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Preußisch Litauen

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Kleinlitauen (im Deutschen überwiegend Preußisch-Litauen, litauisch Mažoji Lietuva oder Prūsų Lietuva, englisch Lithuania Minor oder Prussian Lithuania) bezeichnet litauischen Siedlungsraum im Nordosten Ostpreußens (heute Oblast Kaliningrad) einschließlich des Memellands. Von der protestantischen Kirche und dem preußischen Staat gefördert, entwickelte sich das preußische Litauertum unabhängig vom Großherzogtum Litauen, in dem eine starke Polonisierung stattfand.

Seit dem Frieden vom Melnosee (1422) bis zur Vertreibung der Bevölkerung 1945 gehörte das Gebiet zunächst dem Deutschen Orden, nach dessen Säkularisierung 1525 zum Herzogtum Preußen (bis 1660 polnisches Lehen) - daher rührt auch die Bezeichnung "Preußisch-Litauen" - , und ab 1871 zum Deutschen Reich (Ausnahme ist das Memelland, das von 1923 - 1939 unter litauischer Kontrolle stand, s.u.). Die preußischen Litauer bezeichneten sich selbst als Lietuvininkai ( "Litauer", die heutigen Litauer nennen sich hingegen "Lietuviai") und waren meist zweisprachig (litauisch und deutsch). Sie siedelten vor allem in den ehemaligen Wildnisgebieten Ostpreußens und stellten dort mehrheitlich die Landbevölkerung, während die Deutschen vorwiegend in den Städten (Memel, Tilsit, Insterburg, Gumbinnen) lebten. Der in ihrem Wesen bäuerlichen Kultur gelang es nie, eine eigene Intelligenzschicht heranzubilden.

Durch weitere Zuwanderung (u.a. aus Salzburg und der französischsprachigen Schweiz) entstand eine multi-ethnische Bevölkerung, die schließlich im Deutschtum aufging, lediglich im Memelland konnte sich die litauische Sprache länger halten. Der preußisch-litauische Ethnos ist heute erloschen. Aus Preußisch-Litauen stammen u.a. die vermutlich kurischen Vorfahren des Philosophen Immanuel Kant und der Dichterpfarrer Christian Donelaitis (Kristijonas Donelaitis), der im heutigen Litauen als Nationaldichter Anerkennung findet.

Siedlungsgeschichte

Um 1400 ist das Gebiet des späteren Kleinlitauen Wildnis und bis auf Siedlungsreste von prußischen Schalauern und Nadrauern sowie Kuren (bei Memel) in der Nähe der Ordensburgen unbewohnt. Nach der Niederlage des Deutschen Ordens in der Schlacht von Tannenberg 1410 und der Festlegung einer Grenze zu Polen-Litauen (1422) beginnt die Neubesiedlung des Wildnisgebiets. Zunächst lassen sich dort vereinzelt Prußen (auch Pruzzen oder Altpreußen genannt) und Deutsche nieder, an der Ostseeküste siedeln kurische Fischer. Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts beginnt die Einwanderung von Litauern bzw. die Rückwanderung nach Litauen geflohener Prußen, die sich in freier Landnahme unter Duldung des Ordens niederlassen. Ihre Einwanderung gilt um 1550 als abgeschlossen. Die Bevölkerungszahl in dieser Zeit wird auf etwa 30.000 Menschen geschätzt. Die weitere Erschließung der Wildnis geschieht nun hauptsächlich durch Binnenwanderung und erstreckt sich bis ins erste Viertel des 17. Jahrhunderts. Bei der Großen Pest von 1709/10 sterben ca. 160.000 der insgesamt 300.000 Bewohner der so genannten "Litauischen Provinz", von der Epidemie weniger betroffen ist das Memelgebiet. Im Laufe des von König Friedrich Wilhelm I. durchgeführten "Retablissement" übernehmen etwa 23.000 angeworbene Neusiedler (Glaubensflüchtlinge aus Salzburg[1], deutsch-und französisch-sprachige Schweizer und Pfälzer) die wüst gewordenen Höfe, vorwiegend im Hauptamt Insterburg. Begünstigt durch die bis 1800 vollzogene landesweite Alphabetisierung beginnt eine Assimilierung an das Deutschtum. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wandern viele Ostpreußen in andere Landesteile Preußens (Berlin, Ruhrgebiet) aus.

