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Kernkraftwerk

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Kernkraftwerk Olkiluoto (Fotomontage), links der im Bau befindliche EPR

Ein Kernkraftwerk (KKW) oder Atomkraftwerk (AKW) ist ein Elektrizitätswerk zur Gewinnung von elektrischer Energie durch Kernspaltung in Kernreaktoren.

Die Erzeugung elektrischer Energie geschieht indirekt. Die Wärme, die bei der Kernspaltung entsteht, wird auf ein Kühlmedium übertragen, wodurch dieses erwärmt wird. Im Normalfall besteht das Kühlmittel aus Wasser; bei der Erwärmung wird Wasserdampf erzeugt, der dann eine Dampfturbine antreibt. In den meisten Fällen besteht ein Kernkraftwerk aus mehreren Blöcken, die für sich völlig unabhängig voneinander elektrischen Strom erzeugen. Anfang 2006 waren weltweit 442 Kernkraftwerke am Netz. Weltweit geplant ist der Bau von 120 bis 140 neuen Kernkraftwerken in den nächsten 10 Jahren.

Auch ein künftiger Fusionsreaktor wäre ein Kernkraftwerk. Jedoch ist die Energiegewinnung aus Kernfusion im technischen Maßstab bislang erst Gegenstand von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und von der industriellen Nutzung noch weit entfernt (Stand: 2006).

Einleitung und Wortherkunft

Datei:KKW Grafenrheinfeld.jpg
KKW Grafenrheinfeld, Bayern

Physikalische Grundlage für den Betrieb eines Kernkraftwerkes ist die thermische Energie, die bei der Spaltung von Atomkernen aufgrund eines Massendefektes nach der von Einstein formulierten Beziehung E = m c² entsteht.

Für die bei Kernreaktionen und radioaktiven Umwandlungen freiwerdende Energie wurde 1899 der Begriff Atomenergie von Hans Geitel geprägt; damals fehlten allerdings die Kenntnisse über den Aufbau von Atomen. Aufgrund dieser Erkenntnisse, insbesondere das Wissen über die Existenz des Atomkerns, ist der heutige korrekte naturwissenschaftliche Fachbegriff Kernenergie. Daraus abgeleitet entstanden die synonymen Begriffe Kernkraftwerk (KKW) und Atomkraftwerk (AKW). Der Begriff Atomkraftwerk wurde 1960 für das Versuchsatomkraftwerk Kahl benutzt. 1966 wurde (analog beispielsweise zur englischen Bezeichnung Nuclear Power Plant – NPP) für die Kraftwerke Rheinsberg und Gundremmingen A die Bezeichnung Kernkraftwerk verwendet.


Geschichte

Das erste zivile Kernkraftwerk der Welt wurde 1954 in Obninsk erfolgreich in Betrieb genommen, mit einer elektrischen Leistung von 5 MW. Fast zeitgleich wurde im Jahr 1955 in Calder Hall (England) ein weiteres Kernkraftwerk errichtet, welches 1956 mit einer Leistung von 55 MW ans Netz ging und daher auch als erstes kommerzielles Kernkraftwerk der Welt bezeichnet wird. In den meisten frühen Kernkraftwerken kamen Siedewasserreaktoren zum Einsatz, da diese einfacher zu konstruieren und zu regeln sind. Inzwischen sind dagegen Druckwasserreaktoren üblicher, die höhere Leistungsdichten besitzen und bei denen der Kontrollbereich kleiner ist. Das erste Kernkraftwerk Deutschlands war das unter Lizenz von GE von der AEG gebaute Versuchsatomkraftwerk (VAK) Kahl (16 MWe) mit einem Siedewasserreaktor, der zuerst am 13. November 1960 kritisch wurde. Es folgten der Mehrzweckforschungsreaktor (MZFR) Karlsruhe (29. September 1965, 57 MWe) und der KKR Rheinsberg in Brandenburg (damals DDR). Es wurde am 9. Mai 1966 das erste Mal ans Netz geschaltet und war bis 1990 in Betrieb. Das nächste war (KRB A) in Gundremmingen (14. August 1966, 250 MWe) und schließlich ein Kraftwerk mit einen Druckwasserreaktor 1968 in Obrigheim in Baden-Württemberg (357 MWe).

Alle noch im Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke wurden von der Siemens AG oder deren ehemaliger Tochter, der Kraftwerk Union (KWU), gebaut. Ausnahmen bilden die Kraftwerke mit Siedewasserreaktoren (Brunsbüttel, Isar I, Philippsburg I und Krümmel). Sie wurden von der AEG begonnen und von der KWU fertiggebaut, nachdem die Kernkraftsparte der AEG in der KWU aufging.

