Zum Inhalt springen

Harry Domela

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Dezember 2014 um 13:30 Uhr durch Maasikaru (Diskussion | Beiträge) (ausreichende Gründe für Festlegung; siehe Disk.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Harry Domela (lettisch Harijs Domela; * 1904/05 in Grusche, Gouvernement Kaunas, Kaiserreich Russland; † nach 1977) war ein deutschbaltischer Hochstapler, Autor und Spanienkämpfer.

Biographie

Harry Domela wurde als Sohn eines deutschbaltischen Müllers in dem Dörfchen Grusche unweit der Gouvernementsgrenze geboren und verlebte seine Kindheit im kurländischen Bauske. 1919 wurde er mit 14 Jahren Kindersoldat in dem nach dem Ersten Weltkrieg im Baltikum kämpfenden Freikorps „Brandis“ (benannt nach Cordt von Brandis). Die Truppe wurde 1920 in Jüterbog, Brandenburg aufgelöst. Domela galt in der Heimat als Hochverräter und in Deutschland als Ausländer. Die deutschen Behörden verweigerten ihm einen Pass, den er aber brauchte, um Arbeit zu bekommen. Er nahm in den Goldenen Zwanzigern Arbeiten an, bei denen nicht nach einem Pass gefragt wurde. Er war Ziegeleiarbeiter, Hausbursche, Bettler, Vertreter, Schnellzeichner und Gärtner.

Domela legte sich, um seine Chancen zu verbessern, den Namen „von Liven“ zu. Der in Darmstadt wegen einer Beschäftigung angesprochene Hofmarschall Kuno Graf von Hardenberg bot dem vermeintlichen Standesgenossen Unterstützung an. Damit begann Domelas Hochstaplerkarriere. Im Herbst 1926 stellte er sich in Heidelberg im Verbindungslokal des Corps der „Saxo-Borussen“ als „Prinz Liven, Leutnant im 4. Reiterregiment Potsdam“ vor und wurde begeistert empfangen. Wenige Wochen später logierte er in Erfurt als „Baron Korff“ im Hotel Erfurter Hof. Der Hoteldirektor hielt ihn für den Hohenzollern-Prinzen Wilhelm, den ältesten Sohn des ehemaligen deutschen Kronprinzen.

Domela stieg in der Gesellschaft Thüringens binnen weniger Tage in schwindelnde Höhen auf. Auf Einladung des Erfurter Hoteliers Georg Kossenhaschen logierte er in dessen Luxushotels in Erfurt und Gotha und übernachtete auf dessen privatem Wohnsitz, der Burg Creuzburg bei Eisenach.[1] Domela besuchte als „Königliche Hoheit“ u.a. den Gothaer Oberbürgermeister, nahm an Jagden, Opernaufführungen und privaten Gesellschaften teil. Als er mitbekam, dass er kriminalpolizeilich gesucht wurde, setzte er sich mit der Eisenbahn Richtung Rheinland ab, um in die französische Fremdenlegion einzutreten. Er wurde jedoch im Januar 1927 in Köln festgenommen, als er den Zug Richtung Frankreich besteigen wollte. Noch im gleichen Monat wurde ihm unter größtem öffentlichen Interesse der Prozess gemacht.

Während seiner siebenmonatigen Haft schrieb er das Buch Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer des Harry Domela. Wieland Herzfelde brachte das Buch in seinem Malik-Verlag heraus, wo es mit 120.000 Exemplaren ein gewaltiger Erfolg wurde. Die literarische Prominenz, darunter Thomas Mann, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky, feierten ihn, er trat in Theatern und Revues auf, Zeitschriften brachten Artikel über ihn. Diese Hochstapler-Geschichte wurde 1959 von Wolfgang Luderer im Auftrag der DEFA, sechs Jahre später von Wolfgang Schleif im Auftrag des ZDF verfilmt.

Im Sommer 1929 eröffnete der 24-Jährige in der Rostocker Straße im Norden Berlins ein kleines Kino. Es lief immer der gleiche Film: Der falsche Prinz. 6 Akte mit Harry Domela. Das Kino machte jedoch Pleite, Domela verlor all sein Geld. Er wurde mehrfach verhaftet, meist unter obskuren Anschuldigungen, im Januar 1931 wegen „Verdacht auf Landesverrat“. Er sympathisierte mit der KPD und ging nach Hitlers Machtergreifung vorsichtshalber mit falschem Pass nach Holland. Er nannte sich jetzt „Victor Zsajka, geboren am 12. August 1908 in Wien, wohnhaft in Wien, Matteottiplatz 2“.

Im Sommer 1936 war er mit seinem neuen Freund Jef Last in Paris. Der war Sozialist und Homosexueller wie er, Schriftsteller und gut bekannt mit dem angeblichen Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe. Als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, waren Domela und Last unter den ersten Ausländern, die der Spanischen Republik zu Hilfe eilten. Am 20. September 1936 waren sie in Madrid und dienten in der regulären spanischen Volksarmee im 5. Regiment Enrique Lísters. Harry Domela diente in den ersten Kriegstagen Ludwig Renn als Adjutant. Er traf Franz Dahlem als Leiter der Politischen Kommission der Internationalen Brigaden. Als die Volksarmee im Januar 1939 zusammenbrach, floh auch Domela Richtung Frankreich. Als ab dem 5. Februar 1939 auch spanische Soldaten die Grenze passieren durften, wurde Harry Domela als Offizier eines Divisionsstabes in Saint-Cyprien unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert. Auf Bitten Jef Lasts bekam André Gide Domela im Mai frei.

Gide vermittelte ihn an Aline Mayrisch-de Saint-Hubert, die Witwe des luxemburgischen Stahlindustriellen Emil Mayrisch. Domela gab sich immer noch als Victor Zsajska aus. Die luxemburgische Fremdenpolizei überprüfte im Juli 1939 seine Identität. Domela setzte sich sicherheitshalber nach Belgien ab, wurde verhaftet, konnte jedoch dem deutschen Einmarsch entkommen und tauchte unter. Im Frühling des Jahres 1941 traf er in der Christi Bar in Nizza, in der unbesetzten Zone Frankreichs, André Gide und Roger Martin du Gard und empfahl ihnen, nicht nach Paris zu gehen, woher er gerade kam. Domela wurde im Sommer verhaftet und im Lager Vernet eingesperrt. Er entkam der Auslieferung an die deutschen Behörden dank Gide, der ihm ein Visum und ein Schiffsticket nach Mexiko besorgte. Dort kam er jedoch nie an und blieb für viele für immer verschollen.

Im September 1965 erhielt sein Exfreund Jef Last aus Maracaibo jedoch einen Brief von Domela: Er sei auf abenteuerlichen Wegen nach Venezuela gelangt und habe sich eine einfache Existenz als Gymnasiallehrer aufgebaut. Last sollte jedoch nichts über ihn verlauten lassen, da er immer noch mit falscher Identität lebe und auch keine Möglichkeit sehe, je wieder einen regulären Pass zu erhalten. Ein Brief an den niederländischen Widerstandskämpfer und Journalisten Tom Rot[2], datiert vom März 1978, ist Domelas letztes bekanntes Lebenszeichen, danach verliert sich seine Spur.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Steffen Raßloff: Die Creuzburg und die Ära Georg Kossenhaschen – Der Burgherr und sein falscher Prinz. In: Breustedt, Susanne-Maria (Hg.): 800 Jahre Creuzburg. Eine Festschrift. Creuzburg 2013. S. 68 f.
  2. Archief Tom Rot, Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis