Benutzer:Herr Andrax/Schatz und Woeldike über den deutschen Arbeitsbegriff und Antisemitismus
Arbeitsseite für die Diskussion hier: [1]
Für die Diskussion um antisemitische Stereotypen bezüglich des deutschen Arbeitsbegriffes, speziell der Denkform vom „schaffenden“ und „raffenden“ Kapital, habe ich versprochen einen Einblick in die Arbeit von Holger Schatz, Andrea Woeldike (S/W) „Freiheit und Wahn deutscher Arbeit.“ (Literatur siehe unten) zu geben. Von Luther bis zur Romantik habe ich hier versucht, passende Zitate für die Diskussion zusammenzustellen. Da es nicht sinnvoll ist, die entsprechende Diskussionsseite mit soviel Text voll zu stellen, habe ich hier eine Arbeitsseite angelegt.
Zivilisationsmythen
- Das scheint mir etwas weit zurückgreifend für den 'deutschen' Arbeitsbegriff. Außerdem ist mir unklar, auf was hier angespielt wird. Die Interpretation der "Dialektik der Aufklärung" - Odysseus läßt arbeiten (nämlich die Gefährten rudern); dafür wird sein Genuß (Anhörung des Gesangs der Sirenen) vergiftet (er kann ihm nur gefesselt folgen - wie bis heute die Opernbesucher in ihren engen Sitzen) - ist zwar witzig, aber nicht überzeugend. Es gibt a) zwei Arbeitsszenen, wo die herrschende Klasse selbst arbeitet und dadurch nicht zuletzt ihre Identität gewinnt: die gnädige Frau webt unermüdlich, um die Freier hinzuhalten und erkennt b) ihren arg heruntergekommenen Gemahl nur daran, daß er ihr die Geschichte vom selbst gemachten Ehebett erzählen kann. Das kleinbürgerliche Arbeitsethos ist an ganz anderer Stelle beschrieben worden: bei Hesiod, in "Werke und Tage" (davon gibts eine kundige und preiswert edierte und eingeleitete Ausgabe bei Reclam; für alle Freunde deutscher Arbeit eine unbedingte Pflichtlektüre). FrauPhilipp 202.52.41.134 13:56, 2. Feb 2006 (CET)
Christentum
- Das “Christentum weitet diese Verständnis von Zivilisation als Überwindung der mythischen Natur mittels, Opfer, Unterwerfung und Selbstentsagung aus. In der Trennung von Geist und Materie kann das Göttliche als das Gute verabsolutiert werden, dem die vollendete Sündhaftigkeit der Welt diametral entgegengestellt wird.“ (S/W) Beispiele: Neues Testament: Vertreibung der Händler aus dem Tempel. / 5. Jahrhundert Papst Leo I. formuliert verbindlich für das Mittelalter, dass „des Geldes Zinsgewinn der Seele Tod sei“. (S/W)
- Aber es geht doch um Arbeit und Antisemitismus? Müßte da nicht erst mal das alte Testament (das das Christentum ja schließlich usurpiert hat) angesprochen werden? Und die zwei Arbeitsvorstellungen vor und nach dem Sündenfall? Außerdem richtet sich die Zinskritik der Päpste doch nicht allererst gegen die Juden, sondern es geht angesichts der sich ausbreitenden Ware-Geld-Wirtschaft um eine säkulare Auseinandersetzung mit einer neuen Produktionsweise. Und an der beteiligen sich schließlich christliche Kaufleute mit Erfolg und Gewinn - der Lombardsatz heißt heute noch so, weil seine Erfinder aus Italien kamen (und christliche Kaufleute waren).
