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Pazifismus

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Peace-Zeichen

Als Pazifismus bezeichnet man eine politische Grundhaltung, die Krieg prinzipiell ablehnt und danach strebt, bewaffnete Konflikte zu vermeiden, zu verhindern und die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen für einen dauerhaften Weltfrieden zu schaffen. Pazifisten nennt man die Vertreter und Anhänger dieser Grundhaltung, die sich als Gegensatz zum Bellizismus versteht. Dieser sieht Krieg als legitimes Mittel politischer Konfliktaustragung und Interessendurchsetzung.

Der Begriff

Der Ausdruck Pazifismus ist abgeleitet vom lateinischen Wort pax für "Frieden", "Vertrag" (Genitiv pacis), und dem Verbum facere für "machen, tun". Seine Prägung wird dem Franzosen Émile Arnaud (1901) zugeschrieben. Dieser bezog sie auf damalige Gruppen zur Schaffung eines Völkerrechts, die sich seit etwa 1815 in vielen europäischen Staaten gebildet hatten.

Die Wortverbindung "Frieden machen" ist jedoch weit älter und wird oft als Teilzitat aus der Bergpredigt aufgefasst, wo es wörtlich heißt (Mt 5,9):

Selig sind die, die Frieden machen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Der Begriff "Frieden" ist in dieser biblischen Traditon nicht vom Begriff der Gerechtigkeit, also einer internationalen Rechtsordnung, die Kriege überflüssig macht, zu trennen.

Meist wird Pazifismus in der europäischen Tradition unter folgenden Aspekten aufgefasst:

  • als Versuch, einen drohenden Krieg aktiv zu verhindern, also als Bemühungen zum Aufbau einer breiten Antikriegsbewegung,
  • als Versuch, einen laufenden Krieg vorzeitig zu beenden, also Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, zu stärken und bei den kriegsführenden Parteien zu erreichen,
  • als Absage an jede Teilnahme an kriegerischer Gewalt, also aktive Kriegsdienstverweigerung,
  • als Versöhnungsarbeit vor und nach einem Krieg, die sich Kriegsopfern zuwendet und gesellschaftliches Bewusstsein zu verändern sucht, um weitere Kriege nachhaltig zu verhindern.

Verhältnis zu Friedensbewegungen, Antimilitarismus und Sozialismus

Die weitergehende Perspektive, alle Kriege abzuschaffen, verbindet Pazifisten mit politischen Gruppen, die ebenfalls Bedingungen für eine dauerhafte weltweite Friedensordnung schaffen wollen. Unter ihnen ist jedoch nicht nur umstritten, was als Hauptursache der Kriege zu gelten hat und daher primär zu bekämpfen ist, sondern auch, welche Mittel dazu legitim sind und welche Strategie langfristig dazu erfolgversprechend ist.

Prinzipielle Pazifisten unterscheiden sich von anderen Kriegsgegnern, die sich oft im Vorfeld heraufziehender Kriege oder nach Kriegsniederlagen zu einer Friedensbewegung zusammenfinden. Solche sozialen Bewegungen haben zwar immer auch die Pazifisten in ihren Reihen, jedoch sind nicht alle ihre Anhänger auch prinzipielle Gegner kriegerischer Gewalt. Viele von ihnen lehnen z.B. einen Verteidigungskrieg nicht generell ab. Situationsbedingt vermischen sich meist eigennützige Motive - etwa die wirtschaftlichen Kriegskosten, Konkurrenz zu anderen Hegemonialmächten und die Angst vor negativen Folgen für das eigene Land - mit der fundamentalen Überzeugung, dass Krieg ethisch illegitim und inhuman sei und niemals Gutes bewirke.

Auch Antimilitaristen wollen Kriege verhindern und Krieg abschaffen, bekämpfen aber nicht nur ideologische Kriegsorientierungen, sondern auch das Militär und die Rüstungsindustrie als wesentliche Kriegsursachen. Dies haben sie mit Sozialisten gemeinsam, die die Ursache der meisten Kriege in ökonomischen Macht- und Profitinteressen ansiedeln und die Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen ändern wollen, die solche Interessen hervorbringen und verstetigen. Dabei schließen sie oft Waffengewalt als zwar inhumanes, dennoch unter Umständen notwendiges und unvermeidbares Mittel zur Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung nicht prinzipiell aus. Sie sehen diese jedoch nicht unter dem Aspekt von Krieg, sondern von Kriegsverhinderung und Kriegsabschaffung als revolutionäre und darum legitime Gewalt.

Verhältnis zur Realpolitik

Die Absage an jede kriegerische Gewalt unterscheidet „echte" Pazifisten von anderen politischen Kräften, die sich ebenfalls auf Kriegsverhinderung orientieren, dazu aber Waffengewalt und Rüstung nicht ausschließen, sondern sich ausdrücklich darauf stützen. Diese Orientierung beherrscht heute nahezu alle Staaten, seien sie demokratisch oder nicht.

