Ausflaggung
Unter Ausflaggung ist in der Schifffahrt der Wechsel der Nationalflagge zu verstehen, ohne dass sich die Eigentumsverhältnisse am Schiff ändern. Gegenbegriffe sind Rückflaggung und Einflaggung.[1]
Schifffahrt
Geschichte
Schiffsregister im heutigen Sinn kamen erstmals ab 1660 in Großbritannien als Folge der Navigationsakte von 1651 auf, die geschichtlichen Wurzeln für das Führen einer anderen Flagge, um einen Vorteil für das betreffende Schiff zu erreichen, reichen jedoch erheblich weiter zurück. Älteste Belege des Ausflaggungsprinzips lassen sich schon für die Zeit des Römischen Reiches[2] und das Mittelalter finden. Weitere historische Beispiele für diese Praxis finden sich aus der Zeit des spanischen Monopolhandels in der Karbik, der von britischen Händlern durch Nutzung der spanischen Flagge umgangen wurde oder im 17. Jahrhundert bei britischen Fischern vor Neufundland die die französische Flagge nutzten, um britische Verbote zu umgehen. Napoleons Kontinentalsperre umgingen deutsche Schiffseigner ebenso durch Ausflaggen, wie US-amerikanische Händler, die ihre Schiffe während des Britisch-Amerikanischen Krieges unter portugiesische Flagge brachten, um Probleme mit den Briten zu umgehen. Auch im Rahmen des transatlantischen Sklavenhandels wurde häufig das Ausflaggen genutzt, um entsprechende Verbote auszuhebeln.[3][4]
Die Urprünge der heutigen Ausflaggungspraxis gehen auf die Zeit, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zurück, als zuerst Panama und kurz darauf Honduras offene Schiffsregister eröffneten.[5] Schon August 1919 wurde während der Prohibition ein Alkoholschmuggelfall mit der von Kanada nach Panama ausgeflaggten Belen Quezada bekannt. Anfang der 1920er Jahre flaggten US-Reeder die großen Passagierschiffe Reliance und Resolute zur Umgehung der US-amerikanischen Prohibitionsbestimmungen nach Panama aus. Zur selben Zeit begann die United Fruit Company, Fruchtschiffe unter der Flagge Honduras' zu betreiben.[6] In den 1930er Jahren begannen auch griechische Reeder, Schiffe in größerer Zahl in Panama zu registrieren. Während des Bürgerkriegs in Spanien wurde eine Reihe spanischer Schiffe nach Panama ausgeflaggt und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nutzten die Vereinigten Staaten die Registrierung in Panama, um trotz ihrer Neutralität Waffentransporte an kriegsbeteiligte Nationen durchzuführen.[3]
Die Praxis des Ausflaggens im größeren Rahmen begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der ehemalige US-amerikanische Außenminister Edward Stettinius Jr. und der Staatspräsident von Liberia, William S. Tubman initiierten 1947 die Gründung eines offenen liberianischen Schiffsregisters, das in New York unter dem Vorsitz von Stettinius geführt wurde und in einer Vielzahl an Regelungen dem US-amerikanischen Register glich. Das erste registrierte Schiff war die World Peace. Im Jahr 1967, keine zwanzig Jahre nach Gründung, löste Liberia das britische Register als größtes der Welt ab.[3]
Heutige Situation
Der Wechsel in ein offenes Schiffsregister wird heute üblicherweise durchgeführt, um Kosten zu sparen. Gespart wird vor allem an den Heuern, welche durch die zum größten Teil geringere Besteuerung in den Billigflaggenstaaten, geringere Lohnkosten bei den Reedereien erzeugen, aber auch durch meist geringere Sozialleistungen für die Besatzungsmitglieder (festgelegt durch das jeweilige Lohntarifsystem). Auch die Sicherheits- und Besetzungsstandards eines Teils der Billigflaggenstaaten sind oft einfacher, und damit kostengünstiger einzuhalten. Die Besetzungsordnungen der meisten Erstregisterstaaten (in Deutschland beispielsweise die Schiffsbesetzungsordnung), die einen Standard für Zahl und Qualifikation der Besatzungsmitglieder festlegen, sind relativ streng.
