Grubenunglück von Soma
Das Grubenunglück von Soma ereignete sich am 13. Mai 2014 in einem der beiden Somaer Braunkohlenbergwerke in der westlichen Provinz Manisa der Türkei. Nach offiziellen Zahlen wurden 301 Bergleute tot geborgen, weitere 485 überlebten.[1]
Das Unglück von 2014 gilt als opferreichstes in der Geschichte des türkischen Bergbaus (vor einem Unglück am 3. März 1992, als 263 Menschen im Kohlerevier Zonguldak am Schwarzen Meer starben).[2][3]
Bergwerk
Das Bergwerk war von seiner Gründung bis 2012 im Besitz des türkischen Staates. 2012 wurde es privatisiert und an die Soma Kömür İşletmeleri A.Ş.[4] mit Sitz in Istanbul verkauft. Im September 2012 sagte Alp Gürkan, der Chef der Soma Holding, dass er die Förderkosten seit der Übernahme des Bergwerks deutlich senken konnte.[5] Die Tonne Kohle koste statt 130 bis 140 US-Dollar nun 23,8 US-Dollar.[6]
Die Anlage ist eine von etwa 740 Kohlebergwerken. In der Türkei arbeiten fast 50.000 Bergleute; Seit 1941 kamen über 3000 türkische Bergleute bei Grubenunglücken ums Leben, die Zahl der Arbeitsunfälle im Land ist auch außerhalb des Bergbaus sehr hoch.[3]
Hergang des Unglücks
Während des Schichtwechsels am Mittag des 13. Mai 2014 kam es unter Tage zu einer Explosion und zu einem folgendem Grubenbrand. Ursache war vermutlich eine Transformatorenstation.
Zu diesem Zeitpunkt waren 786 Bergleute der ausfahrenden Frühschicht und der einfahrenden Mittagschicht unter Tage. 485 Bergleute konnten sich retten oder von den Mannschaften der Grubenwehr gerettet werden; bis zum 17. Mai 2014 wurden 301 Bergleute tot geborgen.[1] Zur häufigsten Todesursache zählte die Kohlenmonoxidvergiftung.
Reaktionen
Türkische Regierung
Die Türkei wird seit 2003 von Recep Tayyip Erdoğan (AKP) bzw. von einer von ihm gebildeten Regierung regiert. Seit dem 6. Juli 2011 ist dies das Kabinett Erdoğan III. Seit der Parlamentswahl am 3. November 2002 hat die Erdoğans Partei AKP die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament.[7]
Der türkische Energieminister Taner Yıldız (AKP) eröffnete am 10. Juli 2013 das zweite Somaer Bergwerk (Bergwerk Eynez) mit den Worten: „Die Sicherheit unserer Arbeiter geht vor und steht immer an erster Stelle. Etwaige Unfälle würden uns zutiefst treffen – das werden wir zu verhindern wissen!“[8] Die Regierungspartei AKP habe nach Medienberichten zwei Wochen vor dem Unglück die Beantragung der sozialdemokratischen Opposition CHP im Parlament zurückgewiesen, die Sicherheitsvorkehrungen in der Mine von Soma wegen früheren Arbeitsunfällen zu untersuchen.[9][10][11]
Nach dem Unglück begaben sich Energieminister Yıldız und Ministerpräsident Recep Erdoğan an die Unglücksstelle. Erdoğan wies jede Verantwortung der Regierung zurück; derlei Arbeitsunfälle passierten „überall auf der Welt“.[12][13]
Die Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Im ganzen Land und an den Vertretungen im Ausland wurden am 14. Mai 2014 die Flaggen auf halbmast gesetzt. Das türkische Arbeitsministerium und die Bergwerksgesellschaft teilten mit, die Grube sei zuletzt am 17. März 2014 auf Sicherheitsmängel untersucht worden und es habe keine Beanstandungen gegeben. Das Ministerium für Arbeit und Soziales setzte noch am Abend des Unglücks eine Untersuchungskommission ein.[14][15]
Ministerpräsident Erdoğan und Staatspräsident Abdullah Gül sagten wegen des Unglücks Auslandsreisen ab.[16]
Bergarbeiter und Bevölkerung
