Güterstraßenbahn

Eine Güterstraßenbahn ist eine Straßenbahn, die dem Transport von Gütern dient. Mit der Etablierung der Straßenbahnen in vielen Innenstädten kam auch die Frage auf, ob und wie Güter mit den Schienenfahrzeugen in der Innenstadt transportiert werden könnten. Im Gegensatz zu anderen Güterbahnen kann hier die innerstädtische Erschließungsfunktion der Straßenbahn genutzt werden. In Abgrenzung hierzu kann allerdings die bloße Nutzung der Straßenbahnen durch Briefträger der Post oder zur Auffüllung von Getränke- und Snackautomaten nicht als Güterstraßenbahn-Transport angesehen werden.
Der Transport von Gütern mit der Straßenbahn kann sowohl der Versorgung als auch der Entsorgung dienen.
Geschichte
Interne Transporte

Auf den meisten Straßenbahnnetzen findet nur betriebsinterner Güterverkehr statt. Typisch ist dabei insbesondere der Transport von
- Streusalz für das Auftauen der Bahnsteige
- Bremssand der zu den Endstationen gebracht wird, wo das Personal diesen während der Wendepause nachladen kann
- Schotter und anderen Materialien für den Gleisbau
Die Gütertransporte im Straßenbahnbereich erfolgen meist mittels einfacher Flachwagen, seltener auch mit gedeckten Güterwagen. Als Zugfahrzeuge kamen dabei, neben gewöhnlichen Straßenbahn-Triebwagen des Personenverkehrs beziehungsweise aus solchen entstandenen Arbeitswagen, meist spezielle Elektrolokomotiven mit Mittelführerstand zum Einsatz. Seltener waren kastenförmige Lokomotiven mit zwei Führerständen oder Gütertriebwagen. Viele Kommunen betrieben früher zudem Sprengwagen zur Bewässerung ungeteerter Straßen. Sie dienten in erster Linie der Gesundheitsvorsorge, erleichterten aber auch die anschließende Straßenreinigung.
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Salzmühlenwagen aus München, mit Hilfe dieser Fahrzeuge wurde Streusalz vor Ort gemahlen zum Auftauen der Gleise über diesen verteilt
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Innerbetrieblicher Gütertransport in Berlin, 1990
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Schottertransport in Wien, 1979
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Historischer Sprengwagen der Stadt Biel von 1915
Kommerzielle Transporte
Speziell adaptierte Straßenbahnwagen

Seltener als interne Transporte sind Dienstleistungen für externe Unternehmen. Größter Straßenbahngütertransporteur in Deutschland war beispielsweise die Straßenbahn Hannover. 1912 transportierte sie auf ihrem weit ins Umland reichenden Netz 412.000 Tonnen Güter. Weitere deutsche Betriebe mit Güterbeförderung waren die Wahner Straßenbahn sowie die Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft mbH.
- Die Stuttgarter Straßenbahnen richteten 1912 einen sogenannten Marktwagenverkehr ein. Er erlaubte es den Bauern und Gärtnern aus den Vororten ihre Erzeugnisse samt Leiterwagen auf speziellen Flachwagen zur Stuttgarter Markthalle in der Innenstadt zu transportieren. Dieser Service bestand bis 1955.[1][2]
- In Wuppertal fuhren zwischen 1923 und 1963 Kohlenzüge auf Straßenbahngleisen ab dem Bahnhof Schlachthof an der Bahnstrecke Loh–Hatzfeld über den Alten Markt zum Heizkraftwerk am Clef. Hierzu mussten die Kohlen am Schlachthof mittels einem Becherwerk aus den Staatsbahngüterwagen in – speziell für diesen Zweck gebaute – zweiachsige Selbstentladewagen der Wuppertaler Stadtwerke umgeladen werden. In der Regel bestand eine solche Garnitur aus drei Güterwagen, die jeweils etwa fünf Meter lang waren. Insgesamt standen sieben Wagen mit den Nummern 781 bis 787 zur Verfügung, das heißt zwei Garnituren und ein Reservefahrzeug.[3]
- Auf dem Netz der Straßenbahn Dresden transportierten zwischen 1926 und 1965 eigene Fahrzeuge der Bienertmühle Mehl, hierzu existierten ein Gütertriebwagen und drei Güterbeiwagen. Die Frachtzüge verbanden die Hofmühle, den Stammsitz des Unternehmens im Stadtteil Plauen, mit der Hafenmühle in der Friedrichstadt.[4]
- Im Ruhrgebiet wurden im Zweiten Weltkrieg Güterstraßenbahnen zum Transport von Kohle oder anderen Massengütern genutzt. Nach Kriegsende wurden in den zerstörten Städten oft Trümmerbahnen auf Straßenbahngleisen eingesetzt, um den Schutt der Ruinen abzufahren.
