Politisches System Italiens
Italien ist seit 1946 eine parlamentarische Republik, als in einer Volksabstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg die (durch ihre Rolle im Faschismus) diskreditierte Monarchie abgeschafft wurde.
Verfassung
Die italienische Verfassung zeichnet sich durch einen Kompromisscharakter aus, der aus der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte herrührt: Aus der Erfahrung des gemeinsamen Widerstandskampfes gegen den Faschismus ("resistenza") entschlossen sich die im "Nationalen Befreiungskommitee" zusammengeschlossenen antifaschistischen (liberale, sozialistische, kommunistische und katholisch geprägte) Parteien, gemeinsam die neue Verfassung auszuarbeiten. Daher finden sich im Verfassungstext einzelne Elemente, die mehr oder weniger klar den jeweiligen politischen Gruppierungen zuzuordnen sind.
Besonderheiten der italienischen Verfassung sind beispielsweise die starke Betonung plebiszitärer Elemente (Verfassungsänderungen müssen durch Referendum bestätigt werden, außerdem besteht für die Bürger die Möglichkeit, per Volksbegehren und Volksentscheid Gesetze wieder aufzuheben), die große Machtfülle, die dem Parlament (Zweikammersystem, "bicameralismo perfetto") zugestanden wird sowie die vergleichsweise geringen formalen Einflussmöglichkeiten der Regierung und des Ministerpräsidenten.
Institutionen
Die Verfassungsorgane entsprechen im Wesentlichen denen in anderen westlichen Demokratien:
Staatspräsident
Staatsoberhaupt ist in Italien der Staatspräsident (eigentlich: Präsident der Republik, italienisch: Presidente della Repubblica). Laut Verfassungsnorm nimmt er vorwiegend repräsentative Funktionen wahr, beteiligt sich an der Regierungsbildung und ist Oberbefehlshaber über die Streitkräfte. In der Verfassungswirklichkeit kommt ihm nicht selten eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Regierungskrisen zu, die in der italienischen Republik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich häufiger waren als in anderen europäischen Ländern.
Parlament
Der Begriff Parlament gilt in Italien als Sammelbegriff für den Senat und die Abgeordnetenkammer. Beide Kammern sind im Gesetzgebungsverfahren absolut gleichberechtigt und unterscheiden sich nur hinsichtlich Anzahl, Zusammensetzung und Wahlmodus ihrer Mitglieder. Beide Kammern tagen unabhängig voneinander. In jeder Kammer gibt es ständige Ausschüsse und Sonderkommissionen, die ebenfalls unabhängig voneinander sind.
Abgeordnetenkammer
Die Abgeordnetenkammer (camera dei deputati, meist nur camera genannt) ist die größere Parlamentskammer, deren 630 Abgeordnete alle fünf Jahre auf nationaler Ebene (siehe Wahlsystem) gewählt werden. Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der das 25. Lebensjahr vollendet hat.
Senat
Der "Senat der Republik" (senato della repubblica, meist nur senato genannt) ist die kleinere der beiden Kammern:
- 315 Senatoren werden ebenfalls (gleichzeitig mit den Abgeordneten) auf 5 Jahre gewählt, allerdings nicht auf nationaler Ebene, sondern auf regionaler Basis (siehe Wahlsystem). Jede der 20 Regionen stellt eine festgelegte Anzahl an Senatoren, die je nach Bevölkerungszahl in der Region variiert. Jede Region stellt mindestens sieben Senatoren (mit zwei Ausnahmen: Das Aostatal stellt nur einen Senator, die Region Molise zwei). Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der das 40. Lebensjahr vollendet hat.
- Hinzu kommen noch bis zu 5 "Senatoren auf Lebenszeit", die vom Staatspräsidenten ernannt werden können. Die Verfassung gesteht dieses Privileg Bürgern zu, "die (...) durch höchste Verdienste auf sozialem, wissenschaftlichem, künstlerischem und literarischen Gebiet in besonderer Weise dem Vaterlande zur Zierde gereichen (...)." (Art. 59, 2).
- Außerdem sind alle ehemaligen Staatspräsidenten (nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt) von Rechts wegen Senatoren auf Lebenszeit (Art. 59, 1).
