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Der Kirschgarten

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Daten
Titel: Der Kirschgarten
Originaltitel: Вишнёвый сад
Gattung: Tragikomödie
Originalsprache: Russisch
Autor: Anton Tschechow
Erscheinungsjahr: 1903
Uraufführung: 30. Januar 1904
Ort der Uraufführung: Moskauer Künstlertheater
Ort und Zeit der Handlung: auf einem russischen Landgut um 1900
Personen
  • Ljubow Andrejewna Ranjewskaja, Gutsbesitzerin
  • Anja, ihre Tochter, 17 Jahre alt
  • Warja, ihre Pflegetochter, 24 Jahre alt
  • Leonid Andrejewitsch Gajew, Bruder der Ranjewskaja
  • Jermolaj Alexejewitsch Lopachin, Kaufmann
  • Pjotr Sergejewitsch Trofimow, Student
  • Boris Borissowitsch Simeonow-Pischtschik, Gutsbesitzer
  • Charlotta Iwanowna, Gouvernante
  • Semjon Pantelejewitsch Jepichodow, Kontorist
  • Dunjascha, Dienstmädchen
  • Firs, Lakai, ein Greis von 87 Jahren
  • Jascha, ein junger Lakai
  • Ein Landstreicher
  • Der Stationsvorsteher

Der Kirschgarten (russisch Вишнёвый сад/Wischnjowy sad; wiss. Transliteration Višnëvyj sad) ist eine tragische, gesellschaftskritische Komödie in vier Akten von Anton Pawlowitsch Tschechow. Sie entstand im Jahr 1903 und wurde zu Tschechows 44. Geburtstag am 30. Januar (nach dem alten Kalender am 17. Januar) 1904 in Moskau uraufgeführt. Es war das letzte Stück des Schriftstellers, der ein halbes Jahr nach der Uraufführung an Tuberkulose starb.

Die Handlung

Das Stück spielt um 1900 auf einem russischen Landgut mit einem Herrenhaus, das von einem wunderschönen Kirschgarten umgeben ist. Anja, die Tochter der Gutsbesitzerin Ranjewskaja, holt ihre Mutter aus Paris zurück, weil das Anwesen hoch verschuldet ist und versteigert werden muss. Die Mutter war vor fünf Jahren mit ihrem Geliebten nach Frankreich geflohen, nachdem ihr kleiner Sohn damals im nahe gelegenem Fluss ertrunken war. Der Bruder von Ranjewskaja, Gajew, war unfähig, mit Geld umzugehen und genoss das Leben. Auch Ranjewskaja verbrauchte ihr Geld in Paris.

Eine Rettung könnte der ehemalige Leibeigene der Familie, der Kaufmann Lopachin, bedeuten, der zu einem Vermögen gekommen ist. Er schlägt vor, Datschen (Ferienhäuser) auf dem Grundstück zu errichten und sie an Sommergäste zu vermieten. Die Voraussetzung dafür wäre das Abholzen des wunderschönen, aber nutzlos gewordenen Kirschgartens, der gerade in voller Blüte ist. Eine andere Lösung wäre, wenn Warja, die Pflegetochter der Gutsbesitzerin, Lopachin heiraten würde, aber ihr Traum geht nicht in Erfüllung. Es entfaltet sich hingegen eine Liebe zwischen dem ehemaligen Erzieher des ertrunkenen Sohnes, dem ewigen Studenten Trofimov, und Anja, der Tochter der Gutsbesitzerin.

Die Gutsbesitzerin zieht zurück nach Paris, alle verlassen das Haus, nur der alte Diener Firs, der die alte Zeit vor der Abschaffung der Leibeigenschaft symbolisiert, wird aus Versehen eingeschlossen und bleibt regungslos liegen.

„Erster Akt: Der Kirschgarten muss vielleicht verkauft werden. Zweiter Akt: Der Kirschgarten wird verkauft werden. Dritter Akt: Der Kirschgarten ist verkauft. Vierter Akt: Der Kirschgarten ist verkauft worden. Der Rest: Das Leben.“ (Jean-Louis Barrault)

Interpretation

Der Historiker Orlando Figes beurteilt das Stück mit Blick auf die Weltanschauung seines Autors: Tschechow selbst war liberal eingestellt und - als Arzt und Naturwissenschafter - überzeugt, dass technischer Fortschritt und gesellschaftliche Veränderungen eine positive Wirkung für die Menschen hätten. Seine Intention im Kirschgarten war es demnach, den Mythos von der guten alten Zeit satirisch zu demontieren: So hält etwa Madame Ranjewskaja lange, sentimentale Elogen voller Klischees über ihre glückliche Kindheit auf dem Gut, dass sie allerdings schon vor Jahren verlassen hat, um sich in Paris zu amüsieren. Als das Gut verkauft wird, vergisst sie ihre oberflächliche Nostalgie sehr schnell und reist ab. Ihr Bruder Gajew ist ein verantwortungsloser Verschwender. Der Gutsbesitzer Simeonow-Pischtschik preist die Verwurzelung des Adels mit dem Land und verkauft dieses trotzdem bei erster Gelegenheit an englische Bergbau-Ingenieure. Der Diener Firs, der als einziger noch an die innere Verbundenheit von Herrschaft und Dienern glaubt, wird von den Ranjewskis einfach zurückgelassen. Dagegen hatte Tschechow die Figur des Lopachin als positives Gegenbild des aufrichtigen Kaufmanns, der durch eigenen Fleiß aus bescheidenen Verhältnissen aufgestiegen ist, entworfen. Es ist zu vermuten, dass Tschechows eigener Vater, ein ehemaliger Leibeigener und später wohlhabender Kaufmann, als Vorbild für Lopachin gedient hat.[1]

Der Kirschgarten, der keine Ernte mehr abwirft, symbolisiert den russischen Adel, der für die russische Gesellschaft keinerlei Nutzen mehr erbringt. Er hat nur noch eine dekorative Funktion, er symbolisiert das Schöne. Am Ende wird er abgeholzt.

Deutschsprachige Ausgaben

  • Anton Tschechow: Der Kirschgarten. Tragikomödie in vier Aufzügen, nach der Einrichtung des Moskauer künstlerischen Theaters übersetzt und eingeleitet von Siegfried Aschkinasy und Lion Feuchtwanger, Verlag Georg Müller, München 1912.
  • Anton P. Čechov: Der Kirschgarten, Insel Verlag, Frankfurt am Main u.a. 1991, ISBN 3-458-33041-0.
  • Anton Tschechow: Der Kirschgarten, Reclam Verlag, Stuttgart 1984, ISBN 3-15-007690-0.

Bedeutende Inszenierungen

Tschechow (1903)

Künstlerische Rezeption

David Gieselmanns Komödie Die Plantage (2006) orientiert sich an der Handlung des Kirschgartens.

In dem Film Henry’s Crime (deutsch: Henry & Julie, USA 2010) spielen das Stück und im Besonderen die Rolle des Lopachin eine größere Rolle.

1999 wurde das Stück unter der Regie von Michael Cacoyannis mit Charlotte Rampling und Alan Bates in den Hauptrollen verfilmt.

Einzelnachweise

  1. Orlando Figes: Natasha's Dance. A cultural History of Russia. Picador, New York 2002 ISBN 0-312-42195-8 S. 208ff.
Wikisource: Вишнёвый сад – Quellen und Volltexte (russisch)