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Hans Sellschopp

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Hans Sellschopp, vollständig Hans Karl/Carl Wilhelm Max Heinrich Sellschopp (∗ 16. April 1891 in Schwerin; † 5. August 1978 in Bottighofen) war ein deutscher Kaufmann und nationalsozialistischer Kulturfunktionär, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Konzertvermittler um die Versöhnung zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich verdient machte.

Leben

Sellschopp war ein Sohn des Kaufmanns Paul Karl Friedrich Martin Sellschop (1857–1938) und seiner Frau Marie, geb. Bühring (1868–1945), einer Tochter des Schweriner Hofpianisten Theodor Bühring.[1] Der Schweriner Weinhändler Konsul Carl Bühring, seit 1891 Inhaber des Weinhauses Uhle,[2] war sein Onkel.

Er wuchs in Lübeck auf und besuchte die Oberrealschule zum Dom. Nach musikalischem Privatunterricht studierte er zunächst an der Akademie für Tonkunst in München und dann drei Semester Rechtswissenschaften. Als Kaufmann wurde er Teilhaber der väterlichen Weinhandlung Engelhardt und Söhne in Lübeck. Die Firma hatte ihren Sitz in zwei repräsentativen Bürgerhäusern in der Schmiedestraße 5-7 der Lübecker Altstadt.[3] Beide Häuser wurde 1942 beim Luftangriff auf Lübeck zerstört.

Am Ersten Weltkrieg nahm er als Kriegsfreiwilliger teil. Er wurde 1914 Leutnant und 1920 als Oberleutnant entlassen.

Sellschopp war langjähriges Mitglied im Verein der Musikfreunde, einer Tochtergesellschaft der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit. Der Verein unterhielt das Lübecker Symphonieorchester und war Arbeitgeber seiner Dirigenten, darunter Hermann Abendroth (1905–1911) und Wilhelm Furtwängler (1911–1915). Besonders mit Furtwängler verband Sellschopp eine lange Freundschaft, die offenbar auf Furtwänglers Lübecker Zeit zurückging.[4] In der Zeit des Nationalsozialismus übernahm er im Zuge der Selbst-Gleichschaltung der Gemeinnützigen 1933 den Posten ihres Direktors und übte dieses Amt bis 1937 aus. Als 1934 das Amt eines Städtischen Musikbeauftragten für Lübeck geschaffen wurde, wurde es Sellschopp übertragen.

Nachdem er noch in der Weimarer Republik am 1. Dezember 1931 der NSDAP beigetreten war[5], wurde er 1932 Leiter der Ortsgruppe Lübeck des völkischen Kampfbunds für deutsche Kultur[6]. Er wurde Mitglied der SS[7] und erreichte in ihr 1941 den Rang eines SS-Sturmbannführers.[8]

Organigramm der Reichsmusikkammer 1934 mit Hans Sellschopp als Leiter der Abteilung C Amt für Konzertwesen und des Fachverbands CI REichsverband für Konzertwesen

Seit Juli 1933 war er Mitglied im Ausschuß für Programmberatung, der nach seinem Vorsitzenden auch Furtwängler-Auscchuß genannt wurde. Der Ausschuss war vom Preußischen Kultusministerium eingesetzt und vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda für das Reichsgebiet anerkannt worden; seine Aufgabe war, darauf hinzuwirken, dass in Konzerten deutsche Musik und deutsche Künstler bevorzugt würden. Ziel der Beratung war tatsächlich Kontrolle und Gleichschaltung.[9] Im April 1934 wurde diese Kommmission von der Reichsmusikkammer übernommen. Richard Strauss als deren Präsident bestätigte ihn mit Furtwängler und Sellschopp sowie Wilhelm Backhaus, Georg Kulenkampff, Siegmund von Hausegger und Hugo Rasch als Mitgliedern. Ebenfalls im Frühjahr 1934 war er kurzfristig als Kandidat für das Amt des Kaufmännischen Geschäftsführers der Berliner Philharmoniker im Gespräch.[10]

