Posttraumatische Belastungsstörung
Die Posttraumatische Belastungsstörung (Abk.: PTBS; engl.: Posttraumatic Stress Disorder, Abk.: PTSD, im amerikanischen Sprachgebrauch auch Post Vietnam Syndrom (PVS)) ist eine emotionale Störung, die als Reaktion auf ein extremes psychisches Trauma auftritt, das die individuellen Bewältigungsstrategien der betroffenen Person deutlich überfordert hat. Die PTBS ist nur eine der möglichen Folgereaktionen auf z.B. sexuellen Missbrauch, körperliche Gewalt, Vergewaltigung, Krieg, Katastrophen aller Art und Diagnose von Krankheiten. Im typischen Fall ging das verursachende Trauma mit Todesangst einher. Eine besonders schwere Form stellt das so genannte KZ-Syndrom bei Überlebenden des Holocaust dar.
Charakteristisch für die PTBS sind Albträume, Schlafstörungen sowie das immer wiederkehrende unwillkürliche Nacherleben der bedrohlichen (oder als bedrohlich erlebten) traumatisierenden Situation in so genannten Flashbacks. Diese Flashbacks sind typischerweise sehr deutlich, ähnlich einer filmischen Aufzeichnung, sie sind von Gerüchen, Geräuschen und Emotionen begleitet. Da auch Amnesien typisch für PTBS sind, fehlen häufig Teile dieses „Films“. Therapien, die Erinnerungen an diese Elemente wiederherstellen wollen (Regressionshypnose u. Ä.) gelten als wissenschaftlich umstritten. Untersuchungen haben ergeben, dass Traumata mit physischen Gehirnveränderungen einhergehen - bei PTBS-Patienten ist der Hippocampus verkleinert. Die Bedeutung dieser Verkleinerung ist umstritten.
Typisch ist weiter, dass auf bestimmte persönliche Auslöser („Trigger“), die akustisch, visuell, olfaktorisch oder taktil sein können, starke Gefühle von Angst oder Panik auftreten.
Im Unterschied zur akuten Belastungsreaktion (Dauer der Symptome bis einen Monat) spricht man von PTBS ab einer Dauer von einem Monat. Ab einer Dauer von 3 Monaten ist von einer Chronifizierung der PTBS auszugehen.
Alternativ zum Begriff Posttraumatische Belastungsstörung oder der englischen Bezeichnung Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) wird auch Posttraumatische Belastungsreaktion verwendet. Damit soll betont werden, dass manche psychischen Reaktionen auf Traumata keine krankmachende Wirkung haben, sondern als das Überleben ermöglichende Reaktion verstanden werden können. Weitere Synonyme sind Posttraumatisches Belastungssyndrom und Posttraumatische Belastungserkrankung.
Ebenfalls wird der Begriff Psychotraumatische Belastungsstörung in der Literatur genutzt, um zu verdeutlichen, dass das Trauma nicht mit dem traumatischen Ereignis gleichzusetzen ist.
Hintergrund und Geschichte
Zum ersten Mal wurden die psychologischen Folgen eines Traumas 1900 v. Chr. von einem ägyptischen Arzt beschrieben (Veith 1965). Auch die so genannte Hysterie wurde mit "traumatischen Erinnerungen" in Verbindung gebracht (Janet 1901). Der Freud-Schüler Kardiner war der erste, der um 1900 PTBS-Symptome beschrieb (Lamprecht & Sack 2002). PTBS-Symptome wurden im letzten Jahrhundert mit verschiedenen anderen Bezeichnungen beschrieben, zum Beispiel sprach man in Bezug auf die Kriegsgeschädigten des Ersten Weltkrieges von einem "shell shock", "Granatfieber" oder einer Kriegsneurose. Der Begriff PTBS wurde vor allem von der us-amerikanischen Psychologin Dr. Judith Lewis Herman eingeführt, als Konsequenz aus ihrer Arbeit mit Vietnamkriegs-Veteranen, als auch von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen. In der Literatur wurde diskutiert, ob es sich bei PTBS um eine normale oder eine abnormale Reaktion auf abnormale Lebensereignisse handelt, wobei die Schwere des erlittenen Traumas eine wichtige Rolle spielt. Es wird auch unterschieden, ob ein Trauma einmalig oder über einen längeren Zeitraum wiederholt vorkam.
Bezeichnungen im Wandel der Zeiten
- Sezessionskrieg: "soldier's heart" (Soldatenherz)
- Erster Weltkrieg: "shell shock" (Granatenschock)
- Zweiter Weltkrieg: "war fatigue" (Kriegsmüdigkeit)
- Vietnam: "combat stress" (Gefechtsstress)
Diagnoseschemata
Nach der ICD-10 (International Classification of Diseases) der WHO hat die PTBS den Code F 43.1. Diese psychologisch-psychiatrische Diagnose fand 1980 erstmals Eingang in das auch international bedeutsame amerikanische Diagnose-Manual DSM IV, das von der American psychiatric association (APA) [1] herausgegeben wird. Dort ist das Syndrom heute unter 309.81 als eine Form der Angststörung gelistet. Neben dem Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses müssen Symptome aus drei anderen Kategorien vorliegen: Intrusionen, Vermeidung (Avoidance) und Übererregung (Hyperarousal).
Häufigkeit
Ob eine PTBS auftritt, ist stark abhängig von der Art des erlebten Traumas. Es wird gelegentlich behauptet, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit
- ca. 15 Prozent bei schweren Erkrankungen (z.B. Krebs)
- ca. 20 Prozent bei Kriegs-, Gefangenschafts- und Unfallopfern
- ca. 25 Prozent bei Gewaltverbrechen
- ca. 50 Prozent nach Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch
beträgt, zu bedenken ist aber, daß tasächlich unter den Millionen von schwer traumatisierten Opfern bspw. von Krieg und Naturkatastrophen nur ganz wenige eine klinisch relevante mehrere Monate überdauernde psychische Störung entwickeln.
Die Tsunami im indischen Ozean am 26. Dezember 2004 hat nicht nur 310.000 Todesopfer und unzählige Verletzte gefordert, unter den Opfern und Helfern wird auch eine nennenswerte Zahl von PTBS-Patienten sein. Heilsarmee, Rotes Kreuz und ähnliche Organisationen beraten die Opfer präventiv um die Häufigkeit des Auftretens von PTBS zu vermindern (siehe Kasten im Abschnitt "Therapie").
Nach Flatten und Hoffmann 2001 liegt die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine PTSD nach politischer Haft und Verfolgung deutlich höher als hier angegeben, bei 50 - 70 % (Posttraumatische Belastungsstörung, 2. Auflage, Schattauer Verlag, ISBN 3-7945-2303-2) allerdings legen diese Autoren andere Kriterien für die Diagnose an als von der Weltgesundheitsorganisation gefordert.
Symptome
Symptome können sowohl direkt nach Erleben des Traumas, aber auch mit Verzögerung von vielen Jahren oder Jahrzehnten auftreten.
Symptome sind z. B.:
- Albträume
- Schlafstörungen
- Flashbacks (intrusive Symptome)
- Teilamnesie
- Schreckhaftigkeit
- Konzentrationsstörungen
- Depressionen
- Dissoziative Störungen
- Persönlichkeitsveränderungen
- Bindungsstörungen
- Interessensverlust
- Emotionslosigkeit, im Englischen als Numbing „Abstumpfung, Betäubung“ bezeichnet
- Suchtverhalten
- Vermeidungsverhalten (konstriktive Symptome) von z. B. Berührungen, aber vor allem auch von Gedanken und Gefühlen, Menschen, Orten, Situationen und Gegenständen
- Aggressive Verhaltensmuster
- Selbstverletzendes Verhalten
- Angstzustände und Panikattacken bei Konfrontation oder Kontakt mit Menschen, Gegenständen, Orten oder in Situationen, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem auslösenden Ereignis(sen) stehen oder auch nur eine gewisse Ähnlichkeit zu diesem aufweisen
Bei Kindern
- siehe oben
bei sexuellem Missbrauch:
- stark sexualisiertes Verhalten
- nicht altersgemäßes, sexuell geprägtes Spiel
Bei Kindern kann es im Anschluss an ein Trauma zum so genannten "traumatischen Spiel" kommen. Hierbei wird das Trauma vom Kind im Spiel nachempfunden (z.B. der tödliche Unfall des Vaters.)
Inwieweit im Kindesalter erlittene Traumata später zu anderen Störungen, wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, führen können ist umstritten.
Therapie
Prävention |
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Vorbeugend wird versucht, durch eine frühzeitige Intervention die akute Belastungsreaktion für den Betroffenen handhabbar zu machen und frühzeitig adäquate Bearbeitungsstrategien zu aktivieren. Für Einsatzkräfte sind die SbE-Teams (in Deutschland PSU-Teams (Psychosoziale Unterstützung für Einsatzkräfte) genannt), für Angehörige und sonstige Betroffene ist die Krisenintervention im Rettungsdienst zuständig. Beide geben konkrete Hinweise auf weiterbetreuende psychosoziale Einrichtungen. Beim Verfahren der "Normalitätsintervention" werden dem Patienten detailliert seine Symptome als normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis gedeutet, z.B. kann die Schlafstörung erklärt werden als Wunsch des Körpers, sich wach zu halten, um nicht wieder überfallen zu werden. Nicht in jedem Fall ist eine Intervention nötig. Vor allem Fälle mit einem hohen Risiko der Chronifizierung sollten früh therapiert werden. Zur Beurteilung dieses Risikos gibt es diverse Checklisten wie z. B. den Kölner Risiko Index. Das Rote Kreuz berät die Opfer in Katastrophengebieten routinemäßig auch im Hinblick auf PTBS. |
PTSD ist meistens chronisch, kann sich aber durch Therapien oder auch spontan von selbst bessern. Die Störung wird durch eine Kombination von Psychotherapie (z. B. kognitive Verhaltenstherapie oder psychodynamische Therapie) und medikamentöser Therapie (SSRIs, wie etwa Fluctin oder Zoloft) behandelt. Bei schwerer Traumatisierung kann eine stationäre Traumatherapie sinnvoll sein. Auf jeden Fall sollte sichergestellt werden, dass die betroffene Person keinen weiteren Traumaeinwirkungen ausgesetzt ist/wird.
Die Narrative Expositionstherapie hat sich als sehr erfolgreich erwiesen bei Erwachsenen und Kindern, bei Mehrfachtraumatisierung und nach organisierter Gewalt.
Auch psychodynamische Verfahren werden eingesetzt; in Deutschland hat Luise Reddemann wichtige Beiträge zur Behandlung vor allem chronisch Traumatisierter geliefert durch die Ausarbeitung imaginativer Behandlungsverfahren (PITT= Psychodynamische imaginative Traumatherapie). Auch die MPTT (Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie) von Gottfried Fischer, mit Peter Riedesser Autor des "Lehrbuch der Psychotraumatologie", gilt als wirksames Verfahren in diesem Bereich. Ebenso wirksam ist die integrative Traumatherapie, enwickelt von Prof. Willi Butollo, LMU München.
Zur Behandlung vor allem Akuttraumatisierter ist in neuerer Zeit auch das EMDR1 (eye movement desensitization and reprocessing) nach Francine Shapiro (Shapiro, 1989) erprobt worden.
Einen biologisch orientierten Ansatz (Somatic Experiencing) zur Behandlung von Schock- und Traumafolgen wurde von Dr. Peter Levine entwickelt.
Albträume können mit dem Verfahren "imagery rehearsal"2 bekämpft werden: dabei stellt sich der Betroffene untertags vor, dass der Albtraum ein gutes Ende nimmt. Es ist dabei nicht wichtig, jeden einzelnen Albtraum zu visualisieren. Der Patient verwendet eine typische wiederkehrende Traumhandlung, malt sie sich in allen Einzelheiten aus, und erfindet ein gutes Ende. Durch dieses Verfahren können nicht nur die Albträume sondern auch andere Symptome gebessert werden.
In den neunziger Jahren erfolgte die Behandlung im englischsprachigen Raum häufig im Rahmen des so genannten Recovery-Paradigma mittels Regressionshypnose; heute ist dieses Verfahren der Rückerlangung von Erinnerungen an das traumatische Ereignis umstritten.
Oft erfolgt die Behandlung in mehreren Stufen, wobei der erste Schritt die Schaffung eines als sicher wahrgenommenen Umfelds ist.
Referenzen
1 Shapiro, F. & Forrest, M.S. (1998). EMDR in Aktion. Die neue Kurzzeittherapie in der Praxis. Paderborn: Junfermann.
2 Forbes, D. et al. (2001) Brief report: treatment of combat-related nightmares using imagery rehearsal: a pilot study, Journal of Traumatic Stress 14 (2): 433-442
Literatur
- Butollo, Willi, Hagl, Maria: Trauma, Selbst und Therapie, Verlag Hans Huber, Bern 2003, ISBN 3-456-84037-3
- Ehlers, Anke (1999). Posttraumatische Belastungsstörung. Göttingen: Hogrefe.
- Gottfried Fischer, Peter Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie, Ernst Reinhardt-Verlag München/Basel 1998 ISBN 3-8252-8165-5
- Hans Keilson: Sequentielle Traumatisierung bei Kindern. Stuttgart 1979
- Kinzie, David J.; Goetz, Rupert, R. (1996): A. Century of Controversy Surrounding Posttraumatic Stress-Spectrum Syndromes: The Impact on DSM-III and DSM-IV. In: Journal of Traumatic Stress 9(2), S. 159-179.
- Laibow, Rima E.; Laue, Shaffia (1993): Posttraumatic Stress Disorder in Experienced Anomalous Trauma. In: International Handbook of Traumatic Stress Syndroms, Hrsg. John P. Wilson und Beverly Raphael, New York: Plenum Press, S. 93-103.
- Levine, Peter A.; Synthesis, Ann Frederick: Trauma-Heilung (1998)
- Nash, Michael R. (1994): Memory Distortion and Sexual Trauma: The Problem of False Negatives and False Positives. In: International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis 42, S. 346-362.
- Streeck-Fischer, Anette; Sachsse, Ulrich; Özkan, Ibrahim (2001): Perspektiven der Traumaforschung. In: Körper, Seele, Trauma. Biologie, Klinik und Praxis, Hrsg. Anette Streeck-Fischer, Ulrich Sachsse und Ibrahim Özkan, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 12-22.
- van der Kolk, Bessel A.; Weisaeth, Lars; van der Hart, Onno (2000): Die Geschichte des Traumas in der Psychiatrie. In: Traumatic Stress, Grundlagen und Behandlungsansätze, Hrsg. Bessel A. van der Kolk, Alexander C McFarlane und Lars Weisaeth Paderborn: Junfermann, S.71-93.
- Wilson, John P. (1992): Post-traumatic Stress Disorder (PTSD) and Experiences Anomalous Trauma (EAT): Similarities in Reported UFO Abductions and Exposure to Invisible Toxic Contaminants. In: Anomalous Experience & Trauma. Current Theoretical, Research and Clinical Perspectives, Hrsg. Rima E. Laibow, Robert N. Sollod und John P. Wilson. New York: TREAT, S. 31-45.
- Maercker, A. (2003). Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörungen. Berlin: Springer.
- Herman, Judith Lewis (2003): Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Junfermann-Verlag, ISBN: 387387525X
- Schauer Maggie, Neuner, Frank. & Elbert, Thomas (2005) Narrative Exposure Therapy. A short-term intervention for traumatic stress disorder after war, terror or torture. Göttingen, Germany: Hogrefe & Huber.
- Miller, Alice (2004): Die Revolte des Körpers, Suhrkamp, Frankfurt am Main
- Boos, A. (2005). Kognitive Verhaltenstherapie nach chronischer Traumatisierung. Göttingen: Hogrefe.
Siehe auch
Weblinks
- Posttraumatische Belastungsstörung und organisierte Gewalt
- Community zur posttraumatischen Belastungsstörung
- Große Selbsthilfecommunity
- Zur Neurophysiologie der PTBS von www.childtrauma.org
- www.brainexplorer.org: Ausführliches zum Stand der Wissenschaft der Neurobiologie von PTBS sowie Studien zur Wirksamkeit verschiedener Medikamente
- WWW-Seiten der Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale GesundheitheitDie Posttraumatische Belastungsstörung (1) PTBS nach Extrembelastung (2)
- Kostenlose Beratungshotline für Ärzte in Fragen der Diagnostik und Therapie von PTSD
- Posttraumatische Belastungsstörung auf der Seite eines Facharztes
- www.traumatherapie-institut.de
- Hoffnungsstern - Menschen für Menschlichkeit Homepage und Selbsthilfeforum