Zum Inhalt springen

Edelweißpiraten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Februar 2006 um 13:54 Uhr durch Jnievele (Diskussion | Beiträge) (Es wurden ein paar Links zu viel entfernt, insbesondere unter "Siehe auch" sollte man diese stehen lassen - was bringt ein Querverweis den man nicht anklicken kann?). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Als Edelweißpiraten wurden oppositionelle deutschen Jugendgruppen während der NS-Diktatur bezeichnet, die vor allem in der Rhein-Ruhr-Region aus der Bündischen Jugend entstanden und in deren Zentrum Gruppen der Jungenschaft, des Nerother Wandervogels und der Kittelbachpiraten standen. Während sich die Angehörigen der Bündischen Jugend, die aus allen sozialen Schichten stammten, durch den Begriff Edelweißpiraten teilweise stigmatisiert fühlten, entwickelte sich der Begriff in den Jahren nach 1942/43 zur Selbstbezeichnung unangepasster Arbeiterjugendlicher, die seit etwa 1938 das Edelweiß als Protestsymbol gegen die Zwangsmitgliedschaft in der Hitler-Jugend trugen.

Einige Gruppen dieser „Arbeiterjugend“-Edelweißpiraten leisteten ab 1942/1943 offene provokante Gegenwehr gegen Hitler-Jugend und Gestapo, versuchten verfolgte Juden und Deserteure zu verstecken und griffen mit militanten Mitteln NS-Einrichtungen und Personen an.

Bekannte Gruppen der „Arbeiterjugend“-Edelweißpiraten sind die Ehrenfelder Edelweißpiraten-Gruppe, deren Aktivitäten nach 1980 durch Jean Jülich ins öffentliche Bewusstsein gebracht wurden und die zum Teil mit einem Kreis von Untergrundkämpfern um Hans Steinbrück in der Ehrenfelder Gruppe agierte, und die Dortmunder Edelweißpiraten vom Brüggemannspark, über die erst 1980 der überlebende Schriftsteller Kurt Piehl publizierte.

„Edelweißpiraten“ als Außenbezeichnung für Gruppen der Bündischen Jugend

Die Gruppen hatten zusammen mehrere Tausend Mitglieder. Allein die Kölner Gestapo legte z.B. etwa 3.000 Akten nur über die Kölner Gruppen an (Selbstbezeichnung u.a. Navajos) . Auch in anderen deutschen Städten gab es derartige Jugendgruppen, dazu gehörten z.B. die Städte Dresden, Leipzig ("Meuten"), Düsseldorf, Essen, Dortmund, Wuppertal und Duisburg.

Die von der nationalsozialistischen Propaganda verwendete Bezeichnung "Edelweißpiraten" wurde von den illegalen Bündischen als Schimpfwort verstanden und deshalb abgelehnt. Als Selbstbezeichnung wählten sie klassische Begriffe wie die Bezeichnungen unterschiedlicher verbotener oder neugegründeter Jugendbünde oder den zusammenfassenden Ausdruck "Bündische Jugend". Neben fortbestehenden Gruppen bildeten sich neue Gruppen, zum Teil aus ehemaligen Angehörigen verschiedenster inzwischen verbotener Bünde, die sich Gruppennamen wie z.B. Fahrtenjungs oder Ruhrpiraten wählten. Zu großen Einschnitt in den Bereich kam es um 1942/43, als eine große Verhaftungswelle unter den illegalen Bündischen durchgeführt wurde, die für die meisten dieser Gruppen das Aus bedeutete.

