Ich
Ich ist ein Personalpronomen, mit dem der Aussagenden auf die eigene separate individuelle Identität verweist. Linguistisch ist das Ich in den Begriff der Deixis (Hier-Jetzt-Ich-Origo) eingebunden. Auch werden das Selbst, das Selbstbewusstsein als aktiver Träger des Denkens und/oder Handelns und das Selbstbild als Ich bezeichnet. Wissenschaftlich wird die lateinische Entsprechung Ego oft synonym verwendet, gelegentlich werden mit Ich und Ego aber auch zu unterscheidende Aspekte des Selbsts benannt. Als solches kann es als Fachterm in verschiedenen Theorien der Psychologie, Theologie und Soziologie, aber auch in Religion und Esoterik auftreten.
Philosophie
Die Kategorie des Ich fand besondere Berücksichtigung im philosophischen System Johann Gottlieb Fichtes.
Psychologie
Klassische Psychoanalyse
Eine spezielle Ausrichtung erfuhr der Begriff in der Psychoanalyse Sigmund Freuds. In der modernen Psychologie, die Introspektion nur als bedingt brauchbar ansieht, wird das Ich nicht mehr als ein zentraler Begriff verwendet. Stattdessen erforscht man mit objektiven Methoden das Selbst.
Sigmund Freuds Strukturmodell der Psyche zufolge ist die menschliche Psyche in drei Teile geteilt:
- Das Es oder Id, der vegetative Teil der Psyche, der stets im Unbewussten verbleibt und die grundlegenden Instinkte und Triebe des Menschen umfasst.
- Das Über-Ich oder Super-Ego, das die Funktion des Gewissens einnimmt und das Ich leitet (vgl. Ideal-Ich). Es wird von Freud als das Überbleibsel der elterlichen Autorität in der Kindheit angesehen.
- Das Ich oder Ego, mit dem Freud das bewusst Erfahrende bezeichnet. Dieses Ich wird sowohl vom Über-Ich als auch vom Es beeinflusst und vermittelt zwischen diesen beiden Instanzen.
Dem Ich wird in der Weiterentwicklung der Psychoanalyse, der Ich-Psychologie eine besondere Bedeutung bei der Genese psychischer Krankheiten zugesprochen. Besonders Anna Freud und Heinz Hartmann haben das Ich als Instanz genauer differenziert. Hierbei sind besonders die Abwehrmechanismen und die Ich-Funktionen zu nennen. Die von Anna Freud beschriebenen und vielfach weiterentwickelten Abwehrmechanismen beschreiben die Fähigkeit des Ichs unangenehme Gefühle und Gedanken auf verschiedene Weise abzuwehren, so dass sie dem Bewusstsein nicht mehr direkt zugänglich sind.
Hartmann, der als eigentlicher Begründer der Ich-Psychologie gilt, hat insbesondere die Funktionen des Ichs hervorgehoben und die Entwicklung des Ichs beschrieben. Die Funktionen des Ichs entwickeln sich hauptsächlich in der Abwesenheit von Konflikten, der sog. konfliktfreien Ich-Sphäre [1].
Heute kann man verschiedene Ich-Funktionen unterscheiden (nach Bellak und Meyers)[1]:
- Realitätsprüfung
- Urteilen
- Realitätssinn
- Regulation von Trieb und Affekt
- Objektbeziehungen
- Denken
- adaptive Regression im Dienste des Ichs
- Abwehr
- Stimulusschranke
- Autonomie
- synthetische Funktionen
- Bewältigungskompetenzen (oder Copingstrategie)
Neuronale Grundlagen
V. S. Ramachandran machte 2009 mehrfach den Vorschlag, dass die neuronale Repräsentation der Selbstwahrnehmung analog der Repräsentation der Fremdwahrnehmung sein könne. So wie das Verhalten anderer Lebewesen neuronal präsentiert werde, so könne auch das eigene Verhalten neuronal präsentiert werden. Ausgelöst wurde der Vorschlag u. a. durch die Entdeckung der sogenannten Spiegelneuronen. Diese reagieren bei der Beobachtung von Aktionen, z. B. eines Fußtritts, genauso wie bei der Selbstausführung der Aktion. Ramachandran hielt es für plausibel, dass die neuronalen Mechanismen von Fremd- und Selbstrepräsentation sich während der Evolution parallel entwickelten.[2][3]
Nicht-menschliches Selbstbewusstsein
Allgemein geht man davon aus, dass nur der Mensch sich seines Ichs bewusst sei (Selbstbewusstsein). Bestimmte Traditionen betrachten dies als Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier. Einige wissenschaftliche Studien deuten an, dass auch diverse Affenarten, Delfine, Elefanten und Elstern ein Bewusstsein über sich selbst besitzen. Hier wird unter anderem angeführt, dass sich Exemplare dieser Tierarten im Spiegel selbst erkennen.[4][5] Die Fähigkeit, sich slbst im Speiegl zu erkennen, entwickelt sich bei Menschen erst um das 1. Lebensjahr Spiegelstadium. Ob und wie andere Lebenwesen diese Fähigkeit erreichen können, könnte weitreichende ethische Konsequenzen haben und etwa zur Begründung von Tierrechten beitragen.
Soziologie
Symbolischer Interaktionismus
Einen großen Stellenwert nahm das Ich in der in den USA entwickelten mikrosoziologischen Theorie des Symbolischen Interaktionismus ein. Diese Theorie ging von der philosophischen Richtung des Pragmatismus aus, die den Menschen als ein aktives Wesen bezeichnet, das sich seine Welt mittels Interaktion mit ihr selbst konstruiere. Mit anderen Worten: Ohne das Individuum existiere die Welt nicht.
Im Symbolischen Interaktionismus sind die Theorien von Charles Cooley, George Herbert Mead und Erving Goffman richtungsweisend.
Charles Cooley war der erste, der sich mit dem Ich im Rahmen dieser Theorie beschäftigte. Für ihn entsteht das Selbst, bzw. das Ich, einzig und allein in der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Sein Modell wird auch Looking-glass self (etwa „Spiegel-Ich“) genannt, da sich das Individuum seiner Theorie zufolge nach der Weise definiert, wie es von anderen Menschen wahrgenommen wird.
George Herbert Mead ging von einer ähnlichen Theorie aus. Nach William James gibt es jedoch zwei Dimensionen des Ich, das I und das ME. Das ME entspricht in etwa dem Spiegel-Ich Cooleys, es besteht aus der Reflexion mit dem Umweg über die Gesellschaft, in Form von Normen und Regeln. Das I jedoch ist eine autonome, unvorhersehbare, individuelle Dimension des Ich. Dieses I als Prozess, der auf das Me schaut, entspricht am ehesten dem Verständnis des Ichs von Jane Loevinger. Diese hat in Ihrem Modell der Ich-Entwicklung erforscht, wie sich das Ich in verschiedenen Stufen der persönlichen Reife entwickelt. Hier befindet sich laut Mead die menschliche Kreativität. I und ME befinden sich in einer permanenten Interaktion untereinander.
Erving Goffman sieht das Ich dagegen in seinem sogenannten Dramaturgischen Modell als eine Art Schauspieler an, das in verschiedenen Situationen verschiedene Formen annimmt. Laut Goffmann ist es unmöglich, das Ich einer Person wirklich zu definieren, da dieses Ich auch in der Selbstreflexion verschiedene Rollen annehmen kann.
„Ich“ als Wort
Als Wort spielt „Ich“ in der Kommunikation eine spezielle Rolle, wo jemand „etwas“ über eine Sache oder 3. Person mitteilt. Für Psychologie oder Soziologie und in Gesprächen ist es interessant, ob und wann das „Ich“ umschrieben wird (etwa durch „man“ oder „wir“), und wieweit dies mit Unsicherheit und Selbstwertgefühl zu tun hat. Einige Sprecher verwenden so anstelle des Personalpronomens „ich“ das Indefinitpronomen „man“, um die eigene Situation zu verallgemeinern, zum Beispiel bei regelmäßigen Abläufen. „Man steht spät auf, isst Mittag und ist immer noch müde.“ Siehe auch Grammatik, Singular.
Spiritueller Bereich
Das Transzendieren, die bewusste Klärung von Ich (Ego) und Selbst, ist das Hauptthema und Ziel im Hinduismus und im Buddhismus. Der Schüler (Chela) eines geistigen Weges im Hinduismus (z.B. Yoga) erkennt, dass sein Ich sich im „inneren Selbst“ (dem Atman) auflöst und damit die Einheit mit dem Göttlichen (Brahman) als Selbsterkenntnis stattfindet. Diese Befreiung wird Moksha genannt, im Westen häufig mit Erleuchtung übersetzt. Im Buddhismus hingegen wird die Existenz einer Seele und von etwas Göttlichem verneint (vgl. Anatta), alle Phänomene sind letztendlich Leerheit und der Weg ist lediglich ein Erwachen zur Erkenntnis der Realität.
Dieses Erlebnis wird im Hinduismus Samadhi genannt, im japanischen Buddhismus Satori. Alle Yogapraxis (Jnana-Yoga, Raja-Yoga) dient nur dazu, diese Täuschung einer eigenen separierten Existenz des Ichs (Egos) zu überwinden. Es gibt in der Erfahrung des eigenen Selbst das Lichterlebnis des Einen ohne ein Zweites (Erleuchtungserlebnis).
Das Ich (Ego) gibt seine Täuschungsexistenz auf und wird eins mit dem Ganzen (mit dem spirituellen Licht des ewigen Lebens). Tatsächlich „wird“ es nicht eins: Da das Ich (Ego) tatsächlich nie existiert hat, wird diese Einheit nach dem Loslassen von der Täuschung eines „Ichs“ als allumfassende Glückseligkeit im ewigen Licht erlebt.
Im ursprünglichen (Theravada) Buddhismus existiert dieses spontane Erleuchtungserlebnis zwar auch, wird aber letztlich als Täuschung bzw. ohne bleibenden Wert begriffen. Das „kleine Tor“ (Lankavatara-Sutra) des Erleuchtungserlebnisses ist dort lediglich ein erster Kontakt mit dem durch Übung zu beschreitenden Weg, und kein erstrebenswerter Zustand (vgl. Arhat).
Im christlichen Bereich ist besonders der Mystiker Joel S. Goldsmith (†1964) zu erwähnen, der die philosophischen Grundlagen für das Loslassen des menschlichen Ichs (Egos) hin zum göttlichen Selbst in seinen Büchern beschreibt:
- Das mystische Ich
- Der Donner der Stille
- The infinite way
In der Psychologie der Sufis (islamische Mystiker) existieren sieben verschiedene Stufen des Selbst (arabisch: nafs), die unterste ist an-nafs al-ammara, das niedere Selbst, die höchste an-nafs al-safiya, das reine Ich. Dazwischen liegen die Stationen der Gottessuchenden auf dem Weg zur göttlichen Einheit (tauhid).
Trivia

Am südlichen Mainufer in Frankfurt steht das Ich-Denkmal, das von Hans Traxler entworfen und am 24. März 2005 eingeweiht wurde. Auf einer Tafel hat Traxler seine Idee illustriert, dass den Denkmalsockel jeder benutzen kann, um sich darauf fotografieren zu lassen, und als Kommentar hinzugefügt: Jeder Mensch ist einzigartig. Das gilt natürlich auch für alle Tiere..
Im Garten des Museums Haus Esters in Krefeld steht die Neonskulptur "ICHS" des Künstlers Ludger Gerdes (1954-2008).[6]
Das Wort ich scheint in Sprichwörtern und Redewendungen keine bedeutende Rolle zu spielen. Wo man für andere Worte in Wanders Deutsches Sprichwörter-Lexikon mehrere hundert Sprichwörter/Redewendungen findet, so hat Wander für das Wörtchen ich nur 26 im deutschen Sprachraum gefunden. (So zum Beispiel: Ich und der Esel sind zusammen die Treppe heruntergefallen.)[7].
Literatur
- Ulrich Schwabe: Individuelles und transindividuelles Ich. Die Selbstindividuation reiner Subjektivität und Fichtes Wissenschaftslehre. Mit einem durchlaufenden Kommentar zur „Wissenschaftslehre nova methodo“. Schöningh, Paderborn 2007, ISBN 3-506-76325-3.
- Anna Freud: Das Ich und die Abwehrmechanismen. Wien 1936.
Siehe auch
- Egoismus
- Ich-Botschaft
- Subjekt (Philosophie)
- Subjektivität
- Erste-Person-Perspektive
- Subjektwissenschaft
Weblinks
- Thomas Metzinger: Self Models. In: Scholarpedia. (englisch, inkl. Literaturangaben)
- Universität Kopenhagen Center for Subjectivity Research
Einzelnachweise
- ↑ a b W. Mertens (2000): Einführung in die psychoanalytische Therapie. Band 1. Stuttgart, Kohlhammer
- ↑ Oberman, L., Ramachandran, V.S., Reflections on the Mirror Neuron System: Their Evolutionary Functions Beyond Motor Representation, in: Pineda, J.A. (Hrsg,) Mirror Neuron Systems: The Role of Mirroring Processes in Social Cognition, Humana Press 2009, S. 39–62, ISBN = 978-1-934115-34-3
- ↑ Ramachandran, V.S., Self Awareness: The Last Frontier, Edge Foundation web Essay, January 1, 2009 abgegriffen August 06, 2014
- ↑ http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,445479,00.html
- ↑ http://www.netzeitung.de/wissenschaft/1129598.html .
- ↑ ICHS, Neon-Stück, Museum Haus Esters, Krefeld, 1989
- ↑ Ich, Wanders Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 2 (1870), Seite 954 f.