Zum Inhalt springen

Taijiquan

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 26. Januar 2006 um 17:30 Uhr durch Olenz (Diskussion | Beiträge) (Push Hands (推手)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Taìjíquán (Pinyin-Umschrift, chin. 太极拳/太極拳), auch T'ai-Chi-Ch'uan (Wade-Giles-Umschrift, früher gebräuchlich), verkürzend Tai Chi oder vereinfachend chinesisches Schattenboxen genannt, ist eine Jahrhunderte alte im Kaiserreich China entwickelte innere Kampfkunst.

In der Volksrepublik China ist Taijiquan in zumeist stark vereinfachter Form ein Volkssport und in den Parks der Städte sieht man in den Morgenstunden tausende Menschen beim Üben der Bewegungen.

Über den Aspekt als Kampfkunst und Selbstverteidigung hinaus wird Taijiquan häufig als allgemeines System der Bewegungslehre oder als Gymnastik betrachtet, welches einerseits der Gesundheit sehr förderlich ist, andererseits der Persönlichkeitsentwicklung und der Meditation dienen kann. Besonders im Westen tritt der Kampfkunstaspekt häufig hinter diesen Aspekten zurück.

Taijiquan in Deutschland

In Deutschland gibt es zahlreiche Verbände, Schulen, Vereine und Einzellehrer, die Taijiquan unterrichten. Eine übergeordnete Organisationsstruktur existiert nicht.

In vielen Fällen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Gesundheitsvorsorge zumindest teilweise die Kosten von Taijiquan-Kursen, sofern diese von einem von der Krankenkasse zugelassenen Veranstalter durchgeführt werden.

Praxis

Grundlagen

In den verschiedenen Stilen und Schulen werden verschiedene Basisübungen praktiziert. Oft werden Übungen aus Systemen des Qigong genutzt um einfache innere Bewegungsfolgen zu verstehen, oft vereinfacht man auch Sequenzen der Form und übt diese in mehrfachen Wiederholungen. Aber nicht selten wird auch nur mit der Form (s.u.) gearbeitet.

Form (套路)

Im Zentrum des Übens von Taijiquan steht meistens eine so genannte "Form", eine feste Bewegungssequenz, die unterschiedlich lang sein kann (vergleichbar einer Kata in den japanischen Kampfkünsten).

Die Form wird typischerweise langsam und ruhig ausgeführt, doch kann es hier je nach Stil und Form Unterschiede geben. Die inneren Prozesse, deren äußerer Ausdruck die Formen sind, sind jedoch in allen Schulen gleich.

Eine Form setzt sich aus mehreren Bildern bzw. Einzelbewegungen zusammen. Viele Formen werden deswegen nach der Anzahl ihrer Bilder benannt, so zum Beispiel die 24-Bilder-Form (Pekingform) oder die 48-Bilder-Form (ebenfalls Peking-Form). Die längsten Formen haben über 100 Bilder und ihre Ausführung kann über eine halbe Stunde dauern.

Waffenformen

Ein Bild einer Fächerform des Taijiquan

Die gebräuchlichsten Formen sind waffenlos, doch gibt es auch zahlreiche Waffen- oder Geräteformen. In traditionell orientierten Taijiquan-Schulen werden fortgeschrittene Schüler in den Waffenformen unterrichtet. Waffen des Taijiquan sind

  • Schwert (Dan Jian)
  • Doppelschwert (Shuang Jian)
  • Säbel (Dan Dao)
  • Doppelsäbel (Shuang Dao)
  • Fächer
  • Kurzstock
  • Langstock
  • Speer
  • Hellebarde

Auf den höheren Stufen des Taijiquan praktiziert man Waffenformen mit Partner. Auch freie Anwendungen und freier Kampf werden zum Teil unterrichtet.

Push Hands (推手)

Das Formtraining ist eine Vor- und Übungsstufe des Push Hands, des Übens mit einem Partner. Auch hier gibt es verschiedene Übungen, die aufeinander aufbauend von einfachen Grundlagen bis zu freieren Sequenzen das Taijiquan in Anwendungen, Selbstverteidigung und Wettkampf trainieren. Die höchste Vollendung erfährt das Üben im freien Push Hands, in der die Übenden sich gegenseitig demonstrieren, wie sie die Prinzipien des Taijiquan verinnerlicht haben.

Die 10 Grundregeln

Die folgenden zehn Grundprinzipien des Taijiquan werden Yang Chengfu (1883-1936) zugeschrieben:

  • Halte den Kopf aufrecht, um Deinen Geist zu entfalten
  • Lockere die Ellenbogen, damit die Schultern sinken
  • Brust und Rücken sollen entspannt sein
  • Lockere Deine Taille
  • Verteile das Gewicht richtig (Fülle / Leere)
  • Bringe Ober- und Unterkörper in Einklang
  • Deine Bewegungen sollen fließen
  • Verbinde den Geist mit dem Körper
  • Gebrauche Yi (Intention, Absicht), nicht rohe Kraft (Muskelkraft)
  • Suche die Ruhe in der Bewegung und die Bewegung in der Ruhe

Übersetzung

"Taiji" (太极/太極) ist im Daoismus ein Synonym für das allerhöchste Wirkprinzip und könnte mit "Das größte Ganze" oder "Die extremen Gegensätze" übersetzt werden. "Quán" (拳) bedeutet "Faust".

Taijiquan könnte also mit "Die Faustkampftechnik der extremen Gegensätze" übersetzt werden.

Legenden und Geschichte

Entstehungslegenden und Verbindungen zum Daoismus

Datei:Yin yang.png
Taiji, das Symbol für die polaren Kräfte Yin und Yang

Über die Entwicklungsgeschichte des Taijiquan gibt es widersprüchliche Angaben. Die meisten der heute Taijiquan Praktizierenden berufen sich auf Vorläufer oder Wurzeln aus dem 15. Jahrhundert oder früher. Des Weiteren sollen die Wurzeln oder Vorläufer nur einem engen Personenkreis zugänglich gewesen sein, etwa einem Kloster oder einer Familie. Entsprechend entziehen sich diese auch der offiziellen Geschichtsschreibung. Erschwerend kommt hinzu, dass es im chinesischen Kaiserreich üblich war, sich in eine Reihe von Vorfahren oder Lehrer zu stellen, die möglichst hoch angesehen oder gar Sagengestalten waren, d.h. es wurden nicht immer die tatsächlichen Sachverhalte weitergegeben. All dies leistete der Mythenbildung Vorschub.

Unsicher ist, ob es eine historische Verbindung zwischen dem philosophischen Daoismus (im Gegensatz zum religiösen Daoismus) jener Zeit und der Entstehung des Taijiquan gibt. Zumindest heute verwenden einige Schulen des Taijiquan zahlreiche daoistische Prinzipien und Motive, genauso gibt es aber auch Elemente, die als buddhistisch und konfuzianisch gedeutet werden können. In den klassischen Schriften des Taijiquan gibt es zahlreiche Punkte, die einen besonderen Bezug zum Daoismus nahelegen. Wann diese Schriften entstanden sind, ist jedoch umstritten.

Innerhalb der Kampfkünste (chin. Wushu) wird Taijiquan oft zu den inneren Kampfkünsten (chin. Neijia) gerechnet, auch wenn es bei einigen Schulen immer wieder zu Diskussionen um diese Frage kommt. Als legendärer Begründer der inneren Kampfkünste und damit auch des Taijiquan wird Zhang Sanfeng betrachtet. Der Legende nach entdeckte er die Prinzipien der inneren Kampfkünste in den Wudang-Bergen, nachdem er den Kampf zwischen einer Schlange und einem weißen Kranich beobachtet hatte. Zhang Sanfeng soll zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert gelebt haben, aber seine historische Existenz ist nicht belegt.