- Na ja: und Entsagung, Jammertal, Schweiß unseres Angesichtes usw.: alles schön und gut - aber deutsch? FrauPhilipp 202.52.41.134 14:06, 2. Feb 2006 (CET)
Martin Luther / Vorgeschichte Mittelalter
- “Mit Luther setzte sich dann endgültig ein Arbeitsbegriff durch, der die ‚deutsche ehrliche Arbeit’ dem ‚jüdischen Schmarotzertum und Wucher’ gegenüber stellte. Dabei konnte er durchaus schon auf einzelne ältere Ideen zurückgreifen. So schrieb Heinrich von Heisler in seinem Werk Evangelium Dicodemi, welches er um 1300 vermutlich für den Deutschen Orden verfasste: ‚(...) oder bringt sie (die Juden) in eine Einöde, (...) und lasst sie dort roden und graben und sich dort der Mühsal/Arbeit erdulden, eher tun sie alles, was ihr von ihnen verlangt, damit ihr für sie sorgt. Sonst bleiben sie faul und müßig und können doch des Geldes und des Gutes sicher sein.’ (...) in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, beispielsweise der Text des Theologen Geiler von Kaisersberg, der die Juden nicht mehr nur des Müßiggangs beschuldigt, sondern sie bereits in einen systematischen Zusammenhang mit dem Wucher bringt: ‚Sind also die Juden besser als die Christen, weil sie nicht mit ihren Händen arbeiten wollen? Stehen sie nicht unter den Wort Gottes: ‚’Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen?!’ Im Wucher hingibt, der arbeitet nicht, sondern schindet die Anderen und tritt dabei in seinem Müßiggang noch stolz auf.’“ S/W beschreiben weiter, wie an den Vorstellungen von Arbeit das Bild von Juden im Mittelalter in bildlichen Darstellungen und religiösen Masseninszenierungen popularisiert wird – insb. In den Fastnachtsspielen (z.B. Der Nürnberger Meistersinger Hans Folz).
Martin Luther über die Juden
- “Denn, wie gehört, Gottes Zorn ist groß und über sie, dass sie durch sanfte Barmherzigkeit nur ärger und ärger, durch Schärfe aber wenig besser werden. Drum immer weg mit ihnen.“ Martin Luther über die Juden, zit. In S/W
„Luther- der sich selbst als deutschen Patrioten bezeichnete- kämpfte gegen die Vorherrschaft des römischen Kaisers, sah die deutschen Ideale vom ‚welschen’ Gedankengut unterdrückt und das ‚deutsche Geld und Gut’ durch de ‚schmarotzenden und wucherischen Juden’ bedroht: „Jawohl, sie halten uns Christen in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen sie dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserem erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, dass wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein (...), sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“
(Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen In: Martin Luther: Ausgewählte Werk. Ergänzungsreihe Bd. 3. In H.H. Borcherdt; Georg Merz (Hg.): Schriften wider Juden und Türken, 2. Auflage, Berlin, München , 1936 – Zitiert nach S/W))
Übersetzung des Wortes Arbeit in der Bibel
Weiter S/W: „Dagegen stellt er eine als spezifisch deutsch gedachte Arbeitsauffassung. Er übersetzte als erster die Bibel von der griechischen in die deutsch Sprache, wobei er für ‚Arbeit’ das Wort ‚Beruf’ einführte. Beruf war gleichbedeutend mit göttlichem Willen, Berufung, Schickung und Fügung. Arbeit sollte demnach nicht mehr als Not, Mühsal, Last und Knechtschaft verstanden werden, sondern als eine Aufgabe, die sich durch Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und durch Berufstreue auszeichne. Zentral sei dabei das Leiden im irdischen Jammertal und das Einfügen in die ‚objektive historische Ordnung’. Der deutsche Volkscharakter, der sich besonders durch Traditionsgebundenheit, Sittlichkeit, Gemütlichkeit, Einfalt, Natürlichkeit und durch die Freude an der Arbeit auszeichnen, wurde für ihn zur Vorraussetzung, um diese göttliche Berufung erfüllen zu können.“
Im Gegensatz zum Calvinismus, Puritanismus
