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Urbanität

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Urbanität (lateinisch: urbanitas, abgeleitet von urbanus: „städtisch“, im Weiteren von urbs: „Stadt“, im Besonderen von urbs Romæ: das antike Rom) bezeichnet eine Reihe von Zuschreibungen für die Stadt, das „Städtische“, die Stadtbewohner und ihre Kultur, gerade auch ihre Baukultur und Lebensführung. Der Begriff bezieht sich im Kontext von Distinktionsmustern und Stereotypen über kulturelle Unterschiede zwischen Stadt und Land auf ein weites Feld von Bedeutungen, insbesondere auf in Städten praktizierte Kulturtechniken und auf Ideale oder Merkmale wie Bildung, Ordnung, Weltläufigkeit, feines Wesen, Raffinesse, Höflichkeit, Eleganz und Schönheit sowie deren Ausdruck in Städtebau, Architektur, Innenarchitektur, Kunst, Kunsthandwerk, Mode, Lebensstil, Sprache und Umgangsformen. Ein Gegenbegriff ist die „Rustikalität“. Das zugehörige Adjektiv ist urban, dessen Gegenbegriffe sind „rustikal“, „ländlich“, „provinziell“, „dörflich“, „bäurisch“ oder (bildungssprachlich) „böotisch“.

Der Vorgang der Urbanisierung bezeichnet dagegen die Verdichtung und Vergrößerung menschlicher Siedlungen. Die Urbanistik beschäftigt sich als interdisziplinäre Wissenschaft mit dem Studium von Städten.

Rhetorik

Urbanität (urbanitas) war in der Rhetoriklehre der römischen Antike und des Mittelalters eine zentrale Stil- und Sprachqualität. Sie meinte eine verfeinerte Eleganz des Stils und den subtilen, distanzierten Witz. Hergeleitet vom lateinischen Begriff sermo urbanus („Stadtlatein“) verweist sie auf die literarisch verfeinerte Sprachkultur der gebildeten Schichten des antiken Roms, welche sich vom einfacheren, dialektalen Latein der Landbevölkerung, dem sermo rusticus, oder dem Vulgärlatein der Plebejer, dem sermo plebeius, unterschied.[1][2]

Geographie

Urbanität beschreibt in der Sozialgeographie einerseits die durch funktionale Differenzierung gekennzeichnete Stadt, andererseits im sozialwissenschaftlichen Sinne eine durch städtische Lebensweisen geprägte Alltagswelt. Urbanität umschließt somit sowohl städtebauliche also auch funktionale, sozio-kulturelle und sozio-ökonomische Elemente einer Lebensumwelt, die als „typisch städtisch“ interpretiert werden kann.

Architektur und Städtebau

Urbanität ist ein Leitbegriff und Qualitätsmerkmal für Stadtentwicklung und Städtebau. Als Zielkategorie umfasst Urbanität hier vor allem die Förderung funktionaler, baulicher, sozialer und kultureller Vielfalt in Städten, die Ausprägung unterschiedlicher sozialräumlicher Milieus und die Wahrung des Nebeneinanders privater und öffentlicher Räume in der Stadt. In den Disziplinen Architektur und Städtebau bezeichnet Urbanität insbesondere die den Eindruck von Stadt hervorrufende Anmutung eines Raums. Die Anmutung von Urbanität ergibt sich grundsätzlich sowohl aus bestimmten Mustern baulicher Strukturen als auch aus bestimmten Mustern von Funktionen bzw. der Benutzung eines Raums. Stimmen die wahrgenommenen Muster mit dem überein, was eine Person oder eine Mehrzahl von Personen als typisch städtisch begreift, wird dem entsprechenden Raum Urbanität zugesprochen.

In der Nachkriegsdiskussion zur Stadtentwicklung in Deutschland hat 1960 der Vortrag Edgar Salins beim Städtetag in Augsburg mit dem Titel „Urbanität“ erheblichen Einfluss auf die Städtebaudiskussion der 1960er Jahre und danach gehabt.[3] Hierbei wurde unterstellt, dass Urbanität sich (vorrangig) durch städtebauliche Dichte ergebe und im Maß der baulichen Nutzung oder in der Bevölkerungsdichte zu messen sei. Unter dem Schlagwort Urbanität durch Dichte wurden in Deutschland ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Großwohnsiedlungen errichtet, in denen eine höhere Verdichtung durch großmaßstäbliche Bauformen angestrebt war. Im Zuge des Stadtrückbaus werden diese häufig als fehlerhaft erkannten Entwicklungen zur Zeit mancherorts durch Gebäudeabrisse und Grünflächenentwicklungen wieder zurückgenommen.

Soziologie

Mit Urbanität wird soziologisch eine Lebensweise umrissen, wie sie in einer Groß- oder Weltstadt entstehen kann: das kritisch-kühle, wendige Verhalten des sich in zahlreichen sozialen Rollen bewegenden und informierten Großstädters im Gegensatz zum unkundig-einspurigen „provinziellen“ Verhalten der Landbevölkerung.[4]

Literatur

Quellen

  1. Roman Müller: Sprachbewußtsein und Sprachvariation im lateinischen Schrifttum der Antike. In: Zetemata. Monographien zur klassischen Altertumswissenschaft. Heft 111, Verlag C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-48498-0, S. 219 (online)
  2. Hugo Schuchardt: Der Vokalismus des Vulgärlateins. Erster Band, Verlag von G. B. Teubner, Leipzig 1866, S. 52 (online)
  3. Der Städtebauhistoriker Angelus Eisinger behandelt diesen Einfluss eingehend in folgendem Artikel: Angelus Eisinger: Urbanität: Ein Element zeitgemässer Standortpolitik? In: Maria Louise Hilber and Ayda Ergez (Hrsg.): Stadtidentität. Der richtige Weg zum Stadtmarketing. Zürich: Orell Füssli 2004, S. 93-103 (Online-Version unter: http://www.tg.ethz.ch/dokumente/pdf_files/EisingerURBANITAET.pdf) ISBN 3-280-05083-9.
  4. Vgl. Louis Wirth: Urbanism as a way of life (1938), in der Nachfolge von Georg Simmels Die Großstädte und das Geistesleben (1903).