- Die Thüringerwaldbahn transportierte in den Jahren 1982 bis 1988 Getränkekisten der örtlichen Brauerei auf ihrer Überlandstrecke von Gotha nach Tabarz, wo die Umladung auf Lastwagen erfolgte.[5] Für diesen Dienst verwendete die Straßenbahngesellschaft zwei ältere gedeckte Güterwagen von 1929, die ursprünglich als Gepäckwagen dienten.[6]
Anfang des 20. Jahrhunderts existierten ferner in einigen Städten Europas Güterstraßenbahnen für den innerbetrieblichen Postaustausch, so beispielsweise die Poststraßenbahn Frankfurt am Main von 1901 bis 1951, die Poststraßenbahn München von 1905 bis 1959, die Poststraßenbahn Aachen von 1920 bis 1928 oder die Poststraßenbahn Berlin von 1917 bis 1935.
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Ehemalige Anschlussgleise der Dresdner Bienertmühle
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Lokomotive der Wuppertaler Stadtwerke, heute bei der Lokalbahn Lambach–Vorchdorf-Eggenberg im Einsatz
Zustellung von Staatsbahngüterwagen über das Straßenbahnnetz
Eine Variante der Güterstraßenbahn war die Zustellung von Güterwagen der Staatsbahn über das Straßenbahnnetz. Hiervon profitierten insbesondere Industriebetriebe abseits der Eisenbahnstrecken. Sie kamen auf diese Weise dennoch zu einem Gleisanschluss, zumindest sofern sie an oder in der Nähe einer Straßenbahnstrecke lagen. Von Vorteil war hierbei insbesondere das entfallende Umladen der Waren auf Straßenfahrzeuge im Güterbahnhof. Nachteilig hingegen wirkte sich der teils aufwändige Rangierbetrieb aus, dieser behinderte mitunter den regulären Taktfahrplan der Straßenbahn und verursachte Verspätungen.
Normalspurnetze
Vor allem in Österreich-Ungarn beziehungsweise dessen Nachfolgestaaten war es weit verbreitet, die Güterwagen direkt auf den Straßenbahngleisen fahren zu lassen, sofern es sich um normalspurige Netze handelte. Beispiele hierfür sind Arad zu Zeiten der normalspurigen Pferdebahn (1869–1929), Brünn (1909–1967), Budapest, Debrecen, Košice (1914–1964),[7] Oradea (1882–1994),[8] Ostrava (1894–1972),[9] St. Pölten (1911–1976), Timișoara (1899–1904 und 1916–1993) und Szeged (1884–1971). In Oradea, wo zeitweise bis zu 27 Anschlüsse bedient wurden,[10] war der Güterverkehr dabei Vorreiter des erst 1896 eingeführten Personenverkehrs.
Der Übergang von Eisenbahnwagen in das Straßenbahnnetz gemäß dem Tram-Train-Konzept erforderte jedoch häufig infrastrukturelle Anpassungen, insbesondere bezüglich des Radreifenprofils. So waren beispielsweise in St. Pölten die Rillenschienen auf den Mischbetriebsstrecken 60 Millimeter breit, auf den reinen Personenverkehrsabschnitten hingegen nur 32 Millimeter.[11] Zudem war das höhere Gewicht der Eisenbahnwagen zu berücksichtigen, es erforderte schwerere Schienen und einen stabileren Unterbau. Ferner waren die Güterwagen meist breiter als die Personenwagen und konnten außerdem besonders enge Radien nicht befahren. Fahrzeugseitig mussten die Straßenbahnlokomotiven – zusätzlich zu den im Straßenbahnbereich üblichen Mittelpufferkupplungen – mit Puffern und Schraubenkupplungen ausgestattet werden.
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Abgestellte Staatsbahn-Güterwagen im Arader Stadtzentrum, die Zustellung dorthin erfolgte über die Gleise der Pferdebahn
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Gütertriebwagen aus Ostrava, für die Beförderung von Eisenbahnwagen ist er zusätzlich mit Puffern und Schraubenkupplungen ausgestattet
Schmalspurnetze
Schmalspurige Straßenbahnnetze hingegen setzten meist auf die Verladung normalspuriger Wagen auf meterspurige Rollwagen, seltener auch auf Rollböcke. Dies war unter anderem in Gera, Meißen, Mönchengladbach, Mülhausen, Reutlingen, Schaffhausen und Teplice[12] der Fall. Allerdings waren Reutlingen und Teplice zumindest anfangs als Kleinbahn beziehungsweise Lokalbahn konzessioniert. Gleiches galt für die 1926 ins Netz der Hagener Straßenbahn AG integrierte ehemalige Kleinbahn Haspe–Voerde–Breckerfeld, auf der bis 1954 Güterverkehr stattfand.[13] Die Güterbahn Deuben wiederum war eine ausschließlich dem Güterverkehr dienende, aber als Straßenbahn konzessionierte Anlage. Im Gegensatz dazu war die Plettenberger Straßenbahn als Eisenbahn genehmigt, führte den Betrieb aber dennoch ähnlich einer Straßenbahn durch und bediente zeitweise bis zu 71 Anschlüsse.[14]
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Dieses Denkmal erinnert an den Rollbockbetrieb der Plettenberger Straßenbahn]]
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Ehemaliger Rollwagen der Güterbahn Deuben
Heutige Projekte
Dresden
Bekanntestes Projekt heute ist die CarGoTram in Dresden. Mit der CarGoTram Dresden werden Güter von einem Logistikzentrum in die Gläserne Manufaktur von Volkswagen transportiert.
