Geschichte des Kosovo

Die Geschichte des Kosovo wird von Serben und Albanern gewissermaßen als geistiges Schlachtfeld angesehen, auf dem der Kampf um dieses Gebiet mit intellektuellen Mitteln (weiter)geführt wird. Im wesentlichen geht es dabei - wie man auch anhand verschiedenster Versionen dieses Artikels nachvollziehen kann - um vier Streitfragen:
- Wer siedelte zuerst im Kosovo? Die Beantwortung dieser Frage soll das historische Recht auf die heutigen Besitzansprüche untermauern.
- Wer hatte wann die Bevölkerungsmehrheit? Auch die Beantwortung dieser Frage wird zur Begründung eigener Besitzansprüche herangezogen.
- Wer hat im Laufe der Geschichte ein wie auch immer geartetes Recht auf den Besitz des Kosovo erworben - etwa durch Errichtung von Kulturdenkmälern oder den Kampf gegen fremde Besatzer (Türken, Deutsche)?
- Wer hat wann an wem welche Gräueltaten/Massaker/Vertreibungen begangen? Dies dient zur moralischen Untermauerung der eigenen Ansprüche. Und die Geschichte des Kosovo bietet reiche Beispiele für beide Seiten.
Kriterien westlicher Geschichtswissenschaft werden bei Antworten auf diese Fragen von Serben und Albanern in der Regel nicht angelegt. Oft werden nationale Mythen verbreitet, die der Nachprüfung durch Historiker nicht standhalten. Geschichtliche Fakten, die den Anspruch der jeweiligen Gegenseite untermauern könnten, werden bestritten. Dargestellt werden jeweils lediglich die Fakten, die eigene Ansprüche bekräftigen.
Vorgeschichte und Antike
- 1000 v. Chr.: Verschiedene Stämme der Illyrer bewohnen die westliche Hälfte der Balkanhalbinsel vom Norden des heutigen Griechenlands bis nach Pannonien. Die albanische Forschung sieht die Albaner als Nachfahren der alten Illyrer. Westliche Forscher gehen davon aus, dass die Albaner aus einem altbalkanischen Volk hervorgingen, dass die Romanisierung im unzugänglichen Berggebiet Nordalbaniens überdauerte.
- 2. Jhdt. v. Chr. - 1. Jhdt. n. Chr.: Integration der illyrischen Siedlungsgebiete in das Römische Reich. Seit der Kaiserzeit gehört das heutige Kosovo zur Provinz Moesia superior. Kaiser Diocletian teilt Ende des 3. Jahrhunderts die Provinzen neu ein. Kosovo und Teile des heutigen Mazedonien bilden nun die Provinz Dardania in der Diözese Moesia. Die wichtigste römische Ansiedlung auf dem Gebiet des Kosovo war das zur Zeit Kaiser Trajans gegründete Municipium Ulpiana. Seine Ruinen liegen nahe Prishtina. Ansonsten war das Gebiet des heutigen Kosovo zu römischer Zeit eine städtearme Landschaft. Archäologisch nachgewiesen sind vor allem spätantike Siedlungen. Die uralbanische Bevölkerung des Berglandes hat Kontakt zu den Römern, wie Übernahmen lateinischer Wörter zeigen.
- 6. Jahrhundert: Einzug und die Verbreitung der Slawen über den ganzen Balkan. Die frühalbanischen Einwohner siedeln weitgehend im Gebiet des Flusses Mati. Dieser Theorie eines Reliktgebietes widersprechen albanische Forscher - sie behaupten, die Albaner hätten schon immer da gesidelt, wo sie heute leben, also in Albanien und den Siedlungsgebieten des Kosovo und Mazedoniens.
- 1078 Erste Erwähnung der Albaner durch den byzantnischen Geschichtsschreiber Michael Attaleiates als "Arvaniten" (Αρβανΐται).
Mittelalter und erster serbischer Staat
Nach der Völkerwanderung und dem Einbruch der Slawen auf den Balkan konnte sich das Byzantinische Reich im 7. Jahrhundert wieder stabilisieren. Obwohl nun zum großen Teil von Slawen bewohnt herrschten die griechischen Kaiser bis Anfang des 9. Jahrhunderts über das Gebiet des heutigen Kosovo. 814 wurde das Gebiet vom bulgarischen Zarenreich erobert. Nordwestlich des Kosovo begann im 10. Jahrhundert die Entstehung der ältesten serbischen Fürstentümer. Im 11. Jahrhundert folgt eine letzte Periode der byzantinischen Herrschaft über Kosovo.
