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ATR 72

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ATR 72
ATR 72-600 in ATR-Werkslackierung
ATR 72-600 in ATR-Werkslackierung
Typ Regionalverkehrsflugzeug
Entwurfsland
Hersteller Avions de Transport Régional
Erstflug 27. Oktober 1988
Indienststellung 27. Oktober 1989
Produktionszeit

Seit 1988 in Serienproduktion

Stückzahl 703 (Stand: 21. Juli 2014)[1]

Die ATR 72 ist ein vom französisch-italienischen Konsortium Avions de Transport Régional hergestelltes Turboprop-Regionalverkehrsflugzeug für Fracht- und Passagierdienste auf Kurzstrecken. Der Hochdecker wird zivil und militärisch genutzt.

Geschichte

Innenraum einer ATR 72

1989 kam die Ursprungsversion ATR 72-100 bzw. ATR 72-200 auf den Markt, wobei letztere eine Variante mit erhöhter Startmasse war. 1992 folgte die ATR 72-210 mit stärkeren Triebwerken. Die 1997 erstmals geflogene ATR 72-500 verfügte ebenfalls über diese Triebwerke, bot jedoch außerdem das verbesserte Kabineninterieur der ATR 42-500 und ein erhöhtes Startgewicht MTOW. Größter Konkurrent ist die Bombardier Q-Serie.
Die neueste Version wird unter der Bezeichnung ATR 72-600 verkauft. Die Bodenerprobung des ersten Vorserienflugzeuges dieses Modells begann am 18. Dezember 2008. Sie erhielt vor allem technologische Neuerungen wie neue Triebwerke vom Typ Pratt & Whitney PW127M mit besseren „Hot and High“-Leistungen, eine neue Avionik-Ausstattung (Glascockpit von Thales mit drei 15x20 cm LCD-Bildschirmen und Electronic Flight Bag) und neue Kabinenbeleuchtung mittels Leuchtdioden. Darüber hinaus wurde das maximale Abfluggewicht wie auch das maximale Gewicht ohne Treibstoff um 300 kg gegenüber der ATR 72-500 erhöht. Das erste Exemplar der 600er-Serie hatte am 24. Juli 2009 in Toulouse-Blagnac seinen Erstflug, wurde am 1. Juni 2011 zugelassen und am 19. August 2011 an die Royal Air Maroc ausgeliefert.

Bis Dezember 2012 wurden bereits 595 Exemplare der ATR 72 ausgeliefert. Von der kleineren Schwester, der ATR 42, wurden bis dahin 422 Exemplare ausgeliefert. Damit ist das Modell erfolgreicher als die ursprüngliche ATR 42, für die in den letzten Jahren kaum neue Bestellungen eintrafen.

Konstruktion

ATR 72-500 der Air Dolomiti

Die ATR 72 ist die um 4,5 m gestreckte Version der ATR 42. Wie diese ist sie mit zwei Turboprop-Triebwerken ausgestattet. Neben dem verlängerten Fluggastraum wurden auch die Tragflächen vergrößert. Da sich in den Tragflächen die Tanks des Flugzeugs befinden, hat die ATR 72 auch einen größeren Tank und damit eine höhere Reichweite. Ein Hilfstriebwerk ist nicht vorhanden, stattdessen kann das rechte Triebwerk am Boden weiterlaufen, denn der Propeller kann mit einer speziellen Bremse stillgelegt werden. Durch die Länge der ATR 72 hinter dem Hauptfahrwerk neigt sie zur Hecklastigkeit, was bei der Beladung am Boden zum Kippen der Maschine nach hinten führen kann. Dieses tritt vor allem bei falscher Beladung und beim gesammelten Nach-hinten-laufen der Fluggäste auf. Damit das Flugzeug nicht komplett nach hinten auf das Heck fallen kann, wird am Boden ein kurzer Stab unter dem Heck angebracht, der dieses auffängt.

Militärische Version

Von der ATR 72-500 wurde eine militärische Seeaufklärer- und U-Jagd-Variante mit der Bezeichnung ATR 72 ASW entwickelt. Sie kann mit Seezielflugkörpern und Torpedos bestückt werden und verfügt über verschiedene Ortungs- und elektronische Aufklärungssensoren. 10 Flugzeuge dieses Typs wurden von der türkischen Marine beschafft.[2]

Reichweitenrekord einer ATR 72-600

Die Fluggesellschaft Intersky stellte im November 2013 einen Rekord auf: Die Beförderung des FC St. Gallen vom Flughafen Friedrichshafen ins russische Krasnodar am Schwarzen Meer über eine Entfernung von 2493 Kilometer in 5:23 Stunden war nach Angaben der Airline der längste kommerzielle Nonstopflug einer ATR 72-600.[3]