Gesetzgebungsverfahren
Die Gesetzgebung steht in Italien de jure nur dem Parlament zu. Ein Initiativrecht hat jeder einzelne Abgeordnete bzw. Senator, die Regierung als Ganzes sowie das Volk. Jedes Gesetz bedarf der Zustimmung beider Kammern, ein formelles Vermittlungsverfahren ist nicht vorgesehen. Der Staatspräsident muss zudem jedes Gesetz unterzeichnen, bevor es in Kraft treten kann. Da beide Kammern den selben Gesetzestext verabschieden müssen, zieht sich ein normales Gesetzgebungsverfahren oftmals in die Länge. Nach jeder Änderung, die eine der Kammern an einem Entwurf verabschiedet, muss der geänderte Entwurf der jeweils anderen Kammer zur Abstimmung vorgelegt werden. Verabschiedet diese wiederum das Gesetz nur mit Änderungen, müssen auch diese Änderungen durch eine neue Beratung und Abstimmung in der vorherigen Kammer bestätigt werden. Auf diese Art und Weise ist es möglich, dass einzelne Entwürfe jahrelang zwischen den beiden Paralemtskammern hin und her geschoben werden, bevor sie in Kraft treten können. Daher tritt dieses reguläre Gesetzgebungsverfahren in der italienischen Politik zunehmend in den Hintergrund. Stattdessen wird in Italien oft mit so genannten "Notverordnungen" und "Ermächtigungsgesetzen" regiert:
- Notverordnung: Die Regierung kann "in Fällen außergewöhnlicher Notwendigkeit" eine Verordnung erlassen und diese nachträglich durch das Parlament in ein Gesetz umwandeln erlassen (Art. 77).
- Ermächtigungsgesetz: Das Parlament legt "Grundsätze und Richtlinien" fest und beauftragt die Regierung mit der Ausarbeitung eines Gesetzes (Art. 76).
Regierung
Den Vätern der italienischen Verfassung ging es nach der Erfahrung des Faschismus darum, in der neuen Republik ein möglichst effektives System der gegenseitigen Kontrolle der Verfassungsorgane untereinander zu schaffen. Hieraus resultiert eine relativ schwache Stellung der Regierung in der italienischen Politik.
Offiziell heißt die Regierung Ministerrat (italienisch: consiglio dei ministri oder einfach nur consiglio), der Ministerpräsident firmiert als "Präsident des Ministerrates", auf italienisch also presidente del consiglio (dei ministri). Spricht man nur vom "Präsidenten", kann damit also sowohl der Staatspräsident als auch der Ministerpräsident gemeint sein. Der Ministerpräsident verfügt in Italien über keinerlei Richtlinienkompetenz, wie sie von einem deutschen Bundeskanzler oder Länder-Ministerpräsidenten bekannt ist und nimmt daher in der Regierung nur die Rolle eines 'Vorsitzenden des Ministerrates' ein und ist somit primus inter pares. Die allgemeinen Richtlinien der Politik bestimmt der Ministerrat als Ganzes, außerdem soll er die Arbeit der einzelnen Ministerien koordinieren.
Im Gesetzgebungsprozess hat der Ministerrat folgende Möglichkeiten:
- er bereitet Gesetzentwürfe vor
- er erlässt Notverordnungen (die anschließend vom Parlament in Gesetze umgewandelt werden können)
- er wird durch Ermächtigungsgesetze vom Parlament mit der Ausarbeitung von Gesetzen innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen beauftragt
In der Phase der Regierungsbildung nach einer Regierungskrise oder nach Wahlen spielt der Staatspräsident eine wichtige Rolle: Er konsultiert die Fraktionen der im Parlament vertretenen Parteien und beauftragt dann einen aussichtsreichen Kandidaten mit der Regierungsbildung. Dieser muss dann wiederum in Beratungen mit Fraktionen und Parteien versuchen, eine Mehrheit für seine Regierung zu finden. Nach erfolgreichem Abschluss dieser Konsultationsphase präsentiert der designierte Präsident des Ministerrates dem Staatspräsidenten eine Liste der Minister, die dieser normalerweise akzeptiert. Danach kommt der neue Ministerrat zu seiner ersten Sitzung zusammen, beschließt ein Regierungsprogramm und stellt sich der Vertrauensabstimmung in beiden Parlamentskammern. Diese können der Regierung jederzeit das Vertrauen wieder entziehen, was dann in der Regel zu einer neuen Regierungskrise führt.
Ein besonderes Charakteristikum der italienischen Politik sind die häufigen Regierungswechsel in der Nachkriegszeit. Als Gründe hierfür lassen sich beispielsweise anführen:
- Die starke Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft machte oft Koalitionen mit zahlreichen Parteien nötig; bei Meinungsverschiedenheiten der Regierungsparteien untereinander wurde die Regierungskrise immer wieder als Druckmittel gegenüber den anderen Koalitionspartnern genutzt.
- Die relativ schwache Stellung des Regierungschefs führt dazu, dass bei Konflikten innerhalb des Ministerrates oftmals die Bildung einer neuen Regierung als Mittel zur Klärung der Meinungsverschiedenheiten herangezogen wurde und wird.
- In den seltensten Fällen war der Ministerpräsident auch Vorsitzender der eigenen Partei. Eine solche Situation ist nicht selten mit einem Machtverlust verbunden, der einzelne Abgeordnete dazu verleiten kann, bei einer Vertrauensabstimmung gegen die eigene Regierung zu stimmen.
Nicht zuletzt sollte man berücksichtigen, dass trotz häufiger Regierungswechsel immer eine ausgeprägte personelle Kontinuität besteht, wenn man die Regierungen als Ganzes betrachtet: So wurde bei der Bildung des jeweiligen neuen Ministerrates oft nur der Vorsitzende des Gremiums ausgetauscht, die restlichen Minister blieben im Amt. Man könnte auch von einer häufigen Rotation des Vorsitzes im Ministerrat sprechen, es handelte sich keineswegs immer um völlig neue Regierungen.
Aktueller Ministerpräsident (Stand: 2005) ist Silvio Berlusconi. Er regiert mit einem Parteienbündnis seiner eigene Partei Forza Italia mit der Lega Nord, Alleanza Nazionale und kleineren christdemokratischen Parteien.
siehe auch:
Judikative
Die Justiz kennt in Italien eine weit gehende formale Unabhängigkeit: Richter und Staatsanwälte sind nicht direkt dem Justizministerium unterstellt, somit bestehen auch keine formalen Einflussmöglichkeiten durch die Politik. Laufbahnentscheidungen werden stattdessen von kollegialen Selbstverwaltungsorganen wie dem Consiglio Superiore della Magistratura (CSM, dt. "Oberster Rat des Richterstandes") gefällt. Diese Konstruktion kann freilich nicht darüber hinweg täuschen, dass auch in der Justiz Italiens verschiedene politische Strömungen existieren und teilweise informell ihren Einfluss geltend machen.
Für die Verfassungsgerichtsbarkeit ist der Verfassungsgerichtshof zuständig: Er besteht aus 15 Mitgliedern. Ein Drittel (fünf Richter) wird vom Staatspräsident ernannt, ein weiteres Drittel vom Parlament gewählt, die übrigen fünf Mitglieder werden durch die obersten Gerichte gewählt.
In der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestehen drei Instanzen: Gericht, Appellationsgericht, Kassationsgericht.
Wahlsystem
Da die starke Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft zunehmend als einer der Faktoren für häufige Regierungswechsel gesehen wurde, hat das Wahlsystem in Italien in den vergangenen Jahren einige Änderungen erfahren. So wurde 1994 unter anderem bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus eine 4-Prozent-Hürde (Sperrklausel) eingeführt, außerdem werden mittlerweile nur noch 25 Prozent der Sitze nach dem Verhältniswahlrecht (Listenwahl nach Parteien) vergeben, die restlichen 75 Prozent nach dem Mehrheitswahlrecht. Hierbei zieht aus jedem Stimmkreis nur der Kandidat ins Parlament ein, der die meisten Stimmen in diesem Stimmkreis erhält. Zusätzlich wurde die Bildung von Parteienbündnissen für die Wahlen ermöglicht, wovon bei den nationalen Abstimmungen rege Gebrauch gemacht wird. Durch die umstrittene vom derzeitigen Regierungschef Silvio Berlusconi maßgeblich initiierte Wahlrechtsreform wird das Wahlrecht 2006 erneut geändert. Nach der Zustimmung der Camera dei Deputati beschloß am 14.12.2005 auch der Senato mit 160:119 Stimmen ein (modifiziertes) Verhältniswahlsysten (wieder)einzuführen. Das neue Wahlrecht wurde am 22.12.2005 von Staatspräsident Ciampi ratifiziert und soll bereits für die anstehenden Parlamentswahlen im April 2006 angewandt werden. Das neue Gesetz sieht einen "Bonus" für den Wahlsieger vor, um klare Mehrheiten im Parlament zu sichern (Mehrheits-Proporzsystem), d.h. das Erreichen von 340 Sitzen wird für die Mehrheit garantiert. Außerdem wurden Sperrklauseln für kleine Parteien festgesetzt. Es gibt drei Hürden für das Abgeordnetenhaus: 10% für die Listenverbindungen, 4% für nicht verbundene Parteien und 2% für Parteien in Listenverbindungen.Vorlage:Ref2 Das neue Wahlrecht wird von kritischen Stimmen als maßgeschneidert für das Mitte-Rechts-Lager Berlusconis bezeichnet, womit dieses seine Chancen auf einen erneuten Wahlsieg steigern möchte. Das aktive Wahlrecht steht grundsätzlich jedem Italiener ab 18 Jahren zu. Bei den Wahlen zum Senat liegt das Mindestalter allerdings bei 25 Jahren.
___ Quellen:
Parteien
Hauptartikel: Politische Parteien in Italien
Die italienische Parteienlandschaft ist traditionell stark zersplittert. Zu Beginn der 1990er Jahre hat das Parteienspektrum zudem einen tiefgreifenden Wandel erfahren: Im Zuge der Beendigung des Kalten Krieges und als Folge von Korruptionsaffären lösten sich zahlreiche Parteien auf oder benannten sich um, gänzlich neue Parteien entstanden.
Italien ist im Gegensatz zu den Bundesstaaten Deutschland, Schweiz oder Österreich ein Einheitsstaat. Von 1861 bis 1948 war Italien ein zentralisierter Einheitsstaat, d.h. Provinzen und Kommunen waren nur Verwaltungsbezirke der Zentralregierung in Rom. (Die teilweisen Selbstverwaltungsrechte der Kommunen wurden während des Faschismus ganz beseitigt.)
Seit 1948 ist Italien ein dezentralisierter Einheitsstaat. Regionen, Provinzen und Kommunen sind zwar weiterhin auch staatliche Verwaltungsbezirke, in denen die Regierung in Rom entsprechend ihrer Zuständigkeiten Aussenstellen unterhält. Doch sind diese drei Ebenen seit 1948 zugleich auch Selbstverwaltungskörperschaften mit eigenen Volksvertretungen und i.d.R. direkt vom Volk gewählten eigenen Regierungen. Sie haben eigene, von der italienischen Verfassung nach dem Prinzip der Subsidiarität zugewiesene Zuständigkeitsbereiche und unterliegen nur einer Rechtsaufsicht durch die Zentralbehörden. Die Regionen haben beispielsweise weitgehende Befugnisse in den Bereichen Landwirtschaft, Tourismus, Gesundheitswesen, berufliche Bildung, Gemeindepolizeiaufsicht, Bauwesen u.a. Teilweise delegieren sie diese Aufgaben an die Selbstverwaltungsorgane der Provinzen, die somit von den Regionen übertragene Wirkungskreise erhalten. Die Selbstverwaltungsorgane der Kommunen haben u.a. auch übertragene Aufgabenbereiche der Zentralregierung in Rom, so z.B. bei der Führung der Einwohnermelderegister.
Die von zunächst separatistischen Parteien wie der Lega Nord in den 1980er und 1990er Jahren losgetretene sog. "Föderalismusdebatte" und eventuelle Reformen in dieser Richtung werden nichts daran ändern, dass Italien auch weiterhin ein (dann evtl. stark) dezentralisierter Einheitsstaat bleibt. Es ist nicht so, dass Gliedstaaten einer Bundesebene Kompetenzen zugestehen, sondern der italienische Einheitsstaat wird seinen Selbstverwaltungskörperschaften noch mehr Autonomie einräumen ("Devolution").
Einen Sonderfall bilden die sogenannten autonomen Regionen und Provinzen, die mehr Kompetenzen besitzen, aber immer auch von der staatlichen Verwaltung abhängen.
Weblinks
- Startseite der beiden Parlamentskammern: Auf der Seite des Abgeordnetenhauses finden sich auch viele Informationen und Dokumente auf Deutsch.
- Italienische Verfassung (auf Deutsch)
Literatur
- Damian Grasmück: Die Forza Italia Silvio Berlusconis. Geburt, Entwicklung, Regierungstätigkeit und Strukturen einer charismatischen Partei. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, 2005. ISBN 3-631-53839-1
- Große, Ernst-Ulrich / Trautmann, Günther (1997): "Das politische System Italiens", in: dies. (1997): Italien verstehen. Darmstadt, S. 1-59.
- Hausmann, Friederike (1997) : Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute. Berlin.
- Trautmann, Günther (1999): "Das politische System Italiens", in: Ismayr, Wolfgang [Hrsg.] (2.A. 1999): Die politischen Systeme Westeuropas. Opladen, S. 519-559.
- v. Roques, Valeska (1996): Die Stunde der Leoparden, Frankfurt a. M.