Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
Die im Jahr 2000 gegründete Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ist eine Kampagne zur Einflussnahme auf die Öffentlichkeit. Sie bezeichnet sich selbst als "branchen- und parteiübergreifende Plattform", die "die Menschen in Deutschland für marktwirtschaftliche Reformen" gewinnen möchte.
Die Initiative hat acht feste und ca. 40 freie Mitarbeiter, dazu ungefähr 2.000 sog. Kuratoren, Unterstützer und Botschafter, zu denen Personen wie Arnulf Baring, Hans Tietmeyer, Paul Kirchhof, Friedrich Merz (CDU) und Oswald Metzger (Bündnis 90/Die Grünen) gehören.
Finanzieller Träger der Initiative ist in der Hauptsache der Arbeitgeberverband Gesamtmetall als Vertreter der deutschen Metall- und Elektroindustrie, welcher die Initiative mit derzeit jährlich 8,8 Millionen Euro (nach Abzug von Steuern; Angabe der INSM von 2005) finanziert. Des weiteren wird die INSM laut Selbstauskunft von weiteren "führenden Wirtschaftsverbänden" unterstützt. Als wissenschaftlicher Berater fungiert das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
2005 gründete sich ein Förderverein für die INSM, der "Förderverein Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", zu dessen Gründungsmitgliedern unter anderem Florian Gerster, Friedrich Merz sowie Klaus von Dohnanyi zählen.
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist nicht zu verwechseln mit der Stiftung Marktwirtschaft, steht aber in engem Kontakt mit dieser.
Ziele der INSM
Unter dem Leitmotiv "Chancen für alle" hat die Initiative nach eigenen Angaben das Ziel, die Menschen in Deutschland von der Notwendigkeit "marktwirtschaftlicher Reformen" zu überzeugen. Das bewährte Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft müsse an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden: An "die Globalisierung, die Wissensgesellschaft, die Veränderungen in der Arbeitswelt und den demografischen Wandel" [1]. Die Initiative vertritt die Meinung, dass den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nach den ursprünglichen Vorstellungen von Ludwig Erhard (Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Wettbewerb) dabei mehr Geltung verschafft werden müsse. Allgemein gesprochen, fordert die INSM eine Forcierung angebotsorientierter Wirtschaftspolitik.
Um die Soziale Marktwirtschaft zu erneuern und sie leistungsfähig zu halten, müssten jene wirtschaftlichen Regulierungen überdacht werden, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Im Einzelnen bedeute dies:
- Neue Wirtschaftspolitik: "Weniger ist mehr" - der Staat solle sich auf seine Kernkompetenzen beschränken, Bürokratie und Genehmigungsverfahren vereinfachen. Die weitere Senkung von Steuern und Abgaben bringe neue Freiräume für die Eigeninitiative von Bürgern und Unternehmen, verbessere die Wettbewerbsfähigkeit und sei Voraussetzung für das Entstehen neuer Arbeitsplätze.
- Neue Beschäftigungspolitik: "Sozial ist, was Arbeit schafft" - Arbeitslose müssten sinnvoll qualifiziert statt alimentiert werden. Alles, was aus Sicht der Initiative im Sozial- und Arbeitsrecht die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindere, müsse überprüft und, wenn nötig, korrigiert und dereguliert werden. Darunter fällt nach Darstellung der Initiative besonders der Kündigungsschutz. Die Schaffung von Arbeitsplätzen solle desweiteren besonders durch Förderung der Selbständigkeit möglich gemacht werden.
- Neue Sozialpolitik: "Hilfe zur Selbsthilfe"- dieses Prinzip müsse stärker als bisher betont werden. Ansprüche auf Rundum-Absicherung seien nicht mehr bezahlbar. Wer mehr Schutz oder eine höhere Rente wolle, müsse über das Kapitaldeckungsverfahren zusätzlich privat vorsorgen. Klar sei aber auch: Die Solidarität mit den wirklich Bedürftigen der Gesellschaft bleibe bestehen.