"Edelweißpiraten" als Selbstbezeichnung unangepasster Arbeiterjugendlicher

Deutlich zu trennen von den illegalen bündischen Gruppen sind regimeresistente Jugendgruppen der Städte, die vor allem aus der Arbeiterjugend kamen, sich während des Zweiten Weltkrieges neu bildeten und manche Lieder wie auch äußere Formen von den Bündischen übernahmen. Mit dem Bündischen Gedankengut und der jugendbewegten Tradition verband diese neuen Gruppen allerdings kaum etwas. Sie lebte in anderen Stadtteilen und kamen aus einer nicht so gehobenen sozialen Schicht, so dass auch nur selten persönliche Kontakte bestanden. Anders als die Bündischen sangen sie aus Protest auch umgedichtete HJ-Lieder, wie das bekannte: "Ja, wo die Fahrtenmesser blitzen und die Hitlerjungen flitzen und die Edelweißpiraten hintendrein / was kann das Leben uns denn schon geben, wir wollen frei von Hitler sein." Beachtlich ist, dass die neuentstandenen Gruppen anders als die Bündischen vor 1942/43 den von den Nationalsozialisten auch allgemein auf oppositionelle Jugendliche angewandten Ausdruck "Edelweißpiraten" als Selbstbezeichnung führten. Sie trugen möglichst auffällige und schickere Kleidung sowie längeres Haar als üblich. Das Edelweißabzeichen, oft auch nur eine weiße Nadel, wurde als Protestsymbol und Erkennungszeichen gegen die seit dem bestehende Zwangsmitgliedschaft in der Hitlerjugend getragen. In ihrer Hochphase 1942/43 waren Tausende Jugendliche in den Edelweißszenen der Arbeiterjugend aktiv und stellten für die NS-Erziehung zur Volksgemeinschaft ein großes Problem dar, da sie sich trotz nationalsozialistischer Erziehung nicht integrierten und für die 14-17 Jährigen in den Arbeitervierteln an Attraktivität die Hitlerjugend übertraf.

Merkmale von Edelweißpiraten mit bündischem Ursprung

Die illegalen Bündischen, die von den Nationalsozialisten als Edelweißpiraten bezeichnet wurden, versuchten in einer frühen Phase des Dritten Reiches ihr Gruppenleben aufrechtzuerhalten. Um dies zu ermöglichen, wandten sie sich zuerst gegen die Hitler-Jugend (HJ), weil deren Anspruch auf die ganze deutsche Jugend die Freiheit der einzelnen bündischen Gruppen in Frage stellte. Nach vielfältigen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und der Einschränkung der Freiheit der illegalen Gruppen wandelte sich diese Resistenz in einen Widerstand gegen das NS-Regime. Sie sangen Lieder aus der Bündischen Jugend. Manche von ihnen dichteten diese Lieder im regimekritischen Sinn um, ebenso entstanden neue Lieder, zum Teil auch mit politischem Inhalt.

Von den Einheitsuniformen der Hitlerjugend hoben sich die als Edelweißpiraten bezeichneten Bündischen durch einen eigenen Stil - oft Skihemden, Wanderschuhe, Halstuch und kurze Lederhosen - ab. Ihr Erkennungszeichen war zum Teil ein Edelweiß unter dem linken Rockaufschlag. Oft trug man auch Fantasiekluften, Totenkopfringe, mit Nägeln beschlagene Gürtel, Jungenschaftsjacken und benutzte die Kohte. Im Gegensatz zur HJ nahmen sie zum Teil auch Mädchen auf.

Inwieweit die nach 1942/43 neu entstandenen Gruppen diese Tradition übernahmen, wird in Fritz Theilens Buch "Edelweißpiraten" (ISBN 3-89705-272-5) behandelt.

Aktionen

Auf ihren Wochenendausflügen, Fahrten und Wanderungen in das Umland der Großstädte kam es nicht selten zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Hitlerjugend. In manchen Städten ist handgreifliche Gewalt mit der Hitlerjugend belegt. Sie klebten Plakate gegen Hitler und für die Freiheit, und verübten wohl auch in so manchen Fällen Sabotage. Einzelne Gruppen gingen so weit, Attentate auf nationalsozialistische Funktionäre durchzuführen, insbesondere auf die HJ-Führer, in der Spätphase des Krieges auch auf Angehörige der Wehrmacht.

