Tallboy (Bombe)

Die 5443 kg schwere Tallboy Bombe (engl. für "Großer Kerl"), deren Entwicklung im Frühjahr 1944 abgeschlossen war, war speziell für den Einsatz gegen stark befestigte Betonbauten konzipiert worden, gegen die sich frühere, kleinere Bomben als ineffektiv erwiesen hatten. Die mit 2.358 kg hochbrisantem Sprengstoff und einem Verzögerungszünder versehene Fliegerbombe hatte eine außerordentlich hohe Durchschlagskraft. Die Bombe wurde von dem britischen Ingenieur Dr. Barnes Wallis entwickelt. Es wurden 854 Exemplare produziert.
Geschichte
Barnes Wallis wusste, dass der Feind durch Zerstörung seiner Infrastruktur und Fertigungsstätten empfindlich geschwächt werden würde und entwickelte bereits zu Kriegsbeginn fortschrittliche Bombentypen auf Basis einzelner, überschwerer Bomben.
Schon früher hatte er die Idee einer 10t-Bombe, die nach dem „Erdbebenprinzip“ arbeitete, in seiner Studie A Note on a Method of Attacking the Axis Powers (engl., etwa „Notiz über eine Möglichkeit, die Achsenmächte anzugreifen“) vorgestellt.
Seine Berechnungen zeigten, dass eine sehr große Bombe, die in der Nähe eines Ziels detoniert, eher ein „camouflet“, eine unterirdische, durch eine Explosion verursachte Höhlung, statt eines Kraters verursachen würde. Die gesamte Energie der Explosion würde vom Erdboden aufgenommen und als Schockwelle auf die Fundamente des Ziels übertragen werden.
Zu diesem Zeitpunkt war die Tragekapazität der britischen Bomber jedoch begrenzt und die Möglichkeit, eine so große Waffe überhaupt mitführen zu können, war nicht vorhanden. Wallis kehrte erst zu seinen Entwürfen für die „Erdbebenbomben“ zurück, als die von ihm entwickelte Rotationsbombe erfolgreich gegen deutsche Staudämme eingesetzt werden konnte (Operation Chastise) und so das Interesse an gezielten strategischen Einsätzen immer größer wurde. Ab sofort hatte die RAF ein offenes Ohr für die imaginäreren Lösungen, da sie eine geeignete Waffe benötigte, um weitere große zivile Bauwerke (wie z.B. Tunnel und Brücken), schwerst gepanzerte Ziele (z.B. Schlachtschiffe) und Betonbauten (Bunker) ausschalten zu können.
Zu diesem Zeitpunkt war die Möglichkeit, 10 Tonnen per Flugzeug zu transportieren, noch keinesfalls gegeben und Wallis begann deshalb, mit verkleinerten Variationen zu arbeiten - von denen eine die 12.000 lbs schwere Tallboy-Bombe werden sollte.
Die Entwicklung und Produktion der Waffe(n) erfolgte damals, obwohl weder ein offizieller Auftrag des Ministeriums erteilt, noch ein Vertrag abgeschlossen worden war. Die RAF warf also Bomben ab, die sie noch nicht einmal gekauft hatte. Sie waren noch immer Eigentum ihres Herstellers Vickers Armstrong, Inc..
Erst, als der Bedarf einer solchen Waffe erkannt wurde, gab die Führung grünes Licht.
Technische Daten
Länge | 6,35 m |
Durchmesser | 950 mm |
Gewicht | 5.443 kg (12.000 lbs) |
Gefechtskopf | 2.358 kg "Torpex D1" (Torpedo explosive; engl. für Torpedosprengstoff) |
Anzahl eingesetzt | 854 |
Tallboy-Einsätze (chronologisch)
- Saumur Eisenbahntunnel – Die Nord-Süd Strecke auf der Loire. 25 Lancaster der „Dam Busters“ (davon 19 mit Tallboys und 6 konventionell augerüstet) griffen in der Nacht vom 8. zum 9. Juni 1944 an. Dies war der erste Einsatz der Tallboy, der Tunnel wurde dabei zerstört - einer der Tallboys bohrte sich durch die Hügelkette und explodierte 20 Meter darunter im Tunnel, der daraufhin einstürzte. Keines der angreifenden Flugzeuge ging verloren.
