (* 1932)
- 1959: Heinrich Übleis (* 1933)
- 1959: Walter Barfuß (* 1937)
- 1960: Erwin Felzmann (* 1937)
- 1961: Heinz Fischer (* 1938)
- 1961: Hannes Farnleitner (* 1939)
- 1962: Udo Jesionek (* 1937)
- 1962: Manfred Drennig (* 1940)
- 1962: Nikolaus Michalek (* 1940)
- 1963: Herbert Haller (* 1940)
- 1963: Karl Korinek (* 1940)
- 1963: Franz Löschnak (* 1940)
- 1963: Erhard Busek (* 1941)
- 1963: Willibald Liehr (1941-2011)
- 1963: Helmut Türk (* 1941)
- 1964: Hans Georg Ruppe (* 1942)
- 1964: Walter Schwimmer (* 1942)
- 1966: Franz Fiedler (* 1944)
- 1966: Ewald Nowotny (* 1944)
- 1967: Dieter Böhmdorfer (* 1943)
- 1968: Werner Doralt (* 1942)
- 1968: Bernd-Christian Funk (* 1943)
- 1968: Wolfgang Schüssel (* 1945)
- 1968: Hans Winkler (* 1945)
- 1969: Heinz Mayer (* 1946)
- 1970: Werner Fasslabend (* 1944)
- 1970: Rudolf Müller (* 1947)
- 1970: Eleonore Berchtold-Ostermann (* 1947)
- 1971: Eva Kreisky (* 1944)
- 1971: Caspar Einem (* 1948)
- 1971: Georg Vobruba (* 1948)
- 1971: Brigitte Bierlein (* 1949)
- 1971: Heide Schmidt (* 1949)
- 1972: Martin Bolldorf (* 1948)
- 1972: Walter Hagg (* 1948)
- 1972: Gerhard Deiss (* 1950)
- 1973: Jörg Haider (1950-2008)
- 1973: Helene Partik-Pablé (1939)
- 1975: Manfred Nowak (* 1950)
- 1978: Rudolf Scholten (* 1955)
- 1978: Madeleine Petrovic (* 1956)
- 1978: Ursula Plassnik (* 1956)
- 1980: Wolfgang Brandstetter (* 1957)
- 1981: Elisabeth Steiner (* 1956)
- 1981: Michael Zimmermann (* 1958)
- 1981: Thomas Nader (* 1959)
- 1982: Christoph Herbst (* 1960)
- 1982: Rudolf Thienel (* 1960)
- 1983: Michael Spindelegger (* 1959)
- 1985: Michael Lakner (* 1959)
- 1985: Josef Ostermayer (* 1961)
- 1989: Michael Holoubek (* 1962)
- 1989: Sieglinde Gahleitner (* 1965)
- 1991: Christoph Grabenwarter (* 1966)
- 1992: Ingrid Siess-Scherz (* 1965)
- 1992: Thomas Oberreiter (* 1966)
- 1998: Janko Ferk (* 1958)
- 2002: Harald Eberhard (* 1978)
- 2006: Stephan Pernkopf (* 1972)
Mag. iur.
- 1953: Siegfried Ludwig (1926-2013)
- 1980: Albert Fortell (* 1952)
- 1986: Michael Holoubek (* 1962)
- 1988: Christoph Grabenwarter (* 1966)
- 1993: Heribert Donnerbauer (* 1965)
- Hilmar Kabas (* 1942)
Weblinks
- Geschichte des Rechtsstudiums an der Universität Wien
- Geschichte des Juridicums auf der Website der Universität Wien
- Über das Gebäude des Juridicums auf der Website der Universität Wien
- Bilder des Gebäudes
Nachweise
- ↑ Start des ersten Polizei- und Justizforschungszentrums in Österreich. Pressemeldung der Universität Wien vom 24. Oktober 2011.
- ↑ Ernst Hiesmayr, Juridicum Universität Wien. Ernst Löcker Verlag Wien 1996, S. 10.
- ↑ Der akademische Grad „Magistra“ wurde erstmals mit BGBl. Nr. 523/1993 eingeführt. Absolventinnen, denen zuvor akademische Grade in der männlichen Form verliehen wurden, dürfen diese seither ebenfalls in der weiblichen Form führen.
Koordinaten: 48° 12′ 50,1″ N, 16° 21′ 54,3″ O