Zum Inhalt springen

Neoliberalismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. Februar 2006 um 18:47 Uhr durch SonicY (Diskussion | Beiträge) (nur eine kleine Korrektur in Sachen Rechtschreibung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Lemma Neoliberalismus bezieht sich auf wirtschaftspolitische Konzepte und wird sowohl von Befürwortern als auch von Kritikern in vielen unterschiedlichen Bedeutungen aufgefasst. Die Befürworter sehen verschiedene Konzepte, die auf dem klassischen Liberalismus und z.T. der neoklassischen Theorie basieren und staatliche Einflüsse auf das Wirtschaftsgeschehen minimieren wollen. Im Unterschied zum Laissez-faire des klassischen Liberalismus wird ein regulierendes Eingreifen des Staates in bestimmten Fällen für notwendig erachtet. Die Kritiker sehen die Auswirkungen und verwenden es deshalb oft als Synonym für Kapitalismus.

Zu unterscheiden sind verschiedene Schulen:


Begriff

Der Begriff Neoliberalismus wurde von den Ökonomen Friedrich Hayek, Wilhelm Röpke, Walter Eucken und anderen auf einer Konferenz in Paris im Jahre 1938 im Zuge der Entwicklung eines Konzepts für eine langfristige Wirtschaftspolitik geprägt, welche sich als Mittelweg zwischen reinem Kapitalismus und Sozialismus verstand. Demnach sind Eingriffe in die Wirtschaft nur dann gerechtfertigt und notwendig, wenn sie beispielsweise Marktverzerrungen durch Monopole oder Kartelle verhindern.

Der Begriff Neoliberalismus ist somit eine Selbstbezeichnung einer Gruppe von Liberalen in der Mitte des 20sten Jahrhunderts. Heute wird der Begriff in der öffentlichen Diskussion insbesondere von Globalisierungskritikern und Gewerkschaften häufig als herabsetzendes Synonym für Kapitalismus verwendet. Die Befürworter sprechen in der Regel von liberaler Wirtschaftspolitik.

Entstehung der neoliberalen Lehre

In den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, die von Interventionismus, Protektionismus, zentraler Wirtschaftslenkung und Totalitarismus geprägt waren, gab es eine Rückbesinnung auf die Ideen des Liberalismus. Aus Sicht der Neoliberalen hatte man mit dem "ungezügelten" Liberalismus des Laissez-faire im 19.Jahrhundert, als der Staat die Wirtschaft komplett dem freien Spiel der Marktkräfte überließ, negative Erfahrungen gemacht und sah eine Notwendigkeit zur Neuformulierung. Der klassische Liberalismus des 19. Jahrhunderts betrachtete den Markt als etwas Naturwüchsiges. Er ging davon aus, dass wenn der Staat sich nicht einmischt, das eigennützige Streben der Individuen das Gemeinwohl am besten fördere (Adam Smith: unsichtbare Hand des Marktes). Neoliberale Vordenker sahen die Gefahr, dass ein ungeregelter Markt dazu tendieren kann, durch die Bildung von Monopolen den Wettbewerb aufzuheben, und dadurch seine eigene Grundlage zu zerstören. Markt ist nach Auffassung des Neoliberalismus daher nicht naturwüchsig, sondern muss durch den Staat gewährleistet werden.

Im September 1932 umriss Alexander Rüstow auf einer Tagung des Vereins für Sozialpolitik das neue liberale Credo:

„Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört. Und mit diesem Bekenntnis zum starken Staat im Interesse liberaler Wirtschaftspolitik und zu liberaler Wirtschaftspolitik im Interesse eines starken Staates – denn das bedingt sich gegenseitig, mit diesem Bekenntnis lassen Sie mich schließen.“

Die meisten Wirtschaftsordnungen der westlichen Industrienationen, insbesondere die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, basieren heute auf den grundlegenden Prinzipien des Neoliberalismus.

