Pseudowissenschaft
Eine Pseudowissenschaft ist eine Lehre, für die von ihren Befürwortern einerseits ein wissenschaftlicher Anspruch erhoben wird, die aber andererseits in wesentlichen Punkten nicht den Mindestanforderungen an eine seriöse Wissenschaft genügt. Einige dieser Mindestanforderungen sind innere und äußere Widerspruchsfreiheit, Überprüfbarkeit und Falsifizierbarkeit der Hypothesen (s.u.).
Die Motivationen zur Verbreitung von Pseudowissenschaft sind vielfältig und reichen von einfacher Unwissenheit über die Arbeitsweise der Wissenschaft bis hin zur bewussten Irreführung aus finanziellen oder anderen Motiven. Einige Menschen halten manche oder alle Formen von Pseudowissenschaft für harmlose Unterhaltung. Andere, wie z.B. Richard Dawkins halten jede Form von Pseudowissenschaft für schädlich.
Einordnung von Pseudowissenschaften
Pseudowissenschaften entsprechen nicht den Kriterien heutiger Wissenschaften und richten sich insbesondere nicht nach der wissenschaftlichen Methode. Folgende Merkmale sind starke Indikatoren für Pseudowissenschaftlichkeit:
- Aufstellung von Behauptungen ohne die Einlösung dieser Behauptungen durch experimentelle Beweise;
- Aufstellung von Behauptungen, die im Widerspruch zu experimentell erwiesenen Resultaten stehen;
- Fehlende Überprüfbarkeit durch reproduzierbare Experimente (siehe Falsifizierbarkeit);
- Kollision mit Ockhams Rasiermesser (D.h.: Bei mehreren möglichen Erklärungen eines Phänomens wähle man die einfachere.)
Pseudowissenschaften sind von Religion oder Spiritualität u.a. dadurch unterschieden, dass sie einen (uneingelösten) wissenschaftlichen Anspruch erheben; Lehren und Weltanschauungen werden üblicherweise dann nicht als Pseudowissenschaften bezeichnet, wenn ihre Betreiber
- keinen solchen uneingelösten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben und
- keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse per Behauptung einer "höheren" Autorität (z.B. per Berufung auf "göttliches" oder "erleuchtetes" Wissen) als falsch zu erklären versuchen.
Zur Falsifizierbarkeit
Eine Gemeinsamkeit vieler Pseudowissenschaften ist die fehlende Falsifizierbarkeit ihrer Behauptungen, d.h.: Es gibt in einer Pseudowissenschaft kein Experiment, dessen Fehlschlag auch die Anhänger dieser Pseudowissenschaft als Gegenbeweis akzeptieren würden. In den Augen der heutigen Wissenschaft ist die Falsifizierbarkeit im Gegensatz dazu eine notwendige Bedingung bei jeglicher Hypothesen- und Theoriebildung mit wissenschaftlichem Anspruch. Eine Theorie, die prinzipiell nicht falsifiziert werden kann, gilt in den Wissenschaften bestenfalls als Spielerei ohne besonderen Wert, da sie keine unabhängig überprüfbaren Aussagen macht.
In der Vergangenheit konnten die falsifizierbaren Aussagen oder Lehrmeinungen der Pseudowissenschaften durch Anwendung der wissenschaftlichen Methode widerlegt werden. Diese Tatsache wird oft als Begründung dafür angeführt, dass Pseudowissenschaften heute nicht oder nicht mehr als Forschungs- oder Lehrgebiete an anerkannten Hochschulen zu finden sind bzw. gar nicht erst in den offiziellen Lehrbetrieb aufgenommen werden.
Wenn die Aussagen einer Lehre widerlegt (falsifiziert) werden, muss sich diese Lehre nicht notwendigerweise zu einer Pseudowissenschaft entwickeln. Ihre Anhänger haben in der Regel mehrere Möglichkeiten, mit dieser Widerlegung umzugehen:
1. Sie erkennen die Widerlegung an und lassen die fragliche Hypothese ihrer Lehre oder die Lehre als Ganzes fallen.
2. Sie erkennen die Widerlegung an und liefern bessere Beweise für ihre Lehre.
3. Sie erkennen die Widerlegung nicht an und weisen stattdessen die Fehlerhaftigkeit der Widerlegung nach.
4. Sie erkennen die Widerlegung nicht an, sondern modifizieren ihre Lehre dahin gehend, dass sie gegen jegliche Überprüfung immun wird: Auf diese Weise wird die Lehre unfalsifizierbar oder zu einem Opfer von Ockhams Rasiermesser.