Friedrich Kurschat beschreibt 1876 die Grenze des litauischen Siedlungsraums wie folgt:

Die Grenze des littauischen Sprachgebiets geht, von dessen nördlichstem an der Ostsee gelegenen Punkt ab, etwa von dem russischen Grenzorte Polangen in südlicher Richtung bis Memel längs der Ostsee, von da ab längs dem Kurischen Haff und dem Deimefluss bis gegen Tapiau. Von da ab zieht sie sich den Pregel entlang bis hinter Wehlau nach Insterburg zu, zwischen welchen beiden Städten sie diesen Fluss überspringt, dann in südöstlicher Richtung hinstreicht und in der Gegend von Goldap sich in östlicher Richtung hinziehend die polnische Grenze überschreitet.

Um 1900 hat sich die Sprachgrenze zugunsten des Deutschen schon sehr weit nach Norden verschoben.[2]

Die litauische Siedlung spiegelt sich in vielen Orts- und Flussnamen. Eine häufige Endung ist "-kehmen" (wie in Walterkehmen), von "kiemas" (pr.-lit. "Hof, Dorf"). 1938 werden unter dem Nationalsozialismus viele dieser baltischen Namen durch deutsche ersetzt (Walterkehmen etwa wird in Großwaltersdorf umbenannt).

Preußisch-litauische Sprachdenkmäler

Zur Durchsetzung der protestantischen Lehre ließ der letzte Ordenshochmeister als weltlicher Herzog Albrecht I. von Preußen kirchliche Schriften ins Litauische (und Prußische) übersetzen. Hiermit begann eine lange Tradition der Förderung der litauischen Sprache durch Kirche und Staat. Die Übersetzung des lutherischen Katechismus durch Martin Mosvid (Martynas Mažvydas; 1547)[3], eines gebürtigen Schamaiten, ist das erste Buch in litauischer Sprache überhaupt - im benachbarten Großherzogtum Litauen verwendete man als Schriftsprachen Polnisch und Weißrussisch, das erste litauische Buch erschien dort erst 50 Jahre später.

Der wichtigste Text des Altlitauischen aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist die Bibelübersetzung (1579-1590) des deutschstämmigen Pfarrers Johannes Bretke. [4] Bretkes am Text immer wieder vorgenommene Korrekturen erlauben wichtige Einblicke in die Sprachgeschichte des Litauischen und seiner Mundarten. Bretke beherrschte in einer einzigartigen Kombination drei baltische Sprachen, neben dem Litauischen die Sprache seiner Mutter, einer Prußin, und das Kurische, einen an der ostpreußischen Küste gesprochenen lettischen Dialekt. Seine hinterlassenen litauischen Schriften alleine stellen ein Drittel des erhaltenen altlitauischen Sprachkorpus dar. Die Forschungen an seiner Bibelübersetzung an der Universität Greifswald sind noch nicht abgeschlossen. [5]


Memelland

Als Memelland wurde zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg der Landesteil des damaligen Ostpreußens bezeichnet, der nördlich der Memel gelegen ist und seit 1923 zu Litauen gehört, also der heute litauische Teil des historischen Preußisch-Litauens. Die größte Stadt des Memellands ist Klaipėda/Memel. Von der heutigen litauischen Bevölkerung wird das früher "Memelland" genannte Umland von Klaipėda meistens als integraler Bestandteil Niederlitauens angesehen. Heute bildet die Region einen Schwerpunkt der russischen Minderheit in Litauen. In rechtsgerichteten litauischen Kreisen wird häufig auch die heutige russische Oblast Kaliningrad als Bestandteil eines historisch größeren "Kleinlitauen" angesehen.

Geografie

Zum Memelland gehört die moränenreiche Landschaft direkt nördlich der Fluss von Schmalleningken/Smalininkiai bis zur Ostseeküste einschließlich der nördlichen Kurischen Nehrung (heutige Stadt Neringa) und der Region um die Stadt Klaipėda (Memel).