Ein Gewerkschaftschef sprach nach dem Unglück von „Massenmord“.[17] Landesweit kam es zu Protesten gegen die Regierung Erdoğan, die gewaltsam gegen die Proteste vorging. In Istanbul und anderen Städten demonstrierten tausende Menschen aus Anlass der wiederkehrenden Unfälle in türkischen Bergwerken.[18] In Ankara gingen 3000 bis 4000 Menschen auf die Straße und riefen regierungsfeindliche Parolen.[19] Hier und bei anderen Demonstrationen setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein.[20] Das linke Gewerkschaftsbündnis Konföderation der Revolutionären Arbeitergewerkschaften der Türkei (DİSK) warf der AKP-Regierung vor, die Zahl der Opfer in den ersten Stunden nach der Katastrophe kleingeredet zu haben. DİSK-Chef Kani Beko kritisierte, dass in der Zeche zahlreiche Leiharbeiter eingesetzt gewesen seien.[6] Beko sprach in diesem Zusammenhang von einem Massaker in dem Bergwerk.[21] Der größte türkische Gewerkschaftsbund Türk-İş rief seine Mitglieder auf, am Donnerstag den 15. Mai 2014 ihre Arbeit niederzulegen und der Opfer des Grubenunglücks zu gedenken.[22]
In Soma selbst kam es zu gewalttätigen Protesten. Wütende Demonstranten traten gegen Erdoğans Auto und forderten den Rücktritt der gesamten Regierung.[23]
Der nationale Fußballverband Türkiye Futbol Federasyonu (TFF) verschob alle für den Mittwoch, 14. Mai, und Donnerstag den 15. Mai geplanten Spiele aller Amateur- und Profiligen,[24] auch der nationale Basketballverband Türkische Basketball-Föderation (TBF) griff zu gleichen Maßnahme, dass der Spielbetrieb für zwei Tage unterbrochen und am 16. Mai fortgeführt wird.[25]
International
Mehrere Länder boten der Türkei Hilfe an. Darunter waren auch Israel und Griechenland, mit denen die Türkei angespannte Verhältnisse hat.
Der Papst lud zur Fürbitte für die Opfer des Unglücks ein.[26]
Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, sagte: „Das Unglück von Soma macht in schrecklicher Weise die tatsächlichen Sicherheitsmängel deutlich. Wir erwarten und fordern, dass jetzt endlich die Sicherheitsstandards unter Tage eingehalten werden, um das Leben der Bergleute zu schützen.“ Mehrfach hätten Verantwortliche in den vergangenen Jahren gegen Sicherheitsbestimmungen verstoßen oder mit veralteten Arbeitsgeräten arbeiten lassen.[27]
Siehe auch
Weblinks
- Soma'da facia. Abgerufen am 15. Mai 2014 (Berichterstattung der aktuellen Geschehnisse, Nachrichtenagentur Doğan Haber Ajansı).
Einzelnachweise
- ↑ a b Opferzahl bei Grubenunglück auf 301 gestiegen. Süddeutsche.de, 17. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014.
- ↑ Michael Martens: Explosion in Kohlestollen Zahl der Opfer steigt auf über 200. FAZ.net, 13. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ a b Another mine collapses in Turkey. today.az, 14. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014 (englisch, 1.235 Tote bei Arbeitsunfällen in den ersten vier Monaten des Jahres 2014).
- ↑ vergleiche englischsprachige Wikipedia: Soma Kömür İşletmeleri A.Ş.
- ↑ Katastrophe im Spar-Bergwerk löst Wut auf Betreiber aus. Süddeutsche Zeitung, 14. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ a b Bergwerksunglück: 200 Tote und hunderte vermisste Kumpel. Kritik der Gewerkschaft. derStandard.at, 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014: „... Türkische Gewerkschaftsvertreter sprechen hingegen von einem programmierten "Massaker". Das Unternehmen beschäftige eine große Zahl an Leiharbeitern, um die Lohnkosten gering zu halten, sagte der Chef der Gewerkschaft DİSK, Kani Beko, gegenüber türkischen Medien ... So habe sein Unternehmen als Betreiber der Mine die durchschnittlichen Abbaukosten von 130 bis 140 Dollar pro Tonne auf 23,8 Dollar senken können ...“
- ↑ Sie bekam nur 34,4 % der Stimmen; Das Wahlrecht in der Türkei begünstigt durch die 10-Prozent-Hürde große Parteien.
