Conchita Wurst

Conchita Wurst ist das Pseudonym des österreichischen Sängers und Travestiekünstlers Thomas „Tom“ Neuwirth (* 6. November 1988 in Gmunden, Oberösterreich).[1] Die Dragqueen wurde international mit dem Lied Rise Like a Phoenix als Gewinnerin des 59. Eurovision Song Contests 2014 in Kopenhagen bekannt.
Leben und Werk
2006 nahm Tom Neuwirth an der dritten Staffel der TV-Castingshow Starmania des ORFs teil, wo er Zweiter hinter Nadine Beiler wurde. 2007 gründete er zusammen mit Falco De Jong Luneau, Johannes „Johnny“ K. Palmer und Martin Zerza die Boyband jetzt anders!, die sich aber noch im selben Jahr wieder auflöste. 2011 schloss er eine Ausbildung an der Grazer Modeschule ab.[1]
Die Figur Conchita Wurst
Seit 2011 tritt Tom Neuwirth in der Öffentlichkeit als Dragqueen Conchita Wurst in Erscheinung. Dabei handelt es sich um eine Diva mit Vollbart.[2] Deren fiktive Biografie beginnt mit der Geburt „in den Bergen von Kolumbien“ und führt über eine Kindheit in Deutschland zum Beginn der Karriere als Sängerin in Österreich.[1] Ihre Schaffung erklärt Neuwirth als Reaktion und Statement gegen Diskriminierungen, die er in seiner Jugend aufgrund seiner Homosexualität erfuhr. Sein Auftreten als Conchita solle auch dazu führen, dass „es Jugendliche leichter haben – und zwar egal, aus welchem Grund sie anders als die anderen sind“.[3][4] Den Namen Conchita bekam er von einer Freundin aus Kuba und behielt ihn bei. Den Nachnamen wählte er, „weil es eben ‚wurst‘ ist, woher man kommt und wie man aussieht“.[5] Wiederholt erklärte er in Interviews auf Fragen nach seinem Geschlecht, dass seine Darstellung der Conchita Wurst nichts mit Transsexualität zu tun habe, sie einfach „eine Kunstfigur, Tom Neuwirths Alter Ego“ sei („was wir Kunstfiguren machen, ist wie es der Name schon sagt, Kunst. [...] aber am Abend sind wir immer noch gerne in dem Körper, in dem wir geboren wurden“).[3]
Gerade der Bart unterscheidet Conchita Wurst von anderen Travestie-Figuren, bei denen es, wie Doris Knecht beobachtet, „darum geht, alle vermeintlich männlichen durch sogenannte weibliche Attribute zu ersetzen. Conchita macht das nicht. Sie ergänzt. Sie ist eine Mann-Frau und ein Frau-Mann. In ihr vermischen sich die Geschlechter, verwischen die Unterschiede.“[6] Für Neuwirth fungiert der Bart als gezielte Provokation:
- „Vor allem der Bart ist ein Mittel für mich, zu polarisieren, auf mich aufmerksam zu machen. Die Welt reagiert auf eine Frau mit Haaren im Gesicht. Was ich mir wünsche, wäre, dass sich die Leute ausgehend von meiner ungewöhnlichen Erscheinung Gedanken machen – über sexuelle Orientierung, aber genauso über das Anderssein an sich. Manchmal muss man den Menschen einfach und plakativ klarmachen, worum es geht.“[3]
Manche Kommentatoren verglichen in ihren Betrachtungen des Sieges von Conchita Wurst beim ESC und dessen Wirkung das Erscheinungsbild mit Jesus-Darstellungen im romantisierenden Stil der Nazarener und Präraffaeliten.[7]
