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Leopold von Mildenstein

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Leopold Itz Edler von Mildenstein, Pseudonym LIM (* 30. November 1902 in Prag; † 1968, Diplomingenieur und gerne reisender Journalist[1]), stieg im Dritten Reich zu einem hohen SS-Führer im Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS auf.[2] Er war dort Leiter des Judenreferats. 1936 wechselte er ins Propagandaministerium. Dort wurde er Leiter der Nahostabteilung.[3] Er entstammte dem katholischen böhmischen Adelsgeschlecht Mildenstein.

Leben

Mildenstein absolvierte eine Ausbildung zum Diplomingenieur, arbeitete aber überwiegend als Journalist. Er war beim Berliner Börsen-Courier angestellt. 1929 wurde er Mitglied der NSDAP (Mitglieds-Nr. 106.678) und 1932 der SS. Nach Aussage von Dieter Wisliceny hatte Mildenstein sich nach dem Ersten Weltkrieg bis 1935 viel im Nahen Osten (darunter auch Palästina) aufgehalten.

Bei einem sechsmonatigen Besuch in Palästina im Jahr 1933[4] lernten Mildenstein und seine Frau das Ehepaar Tuchler kennen, die ebenfalls Palästina besuchten. Tuchler war Mitglied der Zionistischen Vereinigung für Deutschland. Mildenstein konnte 12 Reiseberichte von dieser Zeit vom 26. September bis zum 9. Oktober 1934 in der von Joseph Goebbels herausgegebenen Berliner Zeitung Der Angriff publizieren (Titel: „Ein Nazi fährt nach Palästina“). Zeitungsabonnenten erhielten eine Medaille, geprägt mit dem Serientitel, einem Hakenkreuz und dem Davidstern. Mildenstein ortete bei den zionistischen Pionieren „etwas Neues in ihrem Wesen. Etwas hebt ihre Schultern, lässt sie den gesenkten Ghettoblick heben“ (1. Folge), und er sprach, getreu der damals aktuellen Blut-und-Boden-Ideologie, von einer „Wiedergesundung eines entarteten Volkes durch Neuverwurzelung im alten Boden“ (12. Folge): „Diese neuen Juden werden ein neues Volk.“[5] Die Reisen nach Palästina stempelten Mildenstein zum Nahostexperten. Heydrich wurde auf ihn aufmerksam und stellte ihn von 1935 als Judenreferenten und Abteilungsleiter im SD-Hauptamt ein. Bis Juni 1936 vertrat Mildenstein die offizielle Parteilinie, die jüdische Bevölkerung Deutschlands zur Auswanderung nach Palästina zu veranlassen. Er hielt deshalb Kontakt auch mit zionistischen Organisationen. Mildenstein war Adolf Eichmanns Vorgänger im SD.

1936 wechselte Mildenstein nach einem Konflikt mit Reinhard Heydrich in das Propagandaministerium von Joseph Goebbels. Dort fungierte er als Abteilungsleiter der Nahostabteilung und war für die proarabische Propaganda zuständig, die die Araber gegen das Vereinigte Königreich und die Juden in Palästina aufwiegeln sollte. Er hielt sich häufig im Ausland auf und machte auch während des Krieges Reisen in den Nahen Osten. Als Erfahrungen dieser Zeit erschienen auch seine Bücher Rings um das brennende Land am Jordan (Stollberg, Berlin 1938) und Naher Osten – vom Straßenrand erlebt (Union, Stuttgart 1941).

Nach dem Krieg wurden diese Bücher in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der Deutschen Demokratischen Republik auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[6][7] Um 1956 soll Mildenstein Mitglied der FDP gewesen sein und Kontakte zu ägyptischen Propagandadienststellen und amerikanischen Geheimdienstkreisen geknüpft haben.[8] Laut Bundesarchiv gab Mildenstein 1958–1960 Orient-Informationen heraus. Leopold von Mildenstein arbeitete in der Nachkriegszeit für die deutsche Vertretung von Coca-Cola als PR-Berater.[9]

Rezeption

Die Karriere Mildensteins deckt neben anderem Arnon Goldfingers israelischer Dokumentarfilm Die Wohnung (2011) auf. Goldfinger ist ein Enkel Kurt Tuchlers, der sich Anfang der 1930er Jahre in der deutschen zionistischen Bewegung engagierte. Mildenstein, Tuchler und ihre Ehefrauen bereisten gemeinsam Palästina – auf ihren Eindrücken beruht die Artikelserie im Angriff. Aus Briefen, Tagebuchnotizen und den Interviews mit Mildensteins Tochter Edda geht hervor, dass die Ehepaare Tuchler und Mildenstein auch nach dem Holocaust engen Kontakt hielten.[10] Goldfinger hinterfragt die Kultur des Verschweigens auf Täter- und Opferseite der sogenannten „Endlösung“.

Literatur

November 2013

Einzelnachweise

  1. K[arl] S[eeger]: Dipl[om]-Ing[enieur] und Journalist, der gerne auf Reisen ging, Leopold Itz Edler von Mildenstein †. In: Sportjournalist. Jg. 18 (1968), H. 11, S. 16.
  2. Michael Wildt: Die Judenpolitik des SD 1935–1938. Oldenbourg, München 1995, S. 19 f.
  3. Joseph Verbovszky: Leopold von Mildenstein and the Jewish Question. Case Western Reserve University, Cleveland/Ohio 2013, S. 10.
  4. Lenni Brenner: Zionism in the Age of the Dictators. Croom & Helm, London 1983 (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fia600806.us.archive.org%2F12%2Fitems%2FZionismInTheAgeOfTheDictators%2Fzionism-in-the-age-of-the-dictators-lenni-brenner-1983.pdf~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D; PDF; 79,71 kB).
  5. Zitiert nach: Julia Bernhard, Joachim Schlör (Hrsg.): Deutscher, Jude, Europäer im 20. Jahrhundert. Arnold Zweig und das Judentum. Bern, Berlin u. a. 2004, S. 198 f.
  6. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone, Liste der auszusondernden Literatur. In: Datenbank Schrift und Bild 1900–1960.
  7. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone, Liste der auszusondernden Literatur. In: Datenbank Schrift und Bild 1900–1960.
  8. Breitman, Goda, Naftali, Wolfe: US-Intelligence and the Nazis. 2005, S. 341 f. (engl.)
  9. Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. In: Der Spiegel. 6. März 1967.
  10. Siehe auch Arnon Goldfinger: Ihr Freund, der Feind. In: Zeitmagazin. Nr. 21/2012, S. 28–33.