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Modi mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten

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Die sieben Modi mit begrenzten Transpositionsmöglichkeiten von Olivier Messiaen systematisieren die bereits seit Franz Liszt, Claude Debussy, Maurice Ravel, Alexander Skrjabin und Béla Bartók bekannten distanziellen Oktavteilungen (gleichstufige bzw. periodisch-alternierende Intervallketten) und verwenden diese bereits auch als „flächendeckendes“ Skalenmaterial auch für lange distanzharmonische Verläufe. Bereits im Vorwort zu seinem Orgelzyklus La Nativité du Seigneur (1935) und in seinem Buch Technique de mon langage musical (1944) erläuterte Messiaen diese Modi [1].

Die Modi

1. Modus

Der gleichstufige erste Modus ist die Ganztonleiter und teilt damit die Oktave in sechs gleiche Distanzen. Sie ist deswegen nur noch einmal transponierbar, weil jede weitere Transposition mit einer der bereits zuvor verwendeten Gestalten zusammenfallen würde. In Olivier Messiaens Sprachregelung gilt die von C aus beginnende Gestalt („Grundgestalt“) bereits als die 1. Transposition. Als Zahlengestalt sieht dieser Modus so aus: 222222 (2=Ganztonschritt)

2. Modus

Der zweite Modus beruht auf der Kleinterzteilung der Oktave und entspricht der seit dem 19. Jahrhundert bekannten bzw. seither bereits vielfach verwendeten alternierenden Achtstufigkeit (auch Oktatonie genannt), also einer Skala von acht Tönen, die jeweils im periodischen Wechsel aus Halb- und Ganztonschritten besteht. Dieser Modus unterteilt die kleine Terz als Keimzelle in einen Halbtonschritt und einen Ganztonschritt, er ist dreifach transponierbar, denn ab einer vierten Transposition würden sich nur noch Wiederholungen der zuvor bereits verwendeten Skalen ergeben. In Olivier Messiaens Sprachregelung gilt die von C aus mit dem Halbtonschritt beginnende Gestalt („Grundgestalt“) bereits als die 1. Transposition. Als Zahlengestalt sieht dieser Modus so aus: 12121212 (1 = Halbtonschritt, 2 = Ganztonschritt).

In der Jazzharmonielehre ist diese Tonleiter auch als HTGT-Tonleiter (Halbton-Ganzton) bekannt und wird dort vorwiegend über Dominanten eingesetzt. Eine weitere Bezeichnung lautet Verminderte Skala.

3. Modus

Der dritte Modus beruht dann auf der Großterzteilung der Oktave und unterteilt die große Terz als Keimzelle des Modus in einen Ganzton und zwei Halbtöne; er ist viermal transponierbar. In der hierbei verwendeten Sprachregelung Olivier Messiaens gilt die von C aus mit dem Ganztonschritt beginnende Gestalt bereits als die 1. Transposition. Als Zahlengestalt sieht dieser Modus so aus: 211211211

4.-7. Modus

Die Modi 4. bis 7. beruhen auf der Halboktave (Tritonus) und sind damit sechsmal transponierbar. Als Zahlengestalt sehen sie übersichtlich so aus (3=kleine Terz, 4=große Terz):

4. Modus: 11311131

5. Modus: 141141

6. Modus: 22112211

7. Modus: 1112111121

Verwendung und Charakteristik

Die Modi dienen – genauso wie dies auch bei den verschiedenen Tonarten oder Kirchentonarten in der überlieferten diatonischen Tonalität vergangener Jahrhunderte der Fall ist – nicht nur als Grundlage des melodischen Materials, sondern selbstverständlich auch als Grundlage der begleitenden Akkorde. Die Begleitakkorde im 2. Modus sind beispielsweise meistens entweder Dur- und Molldreiklänge auf jener Grundton-Trägerachse, die aus der aktuellen Transposition der diesem Modus zugrundeliegenden Kleinterzteilung der Oktave hervorgeht (z. B. in der sogenannten 1. Transposition des 2. Modus ist die Grundton-Trägerachse c-es-fis-a) oder aber auch viertönige Akkorde, die etwa aus einem Dur-Quartsextakkord mit hinzugefügtem Tritonus bzw. #11 oder mit hinzugefügter großer Sexte bzw. Tredezime oder aber aus der Verknüpfung eines quintlosen Dominantseptimakkordes mit hinzugefügter großer Sexte bzw. Tredezime bestehen.

Messiaen spricht von „begrenzt transponierbaren“ Modi, weil die traditionellen diatonischen Skalen (z.B. die kirchentonalen Modi oder auch Dur und Moll) bekanntlich elf Mal transponierbar sind, bevor die Ausgangsposition (Originalgestalt) wieder erreicht wird. NB: Auch die überlieferten diatonischen Skalen sind nicht unbegrenzt transponierbar. An deren insgesamt zwölf Erscheinungsformen gemessen kann natürlich die nur zweifache, dreifache, vierfache oder sechsfache Transponierbarkeit als „begrenzt“ gelten.

Ein achter Modus

Der amerikanische Musikwissenschaftler John Schuster-Craig hat 1990 in der Nr. 51 der Fachzeitschrift The Music Review (BlackBearPress Ldt., Hrsg. Geoffrey Sharp) einen Beitrag veröffentlicht, in welchem er nachweist, dass es tatsächlich einen weiteren, achten Modus gibt, der nicht 12 mal transponierbar ist, den Messiaen jedoch nicht entdeckt oder vergessen habe. Er hat folgenden Aufbau (vgl. oben): 131313 bzw. 313131. Dieser wird also aus abwechselnd einer kleinen Sekunde und einer kleinen Terz gebildet und prominente Komponisten des 19.Jh. haben ihn intuitiv benutzt: Franz Liszt in seiner Faust-Sinfonie, Rimski-Korsakow in seiner Sinfonischen Dichtung Sadko und seiner Oper Der goldene Hahn und schließlich sogar Béla Bartók sehr exponiert im dritten Satz seines Konzerts für Orchester (Takte 10-11 + Takte 23-27).

Mathematische Analyse der Modi

Messiaen postuliert für seine Modi eine mathematische Vollständigkeit, die mit dem erwähnten, später entdeckten achten Modus bereits falsifiziert wurde. Betrachtet man die Modi als translationsinvariante Skalengebilde mit dem Ambitus einer Oktave, lässt sich die Anzahl aller Modi durch Abzählung der geordneten Partitionen der Zahlen 6 und 4 ermitteln. Fasst man aus den 38 so entstehenden Leitern solche zusammen, die bloß Umkehrungen voneinander sind, erhält man 16 Skalen, welche die gegebenen Bedingungen erfüllen. Von diesen zählt Messiaen sieben zu seinen Modi, von sieben weiteren begründet er, weshalb er sie nicht zu seinen Modi zählt. Zwei weitere lässt er allerdings unerwähnt; eines dieser zwei ist der oben erwähnte achte Modus. Der neunte Modus hat folgenden Aufbau: 2424 bzw. 4242.

Quellen

  1. Deutsch: Technik meiner musikalischen Sprache. Paris 1966

Literatur

  • Gárdonyi-Nordhoff: Harmonik, Wolfenbüttel: Möseler Verlag 2002, Kapitel 15 und 16
  • Koepf, Siegfried: Zu Messiaens "Modi mit begrenzter Transpositionsmöglichkeit". In: "Organ – Journal für die Orgel", Heft 4/2008
  • Messiaen, Olivier: The Technique of My Musical Language: Leduc, Paris 1956