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Benutzer:FelMol/Ideologiekritik

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Ideologiekritik bezeichnet ein philosophisches Kritikmodell, das die mangelnde Übereinstimmung von Denken und Sein aufzeigt und die Ursachen der Entstehung dieser Diskrepanz analysiert. Die mit dem Begriff der Ideologie umschriebene Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit wird nicht auf irrtümliches Denken zurückgeführt, sondern als ein durch anthropologische, psychologische oder gesellschaftliche Ursachen notwendig erzeugtes Produkt erklärt. Die gesellschaftlichen Verhältnisse aufzudecken, die dem Denken Schranken setzen, ist ein Hauptmotiv der klassischen Ideologiekritik von Karl Marx und Friedrich Engels.

Die Wortgeschichte des Begriffs wurde nie systematisch erforscht. Eine frühe Verwendung findet sich in den frühen 1930er Jahren bei Antonio Gramsci.[1]

Bacons Idolenlehre

Retrospektiv wurde die Idolenlehre des englischen Philosophen Francis Bacon als Vorläufer der Ideologiekritik rezipiert. In seiner Kritik der Scholastik identifiziert er in der Schrift "Novum Organum" (1620, dt. 1870) in den Idolen vorgefasste Anschaungen und überlieferte Meinungen mit der Tendenz zum anthropomorphen Denken, die ein objektadäquates Erkennen verhinderten.

Feuerbachs Religionskritik

Ludwig Feuerbach leitet aus dem Wesen des Menschen die Gottesvorstellung ab. Die Vorstellung eines allmächtigen und gütigen Schöpfergottes begreit er als eine anthropologische Projektion, die die geheimen Wünsche und Sehnsüchte des Menschen in ein überirdisches Subjekt verleiblicht.[2]

Ideologiekritik bei Marx und Engels

Ihre klassische Form findet die Ideologiekritik bei Karl Marx und Friedrich Engels im Kontext ihrer materialistischen Basis-Überbau-Lehre. In der posthum veröffentlichten Deutschen ideologie kritisieren sie die Philosophie der Junghegelianer Feuerbach, Bruno Bauer und Max Stirner. Marx und Engels betrachten „Moral, Religion, Metaphysik und sonstige Ideologie und die ihnen entsprechenden Bewusstseinformen“[3] als Überbau-Phänomene. Ideologiekritik bedeutet ihnen zuvörderst, der Ideologie den „Schein der Selbständigkeit“ zu nehmen[4] und sie als abhängig von den materiellen Verhältnissen zu erklären, sodann ihre Funktion für bestehende oder angestrebte Herrschaft zu analysieren.[5] Für sie sind die in jeder Epche herrschenden Gedanken die Gedanken der herrschenden Klasse.[6]

In Form der bestimmten Negation und immanenten Kritik wollen Marx und Engels die "versteinerten Verhältnissen dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt"[7] und "aus der Kritik der alten Welt die neue finden".[8]

Verdinglichungstheorem bei Lukács

Zentral für Georg Lukács' Marx-Exegese ist das Fetisch-Kapitel aus dem Kapital. In seiner Essaysammlung Geschichte und Klassenbewusstsein entwickelt Lukács eine Theorie der Verdinglichung.

Ideologiekritik der Kritischen Theorie

Insbesondere über das Theorem der Verdinglichung von Lukács eignen sich die Begründer der Kritischen Theorie die marxistische Ideologiekritik an. Für sie ist Ideologie „objektiv notwendiges und zugleich falsches Bewusstsein“,[9] Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse. Grundlegend für das Ideologieverständnis der Frankfurter Schule ist der vom Warenfetisch erzeugte gesellschaftliche Verblendungszusammenhang, der die Verhältnisse von Menschen als Verhältnisse von Waren widerspiegelt, sowie der Äquivalententausch, bei dem es „mit rechten Dingen und doch nicht mit rechten Dingen zugeht“.[10] Verschleiert er doch die Ausbeutung des Lohnarbeiters, der zwar als Äquivalent für die Verausgabung seiner Arbeitskraft seine Reproduktionskosten erstattet bekommt, aber um den von ihm erzeugten Mehrwert geprellt wird.

Die Funktion der Ideologie ist Rechtfertigung.[11] Da sie bestehendes Unrecht mit Idealen und Theoremen der Gerechtigkeit (worin Adorno "ihre Wahrheit" sieht) zu rechtfertigen versucht, besteht die Aufgabe der Ideologiekritik in der "Konfrontation der Ideologie mit ihrer eigenen Wahrheit".[12] Das heißt, den Anspruch von Gerechtigkeit durch Entlarvung der verdeckten Ungerechtigkeit ernstnehmen, im Falle des Äquivalententausches aufzuzeigen, dass nur scheinbar Vergleichbares getauscht wird.

Viele Arbeiten der Vertreter der Frankfurter Schule basieren auf dem Kritikkmodell der Ideologiekritik. Das bringen bereits die Titel einiger ihrer Schriften zum Ausdruck, z.B Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie (Theodor W. Adorno), Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft (Herbert Marcuse),Technik und Wissenschaft als ‚Ideologie‘ (Jürgen Habermas).

Wissenssoziologie

Zum Gegenstand einer akademischen Disziplin, der Wissenssoziologie, wurde die Ideologielehre in 1920er Jahren.[13] Karl Mannheim als einer ihrer Hauptvertreter versteht Ideologie als einen wertfreien Begriff, als „seinsverbundes“ Denken - im Gegensatz zu den ideologiekritischen Erklärungsansätzen, die den Ideologiebegriff pejorativ mit verzerrtem und falschem Denken in Verbindung bringen.

Standortgebundenheit des Denkens.

Literatur

Klassische Texte
  • Francis Bacon: Novum Organon (1620). Erste deutsche Ausgabe: Neues Organon. Berlin 1870
  • Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums (1841). Aktuelle Ausgabe nach der 3. Auflage von 1849: Reclam, Stuttgart 1978
  • Karl Mannheim. Ideologie und Utopie. Bonn 1929; 3. Auflage Frankfurt am Main 1952
  • Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. In: Marx-Engels Werke, Band 3. Dietz, Berlin 1961, S. 9-533.
Sekundärliteratur
  • Theodor W. Adorno: Beitrag zur Ideologienlehre. In: ders: Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften I. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 457-477
  • Hans Barth: Wahrheit und Ideologie. Eugen Rentsch Verlag, Erlenbacvh-Zürich 1961
  • Kurt Lenk (Hrsg.): Ideologie. 2. Auflage. Luchterhand, Neuwied 1964
  • Tilman Reitz: Ideologiekritik. In: Wolfgang Fritz Haug (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 6/I: Hegemmonie bis Imperialismus. Argument, Hamburg 2004, Spalten 690-717
  • Theoriediskussion: Hermeneutik und Ideologiekritik. Mit Beiträgen von Karl-Otto Apel, Claus v. Bormann, Rüdiger Bubner, Hans-Georg Gadamer, Hans Joachim Giegel, Jürgen Habermas. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971

Einzelnachweise

  1. Eintrag Ideologiekritik In: Wolfgang Fritz Haug (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 6/I: Hegemmonie bis Imperialismus. Argument, Hamburg 2004, Spalte 692.
  2. Kurt Lenk (Hrsg.): Ideologie. 2. Auflage. Luchterhand, Neuwied 1964, S. 29.
  3. Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. In: Marx-Engels Werke, Band 3. Dietz, Berlin 1961, S. 26.
  4. Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. In: Marx-Engels Werke, Band 3. Dietz, Berlin 1961, S. 27.
  5. Eintrag Ideologiekritik In: Wolfgang Fritz Haug (Hrsg.): Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 6/I: Hegemmonie bis Imperialismus. Argument, Hamburg 2004, Spalte 696.
  6. Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie. In: Marx-Engels Werke, Band 3. Dietz, Berlin 1961, S. 36.
  7. Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. In: Marx-Engels Werke, Band 1. Dietz, Berlin 1961, S. 381.
  8. Karl Marx: Briefe aus den 'Deutsch-Französischen Jahrbüchern'. In: Marx-Engels Werke, Band 1. Dietz, Berlin 1961, S. 344.
  9. XII. Ideologie. in: Institut für Sozialforschung: Soziologische Exkurse. Nach Vorträgen und Diskussionen'. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1956, S. 168.
  10. Theodor W. Adorno: Soziologie und empirische Forschung. In: ders: Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften I. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 209.
  11. Theodor W. Adorno: Beitrag zur Ideologienlehre. In: ders: Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften I. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 465.
  12. Theodor W. Adorno: Beitrag zur Ideologienlehre. In: ders: Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften I. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 465.
  13. Kurt Lenk (Hrsg.): Ideologie. 2. Auflage. Luchterhand, Neuwied 1964, S. 52.

Kategorie:Ideologie Kategorie:Philosophie Kategorie:Soziologie