Am 16. November 2000 wurde das erste Fahrzeug offiziell vorgestellt. Am 3. Januar 2001 absolvierte die Tram erste Testfahrten auf dem Dresdner Streckennetz.[15]
Wien, Zürich
Des Weiteren bestehen heute Testprojekte in Wien (Güterbim) zum Transport von kompletten LKWs, und in Zürich (Cargotram), zum Einsammeln von Sperrmüll.
Amsterdam
Bei der Straßenbahn Amsterdam wurde im März 2007 der Einsatz von Güterstraßenbahnen getestet und anschließend der Aufbau eines Güterstraßenbetriebs ab 2008 beschlossen. Die mit dem Betrieb beauftragte Firma Citycargo sollte bis Jahresende 2008 zehn CargoTrams zum Einsatz bringen. Im Endausbau sollten es 50 Triebwagen sein. Diese sollten vor allem den Warenverkehr mit den Geschäften und Gaststätten in der Amsterdamer Innenstadt übernehmen und diese vom LKW-Lieferverkehr entlasten.
Nach dem Rückzug der Investoren 2009 hat das Unternehmen CityCargo Insolvenz angemeldet, seitdem wird dieses Projekt nicht mehr weiterverfolgt
Forschungsprojekt Ruhrgebiet
Die Fachhochschule Gelsenkirchen betrieb seit September 2005 bis 2008 ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Einsatzkriterien für Güterstraßenbahnen im Ruhrgebiet“ welches vom Land Nordrhein-Westfalen staatlich gefördert wurde. Abgeschlossen wird das Projekt durch eine Dissertation, die im März 2012 vorgelegt werden soll.
Perspektive
Dem Gütertransport per Straßenbahn kann in der Zukunft eine größere Perspektive zugesprochen werden. Das liegt vor allem an den zunehmenden Umweltproblemen, Feinstaub-Problematik und Citymaut, die sich beim Transport mit dem LKW in den Innenstädten ergibt. Als Lösungsansatz für die Überwindung dieser Problematik gilt die Citylogistik bei der die Rolle der Straßenbahn Gegenstand der aktuellen Debatte ist.
Siehe auch
Literatur
- Horst Moch: Deutschlands größter Straßenbahn-Güterverkehr Hannover 1899–1953, Üstra, Hannover o. Jahr (1986), ISBN 3-980278-32-8
- Bernd Kortschak: Eine Güterstraßenbahn? Für Wien!, in: Gerhard Seicht (Hrsg): Jahrbuch für Controlling und Rechnungswesen 2010, LexisNexis, Wien 2010, S. 599ff, ISBN 978-3-7007-4505-1.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ 75 Jahre Vorort-Straßenbahnen, aus Über Berg und Tal 3/1985
- ↑ Stuttgarter Nachrichten: Markthalle Stuttgart – Eine Schiene führt ins Nichts
- ↑ Geschichte des Güterverkehrs in Wuppertal auf www.bahnen-wuppertal.de
- ↑ Gleisanschluss Bienertmühle auf karsten.kerron.de
- ↑ www.thueringer-waldbahn.de
- ↑ Chronik auf www.waldbahn-gotha.de
- ↑ Slovenské tramvaje auf www.modellode.cz
- ↑ Trams & Tramways in Romania auf www.beyondtheforest.com
- ↑ Geschichte der öffentliche Verkehr in Ostrava auf www.dpo.cz
- ↑ Iparvágány térképe auf tramclub.org
- ↑ Chronik der Straßenbahn St. Pölten auf www.public-transport.at
- ↑ Die einstige Straßenbahn von Teplitz auf mhdteplice.cz
- ↑ Bilderfahrt mit der einst schönsten Straßenbahnlinie Deutschlands auf derwesten.de, Artikel vom 17. November 2011
- ↑ Die Plettenberger Kleinbahn auf www.alt-plettenberg.de
- ↑ Meldung Aktuelles in Kürze. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 3/2001, ISSN 1421-2811, S. 106.