- U-Boot-Bunker bei Le Havre – Am 14. Juni 1944 griffen während den ersten massiven Tagangriffen der RAF seit Mai 1943 22 Lancaster der 617. die stark befestigten Anlagen an. Sie leisteten damit lediglich die Vorarbeit vor Anflug der eigentlichen ersten Bomberwelle. Mehrere Treffer waren zu verzeichnen, eine der Bomben durchschlug die Decke.
- Eperleques Blockhaus im Wald bei Watten – wurde am 19. Juni 1944 von der 617. angegriffen. Der nächste Tallboy explodierte 46 Meter vom Ziel entfernt. (Angriff wurde am 27. Juli wiederholt: ein Tallboy-Treffer, der den Panzer jedoch nicht durchdringen konnte.)
- La Coupole V2-Bunker bei Wizernes – am 24. Juni 1944 bombardiert. Die 617. Squadron erzielte auch hier mehrere Tallboy-Volltreffer, konnte die Betonkuppeln allerdings nicht ernsthaft beschädigen.
- Siracourt V1-Stellungen – Die Lancaster der 617. erzielte ohne eigene Verluste drei Tallboy-Treffer. Über die Auswirkungen ist nichts bekannt (25. Juni 1944).
- Bombardierung eines weiteren Eisenbahntunnels bei Rilly La Montage, der als V1-Lagerstätte genutzt wurde (25. Juli 1944). Beide Tunneleinfahrten stürzten nach Tallboy-Treffern ein. Auch dieser Einsatz wurde von den Dam Busters geflogen.
- V3-Geschütze bei Mimoyecques – Diese deutschen Riesengeschütze wurden von der 617. durch mehrere Tallboy-Treffer zerstört, bevor sie gegen London eingesetzt werden konnten (6. Juli 1944)
- Am 5. August 1944 griffen 15 Lancaster der 617. die U-Boot-Bunker in Brest an und erzielten sechs Tallboy-Volltreffer, die allesamt die mehrere Meter dicke, speziell verstärkte Decke durchschlugen. Eine Lancaster wurde dabei von der Flak abgeschossen. Darauffolgende Bemühungen der Kriegsmarine, die verbleibenden Stützpunkte mit noch dickeren Betondecken zu verstärken, beanspruchte dringend benötigte Ressourcen anderer Bauvorhaben.
- Dortmund-Ems-Kanal in der Nähe von Ladbergen, nördlich von Münster – Die 617. erzielte auch hier sechs Tallboy-Volltreffer (Nacht vom 23. zum 24. September 1944)
- Kemb-Talsperre nördlich von Basel – Die alliierte Führung befürchtete, die angestauten Wassermassen könnten benutzt werden, um den vorrückenden US-Truppen den Weg zu versperren. Am 7. Oktober 1944 zerstörten die Dam Busters die Schleusentore mit aus niedriger Höhe abgeworfenen Tallboys, woraufhin das Wasser ablief.
- Sorpe Talsperre – Der schon einmal von den Dam Busters attackierte Staudamm widerstand auch diesmal dem Angriff, obwohl mehrere Volltreffer beobachtet wurden (15. Oktober 1944)
- Das deutsche Schlachtschiff Tirpitz – Die Tirpitz bedrohte die Konvois, die von den Westalliierten durch die Arktis geschickt wurden, um die Sowjetunion zu unterstützen. Da ihr Liegeplatz außerhalb der Reichweite britischer Bomberstützpunkte war, griffen die 617. und die 9. Squadron der RAF mit insgesamt 24 Tallboys von Yagodnik in der Nähe von Archelansk in Russland an (15. September 1944). Angesichts des massiven Flakfeuers und der sehr starken Rauchentwicklung gelang es den Besatzungen nicht, das Schiff zu versenken. Es wurde jedoch so schwer beschädigt, dass es nach Süden in den Fjord von Tromsø ausweichen musste, um repariert werden zu können. Dieser Fjord lag jedoch in der Reichweite der RAF. Von Lossiemouth aus wurde sie im Oktober erneut angegriffen, jedoch ohne Erfolg. Letztendlich griffen am 12. November 1944 beide Geschwader erneut an und erzielten drei Volltreffer auf der Tirpitz, die daraufhin sehr schnell kenterte und sank.