Ziele

Der Neoliberalismus strebt eine vorwiegend marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung (mit den entsprechenden Gestaltungsmerkmalen wie z.B. privates Eigentum an den Produktionsmitteln, freie Preisbildung, Wettbewerbs- und Gewerbefreiheit) an und tritt darüber hinaus für marktkonforme Eingriffe des Staates ein, wenn der Marktmechanismus versagt (siehe Marktversagen) oder nicht zu den gesamtgesellschaftlich wünschenswerten Ergebnissen führt. Hauptforderungen des Neoliberalismus sind daher Maßnahmen, die

  • der Monopol- und Kartellkontrolle
  • dem sozialen Ausgleich
  • der Chancengleichheit
  • der Internalisierung externer Effekte
  • sowie dem Ausgleich von Konjunkturschwankungen dienen sollen.

Der Neoliberalismus wendet sich ausdrücklich gegen jede Art monopolistischer und gruppenegoistischer Machtentfaltung (Lobbyismus) sowie gegen willkürliche staatliche Eingriffe wie z.B. marktverzerrende Subventionen oder Schutzzölle. Weiterhin definiert sich der Neoliberalismus einerseits durch eine scharfe Ablehnung totalitärer Gesellschaftssysteme sowie zentraler Wirtschaftslenkung, anderseits durch eine unmissverständliche Abkehr vom Laissez-faire des klassischen Liberalismus.

Wirtschaftsliberalismus der Chicagoer Schule

Die liberal-marktwirtschaftlichen Ideen der Chicagoer Schule um Milton Friedman unterscheiden sich z.T. deutlich von denen der Freiburger Schule. Sie geht von der Stabilität des privaten Sektors aus, Instabilität sei vor allem der staatlichen Geld-, Kredit- und Fiskalpolitik zuzuschreiben. Auch bei der Entstehung von Monopolen setzt die Chicagoer Schule, im Unterschied zum Neoliberalismus, auf den freien Markt und geht davon aus, dass auf lange Sicht die Selbstregulierungsmechanismen des Marktes zu einem Marktgleichgewicht führen.

Elemente neoliberaler Politik

  • Normativer Individualismus: Quelle für wirtschaftspolitische Entscheidungen ist die individuelle Präferenz der Wirtschaftssubjekte. Aufgrund von Aggregationsproblemen individueller Präferenzen wird daher eine Kritik staatlicher Wirtschaftsprogramme geübt, wenn dieses aus allgemeinen Prinzipien abgeleitet wird (Ablehnung von Agendapolitik). Diese Prinzip ähnelt dem Prinzip der Volkssouveränität in der liberalen politischen Theorie.
  • Privateigentum: Nach neoliberaler Auffassung ist es nicht Aufgabe des Staates, unternehmerisch tätig zu werden. Gefordert wird deshalb die Privatisierung von Staatsbetrieben bzw. Aufgabe von Staatsbeteiligungen, insbesondere auch von staatlichen Monopolen im Bereich der Infrastruktur (Daseinsvorsorge) wie Telekommunikation, Verkehr, Energie oder Bildung. Der Staat hat aber durch eine Wettbewerbspolitik für funktionsfähige Märkte zu sorgen und der Bildung von Monopolmärkten und Marktversagen vorzubeugen. Der Vorrang von Privateigentum und privatwirtschaftlichen Regelungsformen gegenüber staatlichem Einfluss wird mitunter aus einer bestimmten Sichtweise auf die ökonomische Theorie der Verfügungsrechte abgeleitet. Demnach steige der volkswirtschaftliche Wohlstand, je mehr Eigentum sich in privater Hand befindet. Bei sozialistischen Regelungsformen komme es hingegen zwangsläufig zur sogenannten Tragik der Allmende.
  • Markt als Steuerungsinstrument: Nach neoliberaler Überzeugung soll allein der Markt, also Angebot und Nachfrage, über Art, Preis und Menge der Sach- und Dienstleistungen entscheiden, da so eine optimale Allokation der Ressourcen stattfinde.
  • Wettbewerb: Der Staat hat für funktionierende Märkte zu sorgen und im Falle deutlich „unvollkommener Märkte“ regulierend einzugreifen, etwa durch Steuern auf externe Effekte und durch Kartellgesetzgebung. Im Unterschied zur Neoklassik wird der Wettbewerb auch auf die Institutionen ausgeweitet, mit der Meinung, dass die „fittesten“ auf dem Markt überleben, deren Bedeutung wird anerkannt („neuer Institutionalismus“).
  • Deregulierung: Neoliberale fordern eine Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft im Sinne einer Reduzierung der Gesetze und Verordnungen, soweit sie als übertrieben bürokratisch und nicht wirklich notwendig angesehen werden, weil dadurch einzelwirtschaftliche Handlungen verhindert würden.
  • Welthandel: Neoliberale befürworten die Globalisierung im Sinne einer Förderung des Freihandels zwischen den Staaten, sei es durch globale Organisationen wie der WTO mit ihren Vereinbarungen wie GATT, GATS, TBT, SPS, TRIPS, oder sei es durch Freihandelszonen und vermehrte Sonderwirtschaftszonen oder der Abschaffung der Grenzen der Nationalstaaten. Der freie Handel trägt nach Einschätzung des Neoliberalismus zur Förderung von weltweitem Wohlstand bei. Die Einschränkung des Handels mittels tarifärer (Schutzzölle) und nicht-tarifärer Handelshemmnisse und eine Förderung bestimmter Wirtschaftszweige durch den Staat (Subventionen) hingegen führt nach neoliberaler Vorstellung zu Ungleichverteilung und Armut auf der Welt. So haben es zum Beispiel Entwicklungsländer schwer, gegenüber der hochsubventionierten europäischen Agrarwirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben. Neoliberale werfen den Industriestaaten vor, nur von den Entwicklungsländern Handelsfreiheit zu fordern, diese jedoch nicht im eigenen Land einführen zu wollen. Anhänger des Neoliberalismus fordern, sämtliche Handelsschranken zu anderen Ländern abzubauen und die Bevorzugung der heimischen Produkte durch Subventionen zu unterbinden. Damit, so behaupten sie, könnten Entwicklungsländer faire Chancen auf dem Weltmarkt erhalten.
  • Steuerpolitik: Gefordert werden in der Regel niedrige Steuersätze, etwa in Form eines Proportionaltarifs oder Stufentarifs, und ein einfaches Steuersystem anstelle eines Systems vielfältiger Einzelbestimmungen. Indirekte Steuern werden gegenüber direkten Steuern vorgezogen. Steuern auf die Substanz und Vermögen werden als Doppelbesteuerung ebenso abgelehnt wie Bagatellsteuern, bei denen die Einnahmen oft kaum höher sind als der Aufwand zu ihrer Erhebung. Insgesamt wird die Senkung von Unternehmenssteuern befürwortet, zumal damit oft sogar eine Erhöhung der staatlichen Steuereinnahmen einher ginge.
  • Sozialsystem: Auch im Bereich der Sozialsysteme befürworten Neoliberale privatwirtschaftlich organisierte Lösungen anstelle der als bürokratisch angesehenen staatlichen Systeme. Damit soll eine effizientere Verwaltung der Mittel des Bürgers erreicht werden. Das Umlageverfahren wird kritisiert, da es auf keiner soliden Basis stehe. Statt dessen wird private Vorsorge im Rahmen des Kapitaldeckungsverfahrens befürwortet. Das bedeutet, dass die sozialen Sicherungssysteme umgebaut werden: Der Umverteilungsstaat wird abgebaut, marktwirtschaftliche Systeme werden aufgebaut. Staatliche Leistungen würden sich dann wirksam auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren, also diejenigen, die nicht in der Lage sind, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen. Milton Friedman hat eine negative Einkommensteuer vorgeschlagen. Danach würde das Finanzamt jedem Steuerpflichtigen, dessen Einkommen unter einem festzulegenden Minimum liegt, die Differenz ohne weitere Prüfungen überweisen.
  • Vermachtung: Der Neoliberalismus kritisiert Machtkonzentration in Wirtschaft (Kartellbildung) und Staat und wendet sich gegen gruppenegoistische („rent-seeking“) Machtentfaltung von Gewerkschaften, Umweltverbänden und Arbeitgeberverbänden.
  • Konjunkturpolitik: Es wird gefordert, dass auch in rezessiven Phasen der Wirtschaft keine antizyklischen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen seitens der Politik stattfinden sollen. Konjunkturprogramme seien Strohfeuer, die langfristig mehr schaden als nutzen würden. Subventionen verzerren nach neoliberaler Auffassung den Wettbewerb, verhindern Innovation und Strukturwandel und sollen deshalb abgebaut werden. Stattdessen wird eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik verfolgt, die durch günstigere Produkte den Konsum anregen soll. Mittel dazu seien unter anderem die Senkung von Löhnen, Lohnnebenkosten und Unternehmenssteuern. Gemäß der G-I-B-Formel wird erhofft, dass niedrigere Löhne zu höheren Gewinnen (G) führen, die zu höheren Investitionen (I) anregen, was mehr Beschäftigung (B) schaffen soll.

Beispiele und Ergebnisse neoliberaler Politik

Als das wohl bedeutendste Beispiel neoliberaler Politik gilt die Politik in der Bundesrepublik Deutschland unter Ludwig Erhard (1949–1963 Bundeswirtschaftsminister, 1963–1966 Bundeskanzler). Erhard und sein Staatssekretär Alfred Müller-Armack, der den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ prägte, waren beide Wirtschaftswissenschaftler, Vertreter der Freiburger Schule und Mitglieder der Mont Pèlerin Society und hatten regelmäßigen Kontakt zu den führenden Vertretern des Neoliberalismus wie Eucken, Röpke, Böhm und Hayek. Auch der in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts geprägte Begriff „Sozial-ökologische Marktwirtschaft“ basiert wesentlich auf dem Neoliberalismus.

Als Experimentierfeld für die neoliberale Wirtschaftspolitik moderner Prägung gilt Chile. Von Milton Friedman stammt der Begriff des „Wunders von Chile“. Er wunderte sich über die liberale ökonomische Ausrichtung des ansonsten diktatorischen Regimes. Ronald Reagan („Reaganomics“) und Margaret Thatcher („Thatcherismus“) waren die ersten bedeutenden Politiker, die die neuen neoliberalen Ansätze in den Industriestaaten umsetzten.

Neuseeland hat einen radikalen Wechsel von einer der am stärksten regulierten Volkswirtschaften zu einer sehr liberalen vollzogen und gilt deshalb als Beispiel für neoliberale Politik. Subventionen wurden radikal gestrichen, die Sozialsysteme stark zurückgebaut. Staatsbetriebe wurden privatisiert, Agrarsubventionen abgebaut, Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft, die Zentralbank erlangte Unabhängigkeit, und der Spitzensteuersatz wurde halbiert. Neuseeland zählt heute zu den am stärksten deregulierten und privatisierten Volkswirtschaften der Welt. Die Arbeitslosigkeit lag 2004 bei 3,6 Prozent und das Wachstum bei 4,4 Prozent und Neuseeland nahm damit in der OECD eine Spitzenposition ein.

Manche Kritiker bezeichnen Argentinien als neoliberal, was aber sachlich weitenteils inkorrekt ist, da Argentinien z.B. viele der im Washingtoner Konsensus formulierten Politikempfehlungen ignorierte und über Jahrzehnte eine exzessive Verschuldungspolitik verfolgte.