- Neue Tarifpolitik: "Stichwort Flexibilität" - die Tarifpolitik müsse sich stärker an den Bedürfnissen der Betriebsparteien ausrichten. Das bedeute zum Beispiel die weitere Flexibilisierung und, wenn nötig, Erhöhung der Arbeitszeiten, den Einbau flexibler Lohnkomponenten und die Senkung der Lohnnebenkosten.
- Neue Bildungspolitik: In der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts stünden und fielen Standorte mit dem Rohstoff "Wissen". Die Bildungspolitik gehöre deshalb zu den zentralen Themen der Reformdebatte. Hier gehe es um mehr Wettbewerb, mehr Effizienz und mehr Tempo. Die Einführung von Studiengebühren sei hierzu ein notwendiger Beitrag.
- Entbürokratisierung: Die Hemmnisse beim Aufbau neuer Arbeitsplätze müssten ebenso reduziert werden wie die Regelungsdichte der deutschen Gesetze. Eine grundlegende Föderalismusreform sei notwendig, um Bürokratie abzubauen und einen "schlanken Staat" verwirklichen zu können.
Methoden
Die INSM nutzt ein breites Spektrum an Methoden des Lobbyismus und der Öffentlichkeitsarbeit. Die Verbreitung der Inhalte erfolgt durch Anzeigen, Broschüren, Magazine, Bücher und Lehrveranstaltungen. Aber auch Schleichwerbung hat die INSM schon in Fernsehserien (ARD-Seifenoper Marienhof) platziert. Weiterhin werden sendefertige Beiträge für Fernsehmagazine produziert und dadurch Einfluß auf Medieninhalte genommen.
Die Initiative bedient sich hauptsächlich der Werbeagentur Scholz & Friends. Der Internetauftritt wird durch die Aperto AG betreut. Außerdem unterstützen Western Star und Welt und Wirtschaft Filmproduktion die INSM beim TV- Programming.
Personen
Gründungsmitglieder der INSM
Martin Kannegiesser (Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall)
Gründungsmitglieder des Fördervereins für die INSM
Florian Gerster ((SPD), ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit)
Johanna Hey (Stiftungsprofessur für Unternehmenssteuerrecht in Düsseldorf)
Dieter Lenzen (Präsident der Freien Universität Berlin)
Friedrich Merz (MdB CDU)
Ulrike Nasse-Meyfarth (Sportlerin)
Dieter Rickert (Personalberater)
Hergard Rohwedder (Rechtsanwältin)
Max Schön (Mitglied im Aufsichtsrat der Max Schön AG)
Carl-Ludwig Thiele (Stellv. Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion)
Hans Tietmeyer (Vorsitzender des Fördervereins, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank)
Geschäftsführer
Tasso Enzweiler: Der frühere Chefreporter der Financial Times Deutschland machte sich als Journalist einen Namen mit seinen Recherchen zum Vulkan-Skandal und war Mitglied im Netzwerk Recherche.
Dieter Rath: Der frühere Chef der Öffentlichkeitsarbeit im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) war unter anderem Sprecher der BDI-Präsidenten Tyll Necker und Hans-Olaf Henkel.
Enzweiler und Rath leiten die Kölner Strategiezentrale der INSM. Von hier aus wird die Kampagne der INSM geführt. Unterstützt wird die INSM dabei von zahlreichen Wissenschaftlern, PR- und Werbefachleuten. Darunter auch die Agentur Scholz & Friends. Die Initiative beschäftigt rund 40 feste und freie Mitarbeiter.
