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Ziegenproblem

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Das Ziegenproblem, auch als „Drei-Türen-Problem“, „Monty-Hall-Problem“ oder „Monty-Hall-Dilemma“ bekannt (nach dem Moderator der amerikanischen Spielshow „Let's make a deal“, Monty Hall), dient zur Veranschaulichung eines Problems aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Schwierigkeiten im Verständnis der bedingten Wahrscheinlichkeiten.

Problemstellung

Bei einer Spielshow soll der Kandidat eines von drei aufgebauten Toren auswählen. Hinter einem verbirgt sich der Gewinn, ein Auto, hinter den anderen beiden jeweils eine Ziege, also Nieten. Folgender Spielablauf ist immer gleich und den Kandidaten jeweils vorab bekannt:

  1. Der Kandidat wählt ein Tor aus, welches aber vorerst verschlossen bleibt.
  2. Daraufhin öffnet der Moderator, der die Position des Gewinns kennt, eines der Tore, hinter dem sich eine Ziege befindet (aber nicht das, welches der Kandidat ausgewählt hat). Im Spiel befinden sich also noch ein Gewinn und eine Niete.
  3. Der Moderator bietet dem Kandidaten an, seine Entscheidung zu überdenken und das andere Tor zu wählen.

Wie soll der Kandidat sich entscheiden, um seine Gewinnchance zu maximieren?

Hintergrund

Zum ersten Mal wurde ein äquivalentes Problem 1889 von dem französischen Mathematiker Joseph Bertrand veröffentlicht. Er beschrieb das Drei-Kasten-Problem.

Berühmtheit erlangte das Ziegenproblem 1990 durch eine Lösungsbeschreibung der amerikanischen Kolumnistin Marilyn vos Savant im „Parade Magazine“, deren Richtigkeit zunächst selbst von Mathematikern angezweifelt wurde. Frau Savant wurde zeitweise von einigen Mathematikern, die das Problem ungenügend durchdacht hatten, übel beschimpft.

Lösung und Erklärung

Auch wenn viele Menschen dazu neigen, davon auszugehen, dass es keinen Unterschied zwischen dem Torwechsel oder dem Verharren auf der getroffenen Entscheidung gäbe, ist diese Annahme falsch.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Auto hinter dem zuerst gewählten Tor befindet, beträgt 1/3 und die Wahrscheinlichkeit, dass es hinter einem der anderen beiden steht, 1/3 + 1/3 = 2/3. Wenn nun klar ist, hinter welchem Tor das Auto nicht steht, dieses also die Wahrscheinlichkeit 0 hat, das ausgewählte Tor aber immer noch eine 1/3-Chance hat – siehe weiter unten –, liegt jetzt die 2/3-Wahrscheinlichkeit auf dem nichtgewählten Tor. Bei einem Wechsel verdoppelt der Kandidat also seine Chancen auf das Auto.

Um die Lösung zu verstehen, muss man bedenken, dass die Chance auf dem gewählten Tor von Anfang an nur 1/3 betrug und sich beim Festhalten des Spielers an seiner Wahl auch nicht ändern kann – unabhängig ob der Showmaster ein Ziegentor öffnet oder nicht –, andererseits beträgt die Wahrscheinlichkeitssumme aller Auswahlmöglichkeiten 1.

Oder anders: In 2/3 aller Fälle hat der Kandidat eine Tür mit einer Ziege ausgewählt. Der Moderator muss auf jeden Fall eine Tür mit einer Ziege öffnen. Das heißt, dass in 2/3 aller Fälle die verbliebene Tür den Preis enthält. Daher ist ein Wechsel stets sinnvoll, denn nur in 1/3 der Fälle hat der Kandidat am Anfang die richtige Tür genannt, und ein Beharren würde zum Verlust des Preises führen.

In einem Satz: Kann man durch eigene Wahl nur eine Wahrscheinlichkeit von 1/3 erreichen, verbleiben nach Aufzeigen der Niete die anderen 2/3 beim 3. Tor, welches man wählen sollte.

Auflösung der verbreiteten Fehlargumentation

Der häufigste Grund für das Finden einer falschen Antwort besteht darin, dass man sich nach dem Öffnen des Ziegentores fälschlicherweise eine „vergleichbare“ Situation vorstellt: Wenn man die Auswahl zwischen zwei Toren hat, aber nur eines das richtige ist, dann stehen die Chancen 50:50. Dies ist auch korrekt, aber nur wenn der Kandidat einfach nur zufällig eine der beiden verbleibenden Türen wählt, also mal wechselt, mal nicht: wenn er sich zu diesem Zeitpunkt neu entscheidet, ohne sein Vorwissen zu berücksichtigen – indem er zum Beispiel eine Münze wirft –, dann sind die Gewinnchancen ausgeglichen.

Wie oben gezeigt wurde, kann er allerdings die Chancen verbessern, indem er die richtige Strategie wählt. Dann hat er zu diesem Zeitpunkt keine Entscheidungsfreiheit; der Ausgang des Spiels ist alleine festgelegt durch die ursprüngliche Wahl eines Tores.

Schema für die (richtige) „Immer-Wechsel“-Strategie

Bei einer „Immer–Wechsel“-Strategie zeigen sich drei Fälle, anhand der drei vom Kandidaten gewählten Türen:

Auto hinter Tor C, Kandidat wählt A Der Kandidat wählt vorerst A, die Ziege B wird ihm gezeigt, durch einen Wechsel (von A auf C) gewinnt er.
Auto hinter Tor C, Kandidat wählt B Der Kandidat wählt vorerst B, die Ziege A wird ihm gezeigt, durch einen Wechsel (von B auf C) gewinnt er.
Auto hinter Tor C, Kandidat wählt C Der Kandidat wählt vorerst C, eine Ziege (A oder B) wird ihm gezeigt, durch einen Wechsel (von C auf B oder A) verliert er.

Fazit: Er gewinnt in zwei von drei Fällen durch einen Wechsel.

Erklärung mit Hilfe eines Entscheidungsbaumes

Beim Schätzen und Berechnen von Wahrscheinlichkeiten ist es wichtig, keine Informationen, die zur Verfügung stehen, zu übersehen: hier ein Entscheidungsbaum für das Problem. Annahme bei diesem Entscheidungsbaum: Das Auto befindet sich hinter dem Tor A.

Datei:Entscheidungsbaum Ziegenproblem.png
Entscheidungsbaum zum Ziegenproblem


Erklärung mit Hilfe des Bayesschen Theorems

Es sind die Ereignisse definiert:

KA: Der Kandidat hat das Tor A gewählt, ...
MA: Der Moderator hat das Tor A geöffnet, ...
GA: Der Gewinn ist im Tor A, ...

Es soll beispielsweise die Situation vorliegen: Der Kandidat hat Tor A gewählt, und der Moderator hat daraufhin das Tor B geöffnet. Lohnt es sich für K zu wechseln? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Auto hinter Tor C ist? Gesucht ist also die bedingte Wahrscheinlichkeit P(GC|MB), dass das Auto hinter Tor C ist, wenn bekannt ist, dass es nicht hinter Tor B ist. Man kann diese Wahrscheinlichkeit mit dem Bayesschen Theorem ermitteln:

Der Kandidat sollte wechseln.

Das Ziegenproblem wird oft als Beispiel dafür herangezogen, dass der menschliche Verstand zu Trugschlüssen neigt, wenn es um das Schätzen von Wahrscheinlichkeiten geht.

Erklärung mit Hilfe der Monte-Carlo-Simulation

Da diese Methodologie jedenfalls noch im oder etwa im Jahr 1994 eine Aufsehen erregende Erscheinung in der Stochastik war, folgt hier noch ein Anwendungs-Beispiel in Pseudocode:

BEGIN
 gewonnenOhneWechsel := 0
 gewonnenMitWechsel := 0
 n := 1000000
 REPEAT n TIMES
  auto := RANDOM(0..2)
  wahl := RANDOM(0..2)
  IF wahl == auto THEN
    gezeigt := (RANDOM(1..2) + wahl) MOD 3
  ELSE
    gezeigt := 3 - wahl - auto
  END IF
  IF wahl == auto THEN gewonnenOhneWechsel := gewonnenOhneWechsel + 1 END IF
  wechsel := 3 - wahl - gezeigt
  IF wechsel == auto THEN gewonnenMitWechsel := gewonnenMitWechsel + 1 END IF
 END REPEAT
 PRINT "ohne Wechsel ", gewonnenOhneWechsel*100. / n, "%"
 PRINT "mit Wechsel ", gewonnenMitWechsel*100. / n, "%"
END

Es ist im Programm gut zu erkennen, dass bei der Ohne-Wechsel-Strategie das Öffnen eines Tores keinen Einfluss auf die Gewinnwahrscheinlichkeit hat.

Als Ergebnis ergibt sich dann – wie zuvor vorhergesagt – 0,33 oder etwa 0,33 und 0,67 oder etwa 0,67.

Fehleinschätzung durch Fehlinterpretation der Rolle des Moderators

Ein weiterer Grund für das Finden einer falschen Antwort ist ein falsches Verständnis von der Rolle des Moderators. Es wird oft fälschlicherweise angenommen, dass dieser irgendeine der anderen beiden Türen öffnet, wobei dann zufällig die Ziege zum Vorschein kommt. Wäre dies so, dann wäre es tatsächlich egal, ob man wechselt. Dann würde aber auch mit der Wahrscheinlichkeit 1/3 das Auto vom Moderator selbst gezeigt werden. Die anderen beiden Türen hätten (nach wie vor) die anderen beiden Drittel Wahrscheinlichkeit.

Aus diesem Grund erhöht sich bei einer Sendung wie beispielsweise „Wer wird Millionär?“ die Gewinnwahrscheinlichkeit nicht, wenn ein Kandidat sich vor Anwendung des „50:50 Jokers“ für eine Antwort entscheidet und sich nach dem Wegfallen von zwei Antworten umentscheidet: Der Computer muss die vom Kandidaten ausgewählte Antwort wegfallen lassen, wenn diese falsch ist.

Eine andere Fehleinschätzung besteht darin, dass der Moderator versucht, den Teilnehmer irrezuführen und ihn zum Wechseln zu bewegen, um die Gewinnwahrscheinlichkeit zu verringern. Eine solche „Irreführung“ würde aber in Wirklichkeit dem Teilnehmer helfen, seine Gewinnwahrscheinlichkeit zu verbessern – wenn er wechselt. Das gilt natürlich nur, wenn von Anfang an klar ist, dass nach der Entscheidung des Kandidaten auf jeden Fall eine Türe geöffnet wird. Ein "schlauer" Moderator würde eine Türe nur dann öffnen, wenn der Kandidat das Auto bei der ersten Wahl getroffen hat um ihn damit zu einem Wechsel zu bewegen.

Varianten

Geh aufs Ganze

Das Ziegenproblem ähnelt der Spielshow „Geh aufs Ganze!“, unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt: Beim Ziegenproblem ist immer genau ein Gewinn vorhanden. Bei „Geh aufs Ganze“ können auch mehrere und wertmäßig unterschiedliche Gewinne vorhanden sein, unter anderem auch ein offenes Geldangebot. Deshalb unterscheidet sich hier die optimale Strategie.

Mehrere Türen

Um die richtige Lösung zu veranschaulichen, wird die Problemstellung gelegentlich auf eine höhere Anzahl von Türen übertragen, zum Beispiel 100. Die Regeln des n-Türen-Problems (n = 3 oder größer) sind:

  • Der Kandidat wählt eine Tür aus.
  • Der Moderator öffnet alle bis auf eine der verbleibenden Türen, im Spiel befinden sich also nur noch ein Gewinn und eine Niete.
  • Der Kandidat erhält die Möglichkeit, die Tür zu wechseln.

Es ist ziemlich offensichtlich, dass der Kandidat bei 100 Türen mit 99%iger Wahrscheinlichkeit zunächst eine Niete wählt. Der Gewinn befindet sich also fast immer hinter der anderen Tür. Genauer: wenn der Kandidat konsequent die Tür wechselt, ist die Gewinnwahrscheinlichkeit gerade die Wahrscheinlichkeit, ursprünglich eine Niete zu erwischen, also (n-1)/n (bei 100 Türen 99 %, beim ursprünglichen Ziegenproblem 2/3).

Nach dem Öffnen der Türen liegt übrigens dieselbe Situation vor wie beim ursprünglichen Ziegenproblem mit nur 3 Türen. Ein unbedarfter Kandidat könnte hier also wieder argumentieren, dass die Gewinnchance 1/2 ist (da es ja auf die Vorgeschichte nicht ankomme). Dies ist auch korrekt, wenn er einfach nur zufällig eine der beiden verbleibenden Türen wählt, also mal wechselt, mal nicht. Wie eben erläutert, kann er jedoch die Chancen erhöhen, wenn er sein Vorwissen geschickt nutzt.

Ähnliche Probleme

Drei-Kasten-Problem

Drei Kästen enthalten jeweils zwei Schubladen, in denen je eine Münze liegt. Der erste Kasten enthält zwei Goldmünzen, der zweite Kasten eine Gold- und eine Silbermünze und der dritte Kasten enthält zwei Silbermünzen. Man wählt zufällig einen Kasten aus, öffnet eine der beiden Schubladen und sieht eine Münze (Gold oder Silber). Mit welcher Wahrscheinlichkeit befindet sich in der anderen Schublade desselben Kastens die gleiche Münze?

Die Wahrscheinlichkeit, dort wieder eine gleiche Münze zu finden, beträgt 2/3, denn mit 2/3 Wahrscheinlichkeit hat man eine Schublade aus dem Kasten mit zwei gleichen Münzen geöffnet.

Literatur

  • Gero von Randow: Das Ziegenproblem – Denken in Wahrscheinlichkeiten. Rowohlt, Reinbek 1992, ISBN 3-499-19337-X
  • Olle Häggström: Streifzüge durch die Wahrscheinlichkeitstheorie. [1] Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-23050-5
  • Henk Tijms: Understanding Probability, Chance Rules in Everyday Life. Cambridge University Press, 2004