Staunen
Staunen oder Verwunderung ist ein Affekt bei etwas, das dem Erlebenden außergewöhnlich vorkommt. Dabei ist noch offen gelassen, ob dieses Verwunderliche eher ein "gläubiges" oder "ungläubiges" Staunen weckt. Der positive Fall löst Bewunderung (Respekt, Verehrung) aus, der negative Fall Befremden (Irritation, Argwohn).
Ein starker Akzent liegt auf der Verwunderung beim Philosophieren. Die Besonderheit ist hier, dass gerade das Gewöhnliche und selbstverständlich Scheinende zum Erstaunlichsten wird. In diesem Sinn haben die großen griechischen Denker - Sokrates, Platon und Aristoteles - das Staunen (thaumázein) als Anfang der Philosophie aufgefasst: "Alle nämlich beginnen mit der Verwunderung, dass die Dinge so sind, wie sie sind" (Aristoteles: Metaphysik).
Indem das philosophische Staunen die bisher am wenigsten bedachten Dinge hinterfragt, bringt es die Wissenschaft voran, der sich die Wirklichkeit so oft ganz anders darstellt als unserer natürlichen Einstellung. Auf diese Weise hält der Gegensatz von bloßer Meinung (dóxa) und Wahrheit (alétheia) das Streben nach Wissen fortwährend in Atem.
Literatur
- Aristoteles († 322 v. Chr.): Metaphysik
ISBN 3-499-55544-1 (Rowohlt Taschenbuch)- Mit dem oben angeführten Zitat (aus dem Anfangskapitel)
- Preisgünstige Ausgabe, die den besonderen "Service" bietet, im deutschen Text auch die wichtigsten griechischen Begriffe einzufügen, z.B. (erster Satz):
"Alle Menschen streben von Natur (phýsei) nach Wissen (eidénai); dies beweist die Freude an den Sinneswahrnehmungen (aisthésis), denn diese erfreuen an sich, auch abgesehen von dem Nutzen, und vor allen anderen die Wahrnehmungen mittels der Augen."
- Ute Guzzoni: Das Erstaunliche und die Philosophie. Freiburger Abschiedsvorlesung.
"Information Philosophie", Heft 2001-2 (leicht gekürzte Druckfassung)- Mit Hinweisen auch auf die Östliche Philosophie, z.B.
"Nirgendwo sonst wie im japanischen Haiku scheint mir die Erstaunlichkeit dessen, was je gerade ist und nicht nicht ist, einen ihr gemäßeren - zugleich zerbrechlichen wie sicheren - Ort gefunden zu haben."
- Mit Hinweisen auch auf die Östliche Philosophie, z.B.
- Jeanne Hersch (1981): Das philosophische Staunen. Einblicke in die Geschichte des Denkens
ISBN 3-492-11059-2 (Serie Piper)- Aus der Einleitung:
"Wir leben in einer wissenschaftsgesättigten Zeit. Wir glauben, bald alles zu wissen. Und doch wird es immer Staunende geben. Staunen gehört zum Menschsein. Dadurch, dass man gleichzeitig mit großen Gelehrten lebt, ist man nicht schon dem Unwissen entwachsen. Und unter den Physikern sind jene, die noch staunen können, nicht die 'Halb-' oder 'Viertelphysiker'. sondern es sind die ganz großen. Ihre Werke sind voll metaphysischen und philosophischen Staunens."
- Aus der Einleitung:
- Ekkehard Martens (2003): Vom Staunen oder Die Rückkehr der Neugier
ISBN 3-379-20057-3 (Reclam Leipzig Taschenbuch)