Denkfabriken

Friedrich Hayek dachte, dass zur Durchsetzung des Konzepts des Neoliberalismus mit einem Prozess zu rechnen wäre, der über zwei bis drei Generationen dauern würde, er gründete 1947 mit 36 liberalen Wissenschaftlern, vorwiegend Ökonomen, darunter auch Friedman, die Denkfabrik Mont Pelerin Society. Diese hat sich – neben der Verteidigung von Freiheit und Rechtsstaat – die Förderung von Privateigentum und Wettbewerb zur Aufgabe gemacht, die als wesentlich für eine freie Gesellschaft angesehen werden. Weitere wichtige Institute wurden in der Folge gegründet, z.B. das Institute of Economic Affairs 1971 in London oder die Heritage Foundation 1973 in Washington. In Deutschland gibt es z.B. die Stiftung Marktwirtschaft und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Die WTO mit Ziel des weltweiten Freihandels vertritt neoliberale Forderungen, auch Weltbank und IWF werden oft mit dem Neoliberalismus in Verbindung gebracht. Seine Verbreitung als Konzept wurde von Ökonomen der Weltbank und des IWF nach dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben, als Antwort auf die Programme zur Förderung von Entwicklungsländern, die nicht den gewünschten Erfolg zeigten: Förderungen für Großprojekte ließen die armen Länder mit Schulden und geringem Wirtschaftswachstum zurück, die größere Bedeutung liegt aber in den 1970er Jahren als Versuch, eine strukturelle Krise zu beantworten (s. a. Konsens von Washington). Die Gewährung von Krediten an ein Land wird oft von der Durchführung liberaler Reformen (vgl. Strukturanpassungsprogramm) abhängig gemacht. Allerdings werden IWF und Weltbank auch von neoliberaler Seite kritisiert, z. B. wenn durch Begünstigung lokaler Machteliten marktverzerrende und interventionistische Politik betrieben wird. Auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) wird von vielen in seinen Zielsetzungen als neoliberal angesehen.

Kritik und Kritiker

Der Begriff Neoliberalismus selbst, und seine Verwendung, ist unter Befürwortern und Gegnern eines Wirtschaftsliberalismus umstritten:

Eine aktuelle Kritik am Neoliberalismus benutzt den Begriff heute meist im Sinne von Deregulierung und Liberalisierung der Märkte (Welthandel), Rückzug des Staates und Überantwortung von gesellschaftlichen Belangen an Kräfte des Marktes. In Deutschland stellt dieser Wandel z.B. den Übergang vom rheinischen Kapitalismus, der durchaus auch von Eucken geprägt war, hin zu einer globalisierten befreiten Marktwirtschaft dar.

Auch wenn diese Verwendung historisch-wirtschaftswissenschaftlich nicht exakt ist, dominiert sie heute, es hat also ein Bedeutungswandel stattgefunden. Viele Kritikpunkte, die sich im heutigen Sprachgebrauch in Bezug auf den Neoliberalismus geäussert werden, meinen also eine aktuell dominante wirtschaftsliberale Denkschule, die sich eher an Hayek und den Chicago Boys orientiert, als an Euckens Prinzipen. Verfechter eines extremen Wirtschaftsliberalismus kritisieren selbst wiederum den einstigen Neoliberalismus im Sinne von Eucken, weil er ihnen noch zu staatsfixiert ist.

  • Soziale Effekte der Deregulierung: Von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern werden die von „neoliberaler“ Politik geforderten Privatisierungen und die Einschränkung staatlicher Wohlfahrtsleistungen kritisiert, da sie zu einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse führten. Dadurch verschärfe sich weltweit die soziale Lage. Kritiker sind der Ansicht, dass die Entfesselung des Marktes Ungleichgewichte und Unausgewogenheiten (Nord-Süd-Gefälle, soziale Ungleichheit) eher verschärfen würde als sie auszugleichen. Mit dem Rückzug des Staates greift in vielen Lebensbereichen die Logik des Marktes (vergleiche Kommodifizierung). Über angeblich höhere Preise für die Versorgung im Rahmen von Privatisierungen würden die Bürger geschädigt. Kritiker beklagen hier die fehlende Regulierung durch den Staat beziehungsweise der Einschränkung durch gesellschaftliche Normen. Der von neoliberalen Denkern gepriesenen Freiheit durch Marktchancen halten sie entgegen, dass dies in erster Linie die Freiheit von Wohlhabenden und Mächtigen darstelle. Achtet man allein auf Rendite, würden moralische oder soziale Normen leiden.
  • Abbau des Sozialstaats: Die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung wird von einigen Beobachtern als Praxisbeispiel neoliberaler Politik gewertet. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die Kürzung der Ausgaben im Bereich der staatlichen Sozialversicherung. Die Kritiker betrachten dies als Sozialabbau. Private Absicherung könne den Sozialstaat nicht ersetzen. Die neoliberale Sicht, dass es dadurch zu einer effizienteren Verwaltung der Mittel des Bürger käme, wird von den Kritikern nicht geteilt. Sie begründen dies mit den Gewinnen der Pharmaindustrie oder der Anteilseigner privater Rentenfonds."
  • Kirche: Die Zunahme des Wettbewerbs solle die Bedürfnisse der Schwächsten in der Gesellschaft nicht unsichtbar machen, meinte Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz: Die Befürworter neoliberaler Thesen seien leider „blind, wenn sie auf Menschen stoßen, die keine Voraussetzung haben, am Spiel des Marktes teilzunehmen“ [1]. Vergl. auch Christliche Soziallehre.
  • Kritik am Markt als Steuerungsinstrument: Die Keynesianischen Ökonomen (wie Joseph E. Stiglitz) meinen, dass ein ungeregelter Markt in einigen Fällen ein schlechtes Instrument sei und zu Marktversagen führen könne. Für den Keynesianismus sind die Erwerbsmöglichkeiten im entwickelten Kapitalismus keine Sache individueller Tatkraft. Sie richten sich nach dieser Theorie danach, ob es über die Marktprozesse gelingt, u. a. für die Investitionstätigkeit ausreichende Konsumgüternachfrage zu mobilisieren. Die Gegner des Neoliberalismus kritisieren, dass der freie Markt schädliche volkswirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugen könne, da nur bei entsprechender Kaufkraft die jeweilige Nachfrage bedient würde. Außerdem gäbe es die Gefahr, dass Bedürfnisse, hinter denen keine entsprechende Kaufkraft steht, nicht abgedeckt werden. Auch wird kritisiert, dass die sozialen Folgen deregulierter Märkte von der Allgemeinheit zu tragen sind. Beispiele für derartige Problemkreise sind in den Bereichen Bildung, Altenpflege, Familienpolitik und zunehmend auch im Gesundheitssystem zu finden.
  • Marxismus: Für marxistische Kritiker wird der Neoliberalismus nicht nur als Politik und als konkretes Unternehmerhandeln, sondern auch als Art und Weise der Konsumption bzw. der Lebensführung, wie Selbstmanagement (vgl. a. „Selbsttechnologie“, Michel Foucault) verstanden. Sie ist eine Antwort auf sinkende Profitraten ("Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate", Karl Marx), die durch eine bis in die 1970er Jahre steigende Produktivität nicht mehr wettgemacht werden können („Krise des Fordismus“) – der Klassengegensatz, der in Institutionen (z. B. Sozialpartnerschaft, Gewinnbeteiligungen) eine Zeitlang ruhiggestellt werden konnte, bricht wieder auf. Der Neoliberalismus ist aber nicht einfach eine Ideologie, sondern ein hegemoniales und plurales Projekt, das der ständigen Reartikulierung durch Intellektuelle – Antonio Gramsci spricht hier von organischen Intellektuellen – des Kapitals bedarf, um die Akzeptanz des Kapitalismus immer wieder neu abzusichern, dadurch werde ein Partikularinteresse ("Profitmaximierung") als ein allgemeines Interesse ausgegeben (vgl. Standortdebatte). Über die so genannten 'sozialen Verwerfungen' des Neoliberalismus hat sich insbesondere die Kritische Theorie geäußert.

Neoliberale Positionen würden, so die Kritiker, deshalb einer Verengung der ökonomischen Sichtweise (la pensée unique – „Einheitsdenken“) Vorschub leisteten, welche die betriebswirtschaftliche Rationalität über die gesamtwirtschaftliche Rationalität, etwa die „Ökonomie des ganzen Hauses“ (Aristoteles), stellt. Manche Kritiker meinen, dass „Neoliberale“ andere Menschen gerne an sich selbst mäßen und dabei vergessen würden, dass soziale Umstände und Zufall maßgebliche Einflußfaktoren für den persönlichen ökonomischen Erfolg sein können.

