Zum Inhalt springen

Jeanne Mandello

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 21. Juli 2014 um 12:01 Uhr durch Fiona B. (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Jeanne Mandello (* 18. Oktober 1907 als Johanna Mandello in Frankfurt am Main; † 17. Dezember 2001 in Barcelona) war eine deutsche Fotografin, die als jüdische Emigrantin in Paris, Uruguay und Barcelona lebte. Sie gehört zu den Pionierinnen der modernen künstlerischen und experimentellen Fotografie des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Leben und Werk

Johanna Mandello wuchs in einer kunstliebenden, säkularen jüdischen Familie in Frankfurt auf. In den 1920er Jahren studierte sie zwei Jahre Fotografie an der Lette-Schule in Berlin, wo sie auch unterrichtete,[1] und arbeitete ein Jahr lang bei Paul Wolff. In Frankfurt eröffnete sie ihr eigenes Fotostudio. Sie war die erste Frau, die mit einer Leica-Kamera professionell fotografierte. In einer Zeit als es für eine Frau schwierig war, als Künstlerin Aufmerksamkeit zu bekommen, öffnete die Fotografie, vor allem die Modefotografie, einen Weg in die Kunstwelt. In der Weimarer Republik war sie mit Grete Stern, Ellen Auerbach, Ilse Bing, Gisèle Freund, Marianne Breslauer und Germaine Krull eine der Pionierinnen der modernen Fotografie. 1932 begann ihre Zusammenarbeit mit ihrem späteren Ehemann, Arno Grünebaum, der unter ihrer Anleitung ebenfalls Fotograf wurde.[2][3]

Exil in Paris

Im Bewusstsein der kommenden Gefahr, die Juden nach der „Machtergreifung“ drohte, verließen Johanna und Arno 1934 Deutschland und begannen in Paris ein neues Leben. Sie etablierten sich als Modefografen für Modehäuser wie Balenciaga, Guerlain und Chanel und Magazine wie Vogue und Harper’s Bazaar. Ihre Arbeiten waren inspiriert von der Avantgarde der Pariser Kunstszene, in der Fotografen wie Man Ray, Brassaï und Doisneau die moderne Fotografie neu definierten. Mandello experimentierte mit neuen Techniken, ungewöhnlichen Kameraperspektiven, Bildausschnitten, Belichtungen und Fotomontagen. In dieser Zeit änderte sie ihren Vornamen Johanna zu dem französischen Jeanne.[2][4]

Flucht nach Uruguay

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs galten Jeanne und Arno Mandello in der Französischen Republik als Enemy Alien. Jeanne wurde nach eigenen Angaben nach Dogneville, in der Nähe des Internierungslagers Camp de Gurs, geschickt. Sie musste alles hinter sich lassen und verlor ihre Kameraausrüstung. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs entzog ihr das Deutsche Reich am 28. Oktober 1940 die Staatsbürgerschaft. Unter dem Vichy-Regime waren sie als Juden auch in Frankreich nicht mehr sicher.[5] Jeanne schrieb einem nach Argentinien ausgewanderten Onkel, über den sie ein Ausreisevisum für Uruguay, eine Schiffspassage von Bilbao nach Montevideo und Geld bekamen. Mit der Cabo de Buena Esperanzae erreichten Jeanne und Arno nach einer vierwöchigen Schiffsreise zusammen mit Hunderten anderen Flüchtlingen im Juli 1941 den Hafen von Montevideo. Bei ihrer Ankunft wog Jeanne nur noch 40 Kilo.[2]

Jeannes erste Kamera seit Paris war eine Rolleiflex, die ihr ein Fotograf in Montevideo lieh. Sie verdiente zunächst mit Architekturfotografien Geld und fotografierte mit Arno auch für uruguaische Touristikmagazine. In Uruguay wurden sie als „los Mandellos“ bekannt. Jeanne knüpfte schnell Kontakte mit uruguayischen Künstlern und Intellektuellen, die in Montevideo und Punta del Este lebten, wie der Maler Joaquín Torres García, die Dichter Rafael Alberti und Jules Supervielle, die sie mit ihrer Kamera porträtierte, sowie mit Emigranten aus Europa. Ab 1943 stellten sie ihre künstlerischen Arbeiten aus. Jeannes erste Einzelausstellung war Exposición del Niño. Fotografías artísticas de la Señora Jeanne Mandello in Montevideo mit Porträts von Kindern.[6] In Uruguay wandelte sich Jeannes künstlerischer Stil, sie wurde eine „Foto-Grafikerin“, wie der Journalist J. Hellmuth Freund, ein Exilant aus Berlin, sie in seinem 1953 im Kunstmagazin Entregas de la Licorna veröffentichten Artikel beschrieb.[7] Sie arbeitete mit Fotogrammen und mit Solarisation, was den Bildmotiven einen schwebenden Ausdruck verlieh. Sie fotografierte sich selbst und andere Frauen, darunter Florence Henri und die Tänzerin Violeta López Lomba, nicht als Objekte des künstlerischen Blicks, sondern stellte sie als von sich überzeugt und für ihr Schicksal verantwortlich dar. Die erste große Ausstellung mit Arbeiten von Jeanne und Arno fand 1952 im Museu de Arte Moderna do Rio de Janeiro statt.[8]