Im April 1986 ereignete sich der bislang schwerste Störfall in einem Kernkraftwerk im ukrainischen Prypjat im Reaktor Tschernobyl, bei dem der Block 4 explodierte und erhebliche Mengen radioaktiver Nuklide in die Atmosphäre gerieten. Die Explosion des Reaktors ist auf menschliches Versagen sowie bauartbedingte Mängel (vor allem auf das Fehlen technischer Einrichtungen, die die leichtfertige Fehlbedienung verhindert hätten) zurückzuführen. Der Störfall wurde zunächst tagelang vertuscht, bis man auch in Skandinavien stark erhöhte Radioaktivitätswerte messen konnte und die sowjetische Regierung durch den enormen öffentlichen Druck gezwungen war, die Havarie einzugestehen. Der Störfall selbst und die durch ihn freigesetzte Radioaktivität forderten nach neuesten (2005) UN-Angaben ("Chernobyl's Legacy: Health, Environmental and Sozio-economic Impact and Recommendations to the Governments of Belarus, The Russian Federation and Ukraine") bisher 56 Menschenleben (47 "Liquidatoren" und 9 Kinder mit Schilddrüsenkrebs), und es könnten noch bis zu 3.940 Tote als Spätfolgen dazukommen. Die davon gravierend abweichende Schätzungen von IPPNW (Quelle:IPPNW-online [1]), dass von den rund 800.000 nach der Katastrophe eingesetzten Hilfskräften inzwischen fast 50.000 verstorben sind, ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass hier alle (auch normale) Todesursachen mit berücksichtigt wurden. Der Unfall verursachte enorme wirtschaftliche Schäden und rief in der ganzen Welt ein Misstrauen gegen die Kernenergie hervor.

Der neueste Auftrag (2004) für einen EPR Druckwasserreaktor von 1,6 GW Leistung wurde vom finnischen Energieversorgungsunternehmen Teollisuuden Voima Oy (TVO) für den Standort Olkiluoto an Framatome ANP erteilt. Der privat finanzierte Reaktor (3 Milliarden Euro) soll im Jahr 2009 an das Netz gehen.

Den Bau des ersten schwimmenden Atomkraftwerks planen Russland und die Volksrepublik China. Der Reaktorblock soll von Russland, und die Außenhülle soll von China gebaut werden. Die Kosten für das Projekt betragen über 86 Millionen US-Dollar. Das Atomkraftwerk, das zum Vergleich mit einem Haus neun Stockwerke hoch sein wird, befindet sich dann auf einem 140 Meter langen und 30 Meter breiten schwimmenden Block mit einer Wasserverdrängung von 21.000 Tonnen. Der Bau des Atomkraftwerks soll 2011 abgeschlossen sein und zunächst für das russische Rüstungsunternehmen Sewmasch in Sewerodwinsk in der Region Archangelsk Energie liefern. Geplant ist eine Leistung von 70 Megawatt.

Kernkraftwerke in Deutschland

2003 waren in Deutschland 19 Kernkraftwerke in Betrieb und produzierten 165 Terawattstunden Strom. Das entspricht 27,7 Prozent der gesamten Bruttoerzeugung (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Das Kernkraftwerk Stade bei Hamburg wurde im Dezember 2003 aufgrund des so genannten „Atom-Konsens-Vertrages“ abgeschaltet und befindet sich derzeit in der Stilllegungsphase. Am 11. Mai 2005 wurde auch das Kernkraftwerk Obrigheim abgeschaltet. Sein Abbau soll bis 2023 dauern. Somit sind derzeit (Stand 2005) noch 17 Atomreaktoren in Betrieb. Diese sollen nach Erreichen zugeteilter Reststrommengen ebenfalls abgeschaltet werden. Damit ginge nach derzeitigem Stand im Jahre 2022 der Block 2 des AKW Neckarwestheim als letzter vom Netz.

In den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2005, die dann zur Bildung der großen Koalition führten, konnte keine Einigung über die Forderung der CDU/CSU zur Laufzeitverlängerung erzielt werden. Allerdings hält der Koalitionsvertrag fest, dass der Konsensvertrag und die entsprechenden Regelungen des Atomgesetzes nicht geändert werden sollen. Beide Parteien haben angekündigt, über das Thema während der Legislaturperiode weiter zu verhandeln.

Nichtnukleare Besonderheiten

Das Kernkraftwerk Neckarwestheim (Block 1) liefert als einziges Kernkraftwerk der Welt auch einphasigen Bahnstrom. Beim Kernkraftwerk Stade sowie beim früher einzigen (ost)deutschen Kernkraftwerk wurde auch die Abwärme genutzt. Im Kernkraftwerk Greifswald wurden in den Blöcken 1-4 jeweils 75 MW thermisch ausgekoppelt und zur Wärmeversorgung der Stadt benutzt. 1984 bis 1990 (Stilllegung Block 1–4) wurde Anzapfdampf der Turbinen genutzt. Bis 1994 erzeugte ein Öl-Heizhaus die Wärme. Die Anlage wurde 1994 außer Betrieb genommen. (Daten: Heiznetz Vorlauf 180 °C, Rücklauf 80 °C, Umwälzmenge bis zu 4 x 800 /h, 25 km (Lubmin-Greifswald) Fernwärmerohr DN800 PN40, drei Streckenschieberstationen, Netzinhalt etwa 25000 m³ Deionat)