Auch Binnenstaaten führen Schiffsregister. Zweigstellen der Reedereien in Ländern mit Billigflagge werden gelegentlich mit Briefkastengesellschaften verglichen.
Rochdale-Kriterien
Eine britisches Untersuchungskommittee legte 1970 die sogenannten Rochdale-Kriterien (ochdale Criteria) fest, um zu entscheiden, ob ein Schiff eine sogenannte „Billigflagge“ (auch „Gefälligkeitsflagge“, „Schattenflagge“, englisch "flag of convenience") führt:
- der Flaggenstaat erlaubt anderen Staatsangehörigen das Eigentum und den Betrieb,
- Zugang und Verlassen des Schiffsregisters sind einfach,
- die Steuern auf den Ertrag des Schiffes sind niedrig oder nicht vorhanden,
- der Flaggenstaat benötigt den registrierten Schiffsraum nicht für seine eigenen Zwecke, sondern ist an den Gebühren der registrierten Tonnage interessiert,
- es müssen kaum oder keine Staatsangehörigen des Flaggenstaates auf dem Schiff beschäftigt werden,
- der Flaggenstaat hat nicht Mittel oder den Willen, eigene oder internationale Regeln gegenüber dem Schiffseigner durchzusetzen.
Genuine Link
Ob ein Schiff eine Billigflagge führt, muß laut einer regierungsübergreifenden Arbeitsgruppe zum Seerechtsübereinkommen an der Frage einer echten Verbindung (Genuine Link) zwischen Schiff und Flagge festgemacht werden. Das Vorhandensein dieser echten Verbindung ergibt sich aus folgenden Kriterien:
- das Handelsschiff trägt zur Wirtschaft des Flaggenstaates bei,
- Kauf und Verkauf des Schiffes sowie Umsätze und Ausgaben des Schiffsbetriebs können als Bestandteil des Haushalts des Flaggenstaates angesehen werden,
- es werden Staatsangehörige des Flaggenstaates auf dem Schiff beschäftigt,
- das wirtschaftliche Eigentum am Schiff ist dem Flaggenstaat zuzuordnen.
ITF-Kritik an der Ausflaggung
Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) führt eine Liste der Länder mit Billigflagge. Nach ihren Angaben fuhr die Mehrzahl der in Havarien verwickelten Schiffe 2001 unter einer solchen Billigflagge, die allerdings auch einen erheblichen Anteil an der Welthandelsflotte stellen. Daneben setzt sich die ITF für die unter einer Billigflagge fahrenden Besatzungen ein und versucht Tarifverträge auszuhandeln.
Momentan (März 2015) werden folgende Flaggen von der ITF als Billigflaggen geführt[7]:
Antigua und Barbuda
Äquatorialguinea
Bahamas
Barbados
Bermuda
Belize
Bolivien (Binnenstaat)
Deutschland (Internationales Zweitregister)
Färöer
Frankreich (Internationales Zweitregister)
Georgien
Gibraltar
Honduras
Jamaika
Kaimaninseln
Kambodscha
Komoren
Liberia
Libanon
Malta
Mauritius
Moldau (Binnenstaat)
Myanmar
Marshallinseln
Mongolei (Binnenstaat)
Niederländische Antillen
Nordkorea
Panama (zur Zeit die größte Handelsflotte überhaupt)
São Tomé und Príncipe
St. Vincent und die Grenadinen
Sri Lanka
Tonga
Vanuatu
Zypern
Straße
Das Ausflaggen hat im Landstraßen-Güterverkehr bereits Schule gemacht. Deutsche Speditionen lassen ihre Fahrzeuge im Ausland zu, z. B. auf Zypern.
