Otto Weininger
Otto Weininger (* 3. April 1880 in Wien; † 4. Oktober 1903 ebenda) war ein österreichischer Philosoph.
Leben
Weininger wurde als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Goldschmieds geboren und war vielseitig begabt. Er versuchte sich mit 16 Jahren an einem etymologischen Aufsatz über speziell bei Homer zu findende griechische Redewendungen. Mit 81 Jahren sprach er fließend Spanisch, Norwegisch, Französisch, Italienisch und Englisch. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Talente fügte er sich nur schwer ein und war eher ein Außenseiter und Querdenker.
Er studierte ab 1896 an der Universität Wien Naturwissenschaften, Biologie, Mathematik und Philologie und beschäftigte sich weiter mit Sprache. Er wird von den Ideen und Werken Immanuel Kants beeinflusst. 1901 nahm er Kontakt zu Sigmund Freud auf, dem er ein Manuskript von Geschlecht und Charakter vorlegte. Darin entwickelte er eine philosophisch-psychologische Theorie der Geschlechter, in deren Zentrum die These der menschlichen Bisexualität steht. Freud war eher unbeeindruckt von dem Text und empfahl Otto Weininger, mehr "empirische Daten für seine Behauptungen zu finden". Es ist strittig, wer die in dieser Arbeit entwickelte These der menschlichen Bisexualität von wem übernommen hat, nach der vorherrschenden Version hatte Sigmund Freud die Ansätze dieser These bei der Therapie eines seiner Patienten gewonnen und diese im Gespräch Weininger mitgeteilt.
Am 21. Juli 1902 legte Otto Weininger seine Promotionsprüfung ab und trat im selben Jahr zum Christentum über. Ein Jahr später veröffentlichte er trotz Freuds Kritik eine erweiterte Ausgabe seiner Dissertation (Geschlecht und Charakter) und wird ob der Ähnlichkeit der Thesen des Plagiats bezichtigt. Manche Ideen dieser Schrift wurden von Karl Kraus und August Strindberg aufgegriffen und beeinflussten maßgeblich das Werk von Elias Canetti, Robert Musil, Georg Trakl und Ludwig Wittgenstein und damit nachhaltig die österreichische Geistesgeschichte. Manchen Zeitgenossen galt er als früh vollendetes Genie.
Otto Weininger versuchte sich in diesem Werk an einer Definition des Männlichen und Weiblichen, vor dem Hintergrund der Annahme, dass in allen lebenden Dingen ein wenig von beiden zu finden sei. Er plazierte das Männliche an einem Ende einer Skala, das Weibliche am anderen Ende, wobei für ihn Ersteres positiv, geistvoll, edel und moralisch, das Zweitere, negativ, minderwertig und amoralisch war. In der Vorstellung von Weib und Trieb einserseits und Mann und Geist andererseits ordnete er der Frau eine seelische und sittliche Minderwertigkeit zu. Die Frau sei zu keiner geistigen Orientierung und schöpferischen Produktivität fähig. Er wies auch verschiedensten Bewegungen und Konzepten männliche und weibliche Züge zu. So war für ihn das Judentum stark weiblich dominiert, während das Christentum eher männliche Züge hatte.
Trotz jüdischer Abstammung und umfassender geistes- und naturwissenschaftlichen Bildung mit Vorurteilen behaftet, antisemitisch eingestellt und Verfechter einer frauen- und körperfeindlichen Geisteshaltung, sprach er Frauen und Juden damit de facto die Menschlichkeit ab, und befürwortete die totale sexuelle Enthaltsamkeit der Männer und dadurch implizit die Ausrottung der Juden, letzteres wie sein ebenfalls jüdischer Schriftstellerkollege Arthur Trebitsch.
Obwohl es im Wien des Fin de Siècle immer wieder Juden gab, die sich von ihrer Religion abwandten (dieses Phänomen konnte auch bei anderen Religionen dokumentiert werden), enthielt Geschlecht und Charakter doch besonders starke, auch durch den Vater mitbeeinflusste antisemitische Tendenzen. Es erreichte nach dem Tod des Autors hohe Auflagen.
Die von Weininger vertretenen philosophischen Thesen wurden später von den Nationalsozialisten als Legitimation ihres Antisemitismus benützt. Adolf Hitler nannte Weininger daher auch "den einzigen anständigen Juden" (Quelle: Michael Salewski).
Otto Weininger kämpfte während seines kurzen Lebens oft mit Selbstmordgedanken. Wahrscheinlich manisch-depressiv, wurden seine Launen nach der Publikation seines Werkes immer dunkler. Schließlich, am 4. Oktober 1903, erschoss er sich mit 23 Jahren in Wien, und zwar im Haus Beethovens.
Weininger kam durch die kontroverse Diskussion seines Werkes und ein rationales Hinterfragen seiner Thesen zur Frau und zum Judentum in Büchern, Zeitungsartikeln und der wissenschaftliche und literarische Beschäftigung mit seinem Werk, zu trauriger Berühmtheit.
Zur kritischen Beurteilung Otto Weiningers muss man die dunklen, teils wahnhaften Tendenzen in den erhaltenen Manuskripten heranziehen. So waren seine grundlegenden Erkenntnisse über ein Zusammenspiel von männlichen und weiblichen Elementen in allen Wesen sowie manche andere Ansätze ebenso richtig und revolutionär, wie seine Schlussfolgerungen über die Art des Zusammenspieles schrecklich falsch waren. Durch die zusätzlichen stark antisemitischen Tendenzen wurde er von der akademischen Diskussion weitgehend unbeachtet gelassen, obwohl manche seiner Ansätze sich eindeutig in Werken anderer Philosophen und Psychologen wiederfinden.
Chronologie
- 1880 - Am 3.April in Wien geboren.
- 1898 - Inskription Philosophie an der Universität Wien
- 1901 - Kontaktaufnahme zu Sigmund Freud mit einem Manuskript von "Geschlecht und Charakter".
- 1902 - Abschluss des Philosophiestudiums, Übertritt zum Christentum.
- 1903 - Selbstmord durch Erschießen kurz nach der Publikation von "Geschlecht und Charakter".
Werke
- Geschlecht und Charakter: Eine prinzipielle Untersuchung. 1903, Neuauflage 1997, ISBN 3-8822-1312-4
- Eros und Psyche: Studien und Briefe. 1899 bis 1902
- Über die letzten Dinge. 1904, Neuauflage 1997, ISBN 3-8822-1320-5
- Sex and Character. 1906
- Die Liebe und das Weib. 1917
- Taschenbuch und Briefe an einen Freund. 1919
- Verse. Die Fackel 158/1923. S. 613-21
Literatur
- E. Lucka: Otto Weininger. 1905
- G. Klaren: Otto Weininger. 1924
- J. Le Rider: Der Fall Otto Weininger. 1985
- C. Sengoopta: Otto Weininger. Sex, Science, and Self in Imperial Vienna. 2000
- M. Salewski: Der Weg zum Holocaust. In: FAZ. 25. Januar 2005. S. 8
- A. Kerekes, A. Millner, M. Orosz, K. Teller (Hg.): Mehr oder Weininger. Eine Textoffensive aus Österreich / Ungarn. Wien: Braumüller 2005 (ISBN 3-7003-1526-0).
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Weininger, Otto |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Philosoph |
GEBURTSDATUM | 3. April 1880 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 4. Oktober 1903 |
STERBEORT | Wien |