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Deutsche Zwangsanleihe in Griechenland

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Bei der deutschen Zwangsanleihe in Griechenland handelt es sich um eine während der Besatzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht (1941 bis 1945) begründete Forderung, deren Fortbestand Gegenstand der politischen Diskussion ist.

Begründung der Anleihe

Das deutsche Besatzungsregime in Griechenland wurde begleitet von wirtschaftlicher Ausbeutung. Griechenland musste nicht nur die Kosten der Besatzung tragen; die Besatzungsmacht zog auch in großem Umfang Rohstoffe und Produkte aus Griechenland ab. Da der Abtransport aus Griechenland wert- und mengenmäßig ständig gesteigert wurde, von deutscher Seite aber kaum Gegenlieferungen erfolgten, entstand auf den Verrechnungskonten, über die die Bezahlung der Güter formal erfolgte, ein Guthaben Griechenlands. Im Dezember 1942 wurde die griechische Kollaborationsregierung gezwungen, einer Regelung zuzustimmen, nach der dieses Guthaben als zinslose Anleihe behandelt wurde. Diese sollte nach Kriegsende zurückgezahlt werden.

Nach einem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 12. April 1945 an die Reichsbank betrug die Höhe dieser Anleihe 476 Millionen Reichsmark.

Die Anleihe wurde nicht zurückbezahlt.

Diskussion über den Fortbestand der Anleihe

Griechische Politiker und Hinterbliebenenverbände forderten immer wieder Reparationszahlungen von Deutschland für Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs und machten auch Ansprüche aus der Zwangsanleihe von 1942 geltend. Nach griechischer Sicht ist juristisch noch nicht abschließend geklärt, ob eine Rückzahlung der Zwangsanleihe unter die Reparationszahlungen zu rechnen ist oder nicht vielmehr zivilrechtlich als Kredit betrachtet werden muss. Im Frühjahr 2014 hatte die Regierung unter Antonis Samaras eine Kommission gebildet, welche die Erfolgsaussichten der Forderungen prüfen sollte. Griechenlands linksradikaler Ministerpräsident Alexis Tsipras bekräftigte im Februar 2015 in seiner Regierungserklärung, seine Regierung habe die „moralische Verantwortung unserem Volk gegenüber, gegenüber der Geschichte und allen Völkern Europas“, das Geld einzufordern. Tsipras plant mit Geld aus Deutschland, um der finanziellen Krise seines Landes begegnen zu können.

Die deutsche Bundesregierung sieht die Forderung nach Rückzahlung der Anleihe als Reparationsforderung an und ist insofern nicht zahlungsbereit, da bezüglich der Wiedergutmachung Regelungen geschlossen und Zahlungen geleistet wurden, von denen auch Griechenland profitierte. Nach Jahrzehnten „friedlicher, vertrauensvoller und fruchtbarer Zusammenarbeit“ zwischen Deutschland und Griechenland, so die Bundesregierung, habe „die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren“.[1]

Die Ansicht der Bundesregierung ist juristisch umstritten. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages ist sie nicht zwingend.[2]

Pariser Reparationskonferenz

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand im Herbst 1945 in Paris auf Einladung der alliierten Siegermächte eine Reparationskonferenz statt, bei der Griechenland zehn Milliarden US-Dollar forderte, die Hälfte der nach dem Vorschlag der UdSSR von Deutschland zu entrichtenden Gesamtreparationssumme von 20 Milliarden. Dies wurde allerdings von den USA und Großbritannien als zu hoch beurteilt.[3] Griechenland erhielt an Reparationen einen Gegenwert von etwa 25 Millionen Dollar, meist über Demontage von in Deutschland abgebauten Industrieanlagen.

Londoner Schuldenabkommen

Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurde die Prüfung von Forderungen auf Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensvertrages" verschoben. Das betraf nach Artikel 5 auch Forderungen aus den während einer Besetzung auf Verrechnungskonten erworbenen Guthaben sowie Forderungen gegen die Reichskreditkassen. Mit diesem Abkommen wurde nicht nur die Regelung der Besatzungskosten im engeren Sinn vertagt, sondern auch die Regelung von Krediten bzw. Clearingguthaben, die eine deutsche Schuld begründeten.[4]

Wiedergutmachungsvertrag von 1960

Im Rahmen des Vertrages mit der Bundesrepublik vom 18. März 1960 über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind, erhielt Griechenland Zahlungen in Höhe von 115 Millionen D-Mark „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen griechischen Staatsangehörigen“ und Hinterbliebenen.[5] Dieser Vertrag gehörte zu einer Reihe von Wiedergutmachungs-Globalabkommen mit westlichen Staaten wie z. B. Frankreich, Italien und den Niederlanden.[6]

Begleitet wurde die Vertragsunterzeichnung durch einen Briefwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und der griechischen Botschaft in Bonn. Im Brief der griechischen Seite behielt diese sich jedoch vor, „mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Forderungen, die aus nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen während Kriegs- und Besatzungszeit herrühren, bei einer allgemeinen Prüfung gemäß Artikel 5 Abs. 2 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 [an die deutsche Regierung] heranzutreten“.