Nach 1945

Bruno Bachler, einer der überlebenden Edelweißpiraten, erzählt, wie er nach Verbüßung einer Haft im Konzentrationslager einer Strafkompanie an der Ostfront zugeteilt wurde, die zum Räumen von Minenfeldern benutzt wurde. Das geschah so, dass die Sträflinge Hand in Hand über ein Minenfeld marschieren mussten, wobei einige von ihnen das Leben verloren.

Kurt Piehl ist ein überlebender Edelweißpirat aus Dortmund, der in seinem Buch "Latscher, Pimpfe und Gestapo" ausführlich das Leben eines Edelweißpiraten beschrieben hat. Die Kölner Edelweißpiraten der Ehrenfelder Gruppe werden zum Beispiel im Buch "Edelweißpiraten" von Fritz Theilen beschrieben. Jean Jülich, ein weiteres Mitglied der Kölner Gruppe, wurde 1984 in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.

Datei:Ehrenfeld Gedenktafel.jpg
Gedenktafel für Opfer des NS-Regimes

In Köln-Ehrenfeld erinnert seit dem 9. November 2003 eine Gedenktafel an die hingerichteten Edelweißpiraten. Die Tafel ist an den Bögen der Bahnunterführung in der Schönsteinstraße, Nähe Venloer Straße, angebracht - in der Nähe, in der heutigen Bartholomäus Schink-Straße, hat die Hinrichtung stattgefunden. Die Tafel war schon Jahre vorher fertig gestellt worden, aber auf Druck der CDU wieder abgenommen worden. Die CDU hat seit Kriegsende die Anerkennung der Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer zu verhindern versucht, teilweise mit Argumenten, die direkt aus Gestapo-Verhörprotokollen zitiert wurden.

Die Inschrift der Gedenktafel in der Schönsteinstraße lautet:

Hier wurden am 25.10.1944 elf vom NS-Regime zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte Bürger Polens und der UdSSR und am 10.11.1944 dreizehn Deutsche – unter ihnen jugendliche Edelweißpiraten aus Ehrenfeld sowie andere Kämpfer gegen Krieg und Terror – ohne Gerichtsurteil öffentlich durch Gestapo und SS gehenkt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Begriff Edelweißpiraten von einigen nationalsozialistisch geprägten Jugendlichen weiter verwendet, die in der sowjetischen Besatzungszone teilweise gewaltsamen und bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer leisteten. Die Edelweißpiraten an Rhein und Ruhr existierten noch bis etwa 1947.

Fortsetzung der Kriminalisierung und das Vergessen der Edelweißpiraten nach 1945

Nach der Befreiung ging für viele Edelweißpiraten, vor allem für die aus dem Arbeiterkreisen, der Überlebenskampf weiter. Als Gruppen waren und blieben sie aufgelöst, einige behielten, so weit es ging, ihre Vorlieben - z.B. als Tramps zu reisen - bei. Kaum geändert hatte sich allerdings die personelle Zusammensetzung der Ermittlungsbehörden, in denen weiterhin unbehelligt ehemalige Gestapo-Beamte ihren neuen Dienst versahen, sowie der Gerichte. Ihr antiautoritäres Verhalten sollte im Ruhrgebiet auch von den Amerikanern nicht akzeptiert werden. So wurden viele erneut denunziert und kriminalisiert - vor allem von denselben NS-Beamten, die sie zuvor verfolgt hatten. Die Edelweißpiraten wurden - mit wenigen Ausnahmen - bis heute nicht rehabilitiert und sogar weiterhin amtlich als Kriminelle geführt.

