Thüringentag der nationalen Jugend
Der Thüringentag der nationalen Jugend ist eine seit 2002 einmal jährlich jeweils um das letzte Maiwochenende in einer anderen Stadt in Thüringen stattfindende Neonazi-Veranstaltung mit Festival-Charakter, bei der Redner aus dem Spektrum der Nationaldemokratische Partei Deutschlands und der so genannten Freien Kameradschaften sowie mehrere Rechtsrock-Bands und Liedermacher auftreten.
Der Hintergrund der NPD-Festivals
Nach dem so genannten "Aufstand der Anständigen" im Jahr 2000 ging die Zahl der Rechtsrock-Konzerte bundesweit beträchtlich zurück und die Polizei sorgte auf Grund der "Konzertverordnungen" dafür, dass zahlreiche Skinhead-Konzerte nicht stattfinden konnten oder abgebrochen werden mußten. Zur selben Zeit verstärkte die NPD ihre Bemühungen, im "vorpolitischen Bereich" aktiv zu werden und durch Rechtsrock anpolitisierte Jugendliche für die Partei zu gewinnen. Eines der neuen Konzepte ist, Konzerte mit Neonazi-Bands als politische Veranstaltungen der NPD anzumelden. Neben den Bands treten Redner aus dem NPD- und Kameradschaft-Spektrum auf, um zum einen den Veranstaltungen einen politischen Charakter zu geben und zum anderen, um die Jugendliche mit den rechtsextremistischen Positionen und Forderungen bekannt zu machen. Das Angebot wird durch Informations- und Verkaufsstände ergänzt, bei dem sich rechtsextreme Organisationen und Publikationen wie Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Rechtsrock-Versände und Labels ihrem Publikum vorstellen und Material zum Verkauf anbieten.
Zu diesen Konzerten, die sich mittlerweile oft zu jährlichen Veranstaltungen entwickelten und Festival-Charakter haben, gehört zum Beispiel das Pressefest der NPD-Postille Deutsche Stimme mit bis zu 7000 Besuchern. In Thüringen wird dieses Konzept am konsequentesten umgesetzt.
"Erster Thüringentag der nationalen Jugend" in Jena
Der "1. Thüringentag der nationalen Jugend" fand am 1. Juni 2002 in Jena statt. Geplant war, das Festival demonstrativ auf dem Marktplatz im historischen Zentrum der Stadt stattfinden zu lassen, doch konnte es juristisch an einen Platz am Stadtrand abgedrängt werden. Als Veranstalter firmierten der NPD-Kreisverband Jena und die "Nationale Jugend Jena". Letztere waren eine im Oktober 2001 gegründete Jugendorganisation aus dem Umfeld der Kameradschaft "Nationaler Widerstand Jena", die die Forderung nach der Errichtung und Finanzierung eines "nationalen Jugendzentrums" durch die Stadt Jena aufstellten. Das Jahr 2002 hatte die NPD-nahe Gruppierung sogar zum "Kampf- und Aktionsjahr der Nationalen Jugend Jena" erklärt. Neben einer Demonstration war der erste Thüringentag die größte Aktion dieser Gruppe, bei der Christian Kaiser als Sprecher der Organisation auftrat. Die weiteren Reder hatten überregionale Bedeutung: Peter Borchert (NPD Schleswig-Holstein), Gerd Ittner (Bürgerinitiative Ausländerstop Nürnberg) Patrick Wieschke (NSAW) und Frank Schwerdt, der Bundesgeschäftsführer der NPD und Landesvorsitzende der NPD Thüringen. Letzteren kommt wahrscheinlich zusammen mit seinem Landesvize, dem Jenaer Neonazi-Kader Ralf Wohlleben, die Urheberschaft für das Festival zu. Für die musikalische Untermalung sorgten Martin Rocktäschel aus Gera und ein weiterer "Liedermacher" sowie die Leipziger Band "Selektion", die mehrere "Landser"-Titel coverte. Laut Verfassungsschutzbericht nahmen "etwa 130 Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums aus Thüringen und anderen Bundesländern" an der Veranstaltung teil.