Die gegenseitige Ablehnung zwischen der Gemeinschaft der Wissenschaftler einerseits und den Anhängern einer Pseudowissenschaft andererseits rührt häufig daher, dass die Pseudowissenschaftler der Auffassung sind, sie hätten die Widerlegung ihrer Lehre widerlegt (3), während die Wissenschaftler der Ansicht sind, die Lehre sei entweder unfalsifizierbar geworden oder falle Ockhams Prinzip zum Opfer (4).
Pseudowissenschaften und Irrlehren
Nicht jede Irrlehre entwickelt sich zur Pseudowissenschaft. Dazu ein Beispiel aus der Medizin: Die Viersäftelehre ist eine Irrlehre aus der Medizin, deren Falsifizierung heutzutage nicht mehr angezweifelt wird (d.h., die Lehre wurde vor langer Zeit fallengelassen, Möglichkeit 1). Im Gegensatz dazu haben die Anhänger der Homöopathie bis heute alle Widerlegungen ihrer Hypothesen gegen wissenschaftliche Argumente immunisiert und ihre Lehre damit aus Sicht der Wissenschaft unfalsifizierbar gemacht (Möglichkeit 4, s.o.), während sie selbst der Ansicht sind, sie hätten lediglich die Widerlegungen widerlegt (Möglichkeit 3, s.o.)
Somit wird die Homöopathie von der überwältigenden Mehrheit der Mediziner heutzutage als Pseudowissenschaft gesehen, während die Viersäftelehre vor einigen hundert Jahren auch von ihren einstigen Befürwortern als Irrlehre abgelegt bzw. nicht mehr weiterverfolgt wurde.
Organisationen, die sich mit dem Thema Pseudowissenschaft befassen
Die am heutigen Wissenschaftsverständnis orientierte und von vielen Wissenschaftlern unterstützte Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften hat es sich zur Aufgabe gemacht, Parawissenschaften auf ihren wissenschaftlichen Gehalt zu untersuchen. Sie definiert Pseudowissenschaft folgendermassen: "Unter Pseudowissenschaften werden Theorien und Ansätze verstanden, die Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, ohne ihn einzulösen." (Siehe auch: [1])
Es gibt in vielen anderen Ländern der Erde Organisationen mit ähnlichen Zielsetzungen.
Argumente für Pseudowissenschaften aus der Sicht ihrer Betreiber
In den letzten Jahrzehnten ist ein großer Markt für pseudowissenschaftliche Literatur und Ausbildungseinrichtungen entstanden. Im Buchhandel werden viele Werke hierzu unter dem Schlagwort "Lebenshilfe" geführt. Es folgt eine Auseinandersetzung mit einigen Argumenten, die in diesem Umfeld häufig als Legitimation für Pseudowissenschaften eingesetzt werden.
Pseudowissenschaft als Lebenshilfe
Befürworter von Pseudowissenschaften verweisen gelegentlich darauf, ihre Lehre gebe dem Menschen Hilfestellung in der Bewältigung von körperlichen oder seelischen Problemen; in einem therapeutischen Zusammenhang wird auch häufig mit dem Placeboeffekt argumentiert.
Dem wird aus wissenschaftlicher Sicht u.a. folgendes entgegengehalten:
1. Der Placeboeffekt ist in seiner Wirkungsweise heutzutage recht gut verstanden und wird auch von seriösen Therapieformen eingesetzt; es besteht also keine zwingende Notwendigkeit, den Placeboeffekt nur im Zusammenhang mit Pseudowissenschaften als nützlich zu bezeichnen, solange er der einzige Effekt bleibt, der dort stattfindet.
2. Das Argument "Pseudowissenschaft X bietet konkrete Lebenshilfe" geht einerseits an der für den Vorwurf der Pseudowissenschaftlichkeit entscheidenden Frage vorbei, ob die betrachtete Lehre irgendeinen wissenschaftlichen Gehalt hat; Lebenshilfe andererseits ist jedoch auch ohne den Einsatz von Pseudowissenschaften möglich.
Wissenschaft und Pseudowissenschaft haben gemeinsame Wurzeln
Die Befürworter einiger Pseudowissenschaften weisen zu Recht darauf hin, dass ihre Lehre gemeinsame Wurzeln mit echten Wissenschaften haben. Dazu einige Beispiele:
- Die Chemie entstand teilweise aus der Alchemie.
