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Holländische Radikalkritik

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Geschichtliche Einordnung

Stichworte:

  • Zeitlich läßt sich sie Geschichte der holländischen Radikalkritik recht genau eingrenzen. Sie setzt ein mit der Veröffentlichung von Allard Piersons Historisch-kritisch onderzoek über De bergrede en andere synpotische fragmenten im Jahre 1878 und endet mit dem Tode Van den Bergh van Eysingas im Jahre 1957.
  • Doch gegen die verbreitete Meinung, der christliche Mythos habe sich aus einem historischen Kern entwickelt, steht die radikalkritische Annahme, dass auch der umgekehrte Prozeß denkbar ist und die realistische Darstellung des Jesusbildes das Resultat eines von den frühen Christen und ihrer entstehenden Kirche initiierten umfassenden Historisierungsprozesses war.
  • die umfangreichen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung, die heute Philologen und Altertumsforschern bei umfangreichen Textvergleichen auch für die radikalkritische Forschung nutzbar zu machen. statisitische verteilung von wörtern wortgruppen inhaltlichen aussagen. statisitische erfassung von sprachstilen einzelner personen.
  • Van den Bergh van Eysinga hat in dieser Konzession an das liberale Jesus-Bild ein taktisches Manöver Lomans gesehen, bedingt durch den simplen Umstand, daß man „in der theologischen Welt nur ruhig leben“ kann, „wenn man der Evangeliengeschichte wenigstens ein Minimum von Historizität läßt[1]
  • Auch van den Bergh van Eysinga wollte sich gerne als einen Radikalen bezeichnen lassen, sofern mit radikaler Kritik eine nicht an der Oberfläche steckenbleibende, sondern zu den radices, d.h. zu den Wurzeln vordringende Kritik gemeint sei[2]. Neben der Bezeichnung Radikale tauchen in der Forschung noch einige andere Namen für die erwähnte Gruppe von Kritikern auf, die offenbar auch nicht viel freundlicher gemeint waren: Hyperkritiker oder Ultratübinger. Der erste Begriff will andeuten, daß die Radikalen nach Einschätzung ihrer Gegner mit ihrer Kritik der Schriften des Neuen Testaments „zu weit“ gingen, der zweite, häufig von Albert Schweitzer gebraucht[3], will die Richtung aufzeigen, zu der die Radikalkritiker gehörten und innerhalb derer sie gewissermaßen den äußersten linken Flügel bildeten.

Vertreter und ihre Thesen

Bruno Bauer (1809-1882)

Bruno Bauer gilt als der erste Theologe, der öffentlich die Auffassung vertrat, dass sich eine historische Person Jesus von Nazaret nicht nachweisen lasse und alle Paulusbriefe als unecht angesehen werden müssen. Die Evangelien des NT hielt er für freie Produktionen eines religiösen Selbstbewusstseins mit keiner oder nur geringer historischer Basis.[4][5]

Bauers gundsätzliche Ansichten zu theologische Fragestellungen finden sich in seinem Aufsatz Warnung für das theologische Bewußtsein, welcher zuerst der sächsischen Zensur in Leipzig zum Opfer fiel, schließlich aber 1842 als Einschub in Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit doch veröffentlicht wurde. Zu Chronologie und Inhalt der Evangelien stellte Bauer folgende Thesen auf:

  • Die frühen Christen hätten über Prinzipien, wie z.B. die Auffassung und Gültigkeit des jüdischen Gesetzes gestritten, und erst als sie gefunden waren, bestätigte man sie durch Sprüche und durch das Beispiel Jesus und Anekdoten.[6]
  • Die Evangelien wurden geschrieben und ihrem Inhalt nach erst gebildet, als der Kampf mit den Judenchristen über das mosaische Gesetz der Hauptsache nach entschieden war und das christliche Prinzip, so weit es ihm möglich war, sich von den jüdischen Fesseln befreit hatte. Der Kampf der Judenchristen und der paulinischen Richtung wäre unmöglich, wenn der Inhalt der Evangelien am Anfang stehen würde.
  • Von vornherein sei die Tradition und Geschichtsanschauung vom Leben des Jesus nicht als fertig vorhanden gewesen.[7]
  • Die Offenbarung sei "Nichts als Werk und Erzeugniß des menschlichen Geistes"; sie könne also aus den Formen und Weisen des Geistes nicht heraustreten; dennoch tue sie so - und müsse allerdings auch so tun, als ob sie mit der Vernunft und ihren Gesetzen nichts gemein habe, denn sonst wäre sie nicht Offenbarung.[8]

Über die Echtheitszweifel der Tübinger Schule an einigen Paulusbriefen hinausgehend, hielt Bauer sämtliche Paulusbriefe für unecht.[9] Sie seien literarische Produkte des christlichen Selbstbewusstseins im 2. Jahrhundert und wurden nach Bauers Meinung von mehreren Schriftstellern verfasst. Hauptargumente für die Unechtheit der Paulusbriefe sind die vor allem in den Korintherbriefen zu beobachtende Beeinflussung durch die Gnosis, die für Bauer in das 2. Jahrhundert gehört, sowie die Abhängigkeit vom Lukasevangelium und der Apostelgeschichte, die Bauer an einzelnen Briefen nachzuweisen versucht. Der 1. Thessalonicherbrief setze die Apostelgeschichte, 1. und 2. Korinther-, Römer- sowie Galaterbrief voraus; der Brief an die Philipper setze den 2. Korintherbrief, den 1. und 2. Abschnitt des Römerbriefs sowie den 1. Thessalonicherbrief voraus; die Verfasser des Epheser- und Kolosserbriefs haben vermutlich den 1. Korinther- und Galaterbrief benutzt; die vier Hauptbriefe sind in der Reihenfolge: Römer-, 1. und 2. Korinther-, Galaterbrief entstanden. Ihre Verfasser standen im dezidierten Gegensatz zu den Anschauungen der Apostelgeschichte, auf die sie sich teilweise polemisch beziehen und die sie voraussetzen. Man konnte an den Namen des Paulus eine Briefliteratur knüpfen, weil "die Gestalt dieses Streiters für eine universelle Gemeinde und für Freiheit von der Satzung im Glauben schon gegeben war". Hierbei handelt es sich nach Bauers Ansicht nicht um eine historische, sondern rein legendarische Gestalt, wie bereits der Name verrät (Paulus = der Kleine), mit dessen Symbolik Bauer sich ausführlich beschäftigte.[10]

Bauer verortete die Genesis des Christentums allein in der von stoischer und alexandrinischer Philosophie geprägten römischen Kaiserzeit des 2. nachchristlichen Jahrhunderts und betrachtete namentlich Seneca und Philon von Alexandria als geistige Wegbereiter des Christentums.

Seine theologischen Ansichten und seine Kritik am damaligen Wissenschaftsbetrieb[11] führten zum Einspruch der Theologischen Fakultät der Universität Bonn gegen seine Berufung zum Professor. Im März 1842 wurde Bauer wegen seiner "Angriffe auf das Wesen der christlichen Wahrheit" die Lehrberechtigung für Theologie auf Lebenszeit durch den preußischen Kultusminister entzogen, obwohl sich die Mehrzahl der angefragten Gutachter verschiedener Universitäten (16 zu 9) dagegen aussprach.[12]

Allard Pierson (1831—1896)

Die Veröffentlichung von Dr. Allard Piersons Historisch-kritisch onderzoek über De bergrede en andere synpotische fragmenten im Jahre 1878 gilt als Beginn der Radikalkritik in Holland. Zunächst war Pierson als Pfarrer in Leiden und Rotterdam tätig, bevor ihn wachsende Zweifel an der Vereinbarkeit des christlich-protestantischen Bekenntnisses mit seinen wissenschaftlichen Überzeugungen dazu veranlassten, im Jahre 1865 das Pfarramt niederzulegen und sich ganz der Wissenschaft zu widmen. Nach Zwischenstationen in Heidelberg und Utrecht lehrte Pierson ab 1877 an der Universität Amsterdam Kunstgeschichte, Ästhetik und neuere Literatur. Seine Wandlung vom modernen zum radikalen Theologen geschieht mit einer Abhandlung zur Bergpredigt, in welcher erstmals Zweifel sowohl an der historischen Existenz von Jesus als auch an der Echtheit des Galaterbriefes von Paulus geäußert werden. Pierson hielt den Paulus des Briefes für die Fiktion eines ultrapaulinischen Christen. Besonders das Schweigen des Paulus über den historischen Jesus erschien ihm höchst verdächtig, was er am Beispiel eines fiktiven Sokratesanhänger aus Süditalien verdeutlichte, wenn dieser über Sokrates gesprochen hätte, wie Paulus über Jesus:

„Er hat sich des Todesloses des Philosophen erfreut, denn er war ein Sophist mit Leib und Seele. Aber ihm ist ein anderes Licht aufgegangen. Zu denken wie Sokrates, zu fühlen, zu lehren, zu leben wie Sokrates, sich vollständig mit ihm zu identifizieren, das - so hat er eingesehen, durch Intuition begriffen - ist das einzige, was nottut.

Nun wird er nach Athen eilen? Plato lebt noch, Alcibiades lebt noch. Von ihnen, von sovielen anderen wird er zu erfahren versuchen, was Sokrates gedacht, gefühlt, gelehrt hat; welcher Geist aus seiner Umgebung sprach?

Nein, er zieht nach Ägypten, bleibt dort drei Jahre, schreibt und spricht dann sein Leben lang über Sokrates und wird von einer leichtgläubigen Welt für nichts weniger als der glaubwürdigste Zeuge bezüglich des griechischen Philosophen gehalten“[13].“

Abraham Dirk Loman (1823-1897)

Abraham Dirk Loman, Dozent der Theologischen Fakultät der Universität von Amsterdam, gilt als Nestor der holländischen Schule der Radikalkritik und empfing diesbezüglich seine ersten Anregungen von A.Pierson. Am 13. Dezember 1881 hielt er im Haus der Vrije Gemeente in der Weteringschans in Amsterdam einen umstrittenen Vortrag, in dessen Mittelpunkt die These stand, dass das frühe Christentum nichts anderes war als eine jüdisch-messianische Bewegung und dass es sich beim Jesus der Evangelien um keine historische Person handelt, sondern die Verkörperung von Ideen und Gedanken, die erst im 2. Jahrhundert historisch nachweisbar seien. Loman deutete ebenfalls die These an, dass die Paulusbriefe sämtlich unecht seien, was er später in seinen auch international beachteten Quaestiones Paulinae (1882-86)[14] durch die Untersuchung der äußeren Bezeugung wissenschaftlich vertiefte. Er stellte in akribischer historischer Untersuchung fest, dass die paulinischen Hauptbriefe sich vor Marcion nicht belegen lassen und selbst Kirchenvater Justin in der Mitte des 2.Jh. nichts von ihnen weiß oder wissen will.

Loman wurde damit zum Begründer der Holländischen Radikalkritik, die im Gegensatz zur Bibelkritik der Tübinger Schule in Deutschland, auch die Hauptbriefe des Paulus an die Römer, Korinther und Galater, und damit alle 13 Paulusbriefe für nicht authentisch hielt. "Die ganze paulinische Literatur des NT" ist nach Loman "ein Produkt der nach-apostolischen Gnosis und kann erst nach einem recht langen Inkubationsprozess entstanden sein, wovon der Beginn kaum vor 70 angesetzt werden kann". [15]

Auf Grund der Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung plädierte er für eine symbolische Interpretation der Evangelien. Der Verzicht auf einen geschichtlichen Jesus wurde von Loman nicht als Verlust, sondern als Gewinn und Befreiung im Hinblick auf den Glauben gewertet.[16]

Der Begriff Radikalkritik geht auf eine Rezension Lomans über das von Edwin Johnson anonym (richtig?) verfasste Buch Antiqua Mater: a Study of Christian Origins[17] zurück. Loman bezeichnet darin den Verfasser als einen "Radikalen", wie er unter Theologen selten zu finden sei.[18]

Willem Christiaan van Manen (1842-1905)

Willem Christiaan van Manen schrieb sich 1859 als Student an der Universität Utrecht ein, um ein Studium an der Theologischen Fakultät aufzunehmen. Das konservative Arbeitsklima der Fakultät kritisierte er als 22-jähriger in einer eigenen Broschüre scharf.[19] 1865 beschloss er seine Studien mit einer Dissertation in Philosophie über die Authentizität des ersten Thessalonicherbriefes, in der er für Paulus als Verfasser argumentierte.[20] Im selben Jahr veröffentlichte er ein Buch über den 2. Thessalonicherbrief, welchen er als Pseudepigrafie einstufte.[21]

Er edierte und kommentierte zahlreiche frühchristliche Werke (wie z.B. Clemensbriefe und Der Hirte des Hermas). Seine theologische Arbeit in dieser Zeit galt auch der Textkritik, bei der er die letzten Worte der APG 10,36 "dieser ist aller Herr" als Einschub eines späteren Schreibers identifizierte.[22] Erwin Nestle übernahm diese Textkritik in die 13. Ausgabe des bekannten Novum Testamentum Graece, auch bekannt als Nestle-Aland.[23]

Ende 1884 wurde van Manen zum Professor an der Reichsuniversität Groningen berufen. Angeregt durch eine Arbeit von Allard Pierson (1831-1896) und Samuel Adrianus Naber (1828-1913), welche die Paulusbriefe ins 2. Jh. datierten[24], publizierte van Manen 1887 zu dieser drei Artikel[25] und befasste sich eingehender mit der Untersuchung der vier Hauptbriefe des Paulus. Zu diesem Zeitpunkt teilte er noch die Auffassungen der Tübinger Schule über die Echtheit der Paulusbriefe. In weiteren Artikeln begann van Manen dann aber die Widersprüche des Römerbriefes aufzulisten: Einige Stellen würden auf Judenchristen als Adressaten hinweisen, andere auf Heidenchristen. Nach Röm. 7,12 sei das Gesetz heilig, andere Textstellen setzen es dagegen herab.[26] Mit diesen Befunden und dem Festhalten an der Frühdatierung der Briefe in die Mitte des 1. Jh., d.h. deren Echtheit, war für ihn die Frühgeschichte des Christentums nicht mehr nachvollziehbar. Derart unterschiedliche Strömungen innerhalb einer Briefsammlung legten einen längeren Zeitraum von derren Entwicklung nahe.

In September 1888 schrieb van Manen einen Artikel über eine Veröffentlichung des Schweizer Theologen Rudolf Steck. Steck untersuchte in dieser die Beziehungen zwischen Galater- und Römerbrief zum Häretiker Marcion, der in der Mitte des 2. Jh. wirkte.[27] Van Manen überzeugten die Argumente Stecks, die den Schluss nahelegten: Der Galaterbrief wurde verfasst, um Einflüsse des Judentums abzuwehren, und sollte nach dem Jahr 120 datiert werden.[28] Im Ergebnis der Untersuchungen des Galaterbriefes behauptete van Manen als erster, dass die kürzere (marcionitische) Textfassung der längeren katholischen zeitlich vorausgeht. Die katholische, später in die Bibel übernommene Langfassung des Briefes, sei als Überarbeitung eines ürsprünglich kürzeren Textes anzusehen. Die gleiche Ansicht vertrat er auch beim Römerbrief.

Die schwer erklärbaren Widersprüche des sogenannten Paulinismus der Hauptbriefe stellten für van Manen keine plötzliche Erscheinung, sondern das Ende einer langen Entwicklung dar.[29] Für ihn ergab sich daraus die Lösung für ein anderes großes Problem: Die Entwicklung des Christentums im 1. und 2. Jh., mit der er sich mehrere Jahre beschäftigt hatte. Infolge dieser Erkenntnisse enstand sein dreibändiges Hauptwerk Paulus.[30] Gegenstand des ersten Bandes ist die Apostelgeschichte. Deren Verfasser habe den Inhalt aus verschiedenen Werken entlehnt und erst zwischen 125 und 150 niedergeschrieben.[31] Im zweiten und dritten Band werden Argumente für eine Datierung des Römerbriefs sowie der beiden Korinthebriefe auf den Beginn des 2. Jh. dargelegt:[32] Die Verschiedenheit der Addressaten (Röm. 1,5-6; 11,13 in Gegensatz zu Röm. 2,17-29; 4,1);[33] die eine lange Entwicklung nahelegenden theologischen Veränderungen seit den Jüngern von Jesus, welche sich an der sinkenden Bedeutung des jüdischen Gesetzes zeige;[34] sowie die Aussagen zur Christenverfolgung, welche auf eine Zeit nach Nero verweisen würden.[35]

Der zweite Band enthält außerdem ein Kapitel über die Entwicklung des Frühchristentums im 1. und 2.Jh..[36] Danach setzte die eigentliche Geburt des Paulinismus mit der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 und der Entstehung einer liberaleren jüdischen Bewegung ein.[37] Der Paulinismus habe gelernt, seinen eigenen Weg weit abseits vom Judentum zu gehen. Das Festhalten am jüdischen Gesetz sei als altmodisch angesehen worden.[38] Christen konnten "unter der Gnade" leben (Rom. 6,14). Jesus sei nicht der Messias der ersten Jünger gewesen, sondern wurde ein metaphysisches Wesen, der Sohn Gottes.[39] Von da an war es möglich, als Christ Erlösung durch Gottes Gnade zu erhalten, aber nicht mehr durch Gehorsam gegenüber dem Gesetz.[40] Nach van Manens Ansicht stand der Paulinismus in Verbindung mit der Gnosis,[41] deren Vertreter die Freiheit vom Gesetz und den Paulus der Briefe hoch verehrten.[42] Ein 'historischer' Paulus sei offensichtlich lange vorher gestorben, war ein jüngerer Zeitgenosse des Petrus und lebte wie dieser in den Grenzen des Judentums. Wegen seiner Bekanntheit seien die später entstandenen Paulusbriefe mit seinem Namen versehen worden. In diesen fänden sich auch Fragmente und Überarbeitungen älterer Texte. In den Paulusbriefen würden die Meinungen verschiedener christlicher Gruppen aus der Zeit des Entstehungsprozesses des Christentums zum Ausdruck kommen. Letztendlich erscheine die neue Gruppe der Katholiken, welche versuchte in den Diskussionen zwischen Paulinismus und Judaismus zu vermitteln, um die Meinungsdifferenzen zu überwinden.

Albert Kalthoff (1850-1906)

Albert Kalthoff, ein protestantischer Pfarrer in Bremen, trat vor allem durch sein 1902 veröffentlichtes und von der Holländischen Radikalkritik beeinflusstes Buch Das Christusproblem als radikalkritischer Theologe in Erscheinung.

Kalthoff sah die Versuche der zu seiner Zeit mächtigen theologischen Strömung der liberalen Theologie und ihrer "Leben-Jesu-Forschung", einen historischen Jesus aus der Bibel zu destillieren und damit dem Glauben ein historisches Fundament zu geben, als gescheitert an.[43] Seiner Meinung nach wurde die Kirche nicht durch einen Stifter namens Jesus konstituiert, auch nicht durch einen Kanon von vier Evangelien und apostolischen Briefen, sondern umgekehrt: die Kirche sei das Ursprüngliche, die Bibel das Abgeleitete. Die Kirche habe sich durch Auswahl ihren Bibelkanon und damit auch ihr Jesusbild geschaffen. Dennoch seien die Evangelien durchaus

„als Geschichtsquellen zu verwerten; nur sind sie nicht Urkunden der Geschichte eines Individuums, sondern einer sozialen Bewegung, der werdenden katholischen Gesellschaftsordnung.[44]

Die Evangelien sind nach Kalthoff nicht in Palästina, sondern in den jüdischen Diasporagemeinden Roms entstanden, was erkläre, dass einige Gleichnisse und Erzählungen der Evangelien römische und nicht palästinensische Rechts- und Besitzverhältnisse voraussetzen. Nach Rom weise vor allem die Figur des Petrus:

„Petrus ist für die Evangelien fast ebenso wichtig wie Christus. ... Petrus ist unverkennbar die Personifikation der römischen Gemeinde und ihrer weltgeschichtlichen zentralisierenden Tendenz.[45]

Ebenfalls seien die im NT geschilderten Ereignisse um 30 eine Fiktion. Die Evangelien seien statt dessen erst im 2. Jahrhundert entstanden und schildern in historischer Einkleidung Gemeindeverhältnisse dieser Zeit.[46] Für Kalthoff war das neutestamentliche Jesusbild nichts anderes als das historisierte Messiasbild des späten Judentums. Wie sich in dem Gottesknecht des Deuterojesaja das Schicksal Israels spiegele, so spiegele sich in ihm die Geschichte der christlichen Gemeinde selber wider. Das Kreuz Christi sei das Kreuz der im Römischen Reich erstmals unter Trajan verfolgten jüdischen Messiasgemeinden:

„Wie viele Tausende Juden und Sklaven am Kreuze gestorben sein mögen: Der gekreuzigte Christus des Neuen Testaments ist kein einzelner von diesen allen, er ist ihre ideale Zusammenfassung in der Kreuzesgeschichte der Christusgemeinde...[47]

Anfang 1906 übernahm Kalthoff den Vorsitz des Deutschen Monistenbundes. Zur gleichen Zeit versuchten sieben Bremer Pastoren seine "Amtsenthebung wegen Atheismus" durchzusetzen. Kalthoff starb jedoch wenig später.