Zwischenfälle

  • Am 31. Oktober 1994 stürzte American-Eagle-Airlines-Flug 4184, eine ATR 72 der Flugesellschaft American Eagle Airlines, nahe Roselawn (Indiana, USA) ab, vermutlich durch Vereisung der Tragflächen. Keine der 68 Personen an Bord überlebte den Absturz.
  • Am 6. August 2005 führte die Besatzung von Tuninter-Flug 1153 mit einer ATR 72 der Fluggesellschaft Tuninter vor der Küste Siziliens eine Notwasserung durch. Unglücksursache war ein am Tag zuvor falsch eingebauter Tankfüllstandsanzeiger. Der für die kleinere ATR 42 vorgesehene Anzeiger zeigte statt eines leeren Tanks einen vollen Tank an, sodass die Maschine mit lediglich 250 kg (statt 3000 kg) Kerosin von Bari Richtung Djerba startete. Bei der Notwasserung im Mittelmeer starben 16 Personen.
  • Am 4. August 2009 kam eine ATR 72 während des Bangkok-Airways-Flug 266 aus Krabi bei der Landung auf Ko Samui von der Landebahn ab und prallte gegen einen Kontrollturm. Der Flugkapitän wurde getötet, 41 Menschen wurden verletzt.[4]
  • Am 4. November 2010 gegen 17:45 Uhr stürzte eine ATR-72-212 während des Aerocaribbean-Flug 883 in der Nähe der Stadt Guasimal in der zentralkubanischen Provinz Sancti Spíritus ab. Sie war auf dem Weg von Santiago de Cuba in die Hauptstadt Havanna. Alle 68 Menschen an Bord kamen ums Leben. Die Unglücksursache war vermutlich Tragflächenvereisung.[5]
  • Am 2. April 2012 stürzte UTAir-Flug 120, eine ATR 72-200 der Fluggesellschaft UTair, gegen 07:33 Uhr Ortszeit auf dem Weg von Tjumen nach Surgut beim Versuch einer Notlandung kurz nach dem Start ab. Der Absturzort lag etwa 1,4 nautische Meilen hinter dem Ende der Startbahn, circa 45 km entfernt von Tjumen[6] Von den 43 Insassen kamen 31 ums Leben. Die Absturzursache ist bis dato noch unklar.[7]
  • Am 16. Oktober 2013 stürzte Lao-Airlines-Flug 301, eine von Vientiane kommende ATR 72-600 der Lao Airlines, im Anflug auf den Flughafen Pakse bei schlechten Wetterbedingungen in den Mekong. Alle 49 Insassen (44 Passagiere und 5 Besatzungsmitglieder) kamen dabei ums Leben.[8]
  • Am 23. Juli 2014 stürzte TransAsia-Airways-Flug 222, eine von Kaohsiung kommende ATR-72-212A mit der Kennung B-22810 im Anflug auf den Flughafen Makung bei schlechten Wetterbedingungen ab. Von den 58 Insassen (54 Passagiere und 4 Besatzungsmitglieder) kamen 47 ums Leben.[9]
  • Am 4. Februar 2015 stürzte TransAsia-Airways-Flug 235, eine in Taipeh gestartete ATR-72-600 mit der Kennung B-22816, kurz nach dem Takeoff ab, kollidierte mit einem Taxi und einer Brücke und fiel in einen Fluss. Der Pilot hatte kurz zuvor den Ausfall eines Triebwerks gemeldet. Ursächlich für den Crash war vermutlich ein Strömungsabriss einer der Tragflächen infolge des nur noch einseinseitigen Schubs.[10]

Technische Daten

Kenngröße ATR 72-200 ATR 72-210 ATR 72-500 ATR 72-600[11]
Länge: 27,16 m
Spannweite: 27,06 m
Höhe: 7,65 m
Kabinenbreite: 2,57 m
Kabinenhöhe: 1,91 m
Flugreichweite:
(mit 66 pax)
1.400 km 1.250 km 1.330 km 1.185 km (optional 1.540 km)
Geschwindigkeit: 513 km/h 516 km/h 511 km/h 511 km/h
Leergewicht: 12.700 kg 12.450 kg 12.950 kg 13.010 kg
Maximales Startgewicht: 22.000 kg 22.000 kg 22.500 kg 22.800 kg
Maximale Zuladung: 7.000 kg 7.000 kg 7.050 kg 7.790 kg
Maximale Treibstoffkapazität: 5.000 kg
Sitzplätze:
(maximal)
72 72 74 74
Triebwerke: Zwei Pratt & Whitney Canada
PW124 Turboprop 2.400 PS
Zwei Pratt & Whitney Canada
PW127 Turboprop 2.750 PS
Zwei Pratt & Whitney Canada
PW127F Turboprop 2.920 PS (2.148 kW)
Zwei Pratt & Whitney Canada
PW127M Turboprop 2.920 PS (2.148 kW)
Propeller: Hamilton Standard 4-Blatt Hamilton Standard 4-Blatt Hamilton Standard 6-Blatt Hamilton Standard 6-Blatt

Einzelnachweise

  1. ATR Key Figures, abgerufen am 21. Juli 2014
  2. ATR 72 ASW
  3. Bericht auf aero.de
  4. spiegel.de über Bangkok-Airways-Flug 266
  5. „Ursachenforschung kann beginnen: Flugschreiber auf Kuba gefunden“ auf n-tv.de vom 5. November 2010, abgerufen am 4. Februar 2013
  6. „Crash: UTAir AT72 near Tyumen on Apr 2nd 2012, lost height in initial climb“ The Aviation Herald vom 9. April 2012, abgerufen am 4. Februar 2013
  7. „Flugzeug-Absturz kostet mehr als 30 Menschen das Leben“ auf faz.net vom 2. April 2012, abgerufen am 4. Februar 2013
  8. „The Aviation Herald“: Lao AT72 at Pakse on Oct 16th 2013, went into Mekong River on approach (abgerufen am 18. Oktober 2013)
  9. „The Aviation Herald“ (abgerufen am 23. Juli 2014)
  10. Austrianwings über Absturz von Flug 235
  11. FlugRevue Mai 2009, S. 30–33, Turboprops mit Zukunft – ATR entwickelt neue Flugzeuge