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Andrzej Szczypiorski

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Andrzej Szczypiorski

Andrzej Szczypiorski ['andʒɛɪ̯ ʃʧɨ'pʲɔrski] anhören/? (* 3. Februar 1928 in Warschau; † 16. Mai 2000 ebenda) war ein polnischer Schriftsteller, der nicht nur durch sein literarisches, sondern auch durch sein politisches Engagement Bedeutung erlangte.

Leben

Szczypiorskis Grab in Warschau

Szczypiorskis Werk erklärt sich aus seinem Lebensweg: Aufgewachsen in einer vom Bildungsbürgertum geprägten Familie, erlebte er als 15-Jähriger, wie Deutsche Polen besetzten. Während dieser Zeit studierte er an der Untergrunduniversität, die sein Vater Adam, ein sozialistischer Historiker und Mathematiker, mitorganisierte. 1944 nahm Andrzej Szczypiorski am Warschauer Aufstand teil, wurde gefangengenommen und im KZ Sachsenhausen interniert.

Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Journalist, 1955 begann er seine literarische Tätigkeit. Unter dem Pseudonym Maurice S. Andrews schrieb er einige Kriminalromane. Ab 1977 veröffentlichte er zunehmend in Oppositionszeitungen, und war in dem oppositionellen Komitee zur Verteidigung der Arbeiter aktiv, was nach Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981 zu seiner zeitweiligen Internierung führte.

Nach der politischen Wende in Polen 1989 bekleidete er als Vertreter der Unia Demokratyczna bis 1991 das Amt eines Senators in der zweiten Kammer des polnischen Parlaments. 1989 wurde ihm der Nelly-Sachs-Preis und 1995 der Andreas-Gryphius-Preis verliehen. Bis zu seinem Tode im Jahr 2000 äußerte er sich immer wieder zur politischen und moralischen Entwicklung der Dritten Polnischen Republik.

Die neusten Forschungen des polnischen Institutes für Nationales Gedenken (IPN), das sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Herrschaft in Polen befasst, haben erbracht, dass Szczypiorski seit 1955 mit dem polnischen Staatssicherheitsdienst Służba Bezpieczeństwa zusammengearbeitet hat. Die Details dieser Zusammenarbeit wurden im Film von Grzegorz Braun Errata do biografii (Korrektur zur Biographie) aus dem Jahr 2007 vorgestellt.

Werk

Seine mit vielen Leiden verbundenen Erlebnisse während des Weltkrieges verarbeitete Andrzej Szczypiorski in seinen Werken, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf seine Heimatstadt Warschau legte. Das Warschau der Vorkriegszeit erscheint als die schöne – auch vom Judentum geprägte – Vergangenheit, die dann von der deutschen Besatzungsmacht zerstört wurde. Da Gott in dieser Zeit nicht eingegriffen habe, schloss er auf die grundsätzliche Abwesenheit Gottes in der Geschichte. Szczypiorski setzte sich schon früh für die deutsch-polnische Aussöhnung ein, da er – tief mit der deutschen Literatur verbunden – die Deutschen, die er als Unterdrücker und Mörder erlebt hatte, nicht nur verurteilte. 1990 wurde er mit dem Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken ausgezeichnet, 1995 erhielt er für seine Bemühungen um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland. 1998 war er Dozent im Rahmen der Tübinger Poetik-Dozentur.

Andrzej Szczypiorskis bekanntestes Werk ist der 1986 erschienene Roman Początek (deutsch: Der Anfang), der in Deutschland unter dem Titel Die schöne Frau Seidenman veröffentlicht wurde. Hier schildert Szczypiorski verschiedene Schicksale – von Opfern und Tätern – in den Jahren 1941–43 in Warschau in kleinen, unabhängig voneinander stattfindenden Episoden. Dabei wirkt er keineswegs moralisierend oder schuldzuweisend, auch versäumt er es nicht, Brücken in die Gegenwart zu schlagen und das Verhalten der Protagonisten in der Zukunft, im sozialistischen Polen zu hinterfragen. So wird die jüdische Heldin, die den Krieg überlebt, 1968 selbst Opfer antisemitischer Politik polnischer Kommunisten.

Die „Messe für die Stadt Arras“ - erschienen 1971 - wird von dem Genter Fürstbischof David zelebriert, an sie schließt sich ein großes Volksfest des Vergessens und Verdrängens an. Mit der Messe verbunden ist einerseits die Annullierung aller gegen Hexen und Ketzer gefällten Todesurteile und andererseits die pragmatische Begnadigung ihrer Verfolger, die unter der Führung des Stadtoberhauptes von Arras, des christlichen Fanatikers Pater Albert, gewütet hatten. Vorausgegangen war eine Pestepidemie in der Stadt, in deren Folge die Bürger in religiösen Wahn verbunden mit Hexenverfolgung, Menschenverbrennung, Kannibalismus und Judenpogromen verfielen. Jean, der in der Stadt als Helfer Pater Alberts diese Geschehnisse teils fördert, teils kühl registriert, wendet sich zum Schluss von Arras und David ab und sucht in Brügge eine neue „beste aller Welten“, in der Rückschau dem Rat der Stadt und dem Leser von seinen Zweifeln berichtend: „Also, diese ganze ungeheuerliche gemeine Sünde soll sich nun als ein Nichts herausstellen und diese ganze Grausamkeit als Bagatelle?“

Wirkung

Seit 2000 wird von der Polska Fundacja Dzieci i Młodzieży, deren Präsident er war, im Gedenken an ihn der Andrzej-Szczypiorski-Preis (pl.: nagroda im. Andrzeja Szczypiorskiego) vergeben. Er wird an Menschen vergeben, die den größten positiven Einfluss auf ihre soziale Umgebung hatten. Der erste Preis ging 2000 an Marzena Łotys, die Präsidentin von Stowarzyszenie „Edukacja Inaczej“.

Im Oktober 2006 wurde mit dem Haus Szczypiorski in unmittelbarer Nähe zum KZ Sachsenhausen eine internationale Jugendbegegnungsstätte eröffnet, die sich die Begegnung und Verständigung mit Polen zum Hauptziel gesetzt hat. Das Haus Szczypiorski befindet sich in der ehemaligen Dienstvilla von SS-Offizier Theodor Eicke, der verschiedene leitende Positionen in Konzentrationslagern ausübte.[1]

Bibliographie

Die deutschsprachigen Ausgaben wurden alle im Diogenes Verlag, Zürich, publiziert. Unten sind die aktuellen ISBN angeführt.

Anderen Ortes veröffentlicht:

Beiträge erschienen in:

Literatur

  • Marta Kijowska: Der letzte Gerechte. Andrzej Szczypiorski, Aufbau-Verlag, Berlin 2003.
    • Taschenbuch-Ausgabe unter dem Titel: Andrzej Szczypiorski. Eine Biographie, Diogenes, Zürich 2006, ISBN 978-3-257-23563-0.
Commons: Andrzej Szczypiorski – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Für ein tolerantes Miteinander. In: Lausitzer Rundschau, 20. Oktober 2006.