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Kanzeluhr

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Eine Kanzeluhr, auch Predigtuhr genannt, ist eine an der Kanzel angebrachte Uhr, die dazu dient, die Dauer der Predigt vorzugeben.

Formen

Kanzeluhr von 1776 im Volkskundemuseum Erfurt

Eine Kanzeluhr war „gewöhnlich eine Sanduhr auf der Kanzel, nach welcher sich die Prediger in Ansehung der Länge ihrer Predigt richten können“.[1] So konnten der Pfarrer seine Predigtzeit einhalten und zugleich seine Zuhörer abschätzen, wie lange die Predigt voraussichtlich noch währen wird. In der Regel bestand die Kanzeluhr aus vier nebeneinander angebrachten Sanduhren, deshalb auch „viergläsrige Sanduhr“ genannt. (Gelegentlich hatte sie auch zwei, drei oder sechs Gläser.) Dabei gab es zum einen Kanzeluhren, die in je einer Viertelstunde durchliefen: War das erste durchgelaufen, so wurde das zweite Glas umgedreht usw.[2] Bei anderen Modellen wurde die viergläsrige Sanduhr zu Predigtbeginn als Ganze gedreht. In diesem Fall unterschieden sich die Gläser in der Durchlaufgeschwindigkeit des Sandes: z.B. 15, 30, 45 und 60 Minuten [3] oder 15, 20, 25 und 30 Minuten.[4]

Kanzeluhr in der Evangelisch-lutherischen Stadtpfarrkirche St. Nikolai in Marktbreit

Seltener und in der Regel erst seit dem 18. Jahrhundert wurden mechanische Uhren als Kanzeluhr verwendet, so etwa in der Peterskirche in Görlitz und in der St. Martini-Kirche in Stadthagen. Die einfachste, nur in wenigen Fällen erhaltene Form der Kanzeluhr ist eine Kerze, die in einem an der Kanzel befestigten Glas niederbrennt.

Verwendung

Insofern Prediger heutzutage darauf achten, nicht zu lange zu predigen, wird häufig angenommen, dass Kanzeluhren vor allem vor übermäßiger Predigtdauer bewahren sollten. Es gibt jedoch auch Kirchenordnungen, die eine Mindestpredigtdauer vorgaben. Insofern dienten Kanzeluhren ebenso dazu, zu überwachen, dass der Prediger „sein Soll, für das er bezahlt wurde, auch einhielt“.[4]

Gelegentlich nutzen die Prediger die Kanzeluhr bei den in der Barockzeit häufigen „Memento mori“- und „Vanitas“-Predigten, um den Zuhörern zu veranschaulichen, wie ihre Lebenszeit unaufhaltsam verrinnt.

Geschichte

Kanzeluhr im Freiberger Dom

Eine sehr alte, aus dem Jahre 1439 stammende Kanzeluhr befindet sich im Bestand der Priesterhäuser in Zwickau.[5]

Weil die Predigt den größten (längsten) Teil des lutherischen Sonntagsgottesdienstes ausmachte und erst recht im reformierten Gottesdienst, waren Kanzeluhren vor allem in protestantischen Kirchen im 17. und im 18. Jahrhundert in Gebrauch, in manchen Landeskirchen schon seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In einigen Landeskirchen war die Kanzeluhr vorgeschrieben, in anderen empfohlen.[6] Eine Kirchen- und Schulordnung von 1565 schreibt vor: „Die Morgend- wie auch alle anderen Predigten sollen durchaus nicht über eine Stunde dauern, deshalb auf jeder Kanzel eine richtige Sanduhr angeschaffet … die bei Betretung umgewendet werden soll.“[7]

In der katholischen Sonntagsmesse steht die Predigt nicht an erster Stelle. Kanzeluhren sind deshalb in katholischen Kirchen unüblich.

Der Großteil der Kanzeluhren wurde im 19. und im 20. Jahrhundert als „nicht mehr zeitgemäß“ im Zuge von Renovierungen aus den Kirchen entfernt und – im besten Fall – Heimatmuseen oder regionalen kulturgeschichtlichen Museen überlassen.

Erhaltene Kanzeluhren

In Kirchen

U.a. in folgenden Kirchen ist die Kanzeluhr erhalten:

Bayern

Berlin

Brandenburg

Hessen

Mecklenburg-Vorpommern

Niedersachsen

Rheinland-Pfalz

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Schleswig-Holstein

Thüringen

Schweiz

Skandinavien

In der St.-Bartholomäus-Kirche in Röhrsdorf in Sachsen wurde im Jahre 2014 ein Nachbau der 1912 entfernten Kanzeluhr angebracht.[8]

In Museen

Kanzeluhren finden sich u.a. in folgenden Museen:

Literatur

  • Reiner Dieckhoff: Zu einer neuerworbenen Kanzeluhr im Schnütgen-Museum. In: Bulletin der Museen der Stadt Köln, Jg. 1978.
  • Peter Faßbender: Die Predigtuhr der Kirche St. Peter in Görlitz. In: Schriften des Historisch-Wissenschaftlichen Fachkreises „Freunde Alter Uhren“ in der Deutschen Gesellschaft für Chronometrie, Jg. 33 (1994), S. 54–57.
  • Lothar Hasselmeyer: Geschichte und Geschichten einer Sanduhr - der Kanzeluhr von Gröditz. In: Oberlausitzer Hausbuch. Lusatia-Verlag, Bautzen 2002, S. 96–97.
  • Horst Landrock: Alte Uhren - neu entdeckt. Geschichte, Gang und Spiel. Verlag Technik, Berlin 1981. Darin das Kapitel 5.8: Die mechanische Kanzeluhr, S. 107–108.
  • Joachim Salzgeber: 200 Jahre Kanzeluhr (in der Stiftskirche Einsiedeln). In: Maria Einsiedeln, Jg. 90, 1985, S. 311-314.
  • Peter Wasem: „… bis zwei Stunden auf der Kanzel bleiben“. Die Sanduhr in der Kirchheimbolander Paulskirche. In: Donnersberg-Jahrbuch, Jg. 31 (2008), S. 113–115.

Fußnoten

  1. Joachim Heinrich Campe: Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 2: F bis K. Braunschweig 1808, S. 885.
  2. Gudrun Tabbert: Eine letzte Erinnerung an die alte Sanduhr der evangelischen Kirche in Neutomischel, abgerufen am 3. März 2015.
  3. In welcher Kirche gibt es noch eine Kanzeluhr? (zu einem Beitrag in der Sendereihe „Außenseiter Spitzenreiter“, ausgestrahlt vom MDR am 11. November 2011), abgerufen am 3. März 2015.
  4. a b Rosl Schäfer: Georg-Christophorus-Jodokus-Kirche Stellichte. Walsrode 2008. S. 15. Referenzfehler: Ungültiger Parameter in <ref>.
  5. Zwickauer Priesterhäuser widmen sich Martin Luther, abgerufen am 3. März 2015.
  6. Dorothee Reimann: Die Sanduhr in St. Marien zu Torgau. In: Monumente, Jg. 2005, Heft 11/12, S. 22–23, hier S. 22.
  7. Zitiert in: Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Werden, Ausgabe 03/2008.
  8. Amtsblatt der Gemeinde Klipphausen, Ausgabe 03/2014, S. 16.