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Frauenstimmrecht in der Schweiz

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Am 7. Februar 1971, nach 150 Jahren Kampf, gewährten die Schweizer Männer ihren Frauen aktives und passives Wahlrecht und Stimmrecht bei politischen Entscheidungen auf eidgenössischer Ebene. Die Schweiz war somit das letzte europäische Land, welches seiner weiblichen Bevölkerung die vollen Rechte als Bürgerinnen zugestand. Bis das Frauenstimmrecht auch in allen Kantonen durchgesetzt war, sollte es noch weitere 20 Jahre dauern.

Geschichtlicher Abriss

  • 1789: Die Französische Revolution wird allgemein als Beginn der Frauenrechtsbewegung angesehen, so auch in der Schweiz
  • 1848: Erste Bundesverfassung mit der Erklärung der Rechtsgleichheit ("Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich"); Frauen wurden mit keinem Wort erwähnt, es verstand sich aber von selbst, dass diese nicht gemeint waren.
  • 1860-1874: Erstmals organisieren sich Frauen und fordern zivilrechtliche und politische Gleichstellung für die erste Revision der Bundesverfassung.
  • 1886 Erste Petition der Frauen auf Bundesebene - "Man hat seit Beginn der Verfassungsrevision eine allseitige Erweiterung der Volksrechte verkündet und dabei allenthalben alles Mögliche und Unmögliche versprochen, nur die armen Frauen scheinen, gleich den Poeten bei der Theilung der Erde, mit leeren Händen davon gehen zu müssen: Niemand spricht von ihnen und niemand gedenkt ihrer verkümmerten und unterdrückten Menschenrechten!" (Text von Marie Goegg-Pouchoulin
  • 1874: Erste Revision der Bundesverfassung - auch hier werden Frauen nicht erwähnt, im Vorfeld der Revision gab es jedoch grosse Diskussionen für und wider die politischen Rechte der Frauen
  • 1887: Erstmals finden die Forderungen der Frauen den Weg in eine Tageszeitung - In ihrem Artikel Ketzerische Neujahrsgedanken einer Frau in der "Zürcher Post" macht Meta von Salis auf sich und auf die Ansprüche der Frauen aufmerksam. Neben den fehlenden politischen und zivilrechtlichen Rechten kritisierte sie die bestehende "Ungleichheit vor dem Richter". Im selben Jahr fordert Emilie Kempin-Spyri, die erste Schweizer Juristin, die Zulassung zum Anwaltsberuf und scheitert vor Bundesgericht.
  • 1894: Vortragsreihe von Meta von Salis in der ganzen Schweiz zum Thema "Frauenstimmrecht und die Wahl der Frau". Gleichzeitig findet in Chicago die erste "Internationale Frauenausstellung" statt, die über die Stellung der Frau in den verschiedenen Ländern informieren soll.
  • 1896: Erster "Nationaler Frauenkongress" in Genf. Erstmals werden die Frauen als einflussreiche Gruppierung ernst genommen und mehrere (männliche) Redner riefen sie dazu auf, "Verbündete der Männer zu sein und nicht deren Feindinnen" - und sich doch bitte etwas zurückzuhalten mit ihren Forderungen. Als Folge dieses Kongresses wurde die erste parlamentarische Komission mit dem Ziel, die "Frauenfrage" zu untersuchen, gegründet.
  • Jahrhundertwende: Bildung verschiedener organisierter Frauenvereine (für und gegen das Frauenstimmrecht)
  • 1897 Aufsatz von Carl Hilty zum Frauenstimmrecht: "Die Freiheit besteht wesentlich darin, dass man an der Gesetzgebung Theil nimmt; alles Andere ist eine Gewährung von Rechten, die auf dem guten Willen eines Dritten beruht und deshalb eine sehr zweifelhafte Errungenschaft. Wir betrachten also unsererseits das Frauenstimmrecht als den praktischen Kern der Frauenfrage."
  • 1900: Gründung des Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) unter der Leitung von Helene von Mülinen
  • 1909: Gründung des Schweizer Verband für Frauenstimmrecht (SVF)
  • 1. Weltkrieg: Die Bewegung kommt ins Stocken, weil wichtigere Probleme im Vordergrund stehen (die gesamte Sozialfürsorge wird während des Krieges durch die Frauenverbände geleistet)
  • Dezember 1918: Erster Vorstoss für das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene durch die Nationalräte Herman Greulich (SP) und Emil Göttisheim (FDP). In zwei Motionen wurde der Bundesrat aufgefordert, "Bericht und Antrag einzubringen über die verfassungsmässige Verleihung des gleichen Stimmrechts und der gleichen Wählbarkeit an die Schweizerbürgerinnen wie an die Schweizerbürger."
  • Juni 1919: Eine Petition mit Unterschriften von 158 Frauenverbänden zur Unterstützung der beiden Motionen wird eingereicht. In der Folge werden die Motionen Greulich und Göttisheim von Nationalrat angenommen und zur Ausführung an den Bundesrat überwiesen. Dort verschwinden sie wegen "dringenderer Probleme" für die nächsten Jahre in die Versenkung.
  • 1919-1921: Erste Abstimmungen in mehreren Kantonen, die überall mit grossen Mehrheiten abgelehnt wurden.
  • 1921: Zweiter Natioanler Frauenkongress in Bern.
  • 1923 Die staatsrechtliche Beschwerde einiger Bernerinnen, die ihr "Stimmrecht in Gemeinde-, Kantons- und Bundesangelegenheiten ausüben" wollen, wird vom Bundesgericht unter Berufung auf das "Gewohnheitsrecht" abgelehnt.
  • 1928 Petition von Léonard Jenni an den Bundesrat. Dieser weist das Gesuch mit folgender Begründung ab: "Wenn man nun behauptet, dass der Begriff auch die Schweizer Frauen in sich schliessen sollte, so überschreitet man die Grenzen der zulässigen Interpretation und begeht damit einen Akt, der dem Sinne der Verfassung widerspricht. [...] Die Beschränkung des Stimmrechts auf die männlichen Schweizer Bürger ist ein fundamentaler Grundsatz des eidgenössischen öffentlichen Rechts."
