Illyrer

Die Illyrer sind eine Gruppe von Stämmen und Völkern, die in der Antike in den nordwestlich an Griechenland anschließenden Regionen (in etwa Epirus, Albanien, Montenegro, Herzegowina sowie Süd- und Mitteldalmatien lebten. Diese Länder wurden bei den griechischen und römischen Autoren zusammenfassend als Illyrien bezeichnet. Außerdem lebten illyrische Stämme in Pannonien und im Ostalpenraum bis zum Brenner (Breoner), wo sie aber später von den Kelten verdrängt wurden. Die Illyrer sind vermutlich überwiegend aus Trägern der Urnenfelderkultur hervorgegangen. Die Zugehörigkeit von ostmitteleuropäischen Kulturen (Lausitzer Kultur) zu den Illyrern ist umstritten.
Je nach den landschaftlichen Gegebenheiten bildeten Viehzucht oder Ackerbau die ökonomische Basis der eisenzeitlichen Illyrer. An der Wende vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend dominierten noch die Hirtenkulturen. In den Gebirgsregionen des westlichen Balkans änderte sich daran wenig, während sich in den Ebenen der Feldbau durchsetzte. Die eisenzeitliche illyrische Gesellschaft war in Sippen- und Familienverbänden gegliedert. Anhand der Grabfunde ist belegbar, dass die einzelnen Stammesgebiete von Fürsten beherrscht wurden, deren Familien sich sozial deutlich von der übrigen Bevölkerung abhoben.
Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. legten griechische Siedler Kolonien im illyrischen Siedlungsgebiet an. Durch den nicht immer friedlichen Kontakt der Illyrer zu den griechischen Städten kam es zur Übernahme griechischer Kulturelemente. Griechische Luxuswaren wurden Prestigegüter der illyrischen Eliten. In den großen und reich ausgestatteten Sippengrabhügeln im Mati-Tal (Nordalbanien) oder am Ohrid-See fanden sich zahlreiche griechische Importe.
Die verstärkten griechischen Einflüsse zeigen sich besonders in der Entstehung und im Ausbau der befestigten Höhensiedlungen zu städtischen Zentralorten (z.B. Byllis u. Berat), was mit bedeutenden Veränderungen in der Wirtschaft und der Gesellschaftsstruktur verbunden war. Städtisches Handwerk und Handel gewannen an Bedeutung und die Illyrer betrieben nun auch Seefahrt an den Küsten der Adria (Handel und Piraterie). Auf der Basis der Städte entstanden seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. kleinere Fürstentümer und es kam zu meistens recht kurzlebigen Reichsbildungen.
Für das 4. Jahrhundert v. Chr. gibt es vermehrt schriftliche Nachrichten über die Illyrer von griechischen Geschichtsschreibern. Häufig war das Königreich Makedonien in jener Zeit in Kriege mit den Illyrern und den Molossern in Epiros verwickelt. So fiel der makedonische König Perdikkas III. 359 v. Chr. im Kampf gegen die Illyrer unter König Bardyllis.
Sein Nachfolger, König Philipp II. (359-336 v. Chr.) konnte die Illyrer entscheidend schlagen. Von einer Einverleibung in das Reich Alexander des Großen (336-323 v. Chr.) blieben die Illyrer jedoch verschont und im 3. Jahrhundert konnte mehrere illyrische Könige (Glaukias, Agron) bedeutende regionale Herrschaften errichten.
Die Illyrer waren in dieser Zeit auch als Seeräuber berüchtigt. Deshalb unterstellten sich 230 v. Chr. einige griechische Kolonien im adriatischen Küstengebiet und auf den vorgelagerten dalmatinischen Inseln dem Schutz Roms. Im anschließenden Erster Illyrischer Krieg 229-228 v. Chr. errichteten die Römer einen Brückenkopf an der dalmatinischen Küste. Im Zweitern Illyrischen Krieg (219) gelangte die Region größtenteils unter römische Herrschaft. Der letzte illyrische König Genthios, der in Shkodra residierte, wurde von den Römern 168 v. Chr. besiegt und gefangen nach Rom geführt. Die illyrischen Gebiete wurden in kleine von den Römern abhängige Klientelstaaten aufgeteilt.
Unter Caesar wurden sie schließlich in das Imperium eingegliedert. Mit dem Erreichen der Donaugrenze unter Augustus wurden die Provinzen Dalmatia und Pannonia geschaffen. Nach einem Aufstand 9 v. Chr. setzte eine intensive Romanisierung ein. Die Armee des spätrömischen Reiches bestand zu großen Teilen aus diesen romanisierten Illyrern. Mehrere römische Kaiser waren Illyrer, z.B. Claudius II. Gothicus, Aurelian, Probus, Diokletian und Constantin. Nach dem Einfall der Slawen ging die illyrische Vorbevölkerung, wie auch die Thraker, im Laufe weniger Jahrhunderte zum großen Teil in den Südslawen auf.
Illyrische Stämme
- Arbër
- Ardianer
- Breonen
- Breuker
- Chaonier
- Dalmater
- Dardaner
- Daunier
- Dasareter
- Enkelejter
- Eordejer
- Japoden
- Japyger
- Labeaten
- Liburner
- Messapier
- Molosser
- Paionier
- Parthiner
- Penester
- Peuketier
- Piruster
- Taulantier
- Thesproter
Illyrer und Albaner
Noch immer umstritten ist die Beziehung der antiken Illyrer zu den modernen Albanern. Da es nur sehr wenige Quellen über die illyrische Sprache gibt, ist eine Beweisführung sehr schwierig.
Vor allem erwogen werden eine direkte Abkommenschaft der Albaner von den Illyrern, aber auch eine spätere Einwanderung der Albaner in ihren heutigen Sprachraum. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die Illyrer zwar durchaus in einer Beziehung zu den heutigen Albanern stehen, aber dabei nur eines von mehreren Elementen der Ethnogenese darstellen. Mehr dazu im Artikel über die illyrische Sprache.
Viele illyrischen Stammesnamen sowie Königsnamen sind immer noch in der albanischen Sprache zu finden, die meisten dieser Namen haben eine Bedeutung in der heutigen albanischen Sprache. Allerdings geht der häufige Gebrauch altilyrischer Personennamen unter den Albanern im Wesentlichen auf die Zeit des Kommunismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück und es handelt sich keineswegs um eine ungebrochen aus der Antike bis in die Gegenwart reichende Traditionslinie. Die albanischen Kommunisten propagierten die illyrische Abstammung der Albaner und lehnten gleichzeitig offensichtliche muslimische oder christliche Namen ab. So kam es zum Rückgriff auf das altillyrische Namengut. Auch bei national gesonnenen Albanern im alten Jugoslawien erfreuten sich illyrische Vornamen seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wachsender Beliebtheit
Illyrismus und Südslawen
Durch ihren halb legendenhaften Charakter eigneten sich die Illyrer gut als Anknüpfungspunkt für nationale Identitätsstiftung. Die Vorkämpfer der südslawischen Nationalismen im 19. Jahrhundert behaupteten, dass ihre Völker von den Illyrern abstammen. Besonders verbreitet war diese These bei den Kroaten und Slowenen. Der südslawische Illyrismus postulierte die ethnische Einheit aller Südslawen, die nur in eng verwandte Stämme untergliedert seien. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts spielte die Illyrerthese für die südslawischen Nationalismen keine Rolle mehr.
Heute berufen sich nur die Albaner auf ihre illyrische Abstammung.
Siehe auch
Literatur
- Albanien. Schätze aus dem Land der Skipetaren. (Ausstellungskatalog). Mainz 1988.
- Pierre Cabanes: Les Illyriens de Bardylis à Genthios (IVe - IIe siècles avant J.-C.). (= Regards sur l'histoire. 65). Paris 1988. ISBN 2-7181-3841-6
- Pierre Cabanes (Hrsg.): L’ Illyrie méridionale et l’Epire dans l’antiquité. Actes du colloque international de Clermont-Ferrand (22 - 25 octobre 1984). Clermont-Ferrand 1987.
- Pierre Cabanes (Hrsg.): Grecs et Illyriens dans les inscriptions en langue grecque d'Epidamne-Dyrrhachion et d'Apollonia d'Illyrie. Actes de la table ronde internationale. (Clermont-Ferrand, 19 - 21 octobre 1989). Paris 1993. ISBN 2-86538-241-9
- Maria Adele Cavallaro: Da Teuta a epulo. Interpretazione delle guerre illyriche e histriche tra 229 e 177 a.C.. Bonn 2004. ISBN 3-7749-3150-X
- Neritan Ceka: Ilirët. Tiranë 2000. ISBN 99927-0-098-X
- Hansjörg Frommer: Die Illyrer. 4000 Jahre europäischer Geschichte. Vom 3. Jahrtausend bis zum Beginn der Neuzeit. Karlsruhe 1988. ISBN 3-88190-100-0.
- Andreas Lippert (Hrsg.): Die Illyrer. Katalog zu einer Ausstellung von archäologischen Funden der albanischen Eisenzeit (12. - 4. Jh. v. Chr.) aus den Sammlungen des Archäologischen Institutes der Albanischen Akademie der Wissenschaften in Tirana und des Archäologischen Museums in Durrës. Sonderausstellung im Museum für Urgeschichte des Landes Niederösterreich, Asparn an der Zaya vom 3. April bis 30. November 2004. (=Katalog des NÖ. Landesmuseums. N.F. 448). St. Pölten 2004. ISBN 3-85460-215-4.
- Gianpaolo Urso (Hrsg.): Dall'Adriatico al Danubio. l'Illirico nell'età greca e romana. Atti del Convegno internazionale, Cividale del Friuli, 25-27 settembre 2003. (=I convegni della Fondazione Niccolò Canussio. 3). Pisa 2004. ISBN 88-467-1069-X. (Vgl. unten Weblinks)
- John Wilkes: The Illyrians. Oxford [u.a.] 1995. ISBN 0-631-19807-5
- Draskovic, Janko: Ein Wort an Iliriens hochherzige Töchter über die ältere Geschichte und neueste literarische Regeneration ihres Vaterlandes. Agram 1838. (Eine Quelle zum kroatischen Illyrismus)