Barcelona

1953 trennte sich Jeanne von Arno. Er kehrte nach Paris zurück. Jeanne überließ ihm die Fotoausrüstung und das Recht den Markennamen „Mandello“ zu benutzen. Sie ging nach Brasilien, um den Journalisten Lothar Bauer, einen alten Bekannten aus Frankfurt, der in Rio de Janeiro als Reporter für die Frankfurter Zeitung arbeitete, zu heiraten. Ende der 1950er Jahren zog das Paar nach Barcelona, wo Jeanne bis zu ihrem Lebensende als Fotografin arbeitete.[2]

Ausgebildet in Deutschland, geprägt von der künstlerischen Avantgarde der Weimarer Republik und des Vorkriegs-Paris brachte Jeanne Mandello die Geometrie des Bauhaus mit surrealistischen Fantasien und experimentellen Techniken in ihrem Werk, das sie in Südamerika und Spanien schuf, zusammen. Die meisten ihrer frühen Arbeiten sind verschwunden, ihr gemeinsames Atelier mit Arno in Paris wurde von der NS-Dienststelle Westen[9] 1942 geplündert.[2]

Als Fotografin der Weimarer Republik wurde Jeanne Mandello mit zwei Ausstellungen in Barcelona wiederentdeckt: 1995 in Les dones fotògrafes a la República de Weimar. 1919–1933 und 1997 in der Einzelausstellung Mandello. Fotografías 1928–1997, eine Gesamtschau ihres Werk. Die Retrospektive Imágenes de una fotógrafa exiliada: Jeanne Mandello (dt.: Bilder einer Fotografin im Exil) in Montevideo 2012 tourte 2013 durch mehrere Städte in Uruguay und Argentinien. Unter dem Titel Mandello – Light-Scapes-Lives präsentierte die Kunsthalle Düsseldorf 1966 die bisher einzige Einzelausstellung in Deutschland.[6] Von Juni bis September 2014 zeigt das Museum Folkwang in Essen experimentelle Werke von Jeanne Mandello zusammen mit denen von Helmar Lerski, Hans Finsler und anderen in der Ausstellung Ende eines Zeitalters. Künstlerische Praktiken und Techniken analoger Fotografie. [10]

Ihr lange vergessenes Werk wird heute von ihrer in Barcelona lebenden Tochter, Isabel Mandello de Bauer, die sie 1970 nach Lothar Bauers Tod adoptiert hatte, auf einer Internetseite mit zahlreichen Abbildungen und Primärquellen einer allgemeinen Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.

Ausstellungen (Auswahl)

Literatur

  • Mandello, Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro 1952 (Ausstellungskatalog).
  • J. Hellmut Freund: Arte foto-gráfica. Alrededor de la producción de Arno y Jeanne Mandello, in: Entregas de la Licorne, Nr. 1–2, Montevideo, November 1953, S. 165–174.
  • Mercedes Valdivieso (Hrsg.): Mandello. Fotografías 1928–1997, Casal de Sarria, Barcelona 1997. Ausstellungkatalog der Retrospektive von Jeanne Mandello; mit einem Vorwort von Ute Eskildsen
  • J. Hellmut Freund: Vor dem Zitronenbaum. Autobiographische Abschweifungen eines Zurückgekehrten. Berlin – Montevideo – Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-10-023303-5, S. 369 f.
  • Imágenes de una fotógrafa exiliada: Jeanne Mandello, Centro Cultural Alliance Française, Montevideo 2012 (Ausstellungskatalog, pdf).
  • Muriel de Bastier: Jeanne Mandello de Bauer, ou la mémoire disparue d’une photographe / Jeanne Mandello de Bauer - oder das verlorene Vermächtnis einer Fotografin in: Anne Grynberg, Johanna Linsler: Irreparabel. Lebenswege jüdischer Künstlerinnen, Künstler und Kunstkenner auf der Flucht aus dem „Dritten Reich“ in Frankreich, Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle Magdeburg, Band 9, Magdeburg 2012, (französisch-deutsch mit englischen und hebräischen Zusammenfassungen), ISBN 978-3-9811367-6-0, S. 115-149

Einzelnachweise

  1. J. Hellmut Freund: Vor dem Zitronenbaum S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-10-023303-5, S. 369.
  2. a b c d e Jewish Women’s Archive. Exiled German photographer Jeanne Mandello arrives in Uruguay. Abgerufen am 19. Juli 2014, online.
  3. Isabel Mandello de Bauer: Jeanne Mandello, About, Part 2: Early Life.
  4. Isabel Mandello de Bauer: Jeanne Mandello, About, Part 3: The 1930s – First Exile in France.
  5. Muriel de Bastier: Jeanne Mandello de Bauer, ou la mémoire disparue d’une photographe, in: Irreparabel. Lebenswege jüdischer Künstlerinnen, Künstler und Kunstkenner auf der Flucht aus dem „Dritten Reich“ in Frankreich (2012), S. 115-132
  6. a b Jeanne Mandello Exhibitions
  7. J. Hellmut Freund: Arte foto-gráfica. Alrededor de la producción de Arno y Jeanne Mandello, in: Entregas de la Licorne, Montevideo 1953, S. 165–174.
  8. Isabel Mandello de Bauer: Jeanne Mandello, About, Part 8: Uruguay, Land of Cultural Exchange.
  9. Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg
  10. Ende eines Zeitalters. Künstlerische Praktiken und Techniken analoger Fotografie, Museum Folkwang, 28. Juni – 28. September 2014.