Erstmals in der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Neuwirth in dieser Rolle als Teilnehmer an der ORF-Talentshow Die große Chance im Jahr 2011, in der er in der Finalrunde den sechsten Platz belegte.[8] Als Conchita Wurst nahm er auch an der österreichischen Vorentscheidung für den Eurovision Song Contest 2012 (Österreich rockt den Song Contest) teil und erreichte im Finale mit dem Song That’s What I Am mit 49 Prozent der Stimmen den zweiten Platz hinter den Trackshittaz mit 51 Prozent.[9] Weitere Fernsehauftritte folgten 2013, als Conchita Wurst in der Sendung Die härtesten Jobs Österreichs auf ORF eins zu sehen war, wo sie in der Fischverarbeitung arbeitete, und im Sommer desselben Jahres in der Sendung Wild Girls – Auf High Heels durch Afrika bei RTL, in der sie den siebten Platz erreichte.[10] 2013 war sie mit dem Titel That’s What I Am zusammen mit einer Reihe weiterer österreichischer Musiker auf dem Benefiz-Album Licht ins Dunkel 2013 und bei einem Konzert für die ORF-Weihnachtsaktion Licht ins Dunkel vertreten.[11]
Teilnahme am ESC 2014


Im September 2013 gab der ORF bekannt, Conchita Wurst als Österreichs Beitrag zum Eurovision Song Contest 2014 in Kopenhagen zu entsenden.[12] In österreichischen Medien wurde die Entscheidung, keine Vorausscheidung zu veranstalten, mitunter als Ausdruck von Sparzwängen im ORF gedeutet.[13] Die Entscheidung traf die Programmintendantin Kathrin Zechner aus einem knappen Dutzend Vorschlägen, hausintern soll das Potenzial der Kandidatin bis zuletzt massiv unterschätzt worden sein. Mitentscheidend für die Auswahl sei auch der Manager der Künstlerin, René Berto gewesen.[14]
Der Song Rise Like a Phoenix wurde erstmals am 18. März 2014 auf Ö3 präsentiert.[15] Sämtliche Plattenfirmen Österreichs lehnten die Veröffentlichung des Stücks ab, so dass der ORF sich gezwungen sah, den Titel selbst zu veröffentlichen.[16] Auf Facebook wurde eine Gruppe „Nein zu Conchita Wurst beim Song Contest“ gegründet,[3] der frühere ESC-Teilnehmer und Kabarettist Alf Poier sagte, er könne mit ihrer „verschwulten Zumpferl-Romantik“ nichts anfangen[17], und der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache polemisierte gegen die Entsendung Wursts durch den ORF.[18]
In Weißrussland rief eine „Legion Alexander Lukaschenko“ zum Boykott des Song Contests und einem Ausstrahlungsverbot auf, weil der „populäre internationale Wettbewerb [...] mithilfe der europäischen Liberalen zu einem Brutherd der Unzucht verkommen“ sei.[19] In Russland forderte der Politiker Witali Milonow, Initiator des in Sankt Petersburg verabschiedeten Gesetzes gegen „Propaganda von Homosexualität und Pädophilie“, das zum Vorbild für die landesweite Gesetzgebung wurde (siehe Homosexualität in Russland), einen Boykott.[20] Zusätzlich bedauerte der „rechtsradikale Wladimir Schirinowski [...], dass sich die russische Armee nach dem Sieg über Hitler aus Österreich wieder zurückgezogen habe.“[21]
Conchita Wurst reagierte auf die Angriffe mit einer auf Facebook verbreiteten Nachricht, in der es hieß:
- „Wie würde es euch gehen, wenn eure Freunde, Verwandten, Kinder, Kollegen usw. auf diese Weise beschimpft werden? Ich bin mir sicher, dass es in eurer näheren Umgebung ebenfalls Menschen gibt, die ‚anders‘ sind. In diesem Sinne kämpfe ich weiterhin GEGEN Diskriminierung und FÜR Toleranz. Denn ich bin davon überzeugt, dass im 21. Jahrhundert wirklich JEDER Mensch das Recht hat, so zu leben, wie er möchte, solange niemand anderer in seiner Freiheit eingeschränkt oder verletzt wird. Und soweit ich weiß, habe ich niemandem weh getan.“[22]
Am 8. Mai 2014 qualifizierte sich Conchita Wurst in Kopenhagen für das Finale des Wettbewerbs, das sie in der Nacht zum 11. Mai 2014 gewann. Die Entscheidung wurde von etwa 180 Millionen Zusehern verfolgt. Es war das viertbeste Ergebnis in der Geschichte des ESCs und – nach dem Sieg von Udo Jürgens im Jahr 1966 – der zweite Sieg Österreichs beim ESC.