In den Wudang-Bergen wird heutzutage eine Form des Taijiquan als Teil der inneren Kampfkünste praktiziert und gelehrt, die sich von anderen Stilen des Taijiquan unterscheidet. Diese wird von Anhängern des Wudang-Stils direkt auf Zhang Sanfeng und die Traditionen der Klöster zurückgeführt, auch wenn die Bezeichnung Taijiquan für die Form sicherlich neueren Ursprunges ist.

Entstehung der "5 Familienstile" Chen, Yang, Wu/Hao, Wu und Sun

Die Geschichte der sogenannten 5 Familienstile, lässt sich etwa bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts verlässlich zurückverfolgen. Auf diesen Stilen beruht der Großteil der heutzutage im Westen praktizierten Stile. Damals entwickelte Chen Wangting im Dorf Chenjiagou aus seinen bestehenden Kenntnissen der Kampfkünste einen inneren Boxstil, der seit dieser Zeit weiterentwickelt und tradiert wurde. Dieser Boxstil wurde lange Zeit nur innerhalb der Chen-Familie weitergegeben. Wie intensiv die Einflüsse anderer Künste auf diesen Boxstil waren, ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Die Bezeichnung Taijiquan hat nachweislich ihren Ursprung in der Tradition der Chen-Familie und wurde erst in neuerer Zeit von anderen Stilen übernommen.

Die Geheimnisse der Chen-Familie wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert erstmals an einen Außenstehenden weiter gegeben: Chen Changxing (1771-1853) akzeptierte Yang Luchan (1799-1872) als Schüler im inneren Kreis der Familie. Yang Luchan entwickelte das Gelernte weiter und wurde zum Begründer des Yang-Stils. Etwas später unterrichtete Chen Qingping (1795-1868) ebenfalls außerhalb der Familie Wu Yuxiang (1812-1880).

Yang Luchang erlangte in China einen außerordentlichen Ruf durch seine sagenhaften Fähigkeiten in der Kampfkunst. Er erlangte den Beinamen "Yang, der nicht kämpft", da er Angreifer ohne Kampf einfach von sich oder von seinem langen Stock abprallen ließ. Auch seine Nachkommen gelangten zu ähnlich großem Ansehen.

So wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlage für die sogenannten 5 Familienstile gelegt, benannt nach den Familiennamen der Stilbegründer. Dies sind:

Man beachte, dass das "Wu" in "Wu Yuxiang" ein anderes Schriftzeichen ist als in "Wu Jianquan" - es handelt sich also um verschiedene Familien. Generell kann man in heutiger Zeit nicht mehr aus dem Namen eines Meisters auf den Taijiquan-Stil zurückschließen.

Man sagt, es habe immer wieder Verbindungen zwischen den Taijiquan-Familien gegeben.

Neuere Geschichte

Seitdem sich das Taijiquan zunächst in China und später auch im Westen zunehmender Beliebtheit erfreute, ist eine sehr große Diversität von Stilen zu beobachten. Es haben sich unzählige Weiterentwicklungen, Abkömmlinge und Mischungen entwickelt, die unter der Bezeichnung Taijiquan gelehrt und praktiziert werden.

Generell scheinen dabei zwei Tendenzen vorzuherrschen:

  • Zurück zu den Wurzeln: ein Teil der Stile berufen sich auf möglichst alte, "authentische" Wurzeln. Diese Stile tragen meistens den Namen eines der Familienstile oder auch noch älterer Stile.
  • Das Beste von Allem: der andere Teil der Stile sind Neuentwicklungen, welche die "besten" Eigenschaften der anderen Stile kombinieren. Dabei werden gerne auch Elemente aus anderen Kampfkünsten, aus dem Tanz, oder von Meditationstechniken übernommen.

Die meisten in Deutschland praktizierten Taijiquan-Stile sind mehr oder weniger direkte Abkömmlinge des Chen-, Yang- oder Wu-Familienstils.