Karzer


Der - bis ins 19. Jahrhundert auch das - Karzer (v. lat.: carcer = Umfriedung, Kerker) bezeichnete die universitäre Arrestzelle, in der Disziplinarstrafen abgesessen werden mussten.
Die "pädagogische" Freiheitsentziehung
Noch im 19. Jahrhundert war die Festsetzung (Haftverbüßung) von Studenten durch ihre Universität und von Gymnasiasten durch ihre Schule zulässig. Die meisten deutschen Universitätskarzer wurden in den Jahren um 1910-1914 aufgelöst. Karzerstrafe war an einigen Universitäten noch bis in die frühen 1930er Jahre zugelassen; erst die Disziplinarvorschriften aus der NS-Zeit sahen offiziell und reichsweit Karzerhaft als Strafmaßnahme gegen Studierende nicht mehr vor. An Schulen lebt der 'Karzer' aber noch in der Pädagogischen Maßnahme des Nachsitzens fort. Die Universitäts- bzw. Schulkarzer wurden in der Universität vom Pedellen, regional auch Profoss, bzw. vom Karzerwärter, im Gymnasium vom Pedellen bewacht.
Die Verwässerung des "Erziehungsinstruments"
Während die Karzerstrafe in der Frühzeit der akademischen Gerichtsbarkeit noch ein Strafinstrument war, das als schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit der Studenten verstanden wurde, sank besonders im Laufe des 19. Jahrhunderts der Respekt vor dieser Einrichtung rapide. Es galt als Ehrensache für einen Studenten, während seiner Studentenzeit wenigstens einmal eine Karzerstrafe abgesessen zu haben. Diese Ereignis wurde dann auch gebührend begangen, wie die wenig besinnlichen Wand-, Tisch- und Türmalereien belegen, die noch heute als museale Touristenattraktion in den Universitätsstädten gezeigt werden. Es war Bestandteil des "Ehrenkodex" zwischen Pedellen und Einsitzendem, dass nur die auf frischer Tat ertappten Verzierungen des Karzers geahndet und beseitigt wurden, also lag die hohe Kunst darin, beim Verlassen des Karzers so abzulenken, dass die neuen Verzierungen vom Pedellen nicht bemerkt wurden, damit verblieben sie der Nachwelt. Andererseits oblag den Pedellen auch die Verpflegung der Einsitzenden für deren Rechnung und erbrachte somit erhebliche Nebeneinkünfte...
Da sich die Studenten im Karzer in der Regel selbst verpflegen mussten und auch Besuch empfangen durften, war es ein Leichtes, die "Strafe" zu einem gesellschaftlichen Ereignis mit exzessivem Alkoholkonsum werden zu lassen, was in Quellen des 19. Jahrhunderts immer wieder berichtet wird.
Karzer in Deutschland
- Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Erlangen
- Bergakademie Freiberg
- Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
- Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
- Friedrich-Schiller-Universität Jena
- Philipps-Universität Marburg
- Eberhard-Karls-Universität Tübingen
- Georg-August-Universität Göttingen - nach dem Pedellen Brühbach auch Hotel de Brühbach genannt, im 19. Jahrhundert wegen der Erweiterung der Universitätsbibliothek in die Aula verlegt, samt einer Zellentür des alten Karzers und dem darauf befindlichen Graffito Bismarcks.
Literatur
- Tilmann Bechert: Der Heidelberger Studentenkarzer. Heidelberg 1995.
- Hans Günther Bickert; Norbert Nail: Marburger Karzer-Buch. 15 Kapitel zum Universitätsgefängnis und zum historischen deutschen Studententum. 2., verbesserte und erweiterte Aufl. Marburg 1995 [1. Aufl. 1989].
- Ernst Eckstein: Der Besuch im Karzer. Humoreske. Kelkheim 2001. [Gymnasium].
- Gert Hahne: Sozialhistorische Hintergründe des Göttinger Universitätsgefängnisses: Der Karzer und seine korporierten Insassen. Diss. Göttingen 2001.
- Cornelia Junge: "Ein Tisch, gezimmert aus dem Holz der Arche Noah". Studien zum Karzer der Leipziger Universität. In: Universität Leipzig 3/2000, 46-49.
- Norbert Nail: Der Marburger Universitätskarzer. In Thomas Joachim Bach (Hg.): Festschrift anläßlich der 110. Cartellversammlung 6. bis 9. Juni 1996 des Cartellverbandes der katholischen deutschen Studentenverbindungen (1996), Gießen und Marburg, 50-56.
- Eckhard Oberdörfer; Horst-Diether Schroeder: Ein fideles Gefängnis. Greifswalder Karzergeschichten in Wort und Bild. Mit 70 Abbildungen, davon 20 in Farbe. Schernfeld 1991.
- Eckhard Oberdörfer: Der Heidelberger Karzer. Köln 2005.