Auf die Frage der Moderatorin bei der Preisverleihung: „Hast Du überhaupt noch Worte, nach all dem?“ antwortete Conchita Wurst: „Ja, sehr wohl. Dieser Abend ist allen gewidmet, die an eine Zukunft in Frieden und Freiheit glauben. Du weißt, wer wir sind: Wir sind eine Gemeinschaft und wir sind nicht aufzuhalten."[23] Dies sei durchaus auch als Botschaft an homosexuellenfeindliche Politiker wie Russlands Präsident Putin gemeint.[24]
Reaktionen
Begeistert begrüßt wurde Conchita Wurst am 11. Mai 2014 anlässlich ihrer Rückkehr aus Kopenhagen am Flughafen Wien-Schwechat von Hunderten von Fans.[25] Mehrere Medien bezeichneten die Künstlerin als Queen of Austria.[26][27][28] ÖVP-Obmann Michael Spindelegger kündigte einen radikalen Kurswechsel seiner Partei betreffend die Gleichstellung von Homosexuellen an: „Ich habe hier keine Grenzen zu setzen.“[29] Auch Kardinal Christoph Schönborn fand lobende Worte.[30] Am 18. Mai 2014 lud Bundeskanzler Werner Faymann zu einem Empfang zu Ehren von Conchita Wurst ins Bundeskanzleramt und sagte: „Es ist uns eine ganz große Ehre“. Er lobte „eine Botschaft, die heißt: Toleranz, eine Botschaft, die heißt: Liebe, Lebensfreude. […] Danke auch für dieses Image, diese Ausstrahlung, diese Worte.“[31] Anschließend sang die Künstlerin vor rund 10.000 Zuhörern auf dem Ballhausplatz. Einen Auftritt auf dem Balkon des Bundeskanzleramtes lehnte Conchita Wurst ab: „Das ist wichtigeren Menschen vorbehalten. Ich sehe mich unten auf der Bühne, bei den Fans.“[32]
Der überraschende Erfolg Wursts wird in den internationalen Medien mit dem plötzlichen Auftauchen von Paul Potts, von Susan Boyle mit ihrem vergleichbaren Lied I Dreamed a Dream, von Leona Lewis oder der italienischen Senkrechtstarterin Schwester Cristina Scuccia verglichen. Vergleichbar sei in allen Fällen, dass es sich um ausgegrenzte Menschen oder Mitglieder von Minoritäten handelte, die kraft ihrer gesanglichen Leistung alle Diskriminierungen schlagartig überwinden konnten und massiven Zuspruch breiter Bevölkerungsschichten errangen.[33]
Österreichs bis dahin einziger Eurovision-Song-Contest-Gewinner Udo Jürgens, 1966 mit Merci, Chérie erfolgreich, lobte das Lied als „ein[en] gut komponierte[n] Song mit einem schönen musikalischen Bogen“.[34] Cher gratulierte ebenso wie Julio Iglesias. Sir Elton John und sein Partner David James Furnish schickten ihr Blumen und eine Karte „We love you“ in die Garderobe, als Conchita Wurst in Graham Nortons BBC-Show am 15. Mai 2014 auftrat.[35]
Diskografie
Chartplatzierungen (vorläufig) Erklärung der Daten | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Singles | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Singles
- Unbreakable (2011)
- That’s What I Am (2012)
- Rise Like a Phoenix (2014)
Weitere Veröffentlichungen
- Everything (als Thomas Neuwirth, auf dem Sampler Starmania The Very Best) (2006)
- All By Myself (als Thomas Neuwirth, auf dem Sampler Starmania The Best) (2006)
- I'll Be There (als Conchita Wurst; auf dem Sampler Die Große Chance) (2011)
Weblinks
- Internetauftritt
- ORF: Stars: Conchita Wurst
- Vorlage:IMDb Name
- Conchita Wurst bei Discogs
- Pirmin Meier: Sankt Kümmernis, verwurstet – Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst verwendet die Maske einer europäischen Heiligen, Weltwoche, 20. Mai 2014
Quellen
- ↑ a b c Conchita Wurst: biography
- ↑ Österreich gewinnt ESC: Als es um die Wurst ging. Handelsblatt.com, 11. Mai 2014, abgerufen am 11. Mai 2014.
- ↑ a b c d Kurier: Conchita Wurst: „Ein Bart alleine reicht nicht“, 17. September 2013
- ↑ Seitenblicke Magazin: Conchita Wurst spricht über ihre schwierige Jugend, 24. Juli 2013
- ↑ Der Standard: Chat mit Conchita Wurst, 24. April 2014
- ↑ Doris Knecht: Da braucht jemand sehr viel Kraft. In: Kurier, 17. September 2013.