Kuratoren
Hans Tietmeyer (Vorsitzender des Kuratoriums und ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank)
Michael Hampe (Intendant, Regisseur, Schauspieler)
Michael Hüther (Direktor und Mitglied des Präsidiums des IW Köln)
Martin Kannegiesser (Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall)
Oswald Metzger (Finanzexperte Bündnis 90/Die Grünen)
Randolf Rodenstock (Vorsitzender des Aufsichtsrats der Rodenstock GmbH)
Hans-Dietrich Winkhaus (Präsident des IW Köln)
Botschafter
Ann-Kristin Achleitner (Wissenschaftl. Direktorin des CEFS an der TU München)
Hans-Wolfgang Arndt (Rektor der Universität Mannheim)
Hans D. Barbier (Wirtschaftspublizist, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, Bonn)
Arnulf Baring (Politikwissenschaftler, Historiker und Publizist)
Roland Berger (internationaler Unternehmensberater, Roland Berger Strategy Consultants GmbH)
Christoph Burmann (Lehrstuhlinhaber für Allgemeine BWL an der Universität Bremen)
Ralf Dahrendorf (Mitglied des Britischen Oberhauses)
Juergen B. Donges (Prof. für Wirtschaftl. Staatsw. an der Universität Köln und Direktor des IW Köln)
Klaus von Dohnanyi (SPD, Bundesminister a.D.)
Dominique Döttling (Geschäftsführende Gesellschafterin Döttling & Partner Beratungsgesellschaft mbH, Uhingen)
Marie-Luise Dött (MdB CDU), Vorsitzende des Bundes katholischer Unternehmer (BKU))
Johann Eekhoff (Staatssekretär a.D., Wirtschaftspolitisches Seminar der Universität zu Köln)
Michael Eilfort (Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft / Frankfurter Institut)
Lüder Gerken (Vorstand der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung)
Stephan A. Jansen (Gründungspräsident und Geschäftsführer der Zeppelin Universität (ZU))
Paul Kirchhof (Professor für öffentliches Recht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg)
Silvana Koch-Mehrin (Mitglied des EU-Parlaments und des FDP-Bundesvorstands)
Eberhard von Koerber (Präsident des Verwaltungsrates der Eberhard von Koerber AG, Zürich; Vizepräsident des Club of Rome)
Dieter Lenzen (Präsident der Freien Universität Berlin)
Siegmar Mosdorf (Parlamentarischer Staatssekretär a.D.)
Arend Oetker (Unternehmer, Präsident des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft, Vizepräsident des BDI)
Karl-Heinz Paqué (Finanzminister von Sachsen-Anhalt (FDP), Mitglied des Bundesvorstands der FDP)
Rolf Peffekoven (Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Bernd Raffelhüschen (Prof. für Finanzwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Professor II an der Universität Bergen)
Arndt Rautenberg (Deutschen Telekom AG)
Dagmar Schipanski (MdL CDU), Präsidentin des Landtages von Thüringen)
Nikolaus Schweickart (Vorstandsvorsitzender der Altana AG)
Lothar Späth (Politiker der CDU, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Jenoptik AG)
Erwin Staudt (Präsident des VfB Stuttgart)
Thomas Straubhaar (Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA))
Ulrich van Suntum (Geschäftsführender Direktor des CAWM, Universität Münster)
Carl-Ludwig Thiele (MdB FDP), Stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundestages)
Gunnar Uldall (CDU), Senator, Präses der Wirtschaftsbehörde Freie und Hansestadt Hamburg)
Unterstützer
Ulrich Dietz (Vorsitzender des Vorstandes der GFT Technologies AG)
Florian Gerster (Partner der Personalberatung Ray & Berndtson, FrankfurtMain)
Jennifer Neumann (Vorsitzende des Vorstandes der Canto AG)
Eva Mayr-Stihl (stellv. Vorsitzende des Vorstandes der Andreas Stihl AG & Co., Waiblingen)
Kritik
Kritik an wirtschaftsliberaler Ausrichtung
Der Initiative wird vorgeworfen (siehe unten: Weblinks), die "marktradikalen Konzepte" u.a. der CDU/CSU sowie der FDP zu bewerben, aber gleichzeitig als "überparteilich" aufzutreten und damit den Anschein von Neutralität erwecken zu wollen. Zudem wird kritisiert, dass die Botschafter der Initiative in den Medien als unabhängige Experten auftreten, obwohl sie von der Initiative honoriert werden.
Die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds kritisiert die aus ihrer Sicht "neoliberalen Positionen" und die Nähe zu Unternehmensverbänden.