Geschichte

Vor der Zugehörigkeit des späteren Memellandes zu einem Staat waren die baltischen Stämme der Schalauer und Kuren dort sesshaft. Die Kuren (der Name bedeutet "schnell zur See") galten als die Wikinger der Ostsee und werden in der Island-Saga erwähnt. Dänische Überlieferungen bezeugen, dass sie als Piraten gefürchtet waren. Es gab jedoch auch Handels- und Heiratsbeziehungen der Schalauer mit Dänemark. Die Schalauerburg Ruß an der Memel galt als Ausgangspunkt dieser Beziehungen. Während die übrigen südlichen prußischen Stämme sich gegen den Deutschen Orden zu wehren hatten, gab es im Memelland friedliche Beziehungen zu den Wikingern. Über die Nehrungen wurden auch Beziehungen mit Mitteldeutschland und zu den Goten unterhalten. Entlang der Flusswege gab es Beziehungen bis in den nördlichen Kaukasus, mit den Litauern im Osten und Slawen im Süden.

Nach dem Festungsbau bei der Stadt Memel und der Eroberung des Umlandes durch den Deutschen Orden wurde das Memelland etwa 1328 Teil des Ordensstaats und nach der Reformation dann des Herzogtums Preußen. Mit dem Königreich Preußen kam es dann 1871 zum Deutschen Reich.

Die Grenze zwischen dem ostpreußischen Landesteil um die Memel und Litauen blieb von 1422 bis 1920 weitgehend unverändert, eine im Vergleich zum übrigen Europa seltene Konstellation.

Nach dem Ersten Weltkrieg trennte der Vertrag von Versailles in seiner Festlegung der neuen Grenzen Ostpreußens (Artikel 28) das von nun an in Deutschland "Memelland" genannte Gebiet ohne Abstimmung vom Deutschen Reich ab. Deutschland musste sich außerdem bereit erklären, eine später von den Alliierten zu treffende staatliche Zugehörigkeit des Memellandes anzuerkennen (Artikel 99).

Diese Abtrennung erfolgte aufgrund der litauischsprachigen Minderheit, den so genannten Kleinlitauern.

Seit 1920 war das Memelland unter französischer Verwaltung (Schutzherrschaft), da Litauen als Staat nicht international anerkannt war. Im Januar 1923 ergriffen nationalistische Litauer und Freischärler unter Leitung von Erdmann Simonaitis die Macht in Kleinlitauen, als Deutschland durch die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien geschwächt war. Heute ist bekannt, dass dieser Coup mit Duldung und Unterstützung der deutschen Regierung erfolgte. Diese Annexion wurde in der Memelkonvention vom Völkerbund anerkannt, allerdings wurde eine Autonomie des Memellandes innerhalb Litauens verlangt. Wahlen im Memelland erbrachten hohe Stimmenanteile (etwa 80%) für die deutschen Parteien, so dass 1926 per Kriegsrecht die Autonomie weitgehend aufgehoben wurde.

Im März 1939 wurde das Memelland nach intensivem Druck Deutschlands wieder Teil des Deutschen Reiches. Obwohl vorwiegend von der deutschen Bevölkerung erwünscht, waren auch viele (Klein)litauer von der Politik Litauens enttäuscht und unterstützten die Rückkehr zu Deutschland.

Mit Ankunft der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges fiel Kleinlitauen unter sowjetische Besatzung. Es wurde der litauischen Sowjetrepublik angegliedert, und bildet seit dem Zerfall der UdSSR den Hauptteil der litauischen Küstenregion.

Die Bevölkerung Kleinlitauens setzt sich seit Flucht und Vertreibung der deutschsprachigen Bewohner am Ende des Zweiten Weltkriegs sowie der danach erfolgten innersowjetischen Umsiedlung verstärkt aus Menschen des restlichen Litauens sowie Russlands zusammen. Alteingesessene Kleinlitauer und Deutsche gibt es nur noch recht wenige. Dadurch ist das seit der Reformation evangelisch geprägte Gebiet heute vorwiegend katholisch geworden.