Aus einer eher kulturellen Perspektive wendet sich Georges Bataille gegen das Primat des Nutzens, das Wert rein ökonomisch definiert und vermeintlich unproduktive Verausgabung jenseits der Gesetze des Marktes (z. B. Kunst, Verschwendung) immer seltener werden lässt. Auch in der weltweiten 68er-Bewegung wurde, besonders in Frankreich, die Ausweitung des Marktes auf immer mehr Lebensbereiche kritisiert. Die Punk-Bewegung knüpfte teilweise an diese Kritik an, stellte diesen Tendenzen das Konzept von Do it yourself entgegen.

Die Zapatistas luden zum ersten Mal 1996 zum „intergalaktischen Treffen gegen Neoliberalismus und für Menschlichkeit“. In Brasilien wurde aus Protest gegen „neoliberale“ Globalisierung das Weltsozialforum gegründet. Opponenten des Neoliberalismus als wirtschaftliche Theorie sind Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz und Amartya Sen. Auch der Börsenspekulant George Soros warnt nun, nach seinen Spekulationen, vor einem bedrohlichen Marktfundamentalismus. Pierre Bourdieu legte gemeinsam mit anderen mit „Das Elend der Welt“ (1997) eine cultural study (Kulturstudie) zum Thema vor: er sieht eine allgemeine Zunahme von Angst und Unsicherheit, sowie eine gesellschaftliche Spaltung und „Prekarisierung“; ein ähnliches Projekt betrieb nachfolgend Elisabeth Katschnig-Fasch. Naomi Klein kritisiert in ihrem Buch No Logo die „Machenschaften globaler Konzerne“ und Folgen neoliberaler Politik ebenso wie Noam Chomsky in Profit over people oder Richard Sennett in Der flexible Mensch. Kritik am Neoliberalismus fällt dabei oft zusammen mit der Kritik an der Globalisierung, die nach Ansicht der Kritiker neoliberal geprägt sei und einseitig eine Globalisierung des Marktes, nicht aber der Menschenrechte anstrebe.

Jürgen Kromphardt kritisiert in seinem Buch Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus, dass durch den freien Markt eine Umverteilung von den ökonomisch Erfolglosen zu den ökonomischen Erfolgreichen erfolge. Dies werde damit begründet, dass auf Dauer die höheren Leistungen der Erfolgreichen auch den Erfolglosen zugute kommen (so genannter Trickle-Down-Effect). Kromphardt meint, die Unsicherheit dieser Zukunftsversprechen und die Benachteiligung der Schwächeren werden als Strukturprobleme verharmlost. Neoliberale haben seiner Meinung nach die Tendenz, Fehlentwicklungen ihrer Konzepte zu verharmlosen oder zu leugnen. Dabei benutzen sie die Strategie, reale Auswirkungen durch sprachliche Mittel zu rechtfertigen. Das werde deutlich, wenn sie den Vorwurf, man sei gegen den Sozialstaat, dadurch entkräften wollen, dass sie behaupten, nicht den Sozialstaat sondern den Wohlfahrtsstaat abschaffen zu wollen. Diese Vorgehensweise der neoliberalen Denkfabriken lässt nach Kromphardts Meinung nicht den Verdacht ausräumen, dass ihre Bemühungen nicht darauf ausgerichtet sind, die Realität wissenschaftlich zu erklären, sondern diese derart zu interpretieren, dass sie mit einer wirtschaftpolitischen Konzeption übereinstimmt, die eine vollkommene Befreiung der Privateigentümer von jeglichen gesetzlichen Einschränkungen fordert.

Erwiderung auf die Kritik

Auf diese Kritik antworten die Befürworter des Neoliberalismus, dass das zunehmende Streben der Menschheit nach Selbstbestimmung, Demokratie, Frieden und Wohlstand – im Besonderen in den Entwicklungsländern – die Forderungen nach freiem Handel (vgl. Handelsschranken, Zollpolitik, Subventionen) beschleunige. Neoklassische, nationalökonomische, keynesianische, sozialistische und kommunistische Denkweisen geben den Befürwortern des Neoliberalismus zufolge keine Ansätze zur fairen wirtschaftlichen Interaktion zwischen Staaten und Kontinenten und somit zum Kampf gegen die weltweite Armut.

Siehe auch

Literatur

Kritik am Neoliberalismus

Wiktionary: Neoliberalismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Kritik am Neoliberalismus