G.J.P.J. Bolland (1854-1922)

G.J.P.J. Bolland, philosophischer Autodidakt, wurde 1896 an die Universität Leiden berufen. Bolland hat sich von 1891 an bis zu seinem Tode 1922 mit den Ursprüngen des Christentums befassst, wobei sein Inressse sehr stark von philosophischen Fragestellungen bestimmt wurde.

Die (Eine?) Wurzel des Christentums sieht Bolland bei den hellenistisch gebildeten und gnostisch beeinflussten Diasporajuden von Alexandria zu Beginn unserer Zeitrechnung. Diese bildeten möglicherweise nach dem Vorbild der dortigen hermetischen Poimandresgemeinden theosophische Zirkel und waren im Besitz des ursprünglichen Evangeliums, des sog. Ägypterevangeliums (als gnost. sicher das koptische?). Dieses wurde nach Bollands Ansicht zwischen 70 und 100 verfasst, gimg aber bis auf wenige Fragmente verloren. Das Evangelium enthielt in erster Linie die Schilderung eines allegorischen Chrestos (der 'Nützliche' bzw. 'Gute') und dessen Erlösungstat, die aber nicht mehr jüdisch-nationalistisch, sondern als Heilsmysterium gedacht wurden sei. Vor der Zerstörung des Tempels soll der Sohn des höchsten Gottes als Mensch auf der Erde erschienen sein, um vor dem Zerbrechen des Alten Bundes durch sein Opfer einen Neuen Bund mit dem wahren Israel des Geistes zu stiften. Sein Leiden, Sterben und Wiederauferstehen verbürgten das Seelenheil der Gläubigen. Dies könnte man nach Bolland auch als Erklärung theosophischer, kosmopolitischer Juden für die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 sehen: "Nach dem steinernen Tempel muß der Tempel des Geistes kommen".[48] Bolland identifiziert dies als die Grundgedanken des kommenden Christentums.[49]

Die Namen Jesus und Chrestos zeigen nach Bolland deutlich, daß es sich dabei um Verkörperungen von Ideen handelt, welche z.T. schon bei [[Philon von Alexandria] zu finden seien: Jesus = Josua, der Nachfolger des Mose. Der Name bringe das Bewusstsein gnostisch beeinflusster Juden zum Ausdruck, im Besitze größerer göttlicher Weisheit als das übrige Israel zu sein - erst Josua sei der rechte Führer. Während nach Bolland Jesus bzw. der Chrestos vor dem Jahre 70 als reine Mysteriengottheit verehrt wurde, habe er danach erstmals historische Züge bekommen.[50]

Der letzte Schritt von der Allegorisierung eines bisher doketisch gedachten Chrestos hin zur Historisierung der Idee des Gott-Menschen Jesus erfolgte nach Bolland nach dem endgültigen Bruch mit dem nationalen Judentum seit der Zeit von Bar-Kochba ab 135. Dies sei durch den Katholizismus geschehen, bei dem es sich um eine Reaktion auf die Gnosis gehandelt haben soll. Dieser habe dann den Vater von Jesus Christus mit dem jüdischen Schöpfergott des AT identifiziert, so dass die doketischen Stellen des ursprünglichen Evangeliums umgeformt werden mussten. Auch die Gleichsetzung von Chrestos und Christus geschah nach Bolland erst in Rom und war ebenfalls von der Tendenz bestimmt, die ursprünglich gnostische Lehre mit der jüdischen, alttestamentlichen Überlieferung zu versöhnen. So sei schließlich der Schein entstanden, dass die christliche Lehre auf palästinensischem Boden entstanden sei, aber tatsächlich habe sie ihren Ursprung in der Mysterienwelt Alexandriens.[51]

Arthur Drews (1865-1935)

Arthur Drews studierte Germanistik und Philosophie in München und Berlin. 1889 promovierte Drews in Philosophie in Halle und 1896 habilitierte er sich an der Technischen Hochschule Karlsruhe, ohne jedoch eine planmäßige Anstellung zu erhalten.

Die größte Aufmerksamkeit, einschließlich öffentlicher Diskussionveranstaltungen mit Kirchenvertretern, zog sein 1909 erschienenes Werk Die Christusmythe nach sich, in welchem er die Historizität des Jesus der Evangelien bestreitet. In einem zweiten Band setzte er sich 1909 mit seinen Kritikern auseinander.[52] Nach ausführlich Untersuchungen der paulinischen Briefe und synoptischen Evangelien gelangte Drews zu dem Schluss, dass diese infolge von Widersprüchen, Unmöglichkeiten und ihrer Abhängigkeit von alttestamentarischen Vorbildern keine/nur geringe(?) historische Aussagekraft besitzen. Er setzte sich dabei detailliert mit den sehr umfangreichen theologischen und historischen Argumenten der Befürworter der Geschichtlichkeit auseinander und stellte fest, dass die Existenz von Jesus Christus immer a priori vorausgesetzt werde und nie das Ergebnis einer unvoreingenommenen Untersuchung sei.[53][54][55]

Die nichtchristlichen antiken Quellen kommen für Drews als Zeugnisse für einen geschichtlichen Jesus nicht in Betracht. Die betreffende Textstelle bei dem jüdischen Schriftsteller Flavius Josephus sei klar interpoliert, die bei Sueton kann, mit guten Argumenten gestützt, als gefälscht angesehen werden. Nach Analyse der Annalen des Tacitus und deren Geschichte der Christenverfolgung unter Nero kam Drews zu dem Ergebnis, dass die Erzählung in Widerspruch zu anderen Quellen steht und in sich selbst widersprüchlich sei. Darüber hinaus diskutierte Drews die bemerkenswerte Überlieferungsgeschichte dieses Textes, der erst im 15. Jahrhundert auftauchte. Bis dahin sei die ganze Geschichte einer Christenverfolgung unter Nero in keiner anderen Quelle erwähnt worden, sodass Drews zusammen mit Polydore Hochart[56] die Annalen des Tacitus insgesamt für eine Fälschung aus dem 15. Jh. hielt.[57]

Bei seinen Untersuchungen der Paulusbriefe kam Drews zu dem Ergebnis:

„Der Gegensatz zweier ganz verschiedener Anschauungen, der jüdisch-juridischen und der hellenistisch-ethischen oder mystischen, schließt es aus, dass sie das Werk einer und derselben Persönlichkeit sein können. Geht hier wirklich etwas auf einen geschichtlichen Apostel Paulus zurück, so höchstens die Gedanken, die sich auf die erstgenannte Anschauung beziehen. Alles Übrige hingegen ist die Anschauung eines Mystikers aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts.[58]

Für Drews akademische Laufbahn hatte die Christusmythe zur Konsequenz, dass sich eine Berufung nach Bern sowie eine mögliche Verbesserung seiner Stellung in Karlsruhe für lange Zeit zerschlugen.