  • 1928 Schweizerische Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA
  • 1929 Der SVF lanciert eine neue Petition für das Frauenstimmrecht und erreicht eine Rekordzahl von Unterschriften, die sogar die geforderte Anzahl Unterschriften für eine Initiative überschreitet: 170?397 Unterschriften von Frauen und 78?840 Unterschriften von Männern. Der Katholische Frauenbund distanziert sich explizit von den Forderungen der anderen Frauenverbände.
  • 1930-1945: Die internationalen Ereignisse überschatten einmal mehr die Bemühungen um das Frauenstimmrecht. Mehrmals werden jedoch die Frauen aufgefordert, die "Demokratie zu schützen" worauf die Frauenverbände antworteten, dazu müssten sie erst mal über demokratische Rechte verfügen. Gegen Ende des 2. Weltkrieges kam die Frage jedoch wieder aufs Tablett, da insbesondere die bürgerlichen ("freisinnigen") Frauen im Gegenzug zu ihrem Einsatz im FHD (militärischen Frauenhilfsdienst) ihre demokratischen Rechte verlangten.
  • 1946 Dritter Nationaler Frauenkongress
  • 1948 Im ganzen Land wurden Feiern zum 100jährigen Bestehen der Bundesverfassung durchgeführt und die "Schweiz, ein Volk von Brüdern" gefeiert. Die Frauenverbände erklärten es um zu einem "Volk von Brüdern ohne Schwestern" und überreichten dem Bundesrat symbolisch eine Europakarte mit einem schwarzen Fleck in der Mitte.
  • 1950: Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das für die Einführung des Frauenstimmrechts einzuschlagende Verfahren.
  • 1952: Antoinette Quinche und einige Mitkämpferinnen verlangen von ihren Gmeinden die Eintragung ins Stimmregister. Nachdem sie abgelehnt wurden, gehen sie mit ihrer Forderung bis vor Bundesgericht, wie diese (wie schon 1923) unter Berufung auf das "Gewohnheitsrecht" abgelehnt wird.
  • 1957: Zivilschutzdienst soll für alle Schweizer Frauen obligatorisch werden. Während der Volksabstimmung ereignet sich ein Skandal: Die Frauen der walliser Gemeinde Unterbäch gehen alle - unterstützt vom Gemeinderat - abstimmen. Der Gemeinderat erklärte, dass laut Verfassung die Gemeinden gesetzlich zuständig seien, um die Stimmregister aufzustellen.
  • 1958: Zweite Schweizerische Ausstellung zur Frauenarbeit SAFFA. Erscheinungsjahr von Frauen im Laufgitter von Iris von Rothen.
  • 1. Februar 1959: Die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht scheitert klar. Protestaktionen und Frauenstreiks in der ganzen Schweiz waren die Folge. Im Herbst desselben Jahres konnten die Frauen jedoch einige Erfolge verzeichnen. Als erster Kanton nahm Neuenburg das Frauenstimmrecht an, die meisten anderen Kantone folgten in den anschliessenden Jahren.
  • 1959 Gründung des Bund der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht. Der Verein argumentiert damit, dass die Frauen aufgrund ihrer biologischen Verschiedenheit durch ihre politische und rechtliche Gleichstellung benachteiligt würden.
  • 1965 Mehrere parlamentarische Motionen zur Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene, insbesondere zur Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen des Beitritts der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Bundesrat verhält sich zögerlich.
  • 1968 Erneute Motionen an den Bundesrat. Junge Frauenrechtlerinnen gehen derweil auf Konfrontationskurs und veranstalten Protestaktionen und Demonstrationen im ganzen Land. Gründung der Frauenbefreiungsbewegung FBB durch junge, radikale Feministinnen.
  • 1969 Der Marsch auf Bern - Am 1. März demonstrieren 5000 Frauen und Männer auf dem Bundesplatz. Emilie Lieberherr verliest ihre Resolution: "Die hier versammelten Schweizerinnen fordern das volle Stimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer und kantonaler Erbene und in den Gemeinden. Die Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten darf erst unterzeichnet werden, wenn bezüglich des Stimm- und Wahlrechts kein Vorbehalt mehr nötig ist. Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte. Sämtliche vorgeschlagenen Vorbehalte stellen die Glaubwürdigkeit unseres Landes als Rechtsstaat und Demokratie in Frage. Wir fordern deshalb alle gutgesinnten Politiker und Stimmbürger auf, das Frauenstimm- und Wahlrecht im Bund, in den Kantonen und in allen Gemeinden so rasch als möglich zu verwirklichen."
  • 1969 Die Häuserbesetzungen und kämpferische Protestaktionen der FBB werden vom Frauenstimmrechtsverein scharf kritisiert, werden von der Öffentlichen Meinung jedoch unterstützt.
  • 1969-1971 Politisches Hin- und Her zwischen Bundesrat, Nationalrat und Ständerat, bis endlich eine allgemein anerkannte Abstimmungsvorlage zur Einführung des Frauenstimmrechts erarbeitet ist. Derweil gehen die Protestaktionen der FBB weiter.
  • 7. Februar 1971: Die Vorlage wird vom (männlichen) Stimmvolk mit 621?403 gegen 323?596 Stimmen (65,7% Ja) angenommen. "Endlich, endlich, endlich ... Von mir fallen Zentner. Die Aufgabe, die seit bald hundert Jahren ungelöst von einer Generation zur andern tradiert wurde, hat in der letzten "Männerabstimmung" vom 7. Februar 1971 ihre glanzvolle Erfüllung gefunden. Fortan wird es nur noch Volksabstimmungen geben im wahren Sinn des Wortes." (Gertrud Heinzelmann)