- „Im Gegensatz zum Calvinismus und dem daraus entwickelnden Puritanismus, welche sich nicht nur die Arbeit, sondern auch das Geld aufwerteten, hielt Luther an dem negativen Bild des Handels fest: Er verteufelte die Juden, di von ihm mit der Tauschabstraktion und dem Zins tragenden Kapital gleichgesetzt wurden. Dabei kommen sich in der lutherischen Vorstellung von Arbeit das Feindbild des ‚Juden’ und das des ‚Zigeuners’ sehr nahe, beide- ‚Juden’ und ‚Zigeuner’ – werden als negative Abspaltung des neune Arbeitsethos, als die ‚Nicht-Arbeitenden’ begriffen. Beide werden in einem engem Zusammenhang mit dem Teufel gesetzt. Anders jedoch als Juden werden so genannte ‚Zigeuner’ nicht systematisch mit dem sich selbst erzeugenden Geld identifiziert.“ (S/W)
Konzept der Zwangsarbeit für Juden
- “Luther entwarf ein Konzept der Zwangsarbeit für Juden, war aber zugleich skeptisch bezüglich des Erfolgs, da er der Meinung war, dass ‚sie keine Arbeit gewohnt sein’. Er plädierte deshalb für die Vertreibung: ‚…daß man ihre Synagoge oder ihre Schule mit Feuer anstecke und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. (…) Zum anderen, daß man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben ebendasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner. (…) keiner Arbeit gewohnet, so lasst uns mit ihnen rechnen, was sie uns abgewuchert, und darnach gütlich geteilet, sie aber für immer zum Lande ausgetrieben.’ (Martin Luther: Von den Juden und ihren Lügen In: Martin Luther: Ausgewählte Werk. Ergänzungsreihe Bd. 3. In H.H. Borcherdt; Georg Merz (Hg.): Schriften wider Juden und Türken)“ (S/W)
Vorwurf des ‚Zeitdiebstahl’
- “Dabei richtete sich Luthers Agitation nicht generell gegen die sich immer stärker entwickelnde Zins- und Kreditwirtschaft. Er unterschied zwischen dem deutschen Kreditgeber, der an deutsche Tugenden wie Sparsamkeit und unermüdlichen Fleiß gebunden sei, und dem jüdischen Wucherer: Während der fleißige Deutsche, also auch der Kreditgeber, ‚im Schweiße seines Angesichts’ sein Brot verdiene, instrumentalisiere der Jude die Zeit, indem er müßig dasitze, das Geld für sich arbeiten lasse und so ‚Zeitdiebstahl’ an Gott begehe, der allein über ‚die Zeit’ verfügt.“
- am Ende der im 15. Jahrhunderts begonnen Entwicklung sind die Juden wirtschaftlich und sozial völlig ausgegrenzt.
Betteln/Arbeiten - Beispiel Kurfürst von Brandenburg (15. Jrh.)
- Betteln/Arbeiten - Beispiel Kurfürst von Brandenburg (15. Jrh.) „Durch die zunehmende Marktvergesellschaftung wurde diese nun als immer bedrohlicher empfunden und durch Verordnungen zu ‚regelmäßigen Tätigkeiten’ eingeklagt. So schaffte der Kurfürst von Brandenburg zwar Arbeitsmöglichkeiten, indem er einen Kanal bauen ließ, die Arbeiter verließen aber die Baustellen „wegen Beschwerlichkeit derselben und gingen nach Hause“. (….) Die Bereitschaft, sich einem ständigen Arbeitszwang zu unterwerfen, musste nicht nur durchgesetzt, sondern anerzogen werden. Dies galt allerdings nicht für alle, da ‚Bettel-Juden’ und ‚Zigeuner’ in den meisten deutschen Territorien von vornherein als ‚unerziehbar’ galten.“
Erziehung zur Arbeit
- “Die Reformation ächtete endgültig alles, was ihr als ‚Nicht-Arbeit’ erschien. Durch eine Erziehung zur Arbeit sollte ‚die Verfleißigung der Bevölkerung’ stattfinden. Wenngleich auch zuerst Zwang nötig wäre, sollte letztendlich duch eine ‚dauernde Betätigung’ Arbeit zur Gewohnheit werden, bis sie derart selbstverständlich sei, dass sie als das einzig Richtige und Sinnvolle erscheine. In logischer Konsequenz entstanden Arbeits- und Zuchthäuser zu erst in reformierten Städten wie Amsterdam, Hamburg und Lübeck.“
“Rationale Berufsarbeit und Arbeitsamkeit“ und Pietismus
„…ein Staat, welcher Art er auch sei, kann nämlich nicht bestehen, wenn nicht alle Bürger einmütig an der Erhaltung ihres gemeinsamen Valterlands arbeiten.“ der Pietist Friedrich II.
„Mein Beruf verlangt Arbeit und Thätigkeit, mein Körper und Geist müssen sich ihrer Pflichten fügen. Es ist nicht nötig, daß ich lebe, wohl aber , dass ich handle.“ Friedrich II.