- U-Boot-Bunker bei Ijmuiden – Am 15. Dezember 1944 griff die 617. die Anlage mit Tallboys an, die Einschläge konnten aufgrund starker Rauchentwicklung nicht beobachtet werden.
- U-Boot-Bunker in Bergen – bombardiert von der 617. und der 9. mit Tallboys (12. Januar 1945). Drei Volltreffer durchschlugen die über 3,5 Meter dicke Stahlbetondecke des Bunkers und richteten massive Zerstörungen an. Drei Lancaster wurden abgeschossen.
- U-Boot-Bunker bei Ijmuiden – erneute Bombardierung durch die 9. Squadron mit Tallboys am 3. Februar 1945. Mehrere vermutete Treffer, keine eigenen Verluste.
- U-Boot-Bunker in Poortershaven – von der 617. am 3. Februar 1945 mit Tallboys angegriffen. Mehrere vermutete Treffer, keine eigenen Verluste.
- U-Boot-Bunker Ijmuiden – erneuter Tallboy-Angriff der 617. am 8. Februar 1945, keine eigenen Verluste.
- Bielefelder und Arnsberger Eisenbahnviadukte – bombardiert von der 617. und der 9. mit Tallboys und der ersten Grand Slam-Bombe am 14. März 1945. Der Arnsberger Viadukt hielt stand, der Bielefelder Viadukt jedoch stürzte auf einer Länge von knapp 100 Meter in sich zusammen, da er den erdbebenartigen Schockwellen der "Grand Slam" und Tallboys nicht standhielt.
- Arnsberger Viadukt – Zweiter Angriff der 9. am 15. März 1945, auch diesmal hielt das Bauwerk stand.
- U-Bootbunker Valentin in Bremen-Farge: Am 27. März greifen 18 Lancaster mit 13 Grand Slam, vier Tallboys und zwölf 454kg Bombenan. Zwei Grand Slam reissen jeweils acht Meter große Löcher.
- Hamburger U-Boot-Bunker – Am 9. April 1945 von der 617. mit Tallboys und Grand Slam Bomben angegriffen. Mehrere Treffer, keine eigenen Verluste.
- Westentaschen-Schlachtschiff Lützow – am 16. April 1945 von der 617. trotz schwersten Flakfeuers mit Tallboys und 500-kg-Bomben angegriffen. Ein Tallboy-Nahtreffer verursachte einen etwa 20 Meter langen Riss in der Wasserlinie, worauf der Kreuzer in dem seichten Wasser auf Grund sank. Von den 15 angreifenden Bombern kehrte einer nicht zurück. Dies war der letzte Verlust des Geschwaders während des Krieges.
- Küstenbatterien auf Helgoland – bombardiert am 19. April 1945 von der 617. und der 9. mit Tallboys. Alle Stellungen wurden getroffen, keine eigenen Verluste.
- Hitlers Kehlsteinhaus („Eagle's Nest“) bei Berchtesgaden – bombardiert am 25. April 1945 von einer gemischten Einheit (unter anderem die 617., die ihre letzten Tallboys abwarf.)
Hinweis
Im U-Bootbunker Valentin wird noch heute ein Mantelrest einer Tallboy gelagert und während einer Bunkerführung gezeigt. Da der Bunker nach dem Krieg zu Testzwecken angegriffen wurde, ist unklar ob es sich um eine Bombe des Angriffs oder eine aus den Testangriffen handelt.