Luftfahrt
Ebenso findet sich das Ausflaggen in kleinem Maße auch in der Luftfahrt. Hier wird im strengen Sinne darunter verstanden, dass das vom Luftfahrzeug geführte Staatsangehörigkeitszeichen nicht mit der Nationalität des wirklichen Betreibers übereinstimmt.
Gründe sind z. B.
- die Verlagerung von Kosten/Gewinnen in steuerlich günstige Gebiete,
- unterschiedliche Zulassungs- und Wartungsmodalitäten.
- Geleaste Flugzeuge verbleiben im Eigentum des Leasinggebers und werden somit auch am Firmensitz des Leasinggebers in die Luftfahrzeugrolle eingetragen.
Beispiele für das Ausflaggen in der Luftfahrt
- Der Firmen-Jet der Volkswagen AG ist über die Tochterfirma Volkswagen Air Service auf den Kaimaninseln registriert und trägt somit das Luftfahrzeugkennzeichen VP-CVX.
- Viele Halter kleinerer, nicht gewerblich genutzter Maschinen lassen diese gerne in den Vereinigten Staaten registrieren, da die Wartungsvorschriften dort unbürokratischer sind. So kennen die USA die Möglichkeit, dass der Halter – für ausschließlich von ihm genutzte Flugzeuge – die Wartung selbst anstelle eines luftfahrttechnischen Betriebes vornehmen kann.
- Viele Maschinen russischer Fluggesellschaften, die nicht in Russland gebaut wurden, sind aufgrund von Leasingverträgen bzw. zur Umgehung von Importzöllen im Ausland, beispielsweise in Frankreich, Irland, Deutschland oder auf den Bahamas registriert.
Personalpolitische Definition des Ausflaggens
Umgangssprachlich wird aber auch im gewerkschaftlichen Bereich von Ausflaggen gesprochen, wenn Flugzeuge eines Luftverkehrsunternehmers von betriebsfremdem Personal bereedert werden oder ganz von einem Subunternehmer in den Farben, auf den Routen und teilweise unter dem Rufzeichen des Auftraggebers operiert werden. Hierbei ist meist die primäre Motivation, Unterschiede in Tarifverträgen und Kostenstrukturen auszunutzen, in einigen Fällen wird auch ausgeflaggt, um bereederungsbedingte Engpässe in extremen Wachstumssituationen auszugleichen.
Schienenverkehr
Einige deutsche Privatbahnen, darunter die HGK, lassen ihre Güterwagen in der Slowakei, Rumänien oder Bulgarien zu. Grund dürften einfachere und billigere Zulassungsformalitäten in diesen Ländern sein. Aufgrund der RIV-Fähigkeit sind diese Wagen unabhängig vom Land ihrer Registrierung europaweit einsetzbar.
Weblinks
- Zur Ausflaggung von Lastkraftwagen
- Zur Ausflaggung von Schiffen
- Die größten Handelsmarinen im CIA World Fact Book
- Deutscher Bundestag: Bericht "Flaggenrechtsgesetz wird geändert" vom 24. Oktober 2012 zur Änderung des deutschen Ausflaggungsrechtes
Fußnoten
- ↑ Homepage des Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
- ↑ Z Oya Özçayir: Flags of Convenience and the Need for International Co-operation, In: International Maritime Law, Vol. 7, Nr. 4, Mai 2000, S. 111-117.
- ↑ a b c A.K. Febin: Evolution of Flags of Convenience, Shipping Law Notes, 4. Dezember 2007.
- ↑ Boleslaw Adam Boczek: Flags of Convenience: An International Legal Study, Harvard University Press, Cambridge, 1962, S. 8.
- ↑ Boleslaw Adam Boczek: International Law: A Dictionary, Dictionaries of international law, Ausgabe 2, Scarecrow Press, 2005, S. 280.
- ↑ Jane Marc Wells: Vessel Registration in Selected Open Registries, The Maritime Lawyer, Nr. 6, 1981, S. 226.
- ↑ Flags of convenience bei ITF Global (englisch)