Um 1200 begründen die Serben unter der Dynastie der Nemanjiden einen mittelalterlichen Staat mit einem serbischen König und einer serbisch-orthodoxen Nationalkirche; um 1170 wird das Kosovo Teil des serbischen Königreiches der Nemanjiden. Das serbische Reich wird im 13. und 14. Jahrhundert aufgrund der Schwäche des byzantinischen Reiches zur Hegemonialmacht auf dem Balkan.
Der erste König Stefan Nemanjić, auch Stephan II. gennannt (1196-1227), wird 1217 gekrönt, sein Bruder, der Mönch Sava von Serbien (1169-1236) begründet als erster serbischer Erzbischof (1219-1236) die selbständige (autokephale) Serbisch-orthodoxe Kirche. 1335 lässt sich der serbische König Stefan Uroš IV. Dušan (1331-1355) in Prizren zum „Zaren der Serben und Rhomäer“ krönen und erhebt so den Anspruch, als Nachfolger des oströmischen (byzantinischen) Reiches zu gelten. 1346 wird der serbische Erzbischof zum Patriarchen erhoben, er nimmt seinen Amtssitz im Dreifaltigkeitskloster in Peć. Die Region Metohija rund um Prizren wird in dieser Zeit religiöses und kulturelles Zentrum des mittelalterlichen serbischen Staates.
Das serbische Reich des Mittelalters dient in der Gegenwart als Folie, auf deren Hintergrund serbische Ansprüche geltend gemacht werden: Kosovo ist im serbischen Selbstverständnis die Geburtsstätte der nationalen Kultur. Das Kloster von Peć war 420 Jahre lang Sitz des serbischen Patriarchen bis zur Aufhebung des Patriarchats durch die Türken im Jahre 1766. Auch heute noch trägt der Patriarch der Serbischen Orthodoxen Kirche – obwohl er seit 1920 in Belgrad residiert – den Titel des Erzbischofs von Peć. Charakteristisch ist die enge Verflechtung zwischen serbischer Nationalbewegung und eigener Nationalkirche: Die Kirche selbst versteht sich als Träger nationaler Kultur und Staatlichkeit.
Am 28. Juni 1389 fand im Kosovo die Schlacht auf dem Amselfeld statt, angeführt vom osmanischen Sultan Murad I.. Die Ermordung des Sultans durch den serbischen Adeligen Miloš Obilić während der Schlacht läutete die ausgeübte Vergeltung bzw. Ermordung des Kaisers Lazar Hrebeljanović und einiger ihm engvertrauter serbischer Adeliger durch den Sohn Murads I., den neuen Sultan Beyazid I. (1389 – 1402), ein.
Zeit der Osmanenherrschaft
- 1385: Einfall der Osmanen
- 1389: siehe Schlacht auf dem Amselfeld, Ende des mittelalterlichen serbischen Staates
- 15. Jahrhundert: Unter türkischer Herrschaft beginnen die Albaner sich immer stärker im Kosovo auszubreiten. Begünstigt wird dieser Prozess in den nächsten Jahrhunderten durch mehrere Faktoren. Erstens: Die Übernahme des Islam durch die Albaner macht diese zu bevorrechtigten Bürgern im Osmanischen Reich. Zweitens: Aus den vergleichsweise kargen Gegenden des heutigen Nordalbanien wandern die Albaner aus wirtschaftlichen Gründen in die weitaus fruchtbareren Gebiete des Kosovo aus, was von den türkischen Behörden teilweise gefördert wird. Drittens: Ein Teil der Serben nimmt ebenfalls den Islam an und wird albanisiert; eine ähnliche Tendenz lässt sich bei den Bosniaken beobachten oder bei Tscherkessen, die im 19. Jahrhundert in das Kosovo einwanderten.
Das serbische Königreich vor dem Ersten Weltkrieg
Am 8. Oktober 1912 begann der erste Balkankrieg mit dem Ergebnis, dass Kosovo und Mazedonien vom Osmanischem Reich befreit und wieder mit dem Königreich Serbien vereint wurden. Sogar große Teile Albaniens wurden damals von den Osmanen befreit. Aus politischen Gründen und auf Druck Österreich-Ungarns wurde am 28. November 1912 das unabhängige Albanien mit einem deutschen Adligen als König gegründet. Grund hierfür war, dass Serbien und Montenegro nicht einen gemeinsamen serbischen Staat gründen sollten und somit das größer gewordene Serbien einen Zugang zur Adria bekäme. Der Einfluss Russlands auf dem Balkan sollte dadurch eingedämmt werden.
Das Kosovo im Zweiten Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkriegs, 1941, schuf das faschistische Mussolini-Italien ein Groß-Albanien, das auch von Albanern nicht mehrheitlich bewohnten Gebiete mit einbezog. Darunter auch das Kosovo, West-Mazedonien und Teile Nordgriechenlands. 1944 wurde eine kosovo-albanische SS-Division namens Skanderbeg gegründet. Ihr Standort war Prizren, ihr hauptsächliches Operationsgebiet das Kosovo, ihr erklärter Auftrag der "Schutz" des "ethnisch reinrassigen" Albaniens. Die außerordentliche Brutalität der "Skanderbeg-Division" ist vielfach belegt: So tötete sie am 28. Juli 1944 im Dorf Veliko 380 Ortsansässige (darunter 120 Kinder) und steckte 300 Häuser in Brand. Im April 1944 deportierte sie 300 Juden. Ende 1944 zogen sich die Achsenmächte aus dem Kosovo zurück. Kommunistische Partisanen und Rote Armee übernahmen allmählich die Kontrolle.
In Titos kommunistischem Jugoslawien
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kosovo in das föderal organisierte Jugoslawien Josip Broz Titos integriert. Das Gebiet gehörte zur Teilrepublik Serbien, obwohl Tito während des Krieges den Albanern das Selbstbestimmungsrecht in Aussicht gestellt hatte, um sie für den Widerstand gegen die Nazis zu gewinnen, was nicht gelang. Proteste der Albaner nach Kriegsende wurden blutig niedergeschlagen.
Es folgten schwierige Jahre für die albanische Bevölkerung, die Tito mit einer Mischung aus Gewalt und Toleranz zu regieren versuchte.
Die 1970er Jahre waren von einer zunehmenden "Albanisierung" gekennzeichnet. Kosovo-Albaner beherrschten Partei und Behörden. Die Belgrader Zentralregierung beobachtete ein Anwachsen von Korruption, Cliquenwirtschaft und Überbevölkerung bei gleichzeitig niedriger Produktivität. Die schlechte wirtschaftliche Lage sowie anti-serbische Repressionen veranlassten immer mehr Kosovo-Serben zur Abwanderung.
In der neuen jugoslawischen Bundesverfassung von 1974 wurde das Kosovo (wie auch die Vojvodina) als autonome Provinz und Föderationssubjekt etabliert. Allerdings blieben die Provinzen Bestandteil der Teilrepublik Serbien. Die albanische Sprache und Kultur wurde unbeschränkt erlaubt und an Schulen und Hochschulen unterrichtet.
Der Zerfall Jugoslawiens
Mit dem Tod Titos 1980 geriet die föderale Verfassungskonstruktion in eine Krise. Die Albaner Kosovos verlangten die Loslösung der serbischen Provinz Kosovo von Serbien und den Status eines Staatsvolks innerhalb der jugoslawischen Föderation. Die übrigen Teilrepubliken sowie die jugoslawische Bundesregierung verweigerten dies, Serbien setzte die kosovarische Provinzregierung ab. 1981 kam es zu anti-serbischen Aufruhren im Kosovo, die von den jugoslawischen Polizeikräften wiederholt blutig niedergeschlagen wurden. Das Zusammenleben zwischen Serben und Albanern verschlechterte sich zusehends. Der Anteil der Serben im Kosovo sank auf 20 Prozent. 1987 wurde Slobodan Milošević Präsident der SR Serbien. Zwei Jahre später, am 28. Juni 1989, hielt er im Kosovo die bekannte Amselfeld-Rede, die als Vorbote des Krieges im ehemaligen Jugoslawien betrachtet wird.
Slobodan Milošević hob 1989 den Status des Kosovo als autonome Provinz auf. Es folgten im Kosovo ethnische Unruhen, die zu einigen Dutzend Toten auf beiden Seiten führten. Albanische Schulen wurden geschlossen, sowie Lehrer und Dozenten, die auf Albanisch unterrichten, entlassen. Dasselbe Schicksal ereilte auch die albanischen Polizisten. Ab 1989 wurde über das Kosovo der Ausnahmezustand verhängt, wozu auch willkürliche Verhaftungen ohne juristische Basis oder Beistand gehörten. Die Albaner reagierten erst mit einem friedlichen Totalboykott, doch als es auch nach dem Dayton-Abkommen dem 1992 gewählten albanischen Präsidenten Ibrahim Rugova nicht gelang, die Probleme im Kosovo zu internationalisieren und die serbische Unterdrückung im Kosovo immer mehr zunahm, tauchte 1997 die bis dato schon im "Geheimen" operierende "Ushtria Çlirimtare Kosovës" (UÇK) (Befreiungsarmee Kosovos) auch öffentlich auf.
Die internationale Staatengemeinschaft stufte die UÇK zunächst als terroristische Organisation ein, da sie gewaltsame Aktionen auf serbische Sicherheitskräfte, aber auch auf serbische Zivilisten und zivile Einrichtungen verübte. Die Aktionen richteten sich auch gegen Kosovo-Albaner, die ein gutes Verhältnis zu den serbischen Behörden anstrebten. Laut einem Ende 2000 veröffentlichten Bericht des parlamentarischen Rates der NATO - einem vom Bündnis unabhängigen Gremium - arbeitete die UÇK gezielt auf eine Eskalation der Lage im Kosovo hin, um einen akuten Handlungsbedarf der NATO zu inszenieren. Im Laufe des Konfliktes wurde die UÇK aber mehr und mehr zum Verhandlungspartner für westliche Regierungen, zuerst für die USA.
Die Intervention der NATO
Nach einer Reihe von Gewaltexzessen serbischer Sicherheitskräfte gegenüber der Bevölkerung des Kosovo und der Ablehnung des Vertrag von Rambouillet durch Slobodan Milošević begann die militärische Intervention der NATO.
NATO-Luftangriffe zwangen Slobodan Milošević schließlich zur Kapitulation. Da bei den NATO-Luftangriffen nicht nur serbische militärische Ziele angegriffen wurden, sondern auch serbische Kraftwerke, Fabriken, Brücken, Bürogebäude sowie durch Fehlabwürfe auch Wohnhäuser und Flüchtlingskonvois, kamen tausende Serben und Albaner ums Leben. Der Rückzug der serbischen Armee beendete vorerst die blutigen Auseinandersetzungen im Kosovo. Das Kosovo wurde vorläufig Protektorat der UNO. Die Zahl der während des Konfliktes 1998/1999 Getöteten schwankt zwischen 900 und 15.000. Es gelten bis heute mehr als 4000 Menschen als vermisst, davon etwa 3500 Albaner. Es ist aber anzunehmen, dass eine Vielzahl niemals gefunden wird, da diese verstreut im Kosovo in Massengräbern liegen. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag befasst sich zurzeit mit den Geschehnissen. Seit dem Jahr 2000 wurden insgesamt 65 mutmaßliche Massengräber im Kosovo von den Kfor-Truppen gefunden, allein 42 davon im britischen Sektor. Dabei wurde festgestellt, dass in einem beträchtlichen Anteil der Massengräber serbische Tote vergraben sind. Ein Teil der identifizierten serbischen Leichen gilt schon seit 1997/1998 als vermisst.
Literatur
- Bartl, Peter: Albanien. Vom Mitttelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 1995 ISBN 3-7917-1451-1
- Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. (4. erw. Aufl. München 2002) ISBN 3-406--49019-0
- Malte Olschewski: Der Krieg um den Kosovo. Serbiens neue Schlacht am Amselfeld. Nidda-Verlag 1999, ISBN 3-9806814-1-6
- Stadtmüller, Georg: Forschungen zur albanischen Frühgeschichte. (= Albanische Forschungen.2) Wiesbaden 1966 (2. Aufl.)
- Michael Weithmann (Hrsg.): Der ruhelose Balkan. München 1993, 2. Aufl. 1994 ISBN 3-423-04612-0