Wolfgang Streeck
Wolfgang Streeck (* 27. Oktober 1946 in Lengerich) ist ein deutscher Soziologe und Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.
Werdegang
Streeck studierte Soziologie in Frankfurt am Main und New York und war im Anschluss als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Münster tätig. Seiner Promotion 1980 in Frankfurt am Main folgte 1986 die Habilitation im Fach Soziologie an der Universität Bielefeld. Während seiner Studienzeit war er aktives Mitglied im Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) und Mitbegründer des Sozialistischen Büros in Offenbach am Main. Von 1980 bis 1988 war er Senior Research Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin. Danach war er von 1988 bis 1995 Professor für Soziologie und Industrielle Beziehungen an der University of Wisconsin-Madison.
Seit 1995 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. 1999 übernahm er zudem eine Professur für Soziologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Köln. Streeck ist seit 1998 Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Streeck widmet sich in seinen Arbeiten vor allem Fragestellungen aus den Bereichen Wirtschaft und Politik und deren Wechselbeziehungen. Dabei bedient er sich eines historisch-vergleichenden institutionellen Ansatzes.
Streeck hat Ende der Neunzigerjahre über das Bündnis für Arbeit die Agenda 2010 mit vorbereitet. [1] [2] Mit 16 Jahren trat Streeck in die SPD ein, aus Protest gegen den Nicht-Ausschluss von Thilo Sarrazin trat er aus der SPD aus.[3]
Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2012
Streeck meint, dass der sogenannte Spätkapitalismus, wie in Krisentheorien der 1960/70er Jahre beschrieben, in Wahrheit der Anfang einer damals unvorstellbaren Expansion kapitalistischer Produktions- und Konsumtionsverhältnisse war. Dabei war diese Expansion von einer fast 40 Jahre dauernden Steigerung von Inflation, von Staats- und Privatverschuldung[4] begleitet, die in der heutigen internationalen Banken- und Fiskalkrise ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Die Fiskalkrise hat sich jetzt zu einer fundamentalen Krise im Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus ausgewachsen; sie berührt damit das Staatensystem der entwickelten Industriegesellschaften insgesamt.
Die drei Vorlesungen im Frankfurter Institut für Sozialforschung behandeln die Verhinderung beziehungsweise den zeitweiligen Aufschub der schon in den 1970er Jahren vorhergesagten „Legitimationskrise“ des Systems durch Inflation, Staats- und Privatverschuldung, die einander bis zum Zusammenbruch des „Pumpkapitalismus“ (Ralf Dahrendorf) folgten. An die Stelle des Wachstums der Nachkriegsjahre traten nach 2007 verteilungspolitische „Pazifizierungsinstrumente“, als ein Mittel, das innergesellschaftliche Verhältnis von Arm und Reich anders zu bestimmen. Die Vorlesungen beschreiben die Finanz- und Fiskalkrise des Jahres 2012 als Prozess einer langfristigen Gewichtsverschiebung im Verhältnis der Faktoren „Demokratie“ und „Kapitalismus“, sie zeichnen den Wandel vom Steuer- zum Schuldenstaat nach, sie untersuchen die Folgen für eine demokratische Politik und diskutieren die jetzige Entwicklung hin zu einem „Konsolidierungs- und Austeritäts-Staat“. Die demokratische Beteiligung wurde zu bloßer Unterhaltung herabgewürdigt und zudem von politisch-ökonomischen Entscheidungen abgekoppelt. Was in den letzten Tagen (Juni 2012) als „Wachstumsprogramme“ politisch verkauft wurde, ist nichts weiter als eine „Umverpackung der nach wie vor alternativlos verfolgten Austeritäts- und Deregulierungsstrategie“.[5]
Jürgen Habermas, der die Buchpublikation der Vorlesungen mit großem Respekt vor der diagnostischen Analyse des Autors lobt, sie gar mit der Marxschen Schrift Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte vergleicht, kritisiert indessen Streecks „nostalgische Option“ für den Rückzug in die europäische Kleinstaaterei.[6]
Zitate
Streeck sieht in der aktuellen Krisenpolitik eine Fortsetzung des langfristigen Trends zur Zunahme der Staatsverschuldung und damit zur abnehmenden Handlungsfähigkeit des Staates, welcher von den Banken als Geisel genommen worden sei:
„Möglich, dass der finanzielle Kraftakt, den wir derzeit beobachten, der letzte ist, zu dem das westliche Staatensystem in der Lage ist. Danach wäre der Kapitalismus, wie er immer gewollt hat, sich selbst überlassen.“
„Es scheint einen Imperativ zu geben: Die Forderungen des Finanzsektors an die Staaten müssen absoluten Vorrang haben vor den Forderungen der Bürger an die Staaten.“