Pazifisten verkennen nicht die Existenz von gesellschaflichen Gewaltverhältnissen und Machtgefälle zwischen verscheiden stark gerüsteten Staaten. Sie halten aber Krieg für ethisch unter keinen Umständen zu rechtfertigen und prinzipiell ungeeignet, Konflikte zu lösen. Daher lehnen sie auch Verteidigungskriege, die heute meist als "gerechte" Kriege deklariert werden, ab. Sie sind nicht zuletzt deshalb in Europa seit Entstehung der internationalen Friedensbewegung eine Minderheit geblieben.

Jedoch hat der Pazifismus durch die Erfahrungen der beiden Weltkriege in weiten Teilen der Bevölkerungen europäischer Staaten einen gewissen Rückhalt, so dass deren Regierungen ihre militärischen Maßnahmen heute verstärkt öffentlich begründen müssen. Eine Folge ist seit 1945 der theoretische Ausschluss des Angriffskrieges in der Charta der Vereinten Nationen und die Notwendigkeit, die eigenen Kriegsziele als legitime Verteidigung zu präsentieren.

Alternativen zu bewaffneter Konfliktaustragung

Als Alternativen zu militärischen Maßnahmen haben Pazifisten im 19. und 20. Jahrhundert eine Reihe theoretischer Gegenmodelle entworfen und mit praktischen Schritten teilweise auch mit durchgesetzt:

Geschichte

Da Geschichte lange Zeit von den (kriegführenden) Herrschenden bzw. in deren Auftrag geschrieben wurde, sind Belege für Pazifismus in frühgeschichtlicher Zeit spärlich. 411 v. Chr. wurde im antiken Griechenland die pazifistische Komödie Lysistrata von Aristophanes aufgeführt. Von Cicero 106 - 43 v. Chr. ist das Zitat überliefert: Der ungerechteste Friede ist immer noch besser als der gerechteste Krieg.

Konkreter fassbar wird im Abendland der Pazifismus dann im frühen Christentum, in dem Kriegsdienst und Mitgliedschaft in der Gemeinde als unvereinbar galten. Nachdem sich das Christentum unter Kaiser Konstantin I. aber zunehmend zur Staatsreligion entwickelte, trat der christliche Pazifismus in den Hintergrund.

Deutlicher sichtbar wird der Pazifismus wieder in der frühen Neuzeit in Einzelpersonen wie Erasmus von Rotterdam und christlichen Gemeinschaften wie den Mennoniten und den Quäkern. So äußerte sich Erasmus, wer es süß und ehrenvoll finde, für das Vaterland zu sterben (dulce et decorum est pro patria mori), der wisse nicht, was Krieg sei.

Der nicht religiöse Pazifismus entwickelte sich im 19. Jahrhundert durch Gründung von Friedensgesellschaften in zahlreichen europäischen Ländern und den USA, z. B. der 1892 von Alfred Hermann Fried (Friedensnobelpreisträger 1911) initiierten Deutschen Friedensgesellschaft.

Als Reaktion auf den preußisch - wilhelminischen Militarismus und im Zuge der Internationalisierung der Arbeiterbewegung erstarkte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland der bürgerliche und sozialistische Pazifismus. Exponenten des bürgerlichen Pazifismus waren Bertha von Suttner, die 1905, und Ludwig Quidde, der 1927 den Friedensnobelpreis erhielt.

Einen Rückschlag erlitt der Pazifismus mit der Kriegseuphorie, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs verbreitet war. Mit zunehmender Dauer und Grausamkeit des Krieges fanden Pazifisten und Antimilitaristen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg jedoch wieder zunehmend Gehör. Luxemburg und Liebknecht wandten sich ausdrücklich gegen den von ihnen sogenannten bürgerlichen Pazifismus, wie ihn beispielsweise Karl Kautsky und Erich Maria Remarque vertraten. Nach ihrer Anschauung war der Pazifismus nur nach einer sozialistischen Revolution zu verwirklichen.

Trotz der militärischen Niederlage 1918 war die Führungsschicht der Weimarer Republik immer noch so stark militaristisch geprägt, dass sich Pazifisten weiterhin Repressalien ausgesetzt sahen. So wurde der unabhängige sozialistische Pazifist Emil Gumbel, nach anfänglichem Widerstand der badischen Regierung, 1932 als Professor an der Universität Heidelberg entlassen. In Großbritannien trat Bertrand Russell als Pazifist auf und musste deswegen 1918 eine Gefängnisstrafe verbüßen.

Die bedeutendsten Vertreter des gewaltlosen Widerstands im 20. Jahrhundert waren Mahatma Gandhi in Indien und Martin Luther King in den USA.

Siehe auch