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Ulrich Seidl

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Ulrich Seidl beim Odessa International Film Festival (2013)
Ulrich Seidl (Österreichischer Filmpreis 2013)

Ulrich Seidl (* 24. November 1952 in Wien) ist ein österreichischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent.

Leben und Werk

Seidl – aufgewachsen im niederösterreichischen Horn in einer streng religiösen Ärztefamilie – sollte Priester werden.[1] Für Dokumentarfilme wie Good News, Tierische Liebe, Models oder Jesus, du weißt erhielt er zahlreiche internationale Auszeichnungen.

Models stellt den Alltag zweitklassiger österreichischer Models dar, die zwischen Club, Wohnung und Katalog-Shooting versuchen, ein Leben voller Glamour zu führen und mit betonter Oberflächlichkeit und Kokainkonsum auf sexistische Fotografen und enttäuschende Beziehungen reagieren. In Slowenien wurde der drastische Film beschlagnahmt.

Tierische Liebe porträtiert Tierfreunde, die mit ihren Haustieren seltsam intime emotionale Beziehungen pflegen.

2001 veröffentlichte er mit Hundstage seinen ersten Spielfilm, in dem auch Profidarsteller zum Einsatz kommen. Er wurde in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und erzielte international rund 250.000 Kinobesuche.[2]

2003 gründete er die Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH und tritt seitdem auch als Produzent seiner Filme auf. Mit Import Export war er 2007 im Wettbewerb der 60. Filmfestspiele von Cannes vertreten.

2012 stellte Seidl mit Paradies: Liebe den ersten Teil seiner Paradies-Trilogie fertig, die von drei Frauen einer Familie erzählen soll, die getrennt voneinander ihre Urlaube verbringen. Die weiteren Teile handeln von einer missionierenden Katholikin (Paradies: Glaube) und einer Jugendlichen in einem Diät-Camp (Paradies: Hoffnung). In Paradies: Liebe ist Margarethe Tiesel als Sextouristin zu sehen, die von Österreich nach Kenia reist, um dort von jungen schwarzen Männern Liebe zu erfahren. Für diesen Film erhielt Seidl 2012 seine zweite Einladung in den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes.[3] Bei der Verleihung des Österreichischen Filmpreises wurde er als beste Filmproduktion sowie in den Kategorien Regie und Darstellerin (Margarethe Tiesel) ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde Seidl für den zweiten Teil seiner Trilogie, Paradies: Glaube, in den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Venedig eingeladen. Der Film handelt von einer alleinstehenden Frau Maria Hofstätter, die in ihrem Urlaub mit einer „Wandermuttergottes-Statue“ von Haus zu Haus geht, um Österreich katholischer zu machen. Zu Hause entwickelt sich ein Kleinkrieg um Ehe und Religion, als ihr auf einen Rollstuhl angewiesener Ehemann, ein ägyptischer Moslem, nach Jahren der Abwesenheit wieder zu ihr zurückkehrt.[4] Der letzte Trilogie-Teil Paradies: Hoffnung erhielt eine Einladung in den Wettbewerb der 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin.

Der Film Im Keller zeigt neben anderen Szenen Männer, die sich in einem mit Nazi-Devotionalien gespickten Keller in Marz treffen, und löste den Rücktritt von zwei der Gefilmten als Gemeinderatsmandatare der ÖVP aus.[5]

Ulrich Seidl ist mit der Journalistin Veronika Franz (* 1965) verheiratet. Veronika Franz war bisher bei allen Seidl-Filmen seit Bilder einer Ausstellung als Co-Autorin, Regieassistentin und Casterin beteiligt. Das Paar lebt in Wien und hat zwei Kinder.[6]

Stil

Logo von Seidls Produktionsfirma

Sein filmischer Stil erinnert oft an TV-Doku-Dramen. Dabei soll ein inszeniertes (Laien-)Schauspiel wie die dokumentierte Realität wirken. Doch ist Seidl in seinen oft langen und distanzierten Einstellungen weit poetischer und zurückhaltender.[7] Sein Zugang zum Film ist der Dokumentarfilm bzw. das Dokumentarische im Film.

Vielen gilt er als Extremfilmer, weil er mit radikaler Aufgeschlossenheit Einsame, Hässliche, Außenseiter und Deformierte porträtiert.[1]

Seidl arbeitet mit formal zum Teil verstörenden Mitteln – lange, starre Einstellungen, harte Schnitte, Distanz.

Filmografie

Ulrich Seidl bei der Premiere seines Films Import Export in Linz (2007)
  • 1980: Einsvierzig, Regie/Buch
  • 1982: Der Ball, Regie/Buch
  • 1990: Good News, Regie/Buch
  • 1992: Mit Verlust ist zu rechnen, Regie/Buch
  • 1994: Die letzten Männer, TV, Regie/Buch
  • 1995: Tierische Liebe, Regie/Buch
  • 1996: Bilder einer Ausstellung, TV, Regie/Buch
  • 1997: Der Busenfreund, TV, Regie/Buch
  • 1998: Spaß ohne Grenzen, TV, Regie/Buch
  • 1998: Models, Regie/Buch
  • 2000: Hundstage, 140 min., Regie/Buch
  • 2001: Zur Lage (Situation Report), 105 min., Regie/Buch: Ulrich Seidl, Barbara Albert, Michael Glawogger, Michael Sturminger
  • 2003: Jesus, du weißt, 87 min.
  • 2007: Import Export, 135 min., Drehbuch, Regie, Produktion
  • 2012: Paradies: Liebe, 120 min., Drehbuch, Regie, Produktion
  • 2012: Paradies: Glaube, 113 min., Drehbuch, Regie, Produktion
  • 2013: Paradies: Hoffnung, 91 min., Drehbuch, Regie, Produktion
  • 2014: Im Keller, 81 min., Drehbuch, Regie, Produktion

Auszeichnungen

Literatur

Commons: Ulrich Seidl – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Martina Knoben: Verstörung ist auch eine Form der Berührung - Eine Expedition in die Welt des Ulrich Seidl. In: Süddeutsche Zeitung, 28. Juni 2010 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Knoben“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  2. lumiere.obs.coe.int Lumiere – Datenbank über Filmbesucherzahlen in Europa; abgerufen 8. November 2007
  3. PARADIES: LIEBE Im Wettbewerb der 65. Filmfestspiele von Cannes bei ulrichseidl.com; abgerufen 25. April 2012.
  4. PARADIES: Glaube im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig bei ulrichseidl.com (abgerufen am 29. Juli 2012).
  5. http://burgenland.orf.at/news/stories/2669952/ „Nazi-Keller“: Seidl beteuert Authentizität, ORF.at, 23. September 2014
  6. Presseheft zum Film Kern von Veronika Franz (PDF; 4,7 MB)
  7. Weniger freundlich beschreibt Rüdiger Suchsland den Stil: Rassismus für die Gebildeten unter seinen Verächtern. Telepolis, 3. Januar 2013, Rezension
  8. Bergen International Film Festival
  9. Jürgen Haberleithner: Film als soziale Dimension: Luis García Berlanga und Ulrich Seidl als Exponenten sozialer Filmkultur. (PDF; 549 kB) Wien, September 2003; abgerufen 28. Jänner 2012
  10. Gala: Ulrich Seidl mit Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. In: Der Standard, 8. September 2012; abgerufen 22. Dezember 2012
  11. ORF-Online: Ehrenzeichen an Regisseur Ulrich Seidl; abgerufen am 14. Nov. 2013