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Barr-Körper

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Unter einem Barr-Körper versteht man in der Zellbiologie und in der Genetik die dicht zusammengepackten überzähligen X-Chromosomen in weiblichen Zellen. Da sie sich somit gut anfärben lassen, sind sie im Mikroskop als kleine Körperchen sichtbar. Sie werden nach ihrem Entdecker Murray Llewellyn Barr benannt.

Bei höheren Säugetieren (Eutheria) wird die genetische Geschlechtsbestimmung durch das Vorhandensein eines Y-Chromosoms bestimmt. Weibchen besitzen zwei X-Chromosomen, Männchen ein X und ein Y. Dadurch kommt es bei Weibchen zu dem Problem, dass die Gene des X doppelt so häufig transkribiert werden würden als nötig wäre. Um dieses Ungleichgewicht in der Gendosis zu kompensieren, wird daher ein zufällig ausgewähltes X-Chromosom inaktiviert, was dadurch geschieht, indem ein X-Chromosom stärker verpackt wird. Deswegen wird es optisch dichter und besser anfärbbar.
Diesen Effekt entdeckt 1949 Murray Llewellyn Barr, der es zusammen mit Ewart George Bertram 1949 als erster im entsprechenden Zusammenhang publizierte. Mary Frances Lyon veröffentlichte Anfang der 60er Jahre dann die Hypothese, daß eines der X-Chromosomen in jeder Zelle inaktiviert wird und wann dies geschieht (ca. 16. Tag der Embryogenese). Sie prägte auch den Begriff Barr-Körper (englisch: Barr body).

molekularer Mechanismus

Die Inaktivierung Des X-Chromosoms wird durch die Xist RNA (X inactive specific transcript RNA) ausgelöst, dessen Gen in der XIC-Region (X inactivating center) nahe dem Centromer des X kodiert ist.

Das Xist-Gen auf dem X-Chromosom der Mutter liegt in der Eizelle zunächst methyliert, also inaktiv vor und das X-Chromosom ist aktiv. Kommt mit dem Spermium ein Y-Chromosom hinzu, so bleibt das Xist-Gen methyliert. Kommt jedoch ein weiteres X-Chromosom hinzu, so liegt bei ihm das Xist-Gen nicht methyliert vor, es entsteht die Xist RNA und auch das zweite X-Chromosom wird inaktiviert. Dies ist jedoch nicht stabil, da für die Aufrechterhaltung das eed-Protein benötigt wird und dies ebenfalls auf dem X-Chromosom kodiert vorliegt. Dadurch werden nun beide X-Chromosomen aktiv und das Xist-Gen wieder aktiv. Diesmal wird jedoch nur 1 X-Chromosom inaktiviert, wobei sowohl das väterliche als auch das mütterliche X ausgeschaltet werden kann. Da dies erst nach mehreren Zellteilungen erfolgt, sind Säugerweibchen genetische X-Mosaike.

Mit der Bindung der Xist-RNA an die DNA kommt es zu folgenden molekularen Veränderungen:

  • viele Promotoren (insbesondere GC-Blöcke) werden methyliert und somit die Gene ausgeschaltet
  • die Histone H3 werden methyliert und die Histone H4 deacetyliert. Dadurch wird die DNA stärker an die Histone gebunden, was das Ablesen erschwert. Das inaktivierte X-Chromosom wird somit zum optisch dichteren Heterochromatin und wird als Barr-Körper bezeichnet.

Die Heterochromatinisierung geschieht beim Menschen nicht vollständig und gleichartig, weswegen bei heterozygot vorliegenden Allelen von X-chromosomal-rezessiv vererbten Krankheiten diese nicht ausbrechen müssen. Dies erklärt, warum Männer häufiger an solchen Krankheiten, wie die Bluterkrankheit erkranken. Ihnen fehlt das zweite X zum eventuellen Ausgleichen.

Bedeutung

Üblicherweise besitzen Frauen (XX) 1 Barr-Körperchen, Männer (XY) hingegen keines. Wird bei einer Frau jedoch kein Barr-Körperchen gefunden, handelt es sich entweder um einen (genetischen) Mann, dessen "Männlichkeits"-Gen auf dem Y-Chromosom defekt ist oder verloren gegangen ist oder die Frau besitzt nur ein X-Chromosom (Genotyp X0). Man spricht beim letzteren Fall vom sogenannten Turner-Syndrom. Würde bei der Turner-Frau das einzige X inaktiviert werden, so wäre das tödlich (letal), was wohl ein wichtiger Grund dafür ist, dass X0-Zygoten zu über 90 % letal enden).
Besitzt eine Frau mehr als einen Barr-Körper, so spricht man allgemein vom Triplo-X-Syndrom, egal ob nun 2 oder mehr Barr-Körperchen gefunden werden.
Es gibt jedoch auch Männer mit einem oder mehr Barr-Körperchen (XXY, XXXY etc.). Diese haben das sogenannte Klinefelter-Syndrom.

Der sogenannte "Barr-Test", bei dem Haare, Mundschleimhaut oder Blut zum Testen benutzt wird, ist zum Beispiel bei großen Sportwettkämpfen verpflichend. Er ersetzte bei den Olympische Spielen 1968 die vorher übliche optische Untersuchung, nachdem die Sportler dies als entwürdigend kritisiert hatten. Diese wurde Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts eingeführt, nachdem bekannt wurde, dass sich der deutsche Athlet Hermann Ratjen bei den Olympischen Spielen 1936 seine Genitalien zusammengebunden hatte und als "Dora" beim Hochsprung teilgenommen hatte.