Die im Anschluss an die Veranstaltung von der NPD veröffentlichten Pressemitteilungen lassen Charakter und Zielsetzung deutlich erkennen: Eine Veranstaltung, "von der man mit Recht behaupten kann, dass sie so etwas wie eine "national befreite Zone" auf Zeit im betreffenden Wohnviertel darstellte, wie Peter Borchert richtig erkannte." (NPD) bzw. "Das gesamte Gebiet um den Hölleinplatz herum", lautete das Fazit der Initiatoren, "(war) an diesem Tag national befreit...Wir konnten in aller Öffentlichkeit unsere Kultur ausleben, neue Kontakte untereinander knüpfen und uns einen schönen Tag unter Kameraden machen." (VS)
"Zweiter Thüringentag der nationalen Jugend" in Gotha
Im darauffolgenden Jahr fand die Veranstaltung am 31. Mai in Gotha statt. Diesmal traten als Redner und Rednerinnen auf: Ralf Wohlleben (Jena), Michael Burkert (Friedrichroda), Ivonne Mädel (Meiningen), ein "Kamerad Fabian" sowie erneut Gerd Ittner (Nürnberg). Neben wiederum zwei Liedermachern trat eine "Musikgruppe Odessa" auf, deren Name wiederum deutlich auf die neonazistische Ausrichtung des Konzerts verweist, da es sich um die Abkürzung einer Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen handelt. Die NPD gab die Besucherzahl mit "über 300 zumeist junge Nationalsozialisten" (NPD) an und kommentierte erneut: "An diesem Sonnabend wurde nun eindeutig klar, dass Gotha endgültig zur National Befreiten Zone geworden ist. ... Der nationale Widerstand und seine Jugendkultur verstecken sich nicht mehr länger in Hinterzimmern und Veranstaltungsräumen. Die deutsche Jugend hört ihre Musik jetzt auch ganz öffentlich auf den Straßen und Plätzen ihrer Städte. Und wir lassen uns von dort nicht mehr vertreiben! Wir sind die Zukunft!" (NPD).
"Dritter Thüringentag der nationalen Jugend" in Saalfeld
Für die dritte Veranstaltung dieser Reihe, die am 29. Mai 2004 in Saalfeld unter dem Motto "Kapitalismus abschaffen – Globalisierung bekämpfen! Für eine starke nationale Jugendkultur!" stattfand, steigerten der Anmelder Ralf Wohlleben und sein Stellvertreter, der Gothaer Neonazi Sebastian Reiche, noch einmal ihre Bemühungen. Bei den Rednern handelte es ich erneut um Ivonne Mädel, Michael Burkert, Patrick Wieschke und Frank Schwerdt, zu denen in diesem Jahr eine "Kameradin Mareike" vom Mädelring Thüringen und Kurt Hoppe, der Thüringer Landesvorsitzender der Deutschen Partei (DP) hinzu kamen. Drei Liedermacher, darunter ein Österreicher, und die Neonazi-Band "Blood Revenge" aus Westfalen sorgten für die musikalische Untermalung. Die Teilnehmerzahl betrug Angaben von NPD und Verfassungsschutz 250 bis 300 Personen. Während das bürgerliche Engagement gegen die rechtsextremistische Veranstaltung zaghaft bleib, hatten vereinzelt Angehörige der autonome Antifa-Szene versucht, den "Thüringentag" zu stören.
"Vierter Thüringentag der nationalen Jugend" in Weimar
Im Vergleich zu den Vorjahren hielten sich Werbung und Aufwand für den "4. Thüringentag der Nationalen Jugend" am 28. Mai 2005 in Weimar deutlich in Grenzen. Das Motto lautete "Heimat und Kultur erhalten! Gegen Kapitalismus und Globalisierung vorgehen!" Wie schon 2002 in Jena blieb den Neonazis der zentrale Theaterplatz mit dem Deutschen Nationaltheater und dem Goethe-Schiller-Denkmal verwehrt, den sie ursprünglich demonstrativ besetzen wollten. Als Redner waren die schon fast obligatorischen NPDler Schwerdt, Wieschke und Burkert angekündigt, außerdem zwei Liedermacher und die NSBM-Band "Asatru" aus Bautzen. Statt der erwarteten etwa 500 Besucher fanden nur etwa 150 Neonazis zum Teil mit Familie den Weg nach Weimar. Parallel sprachen sich im Stadtzentrum etwa 2000 Bürger und Gäste von Weimar bei einer Demonstration und einem Fest gegen Neonazis und für Toleranz und kulturelle Vielfalt aus. Das rechtsextreme Festival wurde gegen 16 Uhr durch eine Verfügung der Stadt Weimar aufgelöst, "weil der Charakter einer Versammlung nicht mehr gegeben war". Diese Entscheidung, gegen die die NPD allerdings Klage angekündigt hat, zeigt, dass auch mit rechtlichen Mitteln gegen eine Aushöhlung des Demonstrationsrechts und die Tarnung von Konzerten als NPD-Parteiveranstaltungen vorgegangen werden kann.
Der nächste "Thüringentag" ist für 2006 in Altenburg angekündigt.
Vorbildwirkungen für ähnliche Veranstaltungen
Der Thüringentag ist vorbildgebend für eine Reihe von ähnlichen Musik-Veranstaltungen der NPD und der freien Kameradschaften insbesondere in Thüringen wie dem "Fest der Völker" am 11. Juni 2005 in Jena und den seit 2003 in Gera stattfindenen NPD-Open Airs "Rock gegen Krieg" bzw. "Rock für Deutschland". Mittlerweile wird auch in anderen Regionen versucht, ähnliche Veranstaltung zu organisieren. Wie auch das Projekt Schulhof-CD zeigen derartige Veranstaltungen die deutlichen Bemühungen, über Musik und rechten Lifestyle insbesondere Jugendliche anzusprechen, die über traditionelle Formen (nicht nur rechtsextremer) Politikvermittlung wie Kundgebungen und Demonstrationen kaum mehr zu erreichen sind.