Kunstbetrieb
Als Kunstbetrieb werden zusammenfassend (oft scherzhaft, abwertend oder kritisch) der Alltag in der Sphäre der bildenden Kunst und Kultur, und seine ökonomischen, sozialen und kulturellen Rituale und Konventionen bezeichnet. Er ist der soziale und institutionelle Zusammenhang, in dem Zeitgenössische Kunst, ihre Organisation, und ihre Rezeption aktuell überwiegend stattfinden.
Mikrokosmos Kunstbetrieb
Der Kunstbetrieb ist für seine Kritiker teils gekennzeichnet durch Eitelkeit, Neid, Mißgunst und Konkurrenzdenken der verschiedenen Teilnehmer, teils aber auch durch Kreativität und Kooperation.
Im Zentrum des Kunstbetriebs steht der Künstler, in seinem Kampf um sein Werk, um seine jeweiligen Auffassungen oder Ideale, um Fördergelder, wichtige Ausstellungen, Rang und Anerkennung, Verkäufe.
Weitere wichtige Figuren im Kunstbetrieb sind z.B.
- der Kulturpolitiker (im Zwiespalt zwischen öffentlicher Förderung populärer Massenkultur oder elitärer Hochkultur vor dem politischen Hintergrund des Neoliberalismus, z.B. als Public-Private-Partnership, Sponsoring),
- der Kurator (der im Auftrag einer Institution Kunstausstellungen kuratiert, also organisiert, verwaltet und betreut, und einzelne Künstler so fördert; der Beruf gewinnt zunehmend an Einfluss im Kunstbetrieb, der Kurator wird zum Metakünstler, die Ausstellung zur individuellen Collage aus Kunstwerken und Positionen),
- der Galerist (dessen Interesse hauptsächlich in einem hohen Markt-Wert der von ihm vertretenen Künstler besteht, er entdeckt und vermarktet den Künstler), und
- der Sammler (der Genuss und persönliches Prestige für sich durch eine besonders geschmackvolle, kluge oder ausgefallene Auswahl der gesammelten Kunstwerke erhofft), sowie
- der Kunstkritiker (der Kunstwerke und Künstlerstrategien analysiert, beschreibt, und propagiert, und dabei möglichst grosse Deutungshoheit besitzt oder erwirbt), und
- das übrige, exklusive und interessierte Publikum.
Ihr Zusammenspiel als für den Laien undurchschaubares Geflecht und ihre Konflikte machen den Kunstbetrieb als Ganzes aus: Junge Künstler entwickeln verschiedene neue Positionen oder Markenzeichen, oder greifen erfolgreiche oder vergessene Strategien oder Ästhetiken in ihrer Arbeit auf. Galeristen oder Kunstkritiker werden durch Akademienrundgänge, persönliche Bekanntschaft oder Empfehlung auf sie aufmerksam und fördern sie selektiv entsprechend ihrer eigenen ästhetischen Positionierung. Kuratoren stellen sie aus und propagieren dabei auch ihre eigenen Themen und Sichtweisen auf Kunst, und interagieren mit Galerien. Galerien und Sammler sind auf Wertsteigerung ihrer Werke angewiesen, und üben wiederum durch ihre Kaufkraft Einfluss auf die "Angebote" der Künstler am Markt aus. Etablierte Moden oder Strömungen müssen sich behaupten und abgrenzen.
Immaterielle Kunst oder solche, die sich auf andere Weise einer kommerziellen Verwertung als handelbare Ware entziehen will, kann derzeit grösstenteils nur öffentlich gefördert existieren. Förderungen wiederum werden häufig auch durch persönliche Beziehungen zwischen Künstler und Vergabegremien bestimmt (Kritiker fordern deshalb z.B. anonyme Bewerbungen bei Ausschreibungen). Voneinander abhängige oder befreundete Künstler, Galeristen, Kuratoren und Sammler bilden häufig eine Art Kartell. Die Gefahr dabei ist, dass die eigentlichen Inhalte und Fragestellungen der Ästhetik (vgl. Kunsttheorie) in den Hintergrund rücken können bzw. zum Vehikel von Kämpfen um Verteilung von Macht werden.
Orte des Kunstbetriebs sind das Feuilleton und die Fachpresse, die Kulturpolitik, die Kunstakademie, der White Cube (z.B. Vernissage in Kunstverein), die Kunstmesse, das Museum. Diskussionsgegenstände sind der Kunstbegriff, Inhalte und Strategien von Kunst, oder Rang, Leistung und Bedeutung einzelner Künstler, Sammler, Kunstkritiker oder Leiter von Institutionen, erzielte Verkäufe, und andere finanzielle oder politische Fragen.
Immanente Kritik
In der leicht verächtlichen Rede vom Kunstbetrieb findet auch eine Enttäuschung oder ein Bedauern darüber Ausdruck, dass die Welt der Kunst, die oft mit hehren Erwartungen an Wesen und Tugenden der handelnden Protagonisten verbunden ist, so sehr durch solch profane Dinge wie Konkurrenzkämpfe, Intrigen, Korruption und Nepotismus gekennzeichnet ist.
Hierfür werden häufig Kulturpolitik und Kunstmarkt mit ihren jeweiligen Anforderungen an die Kunst verantwortlich gemacht, andererseits existiert auch eine gängige Meinung, derzufolge all dies nie anders gewesen sei und quasi schon in der Natur der Sache, bzw. des Menschen, läge.
Der Kunstbetrieb sei von der Gesellschaft grösstenteils abgeschottet, er sei Angelegenheit einer wohlhabenden Elite, der er zum Distinktionsgewinn diene, seine Diskussionen seien hermetisch und selbstbezogen.
Da der Kunstbetrieb sehr berechenbar sei, wenn man ihn eine Weile studiert habe, sei es möglich, ihn als Betriebssystem Kunst (ähnlich wie das Betriebssystem eines Rechners) zu nutzen, und auch in ähnlicher Weise zu hacken.
Jenseits des Kunstbetriebs
Künstlerische subversive Gegenstrategien und Versuche der Flucht aus dem Kunstbetrieb finden sich z.B. teilweise bei der Pop-Art und Land-Art, beim erweiterten Kunstbegriff der Aktionskunst (z.B Cornelia Sollfrank, Park Fiction) und in einer institutionskritischen Konzeptkunst/Kunstkritik (wie z.B. bei Daniel Buren), sowie bei Produzentengalerien, Subkultur/Underground (Kunst), und der Kunst im öffentlichen Raum.
Siehe auch
- Hochkultur, Popkultur, Kulturindustrie, Kommodifizierung
- Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
Literatur
- kunstforum international. band 125:: betriebssystem kunst
- Kathrein Weinhold: Selbstmanagement im Kunstbetrieb