In der Reichsmusikkammer wurde Sellschopp im Dezember 1934 Führer des Reichsverbands für das Konzertwesen sowie Leiter des Amts für Konzertwesen.[6] Damit kontrollierte er alle, ca. 700 Körperschaften, Vereinigungen, Unternehmen und Personen, die auf dem Gebiet des Konzertwesens einschließlich der Vermittlung tätig waren.[11] Zu seinem Verantwortungsbereich gehörte die Auslandsabteilung, die lediglich aus Tarnungsgründen als nachgeordnete Stelle der Reichsmusikkammer aufgezogen wurde, aber seit ihrer Gründung insgeheim eine musikpolitische Auslandsinstitution des Propagandaministeriums war.[12]

1935 war Sellschopp einer der Organisatoren des Nordischen Musikfestes der Nordischen Gesellschaft in Lübeck. Beim Eröffnungskonzert am 26. Juni 1935 in Anwesenheit von Alfred Rosenberg dirigierte Wilhelm Furtwängler die Berliner Philharmoniker mit der Siebten Symphonie von Jean Sibelius.[13] Ab 1936 war er Leiter der Fachschaft I - Veranstalter - der Reichsfachschaft Konzertwesen, sowie der Abt. VIII (Ausland) der Reichsmusikkammer.[8] 1937/38 wurde die Auslandsstelle offen dem Reichspropagandaministerinm zugeordnet, erhielt die Rechtsform eines eingetragenen Vereins, und Sellschopp unterstand seither dem General-Intendanten Heinz Drewes (1903-1980), dem Leiter der Musikabteilung im Propagandaministerium, was zu Streitereien führte.[14] 1941 hatte die Auslandsabteilng einen Stab von neun Mitarbeitern. Sie leistete, so ein Prüfungsbericht des Ministeriums 1943, großzügige und wertvolle Kulturarbeit mit verhältnismäßig kleinem Aufwand.[15]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebte Sellschopp in Freiburg im Breisgau und betätigte sich freiberuflich als Konzertvermittler. Sein besonderes Engagement galt dabei den Konzerten im Kloster Ottobeuren. In Dankbarkeit für seine Verdienste um die Ottobeurer Konzerte verlieh ihm der Markt Ottobeuren 1971 die Ehrenbürgerwürde.[8]

1962 kam er erstmals nach Coventry, wo er an einem Versöhnungsgottesdienst in der Coventry Cathedral sowie an einem von Eugen Jochum dirigierten Konzert teilnahm. Sellschop entwickelte danach eine Vision vom Geist von Coventry, der der Versöhnung zwischen Großbritannien und Deutschland dienen sollte. Ihm gelang es, zur 1200-Jahrfeier von Ottobeuren eine Aufführung des War Requiems von Benjamin Britten unter Leitung des Komponisten in Ottobeuren zu organisieren. Bei der Feier am 5./6. September 1964 in Anwesenheit von Bundespräsident Heinrich Lübke und der Herzogin von Kent überreichte Dompropst Williams ein Nagelkreuz von Coventry an die Abtei.[16] 1973 gehörte Sellschopp mit Franz Freiherr von Hammerstein-Equord, Abt Vitalis Maier und anderen zu der ersten Gruppe, die als Companions of the Order of the Cross of Nails geehrt wurden.[17] Für die Kathedrale galt er als God's Music Ambassador for International Reconciliation.[18] Im Juni 1977 eröffnete er als old friend das Centre for Social and International Reconciliation (CSIR; Zentrum für Soziale und Internationale Versöhnung) an der Kathderale von Coventry.[19]

Er war seit 1931 verheiratet mit Ingeborg, geb. Cuwie (1908–2002), einer Tochter des Lübecker Holzhändlers Johannes Ludwig Cuwie (1878–1963) und seiner Frau Anna Johanna Caroline, geb. Evers (1885–1959). Ein Sohn des Paares ist der deutsche Versicherungsmanager und Vorstandsmitglied der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft Hans-Dieter Sellschopp (* 18. Januar 1934).[20]