Verfassungsartikel von 1971

Art. 74 BV:
Bei eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen haben Schweizer und Schweizerinnen die gleichen politischen Rechte und Pflichten.
Stimm- und wahlberechtigt bei solchen Abstimmungen und Wahlen sind alle Schweizer und Schweizerinnen, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und nicht nach dem Rechte des Bundes vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen sind. Der Bund kann auf dem Wege der Gesetzgebung über die Stimm- und Wahlberechtigung in eidgenössischen Angelegenheiten einheitliche Bestimmungen aufstellen.
Für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden bleibt das kantonale Recht vorbehalten.

Art. 136 Abs. 1 BV:
"Die politischen Rechte in Bundessachen stehen allen Schweizerinnen und Schweizern zu, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und die nicht wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind. Alle haben die gleichen politischen Rechte und Pflichten."::


Befürworterinnen und Befürworter

Populäre Gegner


Argumente der Gegnerinnen und Gegner

  • Die Frauen selbst wollen das Stimmrecht gar nicht; die grosse Mehrheit der Schweizerfrauen ist nicht für, sondern gegen seine Einführung
  • Der Staat ist männliche
  • Die Frau leistet keinen Militärdienst
  • Die Frauen verstehen nichts von der Politik (oder würden sich psychisch und charakterlich nicht für die Ausübung von politischen Aufgaben eignen)
  • Die Frau gehört ins Haus (diese These wurde nicht mit der Abwertung, sondern mit der Achtung der Frauen unterlegt. Politik sei ein zu schmutziges Geschäft für Frauen)
  • Fehlendes Bedürfnis für das Frauenstimmrecht (Frauen hätten bereits die Möglichkeit, ihre politische Meinung indirekt über ihre Ehemänner zur Geltung zu bringen)
  • Vorauszusehende negative Auswirkungen des Frauenstimmrechts (insbesondere die Diskriminierung der Männer aufgrund der Bevölkerungsmehrheit der Frauen)


Literatur

  • Hardmeier, Sibylle: Frühe Frauenstimmrechtsbewegung in der Schweiz (1890 ? 1930) - Argumente, Strategien, Netzwerk und Gegenbewegung. Zürich 1997.
  • Dokumentationsmappe Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen: Frauen Macht Geschichte, Frauen- und gleichstellungspolitische Ereignisse in der Schweiz 1848 ? 1998, Bern 1999.