„Sowohl dem Luthertum und dem sich daraus entwickelnden deutschen Pietismus wie auch dem Calvinismus und dessen Weiterentwicklung, dem Puritanismus, liegt als zentrales Moment ein Arbeitsethos zugrunde. Dieser Ethos wird jedoch völlig unterschiedlich interpretiert. Luther forderte, sich in Demut und Einfalt zu übern, in einem traditionalistischen Sinne die Welt zu nehmen wie sie sei, und deshalb Beruf als Fürsorge der göttlichen Ordnung zu verstehen und unter der Prämisse ständig tätig zu sein. In der Fortführung dieser Vorstellung begriff der deutsche Pietismus den Beruf als Gottesdienst, durch welchen die egoistischen Interessen des Einzelnen erolgreich unterdrückt würden. Wenn dies gelänge, könne Arbeit auch niemals widerwillig oder gar mit Verdruss getan werden. Von zentraler Bedeutung ist hier die Berufstreue, deren Idealbild in einem patriachalen Arbeitgeber, zufriedenen Angestellten und Arbeitern besteht, die keinesfalls nach individuellem Erwerb trachten, sondern sich von ihrer ‚Gemütlichkeit und Natürlichkeit’ leiten lassen. Vom Pietismus wird dem der asketische ‚alles durchdringende’ Arbeitsethos der Engländer gegenüber gestellt. Religion geht hier in dieser Vorstellung eine unmittelbare Verbbindung mit Erziehung ein. Die Basis der Gesellschaft beruht dabei auf einer allgemeinen Erziehung zur Arbeit, da stetige Arbeit die wichtigste Tugend sei. So schlug 1692 der pietistische Reformer Francke vor, Vaganten und Bettlern keine Almosen mehr zu geben. Stattdessen sollten sie in einer Manufaktur arbeiten lernen. …“ s/w
„Die Arbeit als das organisch Echte in der Romantik“
„Der Kreis werktätiger Pflicht ist weit ausreichend für unsere Kräfte, si adelt jeden, der ihr tru dient. In dem sauren Schweiß der Arbeitt liegt ein Antrieb, der dem Leben Schwung gibt…“ Goethe
„Die Romantik wandte sich gegen die zunehmende Kapitalisierung der Gesellschaft, Allerdings richtete sich ihre Kritik nicht gegen das ihr zugrunde liegende Prinzip der ‚gesellschaftlichen Arbeit’, sondern gegen deren Erscheinungsebene. So verstand sie sich als Gegenbewegung zur Aufklärung, der sie Vorwarf, sie bediene sich ausschließlich analytischer Methoden, die alles nur auseinander nähme und auf ‚Einzelteile’ reduziere. Durch ständige Reflexion rationalisiere die Aufklärung, anstatt die Emotionen sprechen zu lassen. Denn die ‚Gefühle’ stellten ‚das wahre Innere’ und das ‚organische Echte’ dar. Die Welt wurde als ein großer Sinnzusammenhang beschrieben, dessen Äußeres das Sinnbild des Inneren sei. Das innere, die Seele, der Geist seien jedoch das wahrhafte Bestimmende, dort vor allem, aber auch in der Natur, würde sich der göttliche Geist widerspiegeln. (…)
In Verbindung des ‚organisch Echten’ tauchte immer öfters das Ideal der gemeinsam Schaffenden auf, auch di Abgrenzung zur französischen Revolution, wie zum Beispiel bei Schillers [Lied von der Glocke] von 1800. …“
“Deutsche Freiheitsideen des Vormärz gegen Wucher und Handel“ / Philosophie
„Eine Nation von Kaufleuten … (die ) keine bürgerliche Ehre sucht, sondern diesen ihren Verlust durch die Vorteile der Überlistung des Volkes unter dem sie Schutz suchen und finden … ersetzen wollen. Nun kann dieses bei einer ganzen Nation von Kaufleuten, als nichtproduzierenden Gliedern der Gesellschaft … auch nicht anders sein…“ Immanuel Kant
„Wurde in der Theologie das Judentum als von Gott verworfen erklärt, wird es nun in der Philosophie als ‚ein unnatürliches, unmenschliches, versteinertes gesellschaftliches System“ beschrieben, welches allein „von Eigennutz und materialistischen politischen Zielen“ durchdrungen sei (Vgl. Hegel). Elemente der theologischen Einwände wurde den beibehalten und in den Kontext einer im Wesentlichen säkularen Kritik am Judentum aufgenommen. In der Art der Kritik glich die Romantik der christlichen Verteufelung des Judentums, wobei das Christentum in ihre in neuer Weise erinnerlicht wurde. Nicht mehr Gott, sondern die Menschen die sich als Volk untereinander lieben, schließen die Juden aus der romantischen Erlösungsgemeinschaft aus. Diese Gemeinschaft wurde eindeutiger als je zuvor definiert: die des Volkes, der Nation und der Rasse.“
„Auf der Suche nach nationaler Identität reichte die tautologische Formel Fichtes, dass „Charakter“ zu „haben, und deutsch (zu) sein ohne Zweifel gleichbedeutend“ sei, weil die Sache „ohne unser Wissen und Besinnung aus unserm Sein unmittelbar hervorgehe“, nicht lange aus, weshalb Fichte als Wegbereiter des modernen revolutionären deutschen Nationalismus diesen untrennbar mit dem ‚revolutionären deutschen Antisemitismus’ verband.“
„Der Heidelberger Philosoph Jakob Friedrich Fries legte seiner Definition der Juden nicht mehr die Religionszugehhörigkeit zugrunde, sondern knüpfte an die Vorstellung von ‚den Juden als Staat im Staat’ an und entwickelte es weiter. Dabei konnte er auf bereits vorhandene Projektionen zurückgreifen: Die Juden hätten „keinen Anteil an harten Berufen wie Bauer oder Handwerker“, denn „der Jude ist zu faul und zu schwach, um einen von diesen schweren und ausdauernde Kräfte erfordernden Nährungswegen zu wählen.“ …“
„Anschaulich wurde in Märchen und Romanen des 19. Jahrhunderts die Konstruktion der Juden als Figur ‚des Betrügers’, des Bösen’ oder des Teufels’, der dem deutschen Arbeitsethos entgegenwirke. Als Beispiel mögen die Teufelspaktgeschichten der Gebrüder Grimm oder die Märchen von Hauff dienen, …“
“Nützliches Schaffen versus Mamonismus“
„Es ist freilich nicht bloß die Arbeit schlechthin, sonder auch ein scharfer Unterschied in der Idee der Arbeitsehre und Arbeitssittlichkeit, der den Semiten vom Arier trennt ... Selbst in unseren Tagen galt der gwaltthätige Judenhaß revolutionärer Bauern nicht dem Judenglauben und der Judensitte, sondern der Judenarbeit, dem Schacher, der schon so manchen Kleinbauern aus dem Lande herausgearbeitet hat. Aehnlich fürchtet der Gebildete das nationale Gepräge der jüdischen Geistesarbeit als ein dem deutschen Volkscharakter widerstrebendes…“ Wilhelm Heinrich Riehl
„Spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Arbeit zur staatsbürgerlichen Pflicht erklärt. Deutsche Arbeit wurde nun als ‚nützliches Schaffen’ zum Wohle des Volkes definiert. Die gesellschaftliche Integration sollte über die gemeinsame Arbeit stattfinden. Dabei setze sich in den verschiedenen deutschen Staaten schnell die Überzeugung durch, das Schicksal eines Volkes entscheide sich in und durch die Arbeit. …“ (S/W)
Gründerzeit
„Das Bild des Wucherers wird ab der Gründerzeit vom „bösen jüdischen Finanzkapital“ abgelöst, das scheinbar einer Erlösung des produktiven „Volkes“ (Arbeiter und Industriekapital) entgegenstehe.“ Fittkau in einer Rezenion zu s/w
Nationalsozialismus
„Die Spitze des ideologischen Aussatzes erreichen die Nationalsozialisten mit ihrer „Versöhnung“ des produktiven „Volkes“ in einer korporativen Volksgemeinschaft mit gleichzeitigem Vernichtungswahn gegen die vorgeblichen „Schmarotzer“.