Literatur

  • Elisabeth Spies-Hankammer: Lübecker Weinhandel: Kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Studien, Senat der Hansestadt Lübeck, Amt für Kultur, 1985
  • Bernd Dohrendorf: Der Einfluß des Nationalsozialismus auf die Lübeckische Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit in: Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit (Hrsg.): 200 Jahre Beständigkeit und Wandel bürgerlichen Gemeinsinns, Schmidt-Römhild, Lübeck 1988, S. 95–117
  • Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Vollständig überarbeitete Ausg. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-596-17153-8, S. 509
  • Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, CD-Rom-Lexikon, Kiel 2004, S. 6560–6561
  • Jörg Fligge: Lübecker Schulen im „Dritten Reich“: eine Studie zum Bildungswesen in der NS-Zeit im Kontext der Entwicklung im Reichsgebiet. Schmidt-Römhild, Lübeck 2014 ISBN 978-3-7950-5214-0, bes. S. 984
  • Rainer Sieb: Der Zugriff auf die Musik. Zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei. Osnabrück 2007, insbes. S. 137 ff. (Digitalisat)

Einzelnachweise

  1. Stammfolge Sellschopp, abgerufen am 16. September 2014
  2. Grete Grewolls: Wer war wer in Mecklenburg und Vorpommern. Das Personenlexikon. Hinstorff Verlag, Rostock 2011, ISBN 978-3-356-01301-6, S. 1555.
  3. Eintrag im Lübecker Telefonbuch 1928; BASt
  4. 'Furtwänglers alter Lübecker Freund Sellschopp, Irina Lucke-Kaminiarz: Hermann Abendroth – Ein Musiker im Wechselspiel der Zeitgeschichte. Weimarer Taschenbuch Verlag, Weimar 2007, ISBN 978-3-937939-65-0., S. 63
  5. Mitgliedsnummer 853.378
  6. a b Fred K. Prieberg: Handbuch deutsche Musiker 1933–1945, S. 6560
  7. Mitgliedsnummer 340.763
  8. a b c Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt am Main 2007, S. 542.
  9. Siehe Andrea Therese Thelen-Frölich: Die Institution Konzert zwischen 1918 und 1945 am Beispiel der Stadt Düsseldorf: der Konzertsaal als Politikum. (Beiträge zur rheinischen Musikgeschichte 160) Merseburger 2000 ISBN 9783875372908, S. 229–231
  10. Misha Aster: "Das Reichsorchester": die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus. Berlin: Siedler 2007 ISBN 9783886808762, S. 62
  11. Karl Friedrich Schrieber: Die Reichskulturkammer: Organisation und Ziele der deutschen Kulturpolitik. Berlin: Junker und Dünnhaupt, 1934, S. 58
  12. Rainer Sieb: Der Zugriff der NSDAP auf die Musik: zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei. Osnabrück, Univ., Diss., 2007 Volltext, S. 137
  13. Beim Nordischen Musikfest: Von links nach rechts: Staatsrat Dr. h.c. Wilhelm Furtwängler, Reichsleiter Alfred Rosenberg, Leiter der Auslandsabteilung der Reichsmusikkammer Hans Sellschopp (stehend), Professor Hermann Abendroth, Präsident des Senats der freien und Hansest. Aufbau 15 (1949) , Nr. 3 (21. Januar 1949), S. 12, Spalte a
  14. Siehe das Beispiel bei Nina Okrassa: Peter Raabe. Dirigent, Musikschriftsteller und Präsident der Reichsmusikkammer (1872-1945). Böhlau Verlag, Weimar 2004 ISBN 3-412-09304-1, S. 316
  15. Rainer Sieb: Der Zugriff der NSDAP auf die Musik: zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei. Osnabrück, Univ., Diss., 2007 Volltext, S. 141
  16. Helmut Gröpler: Die Engel hielten den Atem an. Das Nagelkreuz von Coventry: Geschichte und Geschichten. Berlin: Wichern 1992 ISBN 3-88981-054-3, S. 95
  17. The Coventry Cathedral Network September 1973, S. 7
  18. The Coventry Cathedral Network September 1973, S. 7
  19. „Wir sollten eine Nagelkreuzgemeinschaft formen“ - Canon Kenyon Wright zu den Anfängen der Nagelkreuzgemeinschaft, abgerufen am 2. Oktober 2014
  20. Wer ist wer? 32 (1993), S. 1278