Technische Daten ausgewählter Kernkraftwerke

Kernkraftwerk Land Typ Nenn- leistung Betriebs- arbeit *) Zeit- verfüg- barkeit Zeit- ausnut- zung Arbeits- verfüg- barkeit Arbeits- Nichtverfügbarkeit **) Arbeits- ausnut- zung **)
(brutto) (brutto) **) geplant ungeplant ****)
***) disponi- bel nicht disponi- bel
in MW in GWh in % in % in % in % in % in % in %
Biblis A D DWR 1225 10217,1 95,6 95,6 95,2 0,3 4,5 0 94,1
Biblis B D DWR 1300 9283 83,2 83,2 82,5 16,7 0,3 0,5 80,5
GKN-I Neckar D DWR 840 6405,1 94,2 94,2 89,7 6 0 4,3 86
GKN-II Neckar D DWR 1365 11200,1 93 93 92,9 6,1 0 1 93,9
KBR Brokdorf D DWR 1440 11615,4 94,8 94,8 94,7 4,7 0 0,7 91,8
KKB Brunsbüttel D SWR 806 5073,1 74,5 74 73,3 5,7 0,4 20,5 72
KKE Emsland D DWR 1400 11762,8 96,3 96,3 96,1 3,2 0 0,7 95,5
KKG Grafenrheinfeld D DWR 1345 10673,4 91,8 91,8 91,6 6,7 0 1,7 90,4
KKI-1 Isar D SWR 912 7047,5 90,9 90,9 89,1 7,6 0,6 2,7 87,8
KKI-2 Isar D DWR 1475 12239,5 95,6 95,6 95,4 4,1 0 0,6 94,3
KKK Krümmel D SWR 1316 10052,7 89,1 89,1 87,7 6,1 0,4 5,8 87
KKP-1 Philippsburg D SWR 926 6631,9 84,5 84,5 83,5 13,1 0,5 2,8 81
KKP-2 Philippsburg D DWR 1458 10863,8 87 87 86,9 8,2 0 5 84,2
KKU Unterweser D DWR 1410 10220 87,8 87,8 87,4 10,4 2 0,2 82,3
KRB-B Gundremmingen D SWR 1344 10810,6 93,4 93,4 91,3 8,3 0,2 0,1 91,2
KRB-C Gundremmingen D SWR 1344 8892,3 76,8 76,8 74,9 5,5 0,3 19,3 74,9
KWG Grohnde D DWR 1430 11331,1 93,9 93,9 93,6 5,5 0,1 0,9 89,5
KWO Obrigheim D DWR 357 2739,9 94 94 93,8 5,8 0 0,4 86,8
OL1 Olkiluoto FIN SWR 870 7270,9 95 95 94,8 4,5 0,1 0,7 95
OL2 Olkiluoto FIN SWR 870 7340,9 96,8 96,8 96,2 2,7 1,1 0,1 96
KCB Borssele NL DWR 478 3822 91,9 91,9 91,6 6,1 0 2,3 91,4
KKB 1 Beznau CH DWR 380 2920,5 88,3 88,3 87,5 11,3 0 1,2 87,5
KKB 2 Beznau CH DWR 380 3226,6 97,3 97,3 97 3 0 0 96,7
KKG Gösgen CH DWR 1020 8458,4 94,5 94,5 94,3 5,5 0,2 0 94,4
KKL Leibstadt CH SWR 1220 9135,1 86,9 86,9 85,6 13,3 0,6 0,5 85,2
KKM Mühleberg CH SWR 372 3028,8 94,3 94,3 92,8 6,6 0,6 0,1 92,7
CNT-I Trillo E DWR 1066 8536 92,4 92,4 91,5 5,7 0 2,8 90,9

DWR: Druckwasserreaktor SWR: Siedewasserreaktor

*) Betriebsarbeit in GWh bezeichnet in diesem Fall die Arbeit die ein Kraftwerk in einem Jahr leistet. Als Basis für diesen Wert dienen 365 Tage mit zusammen 8760 Stunden.

**) Auf Nettobasis ermittelte Werte (KKB 1 Beznau, KKB 2 Beznau, KKG Gösgen, KKL Leibstadt und KKM Mühleberg auf Bruttobasis)
***) geplant: Beginn und Dauer der Nichtverfügbarkeit müssen mehr als 4 Wochen vor Eintritt festgelegt sein
****) ungeplant: Der Beginn der Nichtverfügbarkeit ist nicht oder bis 4 Wochen verschiebbar

  • disponibel: Der Beginn der Nichtverfügbarkeit ist mehr als 12 Stunden bis 4 Wochen verschiebbar
  • nicht disponibel: Der Beginn der Nichtverfügbarkeit ist nicht oder bis 12 Stunden verschiebbar

Stand: 2004, Quelle: VGB PowerTech

Siehe auch

Übergeordnete Artikel

Kernenergie, Liste der Kernkraftanlagen, Liste der Nuklearanlagen in Deutschland, Liste der Kernreaktoren in Österreich, Liste der Reaktortypen

Weiterführende Artikel

Strahlenschutz, Atomkraftgegner, Atomausstieg, GAU, Katastrophe von Tschernobyl, Kernschmelze, Konvoi-Typ

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