„Rheinische Kapitalismus|rheinische Kapitalismus“
Der „rheinische Kapitalismus“ zeichnet sich bis heute durch Sozialpartnerschaft und Bündnis für Arbeit aus. Ein Muster, dass sich schnell mit Ressentiments aufladen lässt, wie die letzten 10 Jahre im besonderen zeigen.“ Fittkau in einer Rezenion zu s/w
Vorwort
Vorwort
Vox populi: Eine Gruppe radelnder Jungen, vierzehn bis fünfzehn Jahre, um zehn abends in der Wormser Straße. Sie überholen mich, rufen zurück, warten, lassen mich passieren. "Der kriegt einen Genickschuß … ich drück’ ab … Er wird an den Galgen gehängt – Börsen-schieber … " und irgendwelches Gemauschel. Es hat mich tiefer und nachhaltiger verbittert und schwankend gemacht, als mich den Abend vorher die Worte des alten Arbeiters erfreuten.
Wohl kaum eine andere Frage ist in Deutschland derart verdrängt
worden, wie die nach dem Ausmaß der Verantwortung eines Groß-teils
der deutschen Bevölkerung für den Antisemitismus vor und
während des Nationalsozialismus. Antworten, welche die biografi-schen
Zeugnisse der Überlebenden und die darin zum Ausdruck kommende
Erfahrung von der antisemitischen Totalität bestätigen, sto-ßen
nach wie vor auf Unwillen und Verschlossenheit. Neben der
gewohnten Befangenheit und dem Widerwillen der Politik liegt dies
aber auch an den erkenntnistheoretischen Beschränkungen der empirischen
Geschichtswissenschaft, wonach sprichwörtlich nur dort
Antisemitismus drinsteckt, wo auch Antisemitismus draufsteht. Ein
Beispiel aus der neueren Literatur mag als Beleg genügen: »Deutlich
wird vielmehr, daß sich selbst bei jenen, die vor 1933 die Nationalsozialisten
abgelehnt hatten, Elemente der Ablehnung neben solche der
Zustimmung zu schieben begannen; nicht zuletzt beeindruckt durch
die vermeintlich so außerordentlich erfolgreiche Wirtschafts-,
Außen- und Kriegspolitik des Regimes.
Dies scheint sich, den verfügbaren Quellen zufolge, aber nur in geringerem Umfang auch auf die nationalsozialistische Judenpolitik ausgedehnt zu haben.«1
Die Zustimmung zum Regime erfolgte demnach nicht aufgrund des Antisemitismus, sondern ihm zum Trotz – so könnte die Quintessenz einer polemisch zugespitzten Interpretation solcher Formulierungen lauten. Hitler wurde zwar bejubelt, jedoch nur wegen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und einer erfolgreichen Balsamierung der gekränkten nationalen Ehre. Außer Acht bleibt dabei, das die Zustimmung zum nationalsozialistischen Wirtschaftskonzept eine Zustimmung zu einem ganz bestimmten Konzept von ›Arbeit‹ und ›Volk‹ beinhaltete, das längst vor dem ›Dritten Reich‹ immanent antisemitisch gewesen ist. Wer sich zur ›nationalen, deutschen Arbeit‹ bekannte, willigte auch in den Antisemitismus ein – so lautet die pla-kative Ausgangsthese unseres Buches.
Eines der vielleicht folgenreichsten Elemente des Antisemitismus ist die Vorstellung, Juden seien arbeitsscheu und lebten von der Arbeit anderer – eine Vorstellung, die sich auf die lange Tradition des antijudaistischen Bildes vom angeblich parasitären, wuchernden Juden stützt. Diese Vorstellung muss auch aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit an das Alltagsbewusstsein vieler Deutscher unter den Bedingungen der warenproduzierenden Moderne als wirkungsmächtiges Medium des Antisemitismus betrachtet werden und ist für uns ein zentraler Schlüssel, um den nicht zuletzt von Daniel Jonah Goldhagen 2 beschriebenen klassenübergreifenden Antisemitismus genauer zu erfassen. Goldhagen beschreibt in drei umfangreichen Fallstudien das freiwillige Bedürfnis vieler Deutscher, Juden zu quälen und schließlich zu ermorden. Goldagen zufolge waren Tausende von Deutschen – direkt oder indirekt – aus freien Stücken am Holocaust beteiligt, und »auch Millionen ande-rer Deutscher [hätten] nicht anders gehandelt, wären sie in die entspre-chenden Positionen gelangt«3 . Dabei streift Goldhagen auch die Denktradition des Konstrukts ›jüdischer Nicht-Arbeit‹4 , konfrontiert sie jedoch nicht mit den sozioökonomischen Veränderungen und Bedingungen von ›Arbeit‹. Es wurde bereits von anderer Seite angemerkt, dass somit jedoch die Dynamik dieser Vorstellung verschwimmt.5 Dieses Buch richtet deshalb den Fokus auf die Synthese der spezifischen Vorstellun-gen von Arbeit und Freiheit zu jenem deutschen Wahn, den wir mit den Worten ›Arbeit macht frei‹6 assoziieren müssen.