Der damalige SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter kritisierte die INSM als "Tarnorganisation" und bezeichnet deren Vorgehen als "durchsichtig, parteiisch und zielgerichtet". So kürte die Initiative vor der sächsischen Landtagswahl bereits den sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt zum Ministerpräsidenten des Jahres, ebenso den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) vor dessen Landtagswahl 2003.
Kritik an Argumentationsmustern
Aus Sicht von Kritikern benutzt die INSM die folgenden Argumentationsmuster:
- Betonung und Definition von positiv besetzten Begriffen ("Sozial ist ... was Arbeit schafft", Freiheit)
- Botschafter aus unterschiedlichen politischen Parteien sollen Anspruch auf Überparteilichkeit und Konsens verdeutlichen
- Darstellung wirtschaftlicher und politischer Prozesse als nicht beeinflussbare Gesetzmässigkeiten (Globalisierung), (wirtschafts-)wissenschaftlicher Anspruch der Initiative
- Besetzung von Themen (Modernität), Einsatz von negativ besetzten Schlagworten (Besitzstandswahrer, Florida-Rolf)
- Betonung einer schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland (Rankings)
- Einseitige Darstellung von linker Politik als emotional, unwissenschaftlich, unzeitgemäß und überkommen (z.B. als Versorgungsmentalität)
- Interessen der Wirtschaft werden den Interessen der Gesamtbevölkerung gleichgesetzt
- Einseitige Darstellung der Ziele der INSM als daher alternativlose Notwendigkeit. (Der Politologe Dr. Rudolf Speth (FU Berlin) stellte in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung dazu fest: "Wenn alle Botschafter der Initiative dasselbe sagen, dann heißt das ja, oder dann bedeutet das ja: Das muss richtig sein. Da kann gar nichts falsch liegen, wenn so ganz unterschiedliche Leute dieselbe Idee vertreten. Das andere ist aber, dass dadurch die Alternativen unsichtbar werden, denn es gibt Alternativen, aber die werden dadurch faktisch ausgeblendet oder nicht thematisiert. Also insofern hat die Initiative die Strategie, Alternativen unsichtbar zu machen.")
Siehe auch: Deutungshoheit und Sprachaneignung.
Einflussnahme auf Medien
In einem Positionspapier kritisiert die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche die Veröffentlichung von Texten der INSM als redaktionelle Beiträge ohne Hinweise darauf, dass die Texte von der INSM stammen. Dadurch sei die journalistische Unabhängigkeit gefährdet. Sie fordert unter anderem eine stärkere Trennung von Lobbyarbeit und Journalismus in den Medien.
Die ARD-Sendung Monitor berichtete am 13. Oktober 2005 unter dem Titel Die Macht über die Köpfe: Wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Meinung macht darüber, wie die INSM Experten, Studien und ganze Fernsehbeiträge an verschiedene Redaktionen von Fernsehsendungen, u.a. Sabine Christiansen, und Printmedien liefert, ohne dass diese als Meinungsäußerung der INSM gekennzeichnet wären. Teilweise waren mehrere Experten, die eigentlich kontrovers diskutieren sollten, Botschafter und Kuratoren der INSM. Monitor kritisierte besonders ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Journalismus und Werbung, das von der INSM bewusst forciert werde, und forderte die Zuschauer entsprechend zu Wachsamkeit auf. Ebenso zeigte der Bericht, wie die INSM bereits in Grundschulen Informationsveranstaltungen für Kinder, z.B. über Geld, durchführt und dokumentierte, wie Kinder dabei Standpunkte der INSM lernen.
Die Rankings der Initiative, die Bundesländer danach beurteilen, inwieweit sie Ziele der INSM verwirklichen, wurden nachweislich von vielen großen Printmedien als neutrale Statistiken über wirtschaftlichen Erfolg der Bundesländer übernommen. Der Einfluss der INSM reiche bis in die Spitzen der Politik: Der ursprünglich von der INSM geprägte Slogan Sozial ist, was Arbeit schafft sei im Wahlkampf 2005 zunehmend auch von Angela Merkel, Edmund Stoiber, Guido Westerwelle und anderen CDU- und FDP-Politikern geäußert worden.