- ↑ Energieminister im Juli '13 in Soma: 'Safety First!' Doğan Haber Ajansı, 14. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ Markus Bernath: Druck auf türkische Regierung nach Grubenunglück. Tödliche Arbeitsunfälle. derStandard.at, 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014: „... Gesetze zum Schutz am Arbeitsplatz sind zwar erlassen worden, ihre Einhaltung wird aber ungenügend überwacht. Wegen früherer Unfälle in der Mine von Soma hatte die sozialdemokratische Opposition im Parlament eine Untersuchung beantragt: Vor zwei Wochen erst wurde der Antrag mit den Stimmen der Regierungspartei abgelehnt ...“
- ↑ Hunderte Tote in der Türkei: Gewerkschaft nennt Grubenunglück "Massaker". Tragischer Unfall oder Massaker aus Profitgier? Spiegel Online, 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014: „... Die Oppositionspartei CHP war erst vor wenigen Wochen im Parlament von Ankara mit dem Versuch gescheitert, Zwischenfälle in der Grube von Soma untersuchen zu lassen: Erdogans Regierungspartei AKP bügelte den Antrag ab ...“
- ↑ Bergwerkunglück in der Türkei: Zahl der Toten auf 238 gestiegen! [[Doğan Haber Ajansı]], 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014: „... Premier Erdogan war heute Nachmittag beim Austreten aus dem Rathaus in Soma mit Protestaktionen konfrontiert. Ihm wird vorgeworfen, sich nicht um die Sicherheit der Arbeiter gekümmert zu haben. Erst vor 14 Tagen hatte die CHP die Sicherheitsmaßnahmen angemahnt - unternommern wurde nichts ...“
- ↑ Proteste nach Minenunglück in der Türkei. Deutsche Welle, 14. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ Schock von Erdogan: Das sind übliche Dinge. Doğan Haber Ajansı, 14. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ Zahl der Opfer steigt auf über 200. FAZ, 13. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ Bergwerksunglück in der Türkei: 300 Tote befürchtet. Salzburger Nachrichten, 15. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ Politiker haben ihre geplanten Auslandsbesuche abgesagt. TRT, 15. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ Hunderte Tote in der Türkei: Gewerkschaft nennt Grubenunglück "Massaker". Spiegel Online, 14. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ Polizei in Istanbul geht gewaltsam gegen Demonstranten vor. Süddeutsche.de, 14. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ Erdogan: So etwas passiert „überall auf der Welt“. Grubenunglück in der Türkei. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ Demos nach Grubenunglück. Proteste gegen Regierung schlagen in Gewalt um. Spiegel Online, 14. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ 'In der Mine herrschte nach der Explosion ein Massaker'. [[Doğan Haber Ajansı]], 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014: „... Der Präsident der Demokratischen Arbeiter Gewerkschaft (DİSK) Beko sagte: "... Nach der Explosion innen drin herrscht ein Massaker" ...“
- ↑ Türkei: Erdogan spielt Grubenunglück herunter. Größter "Mord" am Arbeitsplatz in türkischer Geschichte. Spiegel Online, 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014: „... Der größte türkische Gewerkschaftsbund Türk-Is rief seine Mitglieder dazu auf, am Donnerstag die Arbeit niederzulegen und stattdessen am Arbeitsplatz den getöteten Bergleuten zu gedenken ...“
- ↑ Gewaltsame Proteste in mehreren türkischen Städten. Die Zeit, 14. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
- ↑ TFF'den Duyuru. Türkiye Futbol Federasyonu, 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014 (türkisch).
- ↑ Basketbol Müsabakaları Ertelendi. Türkische Basketball-Föderation, 14. Mai 2014, abgerufen am 17. Mai 2014 (türkisch): „... Beko Basketbol Ligi ve TB2L Play-Off ile TB3L Final Grubu müsabakaları 16 Mayıs Cuma gününden itibaren devam edecektir. ...“
- ↑ Papst betet für Opfer des Grubenunglücks in der Türkei. domradio.de, 14. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
- ↑ IG BCE trauert um die Opfer von Soma. IG BCE, 14. Mai 2014, abgerufen am 16. Mai 2014.
Koordinaten: 39° 4′ 37,9″ N, 27° 31′ 30,9″ O