Schriften (Auswahl)
- Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Suhrkamp, Berlin, 2013 ISBN 9783518585924
- Re-Forming Capitalism: Institutional Change in the German Political Economy. Oxford University Press, Oxford 2009
- Governing interests: business associations facing internationalization. Routledge, 2006. ISBN 0415364868, 9780415364867
- (mit Colin Crouch): The diversity of democracy: corporatism, social order and political conflict. Edward Elgar Publishing, 2006. ISBN 1845426134, 9781845426132
- (mit Kathleen Ann Thelen): Beyond continuity: institutional change in advanced political economies. Oxford University Press, 2005. ISBN 0199280460, 9780199280469
- (mit) Martin Höpner: Alle Macht dem Markt? Fallstudien zur Abwicklung der Deutschland AG. Campus Verlag, 2003. ISBN 3593372657, 9783593372655
- (mit Kôzô Yamamura): The origins of nonliberal capitalism: Germany and Japan in comparison. Cornell University Press, 2001. ISBN 0801439175, 9780801439179
- Korporatismus in Deutschland: Zwischen Nationalstaat und europäischer Union. Campus Verlag, 1999. ISBN 3593363208, 9783593363202
- Internationale Wirtschaft, nationale Demokratie: Herausforderungen für die Demokratietheorie. Campus Verlag, 1998
- (mit Colin Crouch): Political economy of modern capitalism: mapping convergence and diversity. SAGE, 1997. ISBN 0761956530, 9780761956532
- Staat und Verbände. Westdeutscher Verlag, 1994. ISBN 353112661X, 9783531126616
- Status und Vertrag als Grundkategorien einer soziologischen Theorie der industriellen Beziehungen: Habil.-vortrag, gehalten am 12. November 1986 vor d. FAK. Für Soziologie d. Univ. Bielefeld. Veröffentlicht von WZB, Forschungsschwerpunkt Arbeitsmarkt u. Beschäftigung, 1988
Literatur über Streeck
- Transformationen des Kapitalismus: Festschrift für Wolfgang Streeck zum sechzigsten Geburtstag. Campus Verlag, 2006. ISBN 3593382814, 9783593382814
Weblinks
- Literatur von und über Wolfgang Streeck im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Offizielle Seite am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) Köln
- Wolfgang Streeck: Die Krisen des demokratischen Kapitalismus, in: Lettre International. LI 95, Winter 2011 (Auszug)
- Wolfgang Streeck: Völker und Märkte, in: Lettre International. LI 95, Winter 2011 (Auszug)
- Wolfgang Streeck: Wissen als Macht, Macht als Wissen - Kapitalversteher im Krisenkapitalismus, in: MERKUR, September 2012, (S. 776 ff), ISSN 0026-0096.
- Wolfgang Streeck, Jens Beckert: Die Fiskalkrise und die Einheit Europas., in: APuZ 4/2012, S. 7–17. (PDF, 64 S., 3 MB)
- Paul Stänner: Die Krise der Demokratie (Rezension des Buches „Gekaufte Zeit“). In: Lesart (Rundfunksendung auf Deutschlandradio Kultur). 9. Juni 2013, abgerufen am 10. Juni 2013.
Notizen
- ↑ http://www.nachdenkseiten.de/?p=17173#more-17173
- ↑ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13220370.html
- ↑ laut Rainer Hank: Ein vernünftiger Linker, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. Oktober 2014, Seite 30 (Porträt über Streeck)
- ↑ von Streeck als „neoliberale Konterrevolution“ bezeichnet. Damit ist das Kapital aus dem „Gefängnis“ sozialer Regulierungen der Nachkriegszeit ausgebrochen. Er nennt die Deregulierung „atemberaubend erfolgreich“
- ↑ nach IFS
- ↑ Jürgen Habermas: Demokratie oder Kapitalismus. Vom Elend der nationalstaatlichen Fragmentierung in einer kapitalistisch integrierten Weltgesellschaft. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 58. Jg./2013, H. 5, S. 59-70.
- ↑ Wolfgang Streeck: Eine Last für Generationen. Handelsblatt, 10. März 2009, abgerufen am 20. März 2009.
- ↑ Wenn politische Beschlüsse durch weltweite Marktwirtschaft ersetzt werden. Andruck – Das Magazin für politische Literatur im Deutschlandfunk, 22. April 2013, abgerufen am 5. Mai 2013.
Personendaten | |
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NAME | Streeck, Wolfgang |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Soziologe |
GEBURTSDATUM | 27. Oktober 1946 |
GEBURTSORT | Lengerich |
- Soziologe (20. Jahrhundert)
- Soziologe (21. Jahrhundert)
- Hochschullehrer (Wisconsin)
- Hochschullehrer (Universität zu Köln)
- Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
- Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft
- SB-Mitglied
- SPD-Mitglied
- EGOS
- Träger des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen
- Träger des Verdienstordens der Italienischen Republik (Komtur)
- Person (Lengerich, Westfalen)
- Deutscher
- Geboren 1946
- Mann