Gulag
Gulag (russisch Главное Управление Лагерей, Glavnoje Upravlenije Ispravitelno-trudovych Lagerej Sowjetischen Zwangsarbeitslager.
) steht für Hauptverwaltung derEs handelte sich um eine Behörde der UdSSR.
Geschichte des Gulag
Stalin forderte 1929 eine effizientere Nutzung der Arbeitskraft von Häftlingen in Arbeitslagern, deren erste durch Lenin (Roter Terror) schon unmittelbar nach der Errichtung der Sowjetunion als Gefängnisse mit Arbeitspflicht für politische Gegner, bestimmte soziale Gruppen und gewöhnliche Kriminelle errichtet worden waren.
Allerdings ist das System der sibirischen Straflager keine "Erfindung" der russischen Kommunisten. Schon in den Jahrhunderten zuvor hatten russische Machthaber politische Gefangene, Verbrecher und missliebige Leibeigene nach Sibirien verbannt. Zu den Verbannten gehörte von 1897 bis 1900 auch Wladimir Iljitsch Lenin.
Zahl der Opfer
In den Lagern waren zeitweise bis zu 2,5 Millionen Menschen inhaftiert. Die Gesamtzahl der Menschen, die während der über zwanzigjährigen Periode des Stalinismus in einem Gefangenenlager oder in einer Kolonie gefangengehalten wurden, lag jedoch weitaus höher und wird von der jüngeren Forschung mit etwa 18-20 Millionen angegeben.
Große Volksteile und -gruppen wie beispielsweise die Kosaken, die Kulaken oder willkürlich als solche Bezeichnete fielen dem Genozid des kommunistischen Terrors zum Opfer, der von Lenin begonnen und durch Stalin zum Höhepunkt getrieben wurde. Die Liquidierung der Gegner der kommunistischen Ideen sollte damit erreicht werden. Insgesamt, auch außerhalb der Lager, sollen mehr als 20 Millionen Menschen ermordet worden sein. Allerdings wird diese Zahl inzwischen eher als Obergrenze angesehen. So lag laut inzwischen zugänglichen internen Unterlagen der Lagerverwaltung die Sterberate bei ca. 14%. Zwischen 1930 und Stalins Tod 1953 sind in den Lagern selbst ca. 2,5 Millionen Menschen gestorben. Diese Zahlen beinhalten weder Opfer auf Transporten, noch Opfer durch Spätfolgen.
Die Erforschung der Opferzahlen wird noch lange andauern, da längst noch nicht alle Archive zugänglich sind.
Nutzung der Arbeitskraft
Mit Ausnahme einiger besonderer Lager für Wissenschaftler (so genannte Scharaschka, von Solschenizyn wurde in dem Roman Der erste Kreis der Hölle das von ihm in der Realität Erlebte aus eigener Erfahrung beschrieben), kam es im Lagersystem insgesamt nie zu jener effizienten Nutzung der Arbeitskraft, die als Hauptmotiv bei der Gründung des Lagersystems gedient hatte. Die Methode, zum Beispiel den Weißmeer-Ostsee-Kanal im Winter von hungernden und frierenden Häftlingen mit Spitzhacke, Schaufel und Spaten ausheben zu lassen, war wirtschaftlich völlig ineffizient.
Alltag im Lager
Die unmenschlichen Lebensbedingungen führten zum Tod Hunderttausender Häftlinge. Die Häftlingsmortalität lag bis in die 1950er Jahre hinein deutlich über der des Rests der sowjetischen Gesellschaft. Am höchsten war sie allerdings während der Kriegsjahre 1942 und 1943, als infolge von extremer Verknappung der Versorgung und einer noch rücksichtsloseren Ausnutzung der Häftlingsarbeiter jeweils fast ein Viertel aller Lagerinsassen starb. Die Lebensbedingungen, aber auch die Ineffizienz der Lager wurden an einem Einzelschicksal beispielhaft beschrieben in Solschenizyns Novelle Ein Tag im Leben des Iwan Dennissowitsch, die nach Widerständen während der Tauwetter-Periode in der sowjetischen Literaturzeitschrift Novyj mir erschien.
Klassenkampf im Lager
In den Straflagern gab es eine fein abgestufte Rangordnung, in der die Kriminellen als "klassen-nah" oder auch "sozial-nah" und die politischen Häftlinge (oder wen man dafür hielt) als "klassen-fremd" oder auch "sozial-fremd" galten. So wurden wichtige Posten, wie etwa Barackenälteste, Verwalter, Buchhalter, aber auch Köche, Brotschneider, Automechaniker, Vorarbeiter in den Arbeitsbrigaden und sogar die Erzieher-Posten oft mit kriminellen Häftlingen besetzt. Die "Politischen" mussten dagegen zum Beispiel als Erdarbeiter, als Landarbeiter, im Holzschlag, in Steinbrüchen sowie in der Ziegelbrennerei arbeiten.
Dieses System hielt sich bis Anfang der 50er Jahre, als Stalin sich entschloss, die Ideologie von der "sozialen Verwandtschaft" fallenzulassen. Nun wurden die kriminellen Häftlinge in eigens für sie gebauten Spezialgefängnissen untergebracht, wo sie in Einzelzellen keine Gelegenheit mehr zum Stehlen oder Rauben fanden.
Auflösung der Lager
Das erste sowjetische Arbeitslager für politische Gefangene wurde 1920 auf den Solowki-Inseln im Weißen Meer im Norden Russlands errichtet. Die Auflösung des Lagersystems wurde durch die unmittelbar nach Stalins Tod 1953 erlassene Amnestie eingeleitet, die allerdings nur "unpolitische" Häftlinge betraf. Die Freilassung politischer Häftlinge setzte ein Jahr später ein. Ende der 1950er Jahre wurde das letzte Lager aufgelöst, Strafkolonien bestanden jedoch weiterhin. Auch kam es in der Folgezeit immer wieder zu politischen Verhaftungen, wenngleich bei weitem nicht mehr in jenem Umfang wie zur Stalinzeit. Beendet wurden die politischen Verfolgungen erst unter Gorbatschow.
Alexander Solschenizyn
Das trotz ständiger Überwachung durch den KGB von Alexander Solschenizyn nach Erlebnissen heimlich geschriebene und nach Westeuropa geschmuggelte Buch Der Archipel Gulag führte dazu, daß das Wort Gulag als Bezeichnung für die Behörde, der die Zwangsarbeitslager unterstanden, zum Begriff wurde. Dieser steht für das Repressionssystem der Sowjetunion als Ganzes oder das Teilsystem der Straflager.
Wirkung des Buches
Solschenizyns begriffsbildendes Buch Der Archipel Gulag wirkte in Westeuropa und den USA sehr stark. Solschenizyn liefert darin eine sehr materialreiche literarische und doch wirklichkeitsgetreue Aufarbeitung des Systems der politischen Verfolgungen, Verhaftungen, Untersuchungsgefängnisse, der Verhöre, der Folter, der Verurteilungen und der Straflager selbst mit ihren unmenschlichen, durch Hunger, Kälte, Überanstrengung, unhygienische Zustände, Krankheiten und mangelnde medizinische Versorgung geprägten Lebensbedingungen.
Verwandte Themen
- Stalinismus, Josef W. Stalin
- Sowjetunion, Geschichte der Sowjetunion
- Dissident
- Menschenrechte
- NKWD (Volkskommissariat des Inneren der Sowjetunion)
- Der Archipel Gulag
- Kommunismus
- Vernichtung durch Arbeit
- GPU
Literatur
- Anne Applebaum: Der Gulag, Siedler 2003, ISBN 3886806421
- Gerhard Armanski: Gulag - Hinterhöfe des Stalinismus, in: Dabag / Platt: Genozid und Moderne (Band 1), Opladen 1998. ISBN 3-8100-1822-8
- Stéphane Courtois:Schwarzbuch des Kommunismus, Piper 1998
- Eva Donga-Sylvester/Günter Czernetzky/Hildegard Thoma (Hg.): "Ihr verreckt hier bei ehrlicher Arbeit!" Deutsche im GULAG 1936-1956. Graz 2000
- Paul Gregory, Valery Lazarev (Hg.): The Economics of Forced Labor: The Soviet Gulag. Stanford: Hoover Institution Press 2003, Volltext: [http://www-hoover.stanford.edu/publications/books/gula
- Wilhelm Mensing, Von der Ruhr in den GULag Opfer des Stalinschen Massenterrors aus dem Ruhrgebiet, Essen 2001
- Horst Schüler: Workuta, München 1993
- Alexander Solschenizyn: Der Archipel Gulag - Versuch einer künstlerischen Bewältigung, Scherz 1973
- Ralf Stettner:Archipel GULag Stalins Zwangslager, Schöningh 1996
Weblinks
- [1] Virtuelles Gulag-Museum
- Karte der Lager