Ausgehend von den Erkenntnissen der Antisemitismusforschung schreibt Goldhagen im Rahmen seiner methodischen und analyti-schen Überlegungen: »Antisemitismus verrät uns nichts über die Juden, aber eine Menge über Antisemiten und ihre Kultur, die sie hervorbringt.« 7 Bezogen auf die Vorstellung der ›parasitären, jüdischen Nicht-Arbeit‹ muss also die Frage nach dem Selbstverständnis der Deutschen zu ›ihrer‹ Arbeit, die Frage nach der ›deutschen Arbeit‹ gestellt werden, einem Begriff, der sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Diskurs der Deutschen etablierte.8
In unserer Darstellung werden deshalb zunächst die Ursprünge des Zusammenhangs von ›deutscher Arbeit‹ und Antisemitismus von der deutschen Romantik über die Reformation bis ins Mittelalter zurückverfolgt, um dann jenen im Deutschland des 19. und des frü-hen 20. Jahrhunderts stattfindenden Prozess skizzieren zu können, den man mit ›Nationalisierung der Arbeit‹ umschreiben kann. Obgleich sich ähnliche Prozesse in der Entwicklung Frankreichs oder auch Englands beobachten lassen, kommt der Ideologisierung der Arbeit als ›deutscher‹ beziehungsweise ›nationaler Arbeit‹ bezüglich der Ausbildung einer deutschen nationalen Identität besondere Bedeutung zu.9
Die Zentralität der Arbeit im deutschen Diskurs fußte jedoch nicht nur auf den Erfordernissen nationaler Sinnstiftung, sondern entsprach ihrer sozioökonomischen Evidenz. Im Zuge des beschleunigten und eruptiven Prozesses von Kapitalisierung und Industrialisierung stellten sich der ›Arbeit‹ fundamentale Fragen der Entfremdung, deren Beantwortung zur möglicherweise dringlichsten nationalen Aufgabe wurde. Vor diesem Hintergrund begann sich die Idee eines ›deutschen Sozialismus‹ und eines ›deutschen Antikapitalismus‹ in all seiner Widersprüchlichkeit zu konturieren. Im Folgenden wird beschrieben, wie der Nationalsozialismus versuchte, diese ›Idee‹ zu absorbieren und mit Alltagswahrnehmungen der Bevölkerung dis-kursiv kompatibel zu gestalten. Der ideologiekritische Blick auf den nationalsozialistischen Arbeitsbegriff wird zeigen, was im Begriff der ›deutschen Arbeit‹ bereits angelegt ist: Die historischen Formveränderungen der Arbeit infolge der Universalisierung der Warenproduktion und der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse treten hinter einen überzeitlichen, naturalisierten Begriff von Arbeit zurück. Diese Verdinglichung, die Zurückweisung von Begriffen wie ›Lohnarbeit‹ oder ›abstrakte Arbeit‹10 – Begriffen, die der Gesellschaftlichkeit jener Formveränderungen der Arbeit Rechnung tragen - korrespondierte paradoxerweise mit einer vermeintlich radikalen Kritik an den Widersprüchen kapitalistischer Vergesellschaftung. Der Arbeitsdiskurs der Nationalsozialisten wird deshalb auch als Versuch beschrie-ben, einerseits den Schritt vom Klassen- zum Volksstaat zu vollziehen, andererseits die Versöhnung von Arbeit und Kapital sowie die Aufhebung der Entfremdung der ›abstrakten Arbeit‹ in Aussicht zu stellen.