- Astrologie und Astronomie sind teilweise gemeinsam entstanden und haben sich für lange Zeit nebeneinander her entwickelt.
- Große Teile der Medizin früherer Jahrhunderte (Viersäftelehre, etc.) gelten aus Sicht der heutigen Medizin als Pseudowissenschaft.
In der Sache ist diese Behauptung der gemeinsamen Wurzeln also manchmal richtig; leider wird dabei verschleiert, dass ein wesentlicher Aspekt wissenschaftlichen Arbeitens eben darin besteht, Irrtümer und unfalsifizierbare Aussagen als solche zu erkennen und ohne sie weiter zu arbeiten. Ein typisches Beispiel für diese Arbeitsweise ist der Fortschritt in der Physik:
- Das Konzept der flachen Erde und das geozentrische Weltbild wurden vor bzw. während der Renaissance falsifiziert.
- Die Newtonsche Physik wurde durch Einsteins Relativitätstheorie für große Massen und sehr hohe Geschwindigkeiten erweitert.
- Die Erkenntnisse von Heisenberg und anderen Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Quantentheorie erweitern die Newtonsche Physik auf atomarer und subatomarer Ebene.
- An einer "grand unified theory", die die Relativitätstheorie und die Quantentheorie unter einem Dach vereinigt, wird seit vielen Jahren gearbeitet; drei der vier Grundkräfte lassen sich bereits auf eine gemeinsame Basis zurückführen.
Ein wichtiger Schlüssel zu dieser stetigen Weiterentwicklung war und ist die in den Pseudowissenschaften fehlende Falsifizierbarkeit. Das Argument der gemeinsamen Wurzeln geht also an einem der Hauptgründe der Ablehnung von Pseudowissenschaften vorbei.
Die Bedeutung von Gründerfiguren
Eine Gemeinsamkeit vieler Pseudowissenschaften ist die besondere Hochschätzung einer Gründerfigur und ihrer Lehren, z.B. Rudolf Steiner in der Anthroposophie und Samuel Hahnemann in der Homöopathie. Diese Hochschätzung zollen natürlich auch Vertreter der seriösen Wissenschaft ihren Pionieren, z.B. Isaac Newton für seine grundlegende Arbeit auf den Gebieten der Physik und der Mathematik, Charles Darwin für seine Entdeckung der Evolution der Arten und für die erste Formulierung der Evolutionstheorie; viele Lehrstühle angesehener Hochschulen sind nach wissenschaftlichen Pionieren benannt. Diese Ähnlichkeit zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft ist jedoch nur oberflächlich, denn die Wissenschaft fühlt sich nicht daran gehindert, Erkenntnisse der Begründer einer Wissenschaftsdisziplin ad acta zu legen oder geeignet zu erweitern, sobald sich diese Erkenntnisse als überholt herausstellen. Das gilt nachweislich auch für Wissenschaftler vom Rang eines Isaac Newton (s.o.). Im Gegensatz dazu stellen die Schriften von Rudolf Steiner für die meisten Anthroposophen auch heute noch eine verbindliche Grundlage dar.
Die Gleichsetzung der beiden Fälle wird aus diesem Grund von Wissenschaftlern im Allgemeinen nicht nachvollzogen.
Falsifizierbarkeit und Ockhams Rasiermesser aus pseudowissenschaftlicher Sicht
Aus pseudowissenschaftlicher Sicht wird gelegentlich argumentiert, dass sich das Kriterium der Falsifizierbarkeit von dieser Regel der Falsifizierbarkeit selbst ausnehmen müsse, da es sich selbst sonst ad absurdum führen würde. Das Kriterium könne oder müsse daher aufgegeben werden. Dieses scheinbare Paradox kann man schnell aufklären, wenn man bemerkt, dass die Regel von der Falsifizierbarkeit gar keine wissenschaftliche Theorie ist, sondern eine maßgeblich auf Karl Popper zurückgehende, von den Wissenschaftlern als notwendig empfundene Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens aus der Wissenschaftstheorie; eine Lehre, die nicht im Prinzip auch falsch sein könnte, hat aus wissenschaftlicher Sicht keine Erklärungskraft.
Gegen Ockhams Rasiermesser sind aus pseudowissenschaftlicher Sicht schon ähnliche Argumente erhoben und zurückgewiesen worden; es ist momentan nicht in Sicht, dass die heutigen Wissenschaften diese beiden Voraussetzungen ihrer Arbeit aufzugeben bereit sind.
Weblinks
Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften