Völkermord in Ruanda

Der Völkermord in Ruanda ist nach dem Holocaust und dem Völkermord an den Armeniern einer der schlimmsten Völkermorde der Menschheitsgeschichte.
Der Völkermord an den Tutsi und den gemäßigten Hutu in Ruanda begann am 7. April 1994 und kostete innerhalb von nur 100 Tagen wahrscheinlich mindestens 800.000 Menschen das Leben. Anlass war der Konflikt zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung "Ruandische Patriotische Front".
Hintergrund
Siehe auch: Geschichte Ruandas
Der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi ist schon sehr alt und entlud sich nach dem Ende der Kolonialherrschaft Belgiens seit 1960 schon mehrmals in Vertreibungen und Massentötungen. Anfang der 1990er Jahre formierte sich im ugandischen Exil die mehrheitlich von der Minderheit der Tutsi unterstützte Ruandische Patriotische Front (RPF), die eine Rückkehr der Flüchtlinge und die Übernahme der Regierung anstrebte. Mehrere Invasionsversuche blieben zunächst erfolglos, bewiesen jedoch die zunehmende militärische Überlegenheit der Rebellen.
Vor diesem Hintergrund kam es zu Friedensverhandlungen, die jedoch von beiden Seiten ständig torpediert wurden. Die Rebellen, denen bereits eine Präsenz an mehreren Punkten des Landes, unter anderem in der Hauptstadt Kigali, zugestanden worden war, rüsteten ihre Truppen weiter mit modernem Gerät aus, das sie von ihren Unterstützern, namentlich den USA, erhielten. Die radikalen Hutu stimmten sich bereits auf den kommenden Völkermord ein und fuhren aufgeputscht und triumphierend durch die Hauptstadt. Auf Seiten der Regierung agitierten Kräfte innerhalb der Regierung, unterstützt von den Milizen der Interahamwe und der Impuzamugambi sowie Teilen der Presse und des Rundfunks, gegen die als Eindringlinge und "Parasiten" bezeichneten Tutsi. Der Sender Radio Television Libre des Mille Collines spielte später auch eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung des Völkermords.
Als Auslöser erwies sich letztlich der bis heute nicht aufgeklärte, mit Boden-Luft-Raketen durchgeführte Abschuss des Flugzeuges des gerade von den Friedensverhandlungen in Dar es Salaam zurückkehrenden Präsidenten von Ruanda Juvénal Habyarimana kurz vor der Landung in Kigali. Mit ihm starben auch der Präsident des benachbarten Burundi, Cyprien Ntaryamira, und weitere hochrangige Beamte. Dies war das Signal für den Beginn des Völkermords an den Tutsi und einen Tag später für den Einmarsch der Tutsi-Milizen nach Ruanda.
Der Völkermord
Wenige Stunden nach dem Flugzeugabsturz am 6. April 1994 begannen die Hutu-Extremisten, meist in Form der Interahamwe-Milizen systematisch Kigali zu durchkämmen und alle Tutsi, derer sie habhaft werden konnten, zu massakrieren. Einheiten der Rebellenarmee RPF drangen ab dem 7. April 1994 von ihren Basen in Uganda und im östlichen Zaire in einer konzentrischen Bewegung ins Landesinnere vor und trieben dabei die flüchtenden Einheiten der ruandischen Armee vor sich her. Die in deren Rückraum agierenden Interahamwe-Milizen organisierten währenddessen weiterhin den Völkermord an den Tutsi und den moderaten Hutu.
Obwohl schnell klar war, dass ein Völkermord begangen werden würde, reagierte die internationale Öffentlichkeit mit Verharmlosung der Vorgänge und sprach lange von einem „Bürgerkrieg“ in Ruanda. Ein Völkermord hätte ein internationales Eingreifen unvermeidlich gemacht, weshalb man sich auch davor scheute, dieses Wort zu verwenden. Die im Land befindlichen Blauhelmsoldaten konnten deshalb dem mörderischen Treiben nur tatenlos zusehen oder wurden selbst zum Ziel von Attacken. In Kigali wurde eine Gruppe belgischer Soldaten von den umherziehenden Banden massakriert.
Charakteristisch für den Völkermord in Ruanda ist, dass weite Teile der Bevölkerung zur "Mitarbeit" bei den Tötungsaktionen gezwungen wurden, um so, aufgrund der schieren Menge der Mitschuldigen, eine spätere Bestrafung der Verantwortlichen zu erschweren.
Dabei wurde in Schichten gearbeitet und bestimmte Quoten erfüllt. Meist wurden die Opfer mit Macheten getötet. Oft wurden die Opfer erst verstümmelt, bevor sie getötet wurden. So war es nicht selten, dass sie erst auf die Größe der meist kleineren Hutus "zurechtgestutzt" wurden, bevor man sie tötete. Einige Tutsis boten den Tätern Geld, damit sie erschossen und nicht mit der Machete massakriert würden.
In mehreren Fällen suchten flüchtende Verfolgte Schutz in Kirchen und Schulen und wurden anschließend von katholischen Priestern und Lehrern den Milizen übergeben. Auch Hutus, die sich an den Morden nicht beteiligen wollten, wurden getötet. In diesem Zusammenhang erlangte das Massaker von Nyarubuye traurige Berühmtheit.
Berühmt wurde ebenfalls das Hôtel des Mille Collines in Kigali, das vielen Tutsi Unterschlupf und damit die Rettung vor dem sichern Tode bot. Siehe dazu auch den Film Hotel Ruanda.
Beendet wurde das Töten letztendlich durch die Flucht der Reste der geschlagenen Armee Ruandas, darunter auch der Interahamwe-Milizen als eigentlicher Motor des Völkermords, und einer großen Zahl weiterhin regierungstreuer Hutus in den benachbarten Kongo. Viele der Flüchtenden waren dazu gezwungen worden, um es so den Verantwortlichen leichter zu machen, in der Masse unterzutauchen.
Folgen und Aufarbeitung
Die Zahl der Flüchtlinge in die Nachbarländer belief sich auf etwa zwei Millionen, die zumeist in den Kongo flohen. Die provisorischen Auffanglager wurden von Seuchen heimgesucht, sie dienten auch der ehemaligen Regierung als Rekrutierungslager für einen erneuten Umsturz. Die Machtverschiebung in Ruanda war zugleich mitverantwortlich für die Bürgerkriege in Burundi und dem Kongo.
Auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats wurde mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) ein Ad-hoc -Strafgerichtshof eingerichtet, der diesen Völkermord auf oberster politischer Ebene seit 1995 von Arusha, Tansania, aus untersucht und bereits mehrere Beschuldigte verurteilt hat. Doch dieses Tribunal hatte nur die Aufgabe, die Planer des Genozids zu verurteilen. Für die Prozesse gegen die Hundertausenden von Normalbürgern besann sich Ruanda 1999 einer traditionellen Dorfgerichtsbarkeit, den so genannten Gacaca-Gerichten.
Auf internationaler Ebene wird insbesondere das Nichteingreifen der damals vor Ort stationierten UNO-Schutztruppe UNAMIR und das Schweigen des damals für Ruanda verantwortlichen UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali hinterfragt. Umstritten ist daneben auch die Rolle seines damals für Afrika und Ruanda verantwortlich zuständigen späteren Nachfolgers Kofi Annan bei dem Völkermord. Kritiker werfen ihm vor, daß er aus eigenem Antrieb oder auf Wunsch der nach dem Somalia-Debakel (siehe Schlacht von Mogadischu) interventionsunwilligen US-Regierung unter Präsident Bill Clinton Nachrichten aus Ruanda, wie etwa die Berichte und Hilfsgesuche des kanadischen Kommandanten des UN-Militärkontingents in Ruanda, General Roméo Dallaire, zurückgehalten und abgemildert haben soll. Durch dieses Verhalten sollte offenbar die Nennung des Wortes Genozid/Völkermord vermieden werden, was den Sicherheitsrat oder die US-Regierung zum Eingreifen gezwungen hätte.
Der zur Zeit des Völkermordes amtierende US-Präsident Bill Clinton äußerte sich 2005 rückblickend zu seiner Amtszeit: „Was habe ich falsch gemacht? Dass wir nicht in Ruanda einmarschiert sind. Das ist damals innerhalb von 90 Tagen geschehen, dieser Völkermord. Ich weiß, dass ich nur ganz schwer die Zustimmung des Kongresses erhalten hätte. Aber ich hätte es versuchen sollen. Ich hätte Leben retten können. Das war ganz sicher das schwerste Versäumnis meines Lebens. Ich werde das nie verwinden.“
- siehe auch: International Criminal Tribunal for Ruanda (Artikel der englischsprachigen Wikipedia zum ICTR)
Literatur
- Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Hamburger Edition 2002. ISBN 3-930908-80-8
- Philip Gourevitch: Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden. Berichte aus Rwanda. Berlin Verlag, Berlin 1999. ISBN 3827003512
- Romeo Dallaire: Handschlag mit dem Teufel. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 2005. ISBN 3861507242
- Alain Destexhe: Rwanda and Genocide in the Twentieth Century. London/East Haven 1995.
- Linda Melvern: Ruanda. Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt. Diederichs Verlag, Kreuzingen 2004. ISBN 3720524868
- Mujawajo Esther, Belhaddad Souâd: Ein Leben mehr, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2005
- Schürings, Hildegard: (Ed): Ein Volk verläßt sein Land - Krieg und Völkermord in Ruanda. Köln 1994
- Gerard Prunier: The Rwanda Crisis: History of a Genocide. London 1998. ISBN 1850653720
Filme
- 2005 - Shooting Dogs - Regie: Michael Caton-Jones
- 2005 - Sometimes in April - Regie: Raoul Peck
- 2004 - Hotel Ruanda - Regie: Terry George - mit Don Cheadle, Sophie Okonedo und Nick Nolte
- 1994 - Requiem für Ruanda - Regie: Ulrich Harbecke (WDR-Dokumentation aus der Sendereihe Gott und die Welt)
Weblinks
- "Leave None to Tell the Story" - Report über den Völkermord von Human Rights Watch
- Rwandan Genocide Project - Projekt der Yale University
- Ruanda-Konflikt - Konfliktarchiv des FB Sozialwissenschaften der Universität Hamburg
- Völkermord Verhütung International
- http://www.imbuto.net