Ausgehend von materialistischen Theorien zum modernen Antisemitismus konfrontieren wir die strukturellen Dispositionen der kapitalistisch vergesellschafteten Individuen mit den konkreten sozioökonomischen Voraussetzungen Deutschlands. Der Blick auf die ›deutsche Arbeit‹ liefert so nicht nur eine Analyse der volksgemeinschaftlichen Binnenstrukturierung und ihrer Ausschlussmechanismen, sondern reflektiert die gesellschaftlichen Abgründe der patho-logischen Projektion einer ›raffenden jüdischen Nicht-Arbeit‹. Die historisch-soziologische Darstellung wird deshalb durch entsprechen-de theoretische Exkurse begleitet werden. Insofern hier Antisemitismus verstanden wird als strukturelle Möglichkeit des individuellen und kollektiven Bewußtseins, das unbegriffene ›Leiden‹ an der modernen Vergellschaftung zu verarbeiten, muss diese Darstellung mit Anmerkungen zur Kontinuität und zum Wandel ›deutscher Arbeit‹ nach 1945 enden.
Die besondere kulturelle Bedeutung der Arbeit in Deutschland wurzelt bereits in vor- und frühkapitalistischen Verhältnissen. (...)
alle Zitate aus:
Holger Schatz, Andrea Woeldike: Freiheit und Wahn deutscher Arbeit. Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen Projektion. Münster 2000
Rezensionen:
[2],
"Wie Hannah Arendt bei ihrem Besuch in der gerade gegründeten Bundesrepublik 1950 feststellte, ist die ständige Geschäftigkeit des Deutschen, dessen trainierte Form der Verdrängung der Wirklichkeit. Den Nationalsozialisten gelang es,die entfremdete Arbeit zu erotisieren, die „Arbeit an sich“. Der nationale Gründungsmythos „deutsche Arbeit“ galt als Ort der „Unschuld“. Mit Luther und Hitler: Nicht was, sondern wie einer arbeitet, zählt.
Die Autoren versuchen in der Entstehungsphase der „deutschen Nation“ die Geburt einer „nationalen bzw. deutschen Arbeit“ als historische Partikularität zu belegen. Die deutsche Reformation brachte die protestantische Arbeitsethik, das nur der sich nähren dürfe, der im Schweiße seines Angesichts dem lieben Herrgott arbeitend dient im Unterschied zum Calvinismus und Puritanismus. Nachdrücklich wird daran erinnert, warum Schüler in diesem Lande fast zwei Jahrhunderte die „Glocke“ auswendig lernen mussten. Der Mythos der „deutschen Arbeit“ mit den Wunschmerkmalen Fleiß, Disziplin und Pünktlichkeit bekam in der deutschen Romantik eine Erlösungs- und Befreiungsmetaphorik.
Schatz/Woeldike zeichnen nach, dass dieses Bild des tüchtigen Michel immer begleitet wurde von Ausgrenzungsprozessen und Hasstiraden gegen die „Nicht-Arbeiter“. Luther polemisierte gegen die Juden als vermeintliche Wucherer, der „Romantiker“ Fichte wurde bemerkenswert ausfallend und von Wagner und Nietzsche ist es bekannt. Das Bild des Wucherers wird ab der Gründerzeit vom „bösen jüdischen Finanzkapital“ abgelöst, das scheinbar einer Erlösung des produktiven „Volkes“ (Arbeiter und Industriekapital) entgegenstehe. Die Spitze des ideologischen Aussatzes erreichen die Nationalsozialisten mit ihrer „Versöhnung“ des produktiven „Volkes“ in einer korporativen Volksgemeinschaft mit gleichzeitigem Vernichtungswahn gegen die vorgeblichen „Schmarotzer“. Der „rheinische Kapitalismus“ zeichnet sich bis heute durch Sozialpartnerschaft und Bündnis für Arbeit aus. Ein Muster, dass sich schnell mit Ressentiments aufladen lässt, wie die letzten 10 Jahre im besonderen zeigen.
Ein Werk in der Tradition der Kritischen Theorie, stark in der Recherche und marxistischen Analyse. Leider wird eine stärkere sozialpsychologische Grundierung des Wahns vernachlässigt. Kurz werden Ernst Jüngers „Arbeiter-Soldaten“ skizziert und das Gegensatzpaar „Gesund-Krank“ gänzlich gemieden, dass im NS-Staat ein besonderes Wahnbild eines „gesunden, produktiven Volkskörpers“ annahm. "
Gerd Fittkau, konkret