- ↑ Paul Zulehner in Kathpress: Conchita-Sieg: Für Zulehner jede Diskriminierung abzulehnen. Religiöse Inszenierung., 13. Mai 2014
Armin Thurnher in Falter 20/2014: Wurstland: Wir kennen uns nicht mehr. Macho-Diktatoren aller Länder, zittert!, 14. Mai 2014 - ↑ tv media: Die große Chance – Alle lieben Conchita Wurst, 24. Oktober 2011; Franzobel in Der Standard: Voten für die Wurstpartei, 11. Oktober 2011
- ↑ Seitenblicke Magazin: Trackshittaz vertreten Österreich beim Song Contest, 25. Februar 2012
- ↑ Kurier: Mit dem Trolley durch die Wüste, 11. Juli 2013
- ↑ Ein Abend für LICHT INS DUNKEL, 29. November 2013
- ↑ ORF: Conchita Wurst beim Song Contest, 10. September 2013
- ↑ Kurier: ORF spart bei den eigenen Stars, 10. September 2013
- ↑ Die Welt: Jetzt wollen die Wurst-Macher auch einen Grammy, 12. Mai 2014
- ↑ Kleine Zeitung: Meine Name ist Wurst, Conchita Wurst, 18. März 2014
- ↑ stern: Plattenfirmen lehnten "Rise Like A Phoenix" ab, 13. Mai 2014
- ↑ Die ganze Woche: Der Kabarettist und ehemalige Teilnehmer Alf Poier wettert über unseren Beitrag zum Song Contest: „Das Lied ist peinlich“, 28. April 2014
- ↑ News: Song Contest: Auch Strache beleidigt Conchita Wurst, 7. Mai 2014
- ↑ Der Standard: Petition in Weißrussland: Protest gegen Conchita Wurst, 11. November 2013
- ↑ Kurier: Russischer Politiker geht auf Conchita Wurst los, 1. Mai 2014
- ↑ Basler Zeitung: Conchita Wurst fordert Putin heraus, 12. Mai 2014
- ↑ Conchita Wurst: Statement zu den Reaktionen auf Facebook, 12. September 2013.
- ↑ YouTube: ESC 2014 - Conchita! Wurst! Gewonnen! Die Siegerehrung! „Rise like a Phoenix" - "Queen of Austria", 11. Mai 2014, übersetzt von Christian Michelides
- ↑ Tagesanzeiger: Conchita Wurst fordert Putin heraus, 11. Mai 2014
- ↑ Kurier: Riesenrummel um Conchita Wurst bei der Ankunft in Wien, 11. Mai 2014
- ↑ Kleine Zeitung: "Queen of Austria" Conchita Wurst unter den Favoriten, 9. Mai 2014
- ↑ Heute: Holt Conchita Wurst heute die Song Contest-Krone?
- ↑ Miss: Tausende feiern die „Queen of Austria“ am Ballhausplatz, 18. Mai 2014
- ↑ Burgenländische Volkszeitung: Homosexualität: Spindelegger offen für Gesetzesänderungen, 13. Mai 2014
- ↑ Die Welt: Sogar Wiens Kardinal lobt Conchita Wurst, 16. Mai 2014
- ↑ Tiroler Tageszeitung: Königlicher Empfang für Conchita Wurst: 10.000 Fans feierten in Wien, 18. Mai 2014
- ↑ Der Standard: Conchita: Ein Konzert und ein stolzer Kanzler am Ballhausplatz, 18. Mai 2014
- ↑ Tom Brady: A Voice Alone Is Not Enough for Ratings, The New York Times, International Weekly, 19. Mai 2014, Seite 1
- ↑ Jens Maier: Plattenfirmen lehnten "Rise Like A Phoenix" ab, stern, 13. Mai 2014
- ↑ Graham Norton: Conchita Wurst - Rise Like a Phoenix, 15. Mai 2014
- ↑ Chartquellen: Deutschland - Österreich - Schweiz
Personendaten | |
---|---|
NAME | Wurst, Conchita |
ALTERNATIVNAMEN | Neuwirth, Thomas (wirklicher Name); Neuwirth, Tom (Spitzname) |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Sänger und Travestiekünstler |
GEBURTSDATUM | 6. November 1988 |
GEBURTSORT | Gmunden, Oberösterreich |
- Popsänger
- Travestiekünstler
- Teilnehmer an Starmania
- Teilnehmer an Die große Chance
- Teilnehmer am österreichischen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest
- Interpret eines österreichischen Beitrags beim Eurovision Song Contest
- Interpret eines Siegerbeitrags zum Eurovision Song Contest
- LGBT-Aktivist
- Homosexualität in Österreich
- Pseudonym
- Person (Gmunden)
- Österreicher
- Geboren 1988
- Mann