Kaum einer der Betroffenen strengte eine Entschädigung an. Dort wo sie sich trauten, den Versuch zu unternehmen, wurden sie durchaus auch von den Wiedergutmachungsbehörden eingeschüchtert. Jean Jülich berichtet solche Versuche seitens des ehemaligen Dezernenten des Amtes Dr. Dette. Dieser habe ihm offen zu verstehen gegeben, dass Edelweißpiraten für ihn „Kraade“, also Dreck und Pöbel seien, dessen Züchtigungen durch die Hitler-Jugend er für sinnvoll halte.
Die wenigen, die eine Rehabilitierung forderten, wurden auch dann noch als Kriminelle öffentlich angegriffen und angefeindet. Erst als ab den 1980er Jahren Zeitzeugen sich trauten, ihre Geschichte öffentlich zu machen, entstanden andere Dokumente für die Wahrnehmung ihrer Geschichte, als die der bis heute von einigen Historikern für die Geschichtsschreibung relevanter gehaltenen Gestapo-Protokolle, die unter Misshandlungen und brutaler Folter erzwungen wurden und neben erzwungenen oder geforderten Falschaussagen die Strategie und Sichtweise der Gestapo präsentieren. So kritisiert z.B. Jean Jülich, dass ihn ein Gutachten des Historikers Rusinek noch immer an den Originalton der Gestapo erinnere, wenn dieser z.B. schreibt, dass viele "Wehrunwürdige" in Köln lebten und als Gründe für die Wehruntüchtigkeit Beteiligung an "Terrorakten, Zuchthausstrafen und in einigen Fällen Schwachsinn" nennt. Die Gründe für Zuchthausstrafen seien bei Rusinek fast ausschließlich kriminelle Delikte gewesen. Die Pistole habe den Edelweißpiraten recht locker gesessen, meint Rusinek, und Jülich fragt sich, "Wie locker saßen wohl die Pistolen bei SA- und SS-Schergen?" Proteste gegen ein als erneute Herabsetzung empfundenes Gutachten kam u.a. vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma: Die Logik des Gutachters Rusinek treffe nicht nur die Edelweißpiraten, sondern auch die Zwangsarbeiter, deren Sabotage von den Nazis ebenfalls als kriminell verfolgt wurde, sogar die Menschen, die verbotenerweise Juden versteckt haben.

Seit 2003 sind zumindest die Kölner Edelweißpiraten von offizieller Seite rehabilitiert. Ihr Mut und ihre Wut, die mehr als politische Programmatik Grundlage ihres Widerstandes waren, wurden mittlerweile Gegenstand eines Theaterstückes und des Kinofilms "Edelweißpiraten", der am 10. November 2005 im Kino anlief.

Siehe auch

Dokumentarfilm: Nachforschungen über die Edelweisspiraten, von Dietrich Schubert aus dem Jahre 1980

Literatur

  • Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus, Dietz, Bonn 1991, ISBN 3-8012-3039-2
  • Paulus Buscher: Das Stigma „Edelweiß-Pirat“, Bublies, Koblenz, 1988, ISBN 3-926584-01-7
  • Alexander Goeb: Er war sechzehn, als man ihn hängte. Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink. ISBN 3-499-23026-7
  • Matthias von Hellfeld: Edelweißpiraten in Köln. Jugendrebellion gegen das 3. Reich, Pahl-Rugenstein, Köln 1983, ISBN 3-760-90787-3
  • Jean Jülich: Kohldampf, Knast un Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben, KiWi, Köln 2003, ISBN 3-462035-40-1
  • Alfons Klenkmann: Wilde Jugend. Lebenswelt großstädtischer Jugendlicher zwischen Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus und Währungsreform, Klartext-Verlag, Essen 2002, ISBN 3-89861-086-1
  • Arno Klönne: Jugendliche Opposition im "Dritten Reich", Landeszentrale für politische Bildung Thüringen 1996 [1]
  • Detlev J. Peukert: Die Edelweißpiraten. Protestbewegung jugendlicher Arbeiter im "Dritten Reich"; eine Dokumentation, Bund-Verlag, Köln 1988, ISBN 3-7663-3106-X
  • Kurt Piehl: Geschichte eines Edelweißpiraten, Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 1988
  • Kurt Piehl: Schieber, Tramps, Normalverbraucher. Unterwegs im Nachkriegsdeutschland, Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 1989, ISBN 3-9257988-89-7
  • Fritz Theilen: Edelweißpiraten, Emons-Verlag, Köln 2003, ISBN 3-89705-272-5

Vorlage:Lesenswert Kandidat