Anomie
Anomie (aus dem Griechischen: a- = "un-", nómos = Ordnung, Gesetz) bedeutet
- Gesetzlosigkeit, Gesetzeswidrigkeit; v.a. in England war der Begriff ursprünglich ein Ausdruck für das Brechen religiöser Gesetze;
- Soziologie: Zustand fehlender oder geringer sozialer Ordnung bzw. Regel- und Normenschwäche.
Der Begriff wurde von Émile Durkheim in die Soziologie eingeführt. Der Rückgang von religiösen Normen und Werten führt nach Durkheim unweigerlich zu Störungen und zur Verringerung sozialer Ordnung. Aufgrund von Gesetz- und Regellosigkeit sei dann die gesellschaftliche Integration nicht länger gewährleistet. Diesen Zustand nannte Durkheim anomie, die beim Individuum zu Angst und Unzufriedenheit führen müsse, ja sogar zur Selbsttötung führen könne ("anomischer Suizid"). Durkheim benutzte den Begriff, um die pathologischen Auswirkungen der sich im Frühindustrialismus rasch entwickelnden Sozial- und Arbeitsteilung zu beschreiben. Die damit einhergehende Schwächung der Normen und Regeln für die Allokation von Waren führe zu einem verschärften Wettbewerb um die steigenden Prosperitätsgewinne.
Robert K. Merton hat den Begriff verfeinert, indem er die Regeln näher beschreibt, deren Fehlen zu Anomie führt:
- kulturelle Ziele als Wünsche und Erwartungen der Menschen einer Gesellschaft
- Normen, welche die Mittel vorschreiben, die die Menschen zur Realisierung ihrer Ziele anwenden dürfen
- die Verteilung dieser Mittel.
Als Anomie wird nunmehr eine Dissoziation zwischen kulturellen Zielen und dem Zugang bestimmter Schichten zu dazu notwendigen Mitteln beschrieben. Dadurch schwächt sich die Bindung zwischen Mitteln und Zielen.
Gegenwärtig führt vor allem die Relativierung kultureller Mittel durch Pluralisierung zum Problem der Orientierungs- und Verhaltensunsicherheit, der Individualisierung und gesellschaftlichen Desintegration.
siehe auch: Abweichendes Verhalten