Um keinen Präzedenzfall für Kriegsentschädigungen (Reparationen) zu schaffen, sollten lediglich Individualansprüche befriedigt werden, die Forderungen nach Kriegsentschädigungen und nach Rückerstattung der Zwangsanleihe von 1942 wurden ausgeklammert.[7]

Zwei-plus-Vier-Vertrag

Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag zur Wiedervereinigung beendet. Nach Auffassung der Bundesregierung ergibt sich daraus, dass die Reparationsfrage nach dem Willen der Vertragspartner nicht mehr geregelt werden sollte. Die Staaten der damaligen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) – darunter Griechenland – hätten dem in der Charta von Paris zugestimmt. Dagegen wird auf griechischer Seite eingewandt, Griechenland habe den Vertrag nur „zur Kenntnis“ genommen und die Entschädigungsfrage sei noch nicht geklärt.

Heutige Höhe der Forderung

Der heutige Wert der Zwangsanleihe von 1942 wird von Fachleuten sehr unterschiedlich eingeschätzt: Die Berechnungen liegen zwischen drei Milliarden und 64 Milliarden Euro. Nach einem vertraulichen Bericht einer Expertenkommission des griechischen Rechnungshofs sollen die griechischen Experten, wie die Zeitung To Vima berichtete, auf eine Zahl von elf Milliarden Euro kommen.[8][9] Andere Experten beziffern die Gesamtschulden Deutschlands gegenüber Griechenland mittlerweile auf bis zu 160 Milliarden[10] oder sogar auf 575 Milliarden Euro.[11]

Literatur

  • Ernst Féaux de la Croix: Staatsvertragliche Ergänzungen der Entschädigung. In: Ernst Féaux de la Croix, Helmut Rumpf: Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter national- und völkerrechtlichem und politologischen Aspekt. (= Bundesminister der Finanzen, Walter Schwarz (Hrsg.): Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Bd. III) Beck, München 1985, ISBN 3-406-08426-5, S. 201–309.
  • Helmut Rumpf: Völkerrechtliche und außenpolitische Aspekte der Widergutmachung. In: Ernst Féaux de la Croix, Helmut Rumpf: Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter national- und völkerrechtlichem und politologischen Aspekt. Beck, München 1985, ISBN 3-406-08426-5, S. 311–346.
  • Bernhard Kempen: Der Fall Distomo: griechische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland. In: Hans-Joachim Cremer/Thomas Giegerich/Dagmar Richter/Andreas Zimmermann (Hrsg.): Tradition und Weltoffenheit des Rechts. Festschrift für Helmut Steinberger (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht; Bd. 152). Springer, Berlin [u. a.] 2002, S. 179–195.

Einzelnachweise

  1. Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linken vom 11. Februar 2010.
  2. Anfrage der Fraktion der Linken vom 6. Februar 2014.
  3. Schuldet Deutschland den Griechen 70 Milliarden?, Die Welt vom 17. September 2011.
  4. Christoph Buchheim: Die besetzten Länder im Dienste der deutschen Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs. Ein Bericht der Forschungsstelle für Wehrwirtschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34 (1986), S. 117–145, hier S. 122.
  5. Vertragstext im Regierungsentwurf des Zustimmungsgesetzes, BT-Drs. 3/2284 (PDF)
  6. Vgl. Féaux de la Croix, S. 201. ff.; Rumpf, S. 333 ff.
  7. Hermann Frank Meyer: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg, 2008, S. 645.
  8. Schuldenkrise paradox: Deutschland schuldet Athen elf Milliarden aus Zwangskredit, Focus vom 12. Januar 2015.
  9. Deutschlandfunk vom 27. Januar 2015: „Deutschlands Schulden aus der Vergangenheit“.
  10. Deutschland soll Athen Milliarden schulden, Der Standard vom 12. Jänner 2015.
  11. Jaques Delplas, Interview in: Les Échos vom 22. Juni 2011 (französisch).