Drews war auch ein Vertreter der sogenannten Astralmythologie, eine Methode (?), mit der Inhalte von Mythen durch Vergleich mit astronomischen Abläufen sowie den Deutungen der Astrologie erklärt werden. Nach Drews Meinung lässt sich auch die Erzählung des Markusevangeliums auf diese Art interpretieren. Eine Erzählung, die astronomische und astrologische Sachverhalte literarisch nachgebildet, könne aber keine Darstellung historischer Wirklichkeit beanspruchen.[59][60] Urheber der Methode der Astralmythologie war der Franzose Charles François Dupuis[61] Eine Anwendung der Astralmythologie auch auf die Deutung einzelner Evangelien wurde aus dem Befund abgeleitet, dass bei anderen Religionen dieser Zeit astronomische Bezüge klar erkennbar seien. Um diesen Sachverhalt bekannter zu machen, veröffentlichte Drews 1923 eigens sein Buch Der Sternhimmel in Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums. Eine Einführung in die Astralmythologie.

1924 versuchte Drews mit seinem Spätwerk Die Entstehung des Christentums aus dem Gnostizismus die seiner Meinung nach synkretistische Genese und Struktur des Christentums, d.h. dessen völlige Abhängigkeit von den unterschiedlichsten religiösen und mythischen Überlieferungen nachzuweisen.

Gustaaf Adolf van den Bergh van Eysinga (1874-1957)

G.A. van den Bergh van Eysinga studierte ab 1893 an der Universität Leiden Theologie. Er war u.a. Schüler des Philosophen und Hegel-Spezialisten G.J.P.J. Bolland sowie des neutestamentlichen Exegeten und Theologen Willem Christiaan van Manen, bei dem er 1901 promovierte. Seit 1904 war er als Privatdozent an der Rijksuniversiteit Utrecht tätig. Von 1936 bis 1944 trat er als Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Universität Amsterdam die Nachfolge von Daniel Plooy (1877–1935) an.

In seinen exegetischen Schriften kritisiert van den Bergh van Eysinga die Position der liberalen Jesusforscher, deren Methode er als "Abzugsmethode" bezeichnet. Um die Historizität des Menschen Jesus von Nazaret zu retten, würden dessen Züge, die sich nicht „natürlich“ erklären ließen (wie z.B. Jungfrauengeburt, Naturwunder, Wunderheilungen usw.), willkürlich eliminiert. Das Problem dieser Methode bestehe darin, dass sie unreflektiert eine geschichtliche Grundlage der Evangelien voraussetze und deren rein dogmatischen Charakter verkenne. Der Jesus der Evangelien sei keine mythisierte Historie, sondern historisierter Mythos. Die "Geschichtlichkeit" diene als Staffage und sei kirchliches Dogma, aber kein historisches Faktum. Nicht der Zimmermannssohn Jesus von Nazaret habe am Anfang der christlichen Geschichte gestanden, sondern der Mythos einer vom höchsten Gott auf die Erde gesandten, sterbenden und wiederauferstehende Heilandsgestalt. Dieser Erlösungsmythos soll in Alexandrien entstanden sein und die Grundlage für den Inhalt des ältesten Evangeliums gebildet haben, das noch keine historischen Angaben enthielt. Der Historisierungsprozess habe erst Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom begonnen. Dort wurde der gnostische Heiland in einen jüdischen Messias verwandelt und mit pseudohistorischen Attributen versehen. Dafür soll vor allem das stadtrömische Judenchristentum verantwortlich gewesen sein, welches zumal durch Einbringung des Alten Testaments die Grundlinien von dessen Lebensgeschichte von Bethlehem bis Golgata festsetzte. Altes Testament und stoische Philosophie hätten am Ende jenes Bild des Menschen Jesus geschaffen, dessen die Kirche bedurfte, um sich gegen die doketische Verflüchtigung der Christusgestalt durch die Gnosis zu wehren. Zugleich blieb sie damit für die Masse der Gläubigen attraktiv, die mit einer menschlichen Heilandsgestalt mehr anzufangen wusste als mit einem rein metaphysischen Wesen.[62]

Mit seiner Kritik der Paulusbriefe setzte van den Bergh van Eysinga die Arbeit seines Lehrers W.C. van Manen und die des Amsterdamer Theologen A.D. Loman fort. Wie diese beiden holländischen Professoren weist auch van den Bergh van Eysinga auf das Fehlen äußerer Zeugnisse (argumenta externa) für die Existenz von Paulusbriefen im 1. Jahrhundert hin. Außerdem fänden diese – abgesehen von anderen Quellen, die ebenfalls schwiegen – weder in der Apostelgeschichte noch beim Vertreter der römischen Kirche Justin (Mitte des 2. Jh.) Erwähnung. Die biographischen Angaben der Apostelgeschichte über Paulus stünden mit denen der Briefe in Widerspruch und seien fiktiv. Der 1. Clemensbrief und die Ignatiusbriefe werden (mit den Wissenschaftlern der Tübinger Schule) als unecht verworfen. Bei den Paulusbriefen soll es sich um pseudepigraphische Schriften aus dem Umfeld des aus der Kirche ausgeschlossenen Häretikers Marcion handeln. Das zeige vor allem der marcionitische Text der Briefe, der aus den Schriften der Kirchenväter rekonstruiert werden könne. Er enthalte in der Regel ältere und ursprünglichere Lesarten als die kanonische Version bzw. der Textus receptus. "Paulus" ist für van den Bergh van Eysinga eine Symbolgestalt des Marcionitismus, der mit Hilfe pseudepigraphischer Schriften seine Theologie und Lehre in die apostolische Vergangenheit des ersten Jahrhunderts projizierte, um sich in den theologischen Kämpfen des 2. Jh. zu behaupten. Später habe sich die protoorthodoxe Kirche das literarische Erbe des Marcionitismus angeeignet und in ihrem Sinne überarbeitet.[63]

In der Zeit von 1901-1936 war van den Bergh van Eysinga in der Nederlandse Hervormde Kerk als Gemeindepfarrer tätig. Die Leugnung der Existenz Jesu stand für ihn nicht im Widerspruch zu seiner Tätigkeit als Kanzelredner. Die entscheidenden Inhalte der christlichen Verkündigung könnten nach seiner Auffassung auch ohne die vorausgesetzte Annahme eines historischen Jesus verständlich gemacht und mit Hilfe einer rein symbolischen Auslegungsmethode erschlossen werden.

