Pierre Bourdieu
Pierre-Félix Bourdieu (* 1. August 1930 in Denguin, Pyrénées-Atlantiques; † 23. Januar 2002) war einer der bekanntesten französischen Soziologen des 20. Jahrhunderts. Von 1962 bis 1983 war er mit Marie-Claire Brizard verheiratet.
Bourdieu studierte Philosophie in Paris an der École Normale Supérieure und arbeitete dann als Lehrer. 1958-1960 forschte er in der Kabylei in Algerien und begründete damit seine Reputation als Soziologe. Seit 1981 hatte Bourdieu einen Lehrstuhl am College de France. Im Jahre 1993 wurde er mit der "Médaille d'or du Centre National de la Recherche Scientifique" (CNRS) ausgezeichnet.
Seine soziologischen Forschungen, zumeist im Alltagsleben verwurzelt, waren vorwiegend empirisch orientiert und können der Kultursoziologie zugeordnet werden. Er verwendete Leitbegriffe wie Habitus, soziales Feld, Doxa, Hexis und verglich Interaktionen des Alltagslebens mit der Ökonomie des Spiels. Die Individuuen als Spieler besitzen unterschiedlich viele Chips verschiedener Sorten (ökonomisches Kapital, soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital), die sie setzen können. Dabei gilt: "Und jeder spielt entsprechend der Höhe seiner Chips."
Geistige Gewährsleute Bourdieus waren neben Émile Durkheim auch Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Max Weber. Er entlehnte von ersterem sowohl eine Sozial-Epistemologie, die sich um den Begriff der sozialen Tatsache rankt, als auch die Grundeinsicht in die Bedeutsamkeit der Kultur- und Sozialanthropologie für die Soziologie; ferner übernahm er von Marx die Konzepte Klasse und Klassenkampf und von Weber einen Ungleichheitsdiskurs, der sich an der Begriffstrias Klasse/Stand/Partei orientiert. Nietzsches materialistische Genealogie der Moral stand seiner Diskussion des Verhältnisses zwischen dem Adel und den "einfachen Leuten" Pate.
Bekannt war Bourdieu zudem als politisch interessierter und aktiver Linksintellektueller, der sich gegen die herrschende Elite und den Neoliberalismus wendete. Die Aufgabe der neuen sozialen Bewegungen umschrieb er mit den Begriff der "ökonomischen Alphabetisierung".
Hier einige Beispiele von Ergebnissen seiner empirischen Forschungen:
- Er zeigte, dass trotz der formalen Wahlfreiheit in Fragen des ästhetischen Geschmacks, künstlerische Präferenzen in Frankreich (z.B. klassische Musik, Rock, Chanson) stark mit der ("kulturellen") Klassenzugehörigkeit korrelieren.
- Er wies - alltägliche Beobachtungen einbringend - nach, dass Feinheiten der Sprache wie Akzent, Grammatik, Aussprache und Stil einen wesentlichen Faktor in der sozialen Mobilität (z.B. beim Erwerb eines besser bezahlten und höherbewerteten Berufs) darstellen.
Ausgewählte Schriften
- Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. (1982) - Das wohl bekanntste der zahlreichen Werke Bourdieus.
- Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. (1987)
- Homo Academicus (1988)
- Die verborgenen Mechnismen der Macht (1992)
- Soziologische Fragen (1993)
- Das Elend der Welt (1997) - cultural studies zum Neoliberalismus
Sekundärliteratur
- Krais, Beate & Gebauer, Gunter: Habitus (2002)
- Schwingel, Markus: Bourdieu zur Einführung (2003)
- von Thadden, Elisabeth, Wie ein Buch handeln kann, Zum Tod des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, DIE ZEIT Literatur 06/2002