Im November 2005 berichtete die Wochenzeitung Freitag, dass nach der zunehmend kritischen Berichterstattung der Medien über die INSM Druck von Seiten der INSM auf Redaktionen ausgeübt werde, um dieser kritischen Berichterstattung zu begegnen. Nach Berichten in TV-Sendungen wie Monitor habe sich die INSM auch direkt an einzelne Mitglieder des Fernsehrats und Programmrats gewendet und über "einseitige" Berichterstattung geklagt. Kritische Journalisten würden nach der Methode des sog. Blaming als z.B. gewerkschaftsnah oder Attac-Sympathisanten dargestellt, um ihre Glaubwürdigkeit zu unterlaufen. Diese Form der Einflussnahme auf kritische Berichterstattung habe eine neue Qualität bekommen. Betroffen seien vor allem freie Journalisten.
Schleichwerbung
Im September 2005 wurde durch eine von der ARD veröffentlichte Kundenliste bekannt, dass die INSM 2002 per Schleichwerbung in der ARD-Sendung Marienhof für 58.670 Euro Szenen und Dialoge zu Themen wie Wirtschaft, schlanker Staat, Steuern platziert hat. Die Gewerkschaft ver.di forderte die INSM daraufhin auf, ihre Aktivitäten in den Medien offenzulegen. Der stellvertretende Verdi-Vorsitzende Frank Werneke kritisierte, ein solcher Fall von Manipulation übertreffe alle bisherigen Vermutungen über verdeckte Einflussnahmen durch die INSM. Offenbar scheue man die offene Auseinandersetzung über die sozialen und beruflichen Perspektiven von Jugendlichen und schleiche sich stattdessen in Jugendmedien ein. Allerdings handelt es sich nach Zahlen von media control bei der Serie Marienhof nachweislich um kein Jugendformat. Marienhof wird überwiegend von der Zuschauergruppe 50 plus gesehen.
Die NGO LobbyControl kritisiert, dass die Initiative mit der Schleichwerbung den Rundfunkstaatsvertrag sowie professionelle Standards der Öffentlichkeitsarbeit wie den europäischen Code de Lisbonne missachtet habe. Die INSM erklärte daraufhin, es sei nur darum gegangen, Grundkenntnisse über unsere Wirtschaftsordnung zu vermitteln und die Bedeutung eigenen Engagements bei der Suche nach einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle zu betonen. Sie räumt inzwischen ein, dass die Medien-Kooperation im Falle der ARD-Serie "Marienhof" ein Fehler war. Der Initiative sei aber von der Produktionsgesellschaft mehrfach versichert worden, dass die Form der Zusammenarbeit in Einklang mit dem Rundfunkstaatsvertrag stehe und die zuständige ARD-Redaktion die Stücke abnehme, was sich als falsch herausgestellt habe. Den Generalvorwurf, den die Gewerkschaft Verdi in ihrer Pressemitteilung vom 20.9.2005 erhoben hat, die INSM würde die Medien manipulieren, weist die Geschäftsführung der Initiative zurück.
"Reformer" und "Blockierer des Jahres"
Einmal jährlich kürt die INSM zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den sogenannten "Reformer des Jahres". Dabei sollen Personen ausgezeichnet werden, die sich im betreffenden Jaht in besonderer Weise für marktwirtschaftliche Reformen in Deutschland eingesetzt haben. Dies wurde 2005 der Verfassungsrichter Udo di Fabio, nachdem 2004 der CDU-Politiker Friedrich Merz und 2003 das spätere CDU-Kompetenzteam-Mitglied Paul Kirchhof diesen Titel erhalten hatten. In den Jahren 2004 und 2003 wurde zusätzlich mit dem IG Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters und dem SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles auch je ein "Blockierer des Jahres" ernannt.
Laut Ankündigung konnte jede/-r Leser/-in Vorschläge zu möglichen Kandidaten bei der FAS bzw. der FAZ oder bei der INSM einreichen. Die fünf meistgenannten Kandidaten sollten zusammen mit weiteren fünf Kandidatenvorschlägen von der FAS den Leser/-innen zur Abstimmung vorgelegt werden. Nach Darstellung von LobbyControl wurden hingegen bei der Wahl 2005 entgegen der Ankündigung lediglich 5 Kandidaten zur Wahl gestellt [2].
Das Endergebnis setzt sich nach Angaben der INSM zusammen aus den gewichteten Stimmen der Leserschaft (50%) und dem Votum einer von der INSM eingesetzten Jury (50%) [3]. Kritiker wenden ein, dass dieses Verfahren der INSM eine direkte Kontrolle über das Ergebnis der Abstimmung garantiere, da ein Patt über einen Kandidaten nur in dem sehr unwahrscheinlichen Fall zustande kommen könne, dass alle Leser der FAS ihre Stimmen auf einen einzigen Kandidaten vereinigten. Zudem sei unklar, inwiefern die Jury bei ihrer Entscheidung bereits über das Abstimmungsverhalten der Leserschaft informiert sei. Schließlich sei ungewiss, wie die Jury genau ihren 50%-Anteil aufteilen könne. Aus diesen Gründen könne das Wahlverfahren als scheindemokratisch betrachtet werden.
Bei der Verleihung des "Reformer des Jahres" am 29. November 2005 drangen vor laufenden Fernsehkameras maskierte Mitglieder einer Gruppe in den Saal ein, die sich selbst die Überflüssigen nennen. Sie entrollten ein Transparent mit der Aufschrift "Propaganda für Profite - Armut für den Rest". Die Verlesung einer Erklärung gelang jedoch nur teilweise, weil das Publikum im Saal die Gruppe in Sprechchören ("Feiglinge, Feiglinge") dazu aufforderte, sich die Masken vom Gesicht zu nehmen. Die Aktivisten wollten Gesamtmetall für die Erfindung der INSM einen Preis für die „teuerste, dreisteste und dümmste Propaganda des Jahres“ verleihen. Kurz darauf wurden die Überflüssigen aus dem Saal gedrängt. Zu sehen im Mitschnitt auf Phoenix, der live deutschlandweit ausgestrahlt und weltweit übers Internet gestreamt zu sehen ist.
Siehe auch
Denkfabrik, Lobbyismus, Kunstrasen (PR)
Literatur
- Ulrich Müller, Sven Giegold, Malte Arhelger (Hrsg.), Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen, VSA 2004, ISBN 3899651006.
- Gammelin, Cerstin und Götz Hamann, 2005: Die Strippenzieher, Econ Verlag, ISBN 3430130115.
Weblinks
- Webseiten der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
- NachDenkSeiten.de: PR-Agenturen unter dem Deckmantel „zivilgesellschaftlichen Engagements“ und Die Revolution von oben
- Die Zeit: Neue Soziale Marktwirtschaft - Lautsprecher des Kapitals
- Deutschlandfunk: Meinung für Millionen (Baetz, Brigitte), 26.08.2005/19:15 Uhr (MP3-Stream, 44:04 Minuten)
- Netzeitung: Politische Werbung im «Marienhof»
- Monitor: Die Macht über die Köpfe: Wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Meinung macht
- Freitag: Die Medien einschüchtern - Druck auf die Berichterstattung
- Telepolis: Der Reform-Glanz schwindet
- Stern (2003-12-17): Revolution von oben
Materialien
- Speth, Rudolf, 2004, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung: Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (PDF)
- Nuernbergk, Christian, 2005: Empirische Studie zur INSM-Öffentlichkeitsarbeit - Ergebnisse einer Inhaltsanalyse. Magisterarbeit, Universität Münster (PDF).
- LobbyControl: INSM und Marienhof – Eine kritische Bewertung (PDF, 224kb)
- Netzwerk Recherche-Positionspapier (PDF)
- Politik & Kommunikation, April 2005: INSM im Streitgespräch: "Sie werben ja nicht für Persil" (PDF)