Hermann Raschke (1887-1970)

Hermann Raschke studierte von 1910-1914 an den Universitäten Marburg und Berlin. Nach Ablegung seiner Prüfungen in Hamburg arbeitete er ab 1917 als Pastor in Bremerhaven und veröffentlichte verschiedene eigene Arbeiten. Im Mittelpunkt seiner theologisch-philosophischen Untersuchungen stand u.a. die Wandlung des Logos-Begriffes von der Antike bis zum Neuplatonismus, wobei er feststellte:

„...daß das Grundmotiv der ganzen antiken Philosophie die Arbeit am Logos-Begriff ist und daß dieser eine ganz klare Entwicklung durch alle Systeme von Heraklit bis Plotin durchgemacht hat, aus dem Klassischen der Ausgangsstellung bis ins Romantische des Neuplatonismus und der Gnosis. Und wenn die älteste kirchliche Soteriologie auf der Gleichung Jesus-Logos beruht, so sah ich nun, daß es beim späten Dionysos- und Herakles-Mythos nicht anders ist. Ich kam zu der Ansicht, daß der Übergang von der Soteriologie der ausgehenden Antike zur christlichen Soteriologie eine durchaus organische Entwicklung ist im Sinne von Schelling: Jesus Christus ist Gipfel und Ende der alten Götterwelt und ist der letzte Gott. In dieser Ansicht wurde ich bestärkt dadurch, daß es eine Reihe gnostischer Beweisstücke gibt, wonach der Name „Jesus" aus dem Hebräischen übertragen an sich schon die beiden Inhalte der griechischen und alexandrinischen Spekulation, nämlich „das Sein" und „das Heil" in eins zusammenfaßt und daß aus diesem Grunde der Nimbus um das Haupt des Ikonen-Christus der östlichen Kirche bis heute die Inschrift ho ôn, der Ewig-Seiende, trägt. Damit war der Weg frei zu meiner These: Jesus Christus ist die Gottheit der Gnosis. Schon während meiner Beschäftigung mit der Frage nach dem ersten Zeugnis über das Markus-Evangelium und dann, in welchem Kreise es zuerst auftaucht, war mir seine nahe Beziehung zur markionitischen Gnosis aufgefallen.[64]

Raschke befand:

„... daß das Markus-Evangelium ein gnostisches Evangelium aus der Partei der Markioniten ist.[65][66]

Über die Annahme eines historischen Jesus und zu Thesen von Arthur Drews äußerte sich Raschke 1954 wie folgt:

„Und das Christentum wäre überhaupt keine Religion und hätte niemals den Sieg über die hohe antike Metaphysik davongetragen, wenn es das wäre, als was Harnack und der historische Positivismus es uns darstellte: Es war einmal ein Mann namens Jesus. So sehr mich aber in der Folgezeit die Diskussion über die profangeschichtlichen Zeugnisse vom Leben Jesu (Tacitus, Sueton, Josephus), die heute theologischerseits preisgegeben werden, damals an die Seite von Arthur Drews drängte, so wenig befriedigte mich sein eigener Versuch, Jesus als eine Gestalt aus dem Sonnenmythos zu erklären...[67]

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Arbeiten

  • Werkstatt des Markus-Evangelisten 1923
  • Römerbrief des Markion 1926
  • Orte und Wege Jesu, Pariser Vortrag 1927
  • Der innere Logos im antiken und deutschen Idealismus 1949 Metaphysizierung. Ein Wort zur These Rudolf Bullmanns 1953 Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, V. Jahrg. Heft 2

Hermann Detering (1953)

Hermann Detering studierte Germanistik, Altphilologie und Theologie. 1991 promovierte er zum Thema: die holländische Radikalkritik. Er gilt als bedeutender Vertreter und profunder Kenner der Radikalkritik.

Paulinen: über van Manen hinausgehend die gesamte Briefsammlung in ihrer marcionitischen kurzen Textfassung vor der katholischen Langfassung; Simon Magnus als Vorlage für Figur Paulus

Detering hat sich auch ausführlich mit den außerchristlichen antiken Quellen zu Jesus von Nazareth auseinandergesetzt. Von den meist auf sechs bezifferten Quellen weisen für ihn nur vier einen erkennbaren Bezug zum gesuchten Jesus von Nazareth auf (wie selbst konservative Theologen[68]eingeräumt haben):

  • eine Textstelle in den Annalen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus

Tac Ann 15, 44 basiert auf einem Abschnitt aus den Chronicorum libri des Sulpicius Severus 2,2 (neu)

  • ein Briefbericht des römischen Statthalters Plinius d.J. an Kaiser Trajan und dessen Antwort

Das ganze zehnte Buch der Briefe des jüngeren Plinius ist in Wahrheit eine Fälschung aus der Renaissance; es handelt sich um ein Werk des Theologen, Antiquars und Architekten Jucundus Veronensis bzw. Fra Giocondo. (neu)

Der Abschnitt über Nero 16, 2 in Suetons Kaiserbiographien wurde christlich überarbeitet (S. 137-141). (neu)


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„Wer historisch nach Jesus fragt, sucht nicht nach einer historischen Person, sondern nach dem Ursprung eines historischen Phänomens. Mit anderen Worten, wer historisch nach Jesus fragt, bekennt sich zu einem methodischen Zweifel, der auch die radikale Skepsis an der Existenz der historischen Person Jesus von Nazareth in sich einschließt. (http://www.radikalkritik.de/Hist_n_J_fragen.htm)“

„Denn wenn die oben angedeutete Revision der Datierung der kanonischen Evangelien [ins 2. Jh.] tatsächlich zutreffen sollte, gäbe es historisch gesehen keine Gründe mehr, das „orthodoxe“ synoptische Jesusbild als das ursprünglichere den anderen „häretischen“ vorzuziehen. Dann könnte theoretisch das häretische Jesusbild genauso authentisch und ursprünglich sein wie das der Synoptiker. Für unsere historische Frage nach Jesus ergäbe sich daraus, daß der gesuchte Jesus nicht in unserem modernen Sinne historisch sein kann (so real er in den Augen seiner Anhänger auch erschienen sein mag) und daß der davon abgeleitete synoptische Jesus kein historischer, sondern nur ein historisierter ist. Der „historische Jesus“ wäre daher zu keiner Zeit ein irgendwie geschichtlich existentes Faktum gewesen, sondern immer nur das Dogma der Orthodoxen.(http://www.radikalkritik.de/Hist_n_J_fragen.htm)“


„Die von Theologen präsentierten nichtchristlichen Jesuszeugnisse sind also im höchsten Maße der christlichen Manipulation verdächtigt. Historisch betrachtet sind sie Beispiele für die seit dem 2./3. Jh. um sich greifende Tendenz, dem Inhalt des christlichen Glaubens eine konkrete historische Gestalt zu geben[69]...
Mit Ihrer Hilfe kann weder die Historische Gestalt Jesus von Nazaret noch die Existenz eines frühen Christentums im 1. Jh. bewiesen werden.[70] (Kursiv im Orig.)“

Robert M. Price (1954)

Robert M. Price erwarb 1978 einen Master für Neues Testament am Gordon-Conwell Theological Seminary in South Hamilton (USA). 1981 promovierte er zum Dr. Phil. für Systematische Theologie und 1993 für Neues Testament. Price arbeitete als Professor für Religion am Mount Olive College, North Carolina und als Pastor an der baptistischen Gemeinde Montclair, NJ, sowie als Direktor des Metro NY Center for Inquiry. Heute arbeitet Price als Professor für Theologie und Scriptural Studies am Johnnie Colemon Theological Seminary und als Professor für Biblical Criticism am Center for Inquiry Institute in Amherst, NY. Er gehört dem sogenannten Jesus-Seminar an.

Price gilt als amerikanischer Vertreter der Jesus-Mythos-Hypothese. Das Grundmuster der neutestamentlichen Traditionen über Tod und Auferstehung Jesu geht nach seiner Meinung auf die Mythen der im antiken Mittelmeerraum verbreiteten Mysterienreligionen mit ihren sterbenden und auferstehenden Gottheiten (Attis, Adonis, Dionysos, Osiris u.a.) zurück. Dieses Grundmuster sei in den Evangelien um weitere volkstümliche Motive (Jungfrauengeburt, Heilungs- und Wundererzählungen u.a.) sowie um alttestamentliche Midrasch-Umarbeitungen und andere antike Literaturanleihen (Josephus, Homer) erweitert worden. Wie Price in seinem Buch Deconstructing Jesus zeigt, könnten darüber hinaus auch noch biografische Züge jüdischer Messiasprätendenten in das Bild Jesu eingearbeitet worden sein. Insgesamt sei die Gestalt des neutestamentlichen Jesus eine Variante des auch in vielen anderen Mythen und Erzählungen anzutreffenden Archetyps des „mythischen Heros“. Die Frage, ob ihr ein historischer Kern zugrunde liegen könnte, wird von Price nicht definitiv entschieden: "Es könnte eine reale Gestalt existiert haben, aber man kann sich dessen einfach nicht länger sicher sein."[71]

Auch in Bezug auf Paulus vertritt Robert M. Price einen radikalkritischen Ansatz. Nach seiner Meinung stammt kein einziger Text der unter dem Namen des Apostels überlieferten Schriften aus der Feder des Mannes, den die kirchliche Tradition Paulus nennt. Die Gestalt des Paulus sei legendarisch; die Schicksale der frühen Kirche wurden von anderen Kräften und Personen bestimmt. Die paulinischen Briefe haben vielfach marcionitischen Hintergrund und gehören zeitlich in das 2. nachchristliche Jahrhundert.[72]

Kritik und Rezeption

(Friedrich Engels, Karl Kautsky, Albert Schweitzer)


zu Bruno Bauer:

Die Berliner theologische Fakultät setzte voraus: "Der christliche Glaube geht von historischen Thatsachen aus und hängt daher von der Anerkennung der Realität dieser Thatsachen ab" "1. Der Verfasser setzt an die Stelle des historischen Christentums ein ideales, nicht aus dem göttlichen Worte der heiligen Schrift, sondern von dem Standpunkte seiner wilden phantastischen Spekulation willkürlich gebildet."

Wenn dieser die evangelische Geschichte als eine Allegorie betrachtet, in welcher sich das Bewußtsein der Gemeinde reflektiert, arbeitet er nach einer unwissenschaftlichen Methode1. Seine Anmaßung und Naseweisheit werden getadelt1

Zu Ungunsten Bauers legt die Breslauer Fakultät den Nachdruck auf dessen verächtliche und wegwerfende Art über Theologen und sogar über die Evangelisten zu schreiben; ihrer Meinung nach wird das Christentum durch die Hypothesen von Strauss und Bauer der subjektiven Willkür ganz preis gegeben.1

1 Gutachten der Evangelisch-theologischen Facultäten der Königlich. Preußischen Universitäten über den Licentiaten Bruno Bauer in Beziehung auf dessen Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker. Im Auftrage des vorgesetzten Hohen Ministeriums herausgegeben von der Evangelisch- theologischen Facultät der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität. Berlin, bei Ferdinand Dümmler, 1842, S. III.

"Was ist geschehen?... Vor 1800 Jahren ist es geschehen, daß- nichts geschah. Dies ist wirklich im Grunde der ganze Rest der Geschichte, den Bruno Bauer uns übrig läßt"[73]

Marheineke nennt es ein Hauptverdienst Bauers, daß er die Schwächen und Blößen der neueren Exegeten und Kritiker nachgewiesen hat[74]

zu Pierson:

Loman rezensierte Piersons Bergrede. Sein Urteil: Der von Pierson eingeschlagene Weg ist verkehrt! Loman wirft seinem Kollegen methodische Fehler vor und bezeichnet seine Charakteristik des Galaterbriefes als eine Karikatur, die dieser wie Lucilius seine Verse stans pede in uno innerhalb von zwei Minuten zu Papier gebracht zu haben scheine.[75] Nur kurze Zeit später übernimmt Loman die Überlegungen Piersons.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Van den Bergh van Eysinga, Loman na zestig jaren, in: Nieuw Theologisch Tijdschrift 1942, S. 18-19.
  2. Van den Bergh van Eysinga, De radicale critiek in het gedrang? in: Godsdienstwetenschappelijke Studiën V, 1954, S. 4f — Die holländische radikale Kritik des Neuen Testaments, 1912, S. VIf,
  3. Schweitzer: „Ultra-Tübinger“, Geschichte der paulinischen Forschung, 2. Aufl. 1912, S. 101, 102 u.ö.
  4. Bruno Bauer: Kritik der evangelischen Geschichte des Johannes. Schünemann, Bremen 1840 Digitalisat
  5. Bruno Bauer: Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker (Leipzig 1841–1842, 3 Bde.)
  6. Bruno Bauer: Die gute Sache der Freiheit und meine eigene Angelegenheit, Zürich und Winterthur, Verlag des literarischen Comptoirs, 1842, S.128
  7. ebenda S.129
  8. ebenda, S.181f
  9. Kritik der paulinischen Briefe, Verlag August Hempel, Berlin 1850-1852
  10. Christus und die Cäsaren. Der Ursprung des Christentums aus dem römischen Griechentum. Grosser, Berlin 2. Aufl. 1879, S.381
  11. Bruno Bauer: Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft 1840
  12. Gutachten der Evangelisch-theologischen Facultäten der Königlich. Preußischen Universitäten über den Licentiaten Bruno Bauer in Beziehung auf dessen Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker. Im Auftrage des vorgesetzten Hohen Ministeriums herausgegeben von der Evangelisch- theologischen Facultät der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität. Berlin, bei Ferdinand Dümmler, 1842
  13. Pierson, A.: De Bergrede en andere synoptische Fragmenten, 1879, S.103.
  14. Quaestiones Paulinae in Theologisch Tijdschrift, 1882-86
  15. A.D. Loman in Quaestiones Paulinae, in: Theologisch Tijdschrift 17, 1883, S.47.
  16. A.J. Allan: Een vergeten hoofdstuk: de Radicalen. Übersetzung aus dem Niederländischen von F.J.Fabri
  17. Antiqua Mater: A Study of Christian Origins, 1887 (PDF; 656 kB)
  18. A.D. Loman in Theologisch Tijdschrift 21, 1887, S.597/603.
  19. W.C. van Manen: Een woord over Utrechtse Theologie, Utrecht 1864
  20. W.C. van Manen: Onderzoek naar de echtheid van Paulus’ eersten brief aan de Thessalonicensen, Weesp 1865.
  21. W.C. van Manen: Onderzoek naar de echtheid van Paulus’ tweeden brief aan de Thessalonicensen, Utrecht 1865
  22. W.C. van Manen: Conjecturaal-kritiek, toegepast op den tekst van de schriften des Nieuwen Testaments Haarlem 1880, s.238
  23. Erwin Nestle: Novum Testamentum Graece, Stuttgart 1927
  24. A. Pierson, S.A. Naber: Verisimilia. Laceram conditionem Novi Testamenti exemplis illustrarunt et ab origine repetierunt, Amsterdam 1886
  25. Paulus Episcopus in Bibliotheek van moderne theologie en letterkunde 7, 1887,S. 605-644; Een brief over de Verisimilia in De Nederlandsche Spectator, 1887, S.71-72; Hoe te oordelen over de methode ter verklaring van Paulinische brieven, door de HH. Pierson en Naber aanbevolen in de Verisimilia? in Bijblad van de Hervorming 13-7-1887, S. 49-58.
  26. Nieuwtestamentische Letterkunde, De Tijdspiegel 1888 vol. III, 403-404.
  27. Rudolf Steck: Der Galaterbrief nach seiner Echtheit untersucht nebst kritischen Bemerkungen zu den paulinischen Hauptbriefen. Berlin 1888.
  28. W.C. van Manen: De hoofdbrieven van Paulus in De Tijdspiegel 1889 I, S.334-335.
  29. ebenda, S.424
  30. W.C. van Manen: Paulus, Leiden I 1890; II 1891; III 1896.
  31. W.C. van Manen: Paulus I, Leiden 1890, S.164
  32. W.C. van Manen: Paulus II, Leiden 1891, S.303
  33. ebenda, S.24-25
  34. ebenda, S.126
  35. ebenda, S.170-171
  36. ebenda, S.288-296
  37. ebenda, S.292-293
  38. ebenda, S.126
  39. ebenda, S.136
  40. ebenda, S.215
  41. ebenda, S.228.295
  42. ebenda, S.295
  43. Albert Kalthoff: Das Christus-Problem. Grundlinien zu einer Sozialtheologie. Leipzig 1902.
  44. ebenda
  45. ebenda
  46. ebenda
  47. Albert Kalthoff: Die Entstehung des Christentums. Neue Beiträge zum Christusproblem, Leipzig 1904
  48. ?
  49. De Evangelische Jozua 1907; PDF (211 kB)
  50. ebenda
  51. ebenda
  52. Die Christusmythe. Zweiter Teil. Die Zeugnisse für die Geschichtlichkeit Jesu. Eine Antwort an die Schriftgelehrten mit besonderer Berücksichtigung der theologischen Methode., Jena 1911
  53. Arthur Drews: Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu. Jena 1921
  54. Arthur Drews: Hat Jesus gelebt?. Lenz, Neustadt 1994, ISBN 3-9802799-6-0 (Repr. d. Ausg. Mainz 1924)
  55. Arthur Drews: Die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu in Vergangenheit und Gegenwart, Braun, Karlsruhe 1926 Online-Ressource
  56. Polydore Hochart: De l’authenticité des Annales et des Histoires de Tacite, 1890; Teilübersetzung aus dem Französischen
  57. Arthur Drews: Die Christusmythe. Zweiter Teil. Die Zeugnisse für die Geschichtlichkeit Jesu. Eine Antwort an die Schriftgelehrten mit besonderer Berücksichtigung der theologischen Methode
  58. Arthur Drews: Die Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu in Vergangenheit und Gegenwart, Braun, Karlsruhe 1926 Online-Ressource
  59. Arthur Drews: Das Markusevangelium als Zeugnis gegen die Geschichtlichkeit Jesu, 1921, 2. Auflage 1928
  60. Arthur Drews: Der Sternhimmel in Dichtung und Religion der alten Völker und des Christentums, 1923
  61. Charles François Dupuis: L'origine de tous les cultes, ou la réligion universelle, 1794
  62. Der Abschnitt folgt im Wesentlichen den Darstellungen des Buches Lebt Jesus? – oder hat er nur gelebt? – Frühchristliche Studien, hrsg. von Hermann Detering und Frans-Joris Fabri, BoD, Norderstedt 2011. ISBN 978-3-8391-6701-4
  63. Zusammenfassung im Wesentlichen auf der Grundlage von: Marcion als getuige voor een voorkatholiek christendom, in: G.A. van den Bergh van Eysinga (Hrsg.), Godsdienstwetenschappelijke Studiën XVIII, Haarlem 1955, S.5-39 (Teil I.), XIV, Haarlem 1956, S.3-28 (Teil II.)
  64. Hermann Raschke: Das Christusmysterium, Persönliches Nachwort, S.360-364, 1954
  65. ebenda
  66. Hermann Raschke: Werkstatt des Markus-Evangelisten, 1923
  67. Hermann Raschke: Das Christusmysterium, Persönliches Nachwort, S.360-364, 1954
  68. Chilton, Bruce, Evans, Craig A.: Studying the historical Jesus, 1998, S.443-478
  69. ebenda, S.184
  70. ebenda, S.183
  71. Robert M. Price: Deconstructing Jesus, Prometheus Books, 2000, ISBN 1-57392-758-9
  72. Robert M. Price: The Amazing Colossal Apostle: The Search for the Historical Paul, 2012, Signature Books ISBN 1-56085-216-X
  73. August Ebrard über Bauers Kritik der Synoptiker in Wissenschaftliche Kritik der evangelischen Geschichte, 1842, S.812
  74. August Ebrard über Bauers Kritik der Synoptiker in Wissenschaftliche Kritik der evangelischen Geschichte, 1842, S.812
  75. Loman, Bijdragen enz. De synoptische quaestie en de methode harer behandeling naar aanleiding van Dr.A. Piersons geschrift over de Bergrede, in: Theologisch Tijdschrift, 1879